Teletäglich

Zoff um Putin bei Anne Will. Röttgen: Wir werden nicht Krieg um die Ukraine führen

„Anne Will: Keine Entspannung im Konflikt mit Putin – wie ist ein neuer Krieg zu verhindern?“ ARD, Sonntag, 20.Februar 2022, 21.45 Uhr.

Russen-Manöver verlängert, Kreml-Truppen weiter verstärkt, immer mehr gefährliche Schießereien, Propagandamaschine auf Hochtouren! Auch Anne Will ist alarmiert. Die Gäste:

Ursula von der Leyen (63, CDU). Die EU-Kommissionspräsidentin, aus Brüssel zugeschaltet, droht Putin mit massiven Wirtschafts- und Finanzsanktionen.

Lars Klingbeil (43, SPD). Der Parteichef warnt: „Es steht Spitz auf Knopf!“ Er wird aus Berlin zugeschaltet.

Norbert Röttgen (56, CDU). Der Außenpolitiker twittert aus gegebenem Anlass: „Der Donbass gehört nach wie vor zur Ukraine!

Sahra Wagenknecht (52, Linke). Die Ex-Fraktionschefin verteidigt Putin und schimpft lieber auf die bösen Amerikaner. Das kommt auf Linksaußen immer gut an.

Constanze Stelzenmüller (60). Die Publizistin arbeitet für eine renommierte Denkfabrik in Washington.

Macher, Entscheider und Beobachter mit viel Erfahrung, aber wenig Einigkeit.

Aktuellste Alarmzeichen

Publizistin Stelzenmüller meldet besorgt „Gespräche unter russischen Kommandeuren, die abgehört werden“  und Vorbereitungen, „die einen sehr schnellen Einmarsch in die Ukraine ermöglichen können“.

Aber, so ihre Hoffnung: „Das heißt immer noch nicht, dass die Entscheidung bereits getroffen sein muss. Wichtig ist, klarzumachen, dass wir uns bereits im Zustand massiver russischer Aggression befinden. Es gibt das Risiko einer Eskalation aus Versehen!“

Dramatischste Warnung

„Ob eine Invasion stattfindet, wird sich in den kommenden Tagen, vielleicht sogar in den kommenden Stunden entscheiden“, fürchtet Klingbeil.

Solange es die kleinste Hoffnung gebe, „müssen wir mit maximalem Einsatz den diplomatischen Weg gehen“, fügt der SPD-Chef hinzu, „aber das Signal ist klar: Die Deutschen stehen mit den Amerikanern, Franzosen und anderen Europäern beieinander.“

Gefährlichster Querschläger

Linke-Wagenknecht, wie immer schnell getriggert, hat ihre ganz eigene Sicht der Dinge: „Ich finde die Aggressivität, mit der vor allem von amerikanischer Seite ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, bemerkenswert“, wettert sie los. „Man hat das Gefühl, hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens!“

Ihre erschreckende Analyse: „Russland hat faktisch kein Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren. Es geht ihnen darum, Sicherheitsgarantien zu bekommen, im Notfall auch mit militärischen Mitteln.“ Heißt: Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein. Stelzenmüller reibt sich die Augen.

Klarsichtigster Kommentar

Röttgen zerlegt die Tricks des Kreml-Chefs: „Wenn es zu militärischer Gewalt kommt, wird sie unter einem Vorwand stattfinden“, sagt der Außenpolitiker voraus. Als Begründung könnten zum Beispiel vorgebliche ukrainische „Provokationen“ dienen.

Für den Westen gehe es jetzt darum, so Röttgen, „die Kalkulation von Putin zu beeinflussen, indem wir ihm klarmachen: Es wird eine einheitliche Front geben. Es wird hohe finanzielle, wirtschaftliche, geostrategische Kosten geben. Du wirst dafür bezahlen müssen!“

Deftigste Klatsche

„Vielleicht sollte man einfach mal ernst nehmen, dass Russland Sicherheitsinteressen hat!“, fordert die Linke daraufhin. „Genauso legitime Sicherheitsinteressen wie die Ukraine und andere Länder!“ Der Westen sollte diese Interessen akzeptieren, „statt sie immer abzuwatschen“.

Die Ukraine solle neutral werden, schlägt Wagenknecht dazu vor und findet die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht „absurd“.

Echt jetzt? Röttgen stellt die Linkspolitikerin prompt in den Senkel: „Das ist Ihre Sichtweise“, kontert er, „die vom Kreml zu 100 Prozent geteilt wird oder von Ihnen übernommen worden ist.“ Patsch!

Realistischste Analyse

„Putin meint es ernst damit, dass er das politische Ergebnis des Kalten Krieges nicht akzeptiert“, erläutert der CDU-Politiker dann. „Sein fester Wille ist es, die Macht Russlands in Europa auszudehnen, die westlichen Nachbarstaaten und vor allem die Ukraine zu Vasallenstaaten zu machen und dann mit den USA über die politische Ordnung in Europa zu verhandeln.“

Röttgens persönliche Einschätzung: „Putin wird dieses Jahr siebzig, und er weiß: Die Zeit läuft gegen ihn. Darum ist er entschlossen, zu handeln.“

Deutlichste Ansage

„Die Geschichte, die Frau Wagenknecht erzählt, klingt ja gut, aber sie hat mit den Fakten wenig zu tun“, assistiert Klingbeil. „Ich sehe überhaupt nicht, von wem Russland aktuell bedroht sein sollte. Der NATO-Beitritt der Ukraine steht gar nicht auf der Tagesordnung!“

Dann erinnert der SPD-Chef daran, dass der Westen angeboten habe, mit Putin alle Themen zu diskutieren. „Die ausgestreckte Hand ist da“, erklärt er. „Es liegt jetzt bei Putin. Klar muss sein: In dem Moment, wo er seine Soldaten losschickt, wird es eine geschlossene Reaktion geben.“

Glaubwürdigste Abschreckung

„Wir wollen keinen Krieg“, versichert EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen aus Brüssel. „Wir wollen, dass die europäische Friedensordnung respektiert wird. Aber wenn Präsident Putin einen Krieg mit der Ukraine vom Zaun bricht, werden wir mit massiven Konsequenzen antworten!“

Seit Wochen halte Putin die Ukraine „im Würgegriff“, klagt sie. Aber: „Wir haben in dieser Zeit systematisch daran gearbeitet, ein großes Sanktionspaket zusammenzustellen.“ Wir, das seien EU, USA, Großbritannien und Kanada.

Unmissverständlichste Ankündigung

„Wenn Präsident Putin einen Krieg beginnt, antworten wir mit dem mächtigsten Hebel, den wir haben, an der schwächsten Stelle, die Russland hat, nämlich mit Wirtschafts- und Finanzsanktionen“, macht von der Leyen klar.

Ein Angriff auf die Ukraine bedeute, so die Kommissionspräsidentin weiter, „dass Russland im Prinzip abgeschnitten wird von den internationalen Finanzmärkten“. Und: „Die Wirtschaftssanktionen betreffen im Prinzip alle Güter, die Russland dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren.“

Absichtsvollste Panikmache

Keine Entspannung im Konflikt mit Putin – wie ist ein neuer Krieg zu verhindern?“

Wagenknecht versucht es mit einem alten rhetorischen Trick: Sie will die Bedenken der anderen durch Übertreibung entkräften. „Putin ist nicht so, wie er dargestellt wird, ein durchgeknallter russischer Nationalist in einem Rausch, Grenzen zu verschieben!“, spottet sie.

Dann aber haut sie mit dem Atom-Hammer drauf: „Wenn das so wäre“, spinnt sie ihren Gedanken weiter, „wäre Diplomatie hoffnungslos verloren, und ich möchte mir eigentlich nicht ausmalen, wie lange Europa noch bewohnbar wäre.“ Uff! In Sowjetzeiten hieß das „Lieber rot als tot“.

Prompt geht das Zoff-o-Meter los

Wenn ich mir die Landkarte anschaue, dann haben nicht die Russen ihren Einflussbereich ausgeweitet, sondern die Amerikaner“, behauptet Wagenknecht einfach mal so. Ja ne, is klar…

„Die Sowjetunion ist zerfallen“, korrigiert Röttgen geduldig, „und dann haben sich unabhängige Staaten entwickelt, die Schutz vor Russland suchten.“

Doch das will die Linke ebenso wenig akzeptieren wie der Mann im Kreml: „Sie können doch nicht einfach die Geschichte völlig verfälschen!“ ruft sie erbost. Hä? Die anderen schütteln ungläubig die Köpfe.

Berechtigtste Skepsis

„Putin will die Zeit zurückdrehen“, urteilt die Talkmasterin umstandslos.

„Ich bin fassungslos“, ächzt Klingbeil. Russland habe doch die OSZE-Verträge und die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet! Über Abrüstung könne man verhandeln, meint der SPD-Chef, aber „was ich ausschließe, ist, dass wir Dinge wie die Bündnisfreiheit aufgeben.“ Das wäre ja noch schöner!

Glaubwürdigste Friedensbotschaft

„Wir werden nicht Krieg um die Ukraine mit Russland führen“, versichert Röttgen. „Und das ist auch der Unterschied zwischen einem NATO-Mitglied und einem Nicht-NATO-Mitglied.“

In Richtung des ukrainischen Präsidenten bekennt der CDU-Politiker: „Man muss Herrn Selenskyj auch sagen, dass man, wenn es einen entschlossenen Aggressor gibt, den Frieden nicht garantieren kann. Das können wir nicht. Aber wir können andere Dinge tun.“

Hoffnungsvollste Einschätzung

„Das Sanktionspaket, das hier geschnürt worden ist, ist in seinen Ausmaßen und in seiner Schärfe historisch“, lobt Stelzenmüller. „Ich weiß von Freunden in Moskau: Der Kreml ist tatsächlich sehr besorgt, weil die Auswirkungen massiv wären, und zwar auf den Machtkreis um Putin herum.“

Und, so die Publizistin weiter: „Abschreckung funktioniert dann am besten, wenn wir etwas tun, wofür wir bereit sind, Kosten zu tragen.“

„Nach allem, was Putin vcrgelegt hat, geht es keineswegs nur um die Neutralität der Ukraine, sondern um die europäische Sicherheitsordnung als Ganzes“, fügt die Expertin hinzu.

Gretchenfrage des Abends

„Es gibt eine hohe Solidarität mit der Ukraine“, hebt Klingbeil hervor.

Will macht die Probe aufs Exempel: „Würden Sie sagen, wenn Putin einmarschiert, ist Nord Stream 2 beendet?“

Hm – so weit will Klingbeil dann doch nicht gehen, aber: „Ich habe deutlich gemacht, dass alles auf dem Tisch liegt, und es liegt nicht darunter und nichts daneben.“ Heiterkeit in der Runde!

Kontroverseste Standpunkte

„Putin lässt uns im Ungewissen, und ich finde, dass wir ihm nicht transparent machen müssen, was die nächsten Schritte sind“, begründet der SPD-Chef seine Zurückhaltung. „Da müssen auch wir im Unklaren bleiben.“

„Die einzigen Gewinner dieser Situation sind die Amerikaner!“ wütet Wagenknecht im lupenreinen Kreml-Kammerton. „Die gewinnen geopolitisch und wirtschaftlich dabei!“ Die anderen grinsen: Jetzt klingt die Linke-Politikerin wirklich wie Ehemann Oskar Lafontaine in seinen besten Tagen

„Das ist einfach Quatsch!“, stöhnt Stelzenmüller ultragenervt.

Wirksamste Beruhigungspille

Die Kommissionspräsidentin kritisiert auch Putins Energiepolitik: „Was wir sehen, ist, dass Gazprom immer am untersten Rand die Verträge erfüllt“, meldet sie. „Es hat im Sommer die Lager für den Winter so wenig wie möglich aufgefüllt. Es ist der tiefste Stand seit zehn Jahren.“

Ihre Sorge: „Wenn Nord Stream 2 in Betrieb genommen wird, sind die Pipelines durch die Ukraine nicht mehr unbedingt nötig. Was heißt das für unsere Energiesicherheit? Ich halte uns in Europa jetzt schon für zu erpressbar!“

Wichtigste Forderung

„Was wir diesen Winter erlebt haben, darf sich nicht weiter fortsetzen“, mahnt von der Leyen zum Schluss. Im Januar seien bereits 120 Schiffe mit LNG-Gas gekommen. Ihre beruhigende Feststellung: „Sollte Russland die Gaslieferung einschränken, sind wir bis zum Ende des Winters auf der sicheren Seite.“

Auf die Dauer aber gelte, so die Präsidentin: „Raus aus der Abhängigkeit von dem russischen Gas, rein in die Produktion von grünem Wasserstoff, denn das macht uns unabhängig und gibt uns Energiesicherheit.“ Amen!

Fazit

Kein Durchscholzen, kein Herummerkeln: Die Dinge wurden beim Namen genannt, die Lösungsvorschläge blieben realistisch und der Antilügenkanone ging die Munition nicht aus. Das war womöglich eine letzte Vorkriegs-Talkshow der Kategorie „Zeitgeschichte“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert