„maischberger.die woche“. ARD, Mittwoch, 25.August 202, 23.05 Uhr.
Kabul, Klima, Corona: Sandra Maischbergers „Woche“ talkt mal wieder voll im Katastrophenmodus. Im Hintergrund die wilde Kandidatenhatz ums Kanzleramt. Spannend? Die öffentlich-rechtliche Bashing des Verkehrsministers jedenfalls misslang gründlich.
Die Gäste:
Andreas Scheuer (CSU). Der Bundesverkehrsminister stemmt sich tapfer gegen das unbeliebte Tempolimit.
Jördis Frommhold. Die Fachärztin ist Spezialistin für Long Covid.
Frank Stäbler. Der Ringer holte trotz Corona-Folgen bei Olympia Bronze.
Antonia Rados. Die Kriegsreporterin wagte sich schon nach Bagdad, Libyen, Somalia und auch Afghanistan.
Gabor Steingart. Der Publizist moderiert einen erfolgreichen Podcast für sein Unternehmen „Media Pioneer“.
Hans-Ulrich Jörges. Der routinierte Meinungsmarktbeschicker ist auch lange nach Ende seiner „Stern“-Zeit noch dicke als Talker gebucht.
Pralle Talk-Wundertüte, aber wieviel ist der Inhalt wert?
„Grauenhaft! Dramatisch!“ sagte die Kriegsreporterin zu den Bildern vom Flughafen in Kabul. „Sehr viele menschliche Tragödien. Familien werden auseinandergerissen. Jeder will raus.“
Ihr beklemmendstes Beispiel: „Es gibt eine Abgeordnete, die in Afghanistan bleibt, weil sie sagt, wenn die Elite weggeht, bleibt das Volk allein. Wir hoffen, dass sie das in irgendeiner Form überleben wird…“
Wütendste Attacke
Der Ex-„Stern“-Mann kritisierte ein „enormes Staatsversagen“ und zählte auf: Corona-Politik, Katastrophenschutz, Cum-Ex-Krise. Seine zornige Frage: „Warum funktioniert in diesem Land eigentlich nix mehr?“
Steingart stürzte sich auf die Regierungserklärung der Kanzlerin zu Afghanistan: „Das war unlauter! Politischer Karneval!“ pfefferte er los. „Sie ist in eine Opferrolle geschlüpft. Unschuldslamm. Sie ist eine Mittäterin.“
Vernichtendstes Urteil
Ein ARD-Einspieler zeigte Donald Trumps Bewertung der Kabul-Katastrophe: „Bidens verpatzter Rückzug aus Afghanistan ist die erstaunlichste Demonstration von grober Inkompetenz eines Staatschefs, vielleicht die größte, die man jemals gesehen hat!“ ätzte der Ex-Präsident.
Trump weiter: „Vietnam sieht dabei wie eine Vorzeigestrategie im Vergleich zu Joe Bidens Katastrophe aus.“ Autsch!
Strammste Statements
„Joe Biden mag Afghanistan nicht“, stellte Rados dazu fest. Steingart ahnt: „Die Wiederwahl von Biden ist fraglich geworden.“
Jörges ernannte den Bundesaußenminister zum „Verlierer der Woche“, weil „die Bürokratie im Auswärtigen Amt extrem zäh gearbeitet hat. Dabei scheint die Dringlichkeit der Hilfe für einzelne Personen vergessen worden zu sein.“
Charmanteste Eröffnung
Auftritt des Verkehrsministers. Scheuer war gut gebrieft: „Vorneweg: Alles Gute zum Geburtstag“, sagt er artig. Maischberger ist 55 geworden, aber das sagt der Minister natürlich nicht, das wäre ja bescheuert.
Die Talkmasterin musste lachen. „Super!“ gab sie zu und lobte: „Sie sind so ein Profi!“
Dann aber war schon Schluss mit Lustig. Maischberger hat sich vorgenommen, was Scheuers politischen Gegnern etwa im Maut-Untersuchungsausschuss trotz aller Bemühungen nicht gelang: den CSU-Minister öffentlichkeitswirksam zu zerlegen.
Und schon gab es Zoff
Die Talkmasterin kritisiert die vielen deutschen Funklöcher. Ein Einspieler zeigte: Im Flutgebiet sind Telefonprobleme sogar lebensgefährlich geworden.
Das fan natürlich auch Scheuer nicht gut. Immerhin gebe es jetzt aber eine Vereinbarung mit den Telekommunikationsanbietern, meinte er, mit harten Ausbauverpflichtungen und sogar mit der Androhung von Strafzahlungen. Dadurch sollen 5000 weiße Flecken verschwinden.
„Warum stopfen Sie die nicht?“ tadelt Maischberger. „Wenn ich die Bundesregierung wäre, hätte ich einfach Masten hingebaut!“
Eigentor! „Kein Mast wird von einem Bundesminister gebaut“, dozierte Scheuer mit erhobenem Zeigefinger. „Sondern er wird genehmigt von der Kommune vor Ort.“ Uff!
Verheerendste Zahl
Maischberger peilte hilfesuchend die Journalistentheke an: „Jetzt verstehen Sie, warum die Kollegen da sagen, dass wir nicht mehr so gut sind, wie wir eigentlich sein könnten“, patzte sie Scheuer an.
Doch der Minister hatte seine Hausaufgaben gemacht: „Wir haben eine Durchschnittsdauer von Genehmigungen für Mobilfunkmasten von 18 Monaten“, konterte er. „Der Durchschnitt der europäischen Nachbarstaaten ist vier Monate.“
Unverblümtester Vorwurf
Es lief nicht gut für Maischberger, deshalb wechselte sie Thema und Taktik. Jetzt ging es um die Maut, und sie griff den Gast frontal an: „Wenn ein Minister mit seinen Entscheidungen 500 Millionen Euro – möglicherweise – Schaden erzeugt, müsste er dann nicht zurücktreten, wie ja viele fordern?“
Scheuer versuchte es erst mal mit Humor: „Jetzt haben wir schon fast keine Person mehr, die nicht zurücktreten soll“, ulkte er.
Wirksamste Verteidigungsstrategie
Dann kam der Minister auf den entscheidenden Punkt: Das Maut-Gesetz habe nicht er beschlossen, sondern „der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben zugestimmt, zwei Bundespräsidenten haben unterschrieben“, dazu grünes Licht von der EU-Kommission, Zustimmung vom Generalanwalt beim EuGH – und dann bei diesem EuGH trotzdem gescheitert.
Scheuers Schlussplädoyer: „Diese Maut war nicht eine CSU-Maut, sondern ein Kompromiss von CSU, CDU und SPD.“
Und wieder Zoff
„In den Verträgen steht, dass die Anbieter ihr Geld auch dann kriegen, wenn die Maut vor Gericht scheitern sollte!“ warf Maischberger dem Minister vor. Über die Ratschläge sogar der Anbieter, mit den Verträgen bis zur endgültigen Genehmigung durch die Europarichter zu warten, habe er sich einfach hinweggesetzt.
Scheuer rang die Hände: „Frau Maischberger, das stimmt einfach nicht“, wehrte er sich. „Ein Minister muss ein Gesetz umsetzen, das ein Parlament und andere beschlossen haben!“
Und weiter: „Die 500 Millionen, die da immer im Raum stehen, das ist die Zahl der Betreiberunternehmen. Einseitige Forderungen!“ Mag sein, aber muss das alles wirklich heute aufgearbeitet werden?
Knackpunkt des Abends
Die Talkmasterin merkte allmählich, dass Scheuer nicht einknicken werde. „Hätten Sie den Vertrag auch privat unterschrieben?“ fragt sie ihn nun.
Doch so war der Minister mal gar nicht zu erschüttern: Der Untersuchungsausschuss sei zu dem Ergebnis bekommen, dass „meine Entscheidungen waren nach Vergaberecht, Europarecht und Haushaltsrecht vertretbar“ sind. Hosianna!
Ultimativste Waffe
Maischberger hatte ihr Interview bereits mit Anti-Scheuer-Satiren aus einschlägigen Fernsehsendungen eingeleitet, jetzt kündigte sie auch noch den Polit-Youtuber Rezo („„Die Zerstörung der CDU“) an.
„O je!“ ächzt Scheuer. „Jetzt fangen’s mit Kabarett an, jetzt hören’s mit Kabarett auf!“
In dem Videoclip sagte Rezo dann: „Bei der Maut-Andi-Scheuer-Geschichte gilt: Entweder hardcore inkompetent einfach Steuergelder gewastet oder irgendwas lief hier nicht ganz ehrlich ab.“ Ui.
Privatkrieg des Abends
„Also ehrlich gesagt, Frau Meischberger: Ich nehm‘ den nicht mehr ernst“, sagt Scheuer über den Youtuber.
„Ehrlich nicht?“ wunderte sich die Talkmasterin. „Ich will Ihnen ja helfen…“
Doch der Minister zählt auf ganz andere Stimmen: Lob von Bürgern für langersehnte Verkehrsberuhigung. Startups für Mountainbikes. „Wir haben so viel für den Radverkehr, für die Schiene getan“, meint Scheuer. „Der Rezo, der kennt mich einfach net, und dann soll er es einfach bleiben lassen!“
Wichtigste Ansagen
Die Idee der Grünen, Lastenfahrräder mit 1000 Euro zu fördern, fand Scheuer „nachdenkenswert“.
Über den Lokführer-Streik sagte der Minister: „Schwierig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wird wieder viele Pendler betreffen. Ich appelliere wirklich ganz, ganz intensiv, das beide Seiten, Bahn und Gewerkschaft, wieder an den Verhandlungstisch zurückkommen.“
Über eine Corona-Impfpflicht etwa für Lehrer: „Sehe ich nicht.“
Über die Wahl: „Deutschland läuft Gefahr, in eine grün-rot-rote Republik abzugleiten.“
Zum Schluss das übliche CDU-Bashing
Jörges nannte Laschet einen „Nebel-Kandidaten“: Man wisse gar nicht, was er eigentlich wolle. Steingart schimpfte über den aktuellen „Zündfunken-Journalismus“, der sich nur für Erregungsdebatten interessiere.
Sympathischster Gast war Bronze-Ringer Stäbler, der bewegend seine Corona-Erkrankung schildert: Trotz Atembeklemmung und 20 Prozent Leistungseinbruch habe er auf empfohlene medizinische Hilfen verzichtet, denn: „Ich wollte nicht die Medaille in der Hand halten und mir sagen: Das habe ich nur geschafft, weil ich mich mit Medikamenten vollgepumpt habe.“ Respekt!
Schwierigstes Finale
Zum Schluss folgt noch ein hochkomplexes Fachgespräch mit Lungenfachärztin Frommhold. Es geht um Rebound- und Fatigue-Symptome, Long-Covid, Post-Covid, S1-Leitlinie, stille Hypoxämien… Puh! Leute! Es ist schon fast halb eins, und wir sind hier doch nicht beim ARD-Ratgeber Gesundheit!
Fazit: Statt Infotainment nur heißer Stuhl, statt spannender Fragen ermüdende Monologe, dazu Moralinarroganz und kenntnisfreie Kommentare im eitlen Experten-Gestus: Das war ein Talk der Kategorie „Schwachfest statt Schlachtfest“.