„Dunja Hayali“. ZDF, Donnerstag, 16.Juli 2020, 22.15 Uhr.
Der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser hat in der ZDF-Talkshow „Dunja Hayali“ am Donnerstag die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel und ihre Partei überaus heftig kritisiert.
Wörtlich sagte der international hoch angesehene Topmanager: „Ausgrenzung, Hass, Rassismus, das gehört nicht mehr in unsere Zeit. Wir haben das in Deutschland in einer Weise gemacht, die zu einem der schlimmsten Zivilisationsbrüche der Menschheitsgeschichte geführt hat, und damit muss jetzt einfach Schluss sein!“
Zuvor hatte die Talkmasterin an Kaesers scharfe Reaktion auf eine Bundestagsrede der AfD-Politikerin vor zwei Jahren erinnert und gefragt: „Haben Sie keine Befürchtung, dass Sie mit Ihren klaren Ansagen Mitarbeiter, Geschäftspartner und Ähnliches vor den Kopf stoßen, verprellen, Geschäfte verlieren?“
„Es gibt Kunden, die bestimmte Gesinnungen haben“, antwortete der Manager darauf. „Es gibt Mitarbeiter, die bestimmte Vorlieben für bestimmte Parteien haben, und es gibt natürlich auch die geschäftlichen Interessen.“
Aber, so Kaeser weiter: „Das Abwägen zwischen Werten, persönlichen, menschlichen Werten, das ist nicht digital, das wird auch immer analog bleiben. Das ist nicht schwarz oder weiß, gut oder schlecht – da muss man am Ende des Tages mit sich selbst ins Reine kommen.“
Klarste Kante
„Die AfD ist eine Partei, die in Deutschland, in einer Demokratie, zugelassen ist“, stellte Kaeser dazu fest. „Das sollte man auch respektieren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie jemals wählen würde, aber sie ist zugelassen.“
Doch: „Was ich damals adressiert hatte, war eine hasserfüllte, ausgrenzende, beleidigende Rede eines AfD-Mitglieds unter dem Bundesadler im Bundestag.“
Unschönste Erinnerung
„Ich saß damals in Frankfurt in der Lufthansa-Lounge auf dem Flug in die USA, und ich sah das“, schilderte Kaeser das entscheidende Erlebnis. „Der Ton war leise, und ich hörte gar nicht, was sie sagte, aber ich sah die Ausdrucksform…“
„Von Alice Weidel“ fügte die Talkmasterin ein.
Kaeser nahm den Namen nicht in den Mund: „Ja, einer Dame, die da geredet hat“, antwortete er stattdessen. „Und ich dachte: Wenn das die Menschen in der Welt sehen, dann werden sie mich fragen: Habt ihr denn in Deutschland echt nichts gelernt?“
Irrste Info
„Sie haben dafür Morddrohungen einstecken müssen. Wie sind Sie damit umgegangen?“ will Hayali wissen.
„Es gab ja mehrere solche Drohungen“, berichtet Kaeser. „Die prominenteste war von einem adolf.hitler@nsdap.de. Man muss sich ja wundern, dass eine solche Internetadresse überhaupt zulässig ist, warum das durchläuft.“
Seine coole Reaktion: „Ich habe zurückgeschrieben: Ganz offensichtlich gibt es jetzt auch in der Hölle Digitalisierung, weil, der Teufel schreibt mir jetzt schon eine E-Mail!“
Statement des Abends
„Das kam bei verschiedenen Bevölkerungsschichten nicht sehr gut an“, sagte der Manager zum Schluss. „Aber dazu stehe ich.“
Hauptthema des Talks aber war auch bei Hayali die Corona-Pandemie. Der verdammte Virus macht uns noch den ganzen Sommer kaputt! Was lief da schief, und was kommt noch auf uns zu? Die Talkmasterin setzte die FFP2-Maske auf und sucht Antworten an der Pflege-Front. Ihre ungeschönte Erkenntnis: „Corona, du bist ein Arschloch!“
Die Gäste
- Jens Spahn (40, CDU). Der Bundesgesundheitsminister kämpft um ein EU-Medizinbündnis gegen China.
- Branka Ivanisevic. Die Altenpflegerin wirbt für ver.di.
- Andrea Kaiser (38). Die TV-Moderatorin („Catch!“) hilft Corona-Opfern mit Lebensmittelspenden.
- Helmut Wallrafen (64). Der gelernte Altenpfleger leitet die Sozial-Holding von Mönchen-Gladbach.
Macher und Betroffene in Fragen um Leben und Tod. Auch das Zoff-o-Meter darf sich nicht drücken.
Emotionalste Ankündigung
Zum Start zog die Talkmasterin als Reporterin mit Kamerateam und schwarzen Lederjacke los. Das Hermann-Radke-Haus in Berlin hat 52 Angestellte, davon sind 39 im Pflegedienst und 17 an Corona erkrankt. Von den 93 Bewohner sind 29 positiv getestet und 12 verstorben.
„Es ist für mich auch eine persönliche Herausforderung, weil meine Eltern lange in einem Altenheim gelebt haben“, gestand Hayali. „Für mich persönlich ist das ein schwerer Dreh. Da werden auch viele Erinnerungen wach.“ Mit Mühe hielt sie die Tränen zurück und dann schnell die Hand vor die Linse.
Schärfster Vorwurf
Die Gewerkschafterin nahm sofort den Minister aufs Korn: „Beim Corona-Ausbruch standen wir plötzlich ohne Schutzausrüstung da“, schimpfte sie. „Das kann ich Ihnen nicht vergessen!“
Kollege Wallrafen aber nahm Spahn in Schutz: „Bei uns gab es keinen Tag, an dem wir nicht genug Material hatten“, berichtete der Experte. „Viren sind nichts Neues, da müssen wir vorsorgen. Wir sind Profis!“
Wichtigste Ansage
„Es war eine Ausnahmesituation“, erklärte Spahn und versprach: „Wir werden besser vorbereitet sein, wenn das Virus im Herbst oder Winter wiederkommt!“
Bewegendster Bericht
„Meine Mutter hat meinen Vater – die sind über 50 Jahre verheiratet – jeden Tag besucht, und dann konnte sie plötzlich nicht mehr da rein“, schilderte Moderatorin Kaiser die schwere Zeit in einem Würzburger Pflegeheim.
Das Problem: „Man ist angewiesen auf die Pfleger, die einen unglaublichen Job gemacht haben. Viele sind auch selbst erkrankt. Als sie mir gesagt haben, der Vater hat Corona, da hast du die ganzen Bilder gehabt. Die Menschen sind dort wie die Fliegen weggestorben.“
Schwierigste Erfahrung
„Du bist darauf angewiesen, diesen Menschen deinen Vater, der dich großgezogen hat, anzuvertrauen, dass sie ihm die Liebe und die Zeit schenken“, erzählte die Moderatorin sichtlich bewegt. „Meine Mutter war jeden Tag zwei, drei Stunden bei meinem Vater. Das ist jetzt alles weg!“
Als sie es schließlich schaffte, dass einer der Pfleger ihren Vater zu ihr in die Cafeteria brachte, habe sie bemerkt, dass er schon nichts mehr hörte.
Dann gab es Zoff
Plötzlich prasselten von allen Seiten Vorwürfe und Forderungen auf den Minister herab: Zu wenig Geld, zu wenig Personal, und die Prämien solle es querbeet auch für Haustechniker und Verwaltungskräfte geben.
„Die Situation ist sehr unterschiedlich“, verteidigte sich Spahn. „Wir zahlen jede Woche 300 bis 400 Millionen für leere Krankenhausbetten.“ Hieß: Nicht überall sind Sonderprämien wirklich angebracht, schon gar nicht im Gießkannenprinzip.“
Emotionalster Appell
„Mein Sohn lag nach der Geburt eine Woche lang auf der Intensivstation“, berichtete Moderatorin Kaiser. „Das hat mein Leben verändert. Denn da habe ich gesehen, was die Menschen dort leisten!“
Ihre Forderung: „Unsere Gesellschaft sollte viel mehr Wertschätzung und auch Geld für diesen Beruf aufbringen!“
Heftigster Gefühlsausbruch
Als Hayali ein „Desaster“ anprangerte, platzte dem Minister der Kragen: „Wir haben heute Abend noch nicht ein einziges positives Wort zur Pflege gehört“, beschwerte er sich.
Sein Ärger: „Alle sagen, wir brauchen mehr Wertschätzung, aber wenn wir nach der Sendung fragen, wer will denn jetzt in die Pflege, hebt keiner mehr die Hand!“
Das gelte, so der Minister, auch schon für die Ankündigung der ZDF-Sendung: Gestresste Helfer, mangelnde Vorbereitung, fehlende Schutzkleidung…“
Rüdester Rüffel
Die Talkmasterin wollte sich das nicht gefallen lassen: „Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen…“
„Ich weiß nicht, ob das diesem Beruf gerecht wird“, schob Spahn noch nach.
„Jetzt passen Sie auf!“ wies ihn Hayali zurecht. „Sie müssen mich auch ausreden lassen!“
Ödeste Fachsimpeliade
Das tat sie dann bei den anderen. Die Folge: Minutenlang ging es um schwer verständliche und oft kaum erklärte Sachfragen: Mindestbemessung, Fachkraftquote, Schweregrad der Pflegebedürftigkeit, Trägervielfalt. Hilfe!
Leider ließ die Talkmasterin den wilden Info-Wust so lange laufen, dass für den zweiten Hauptgast nur noch ein paar Minuten blieben. Die hatten es dann aber in sich, weil Siemens-Chef Kaeser Klarsttext lieferte.
Interessanteste Infos
Über die Kritik an Bonuszahlungen für Manager von Krisenunternehmen sagte Kaeser: Würden Unternehmen darauf verzichten, sänken die Personalkosten, die Gewinne stiegen, und dann hätten nur die Aktionäre was davon – etwa die Hedgefonds, die Heuschrecken.
Deshalb seien freiwillige Gaben der Gutverdiener die bessere Idee: „Ich habe eine Million Euro gespendet“, berichtete der Vorstandschef, an Einrichtungen, die gegen das Virus kämpfen. Seine Überzeugung: „Die Corona-Krise hat etwas Gutes gehabt, wenn die Welt etwa aus ihr gelernt hat.“
Fazit: Viel Aufgeregtheit, wenig Stringenz, aber bewegende Bekenntnisse einer Betroffenen und wichtige, wenn auch unpopuläre Klarstellungen eines Politikers. Zum Schluss noch ein kurzer, knackiger Grundkurs in Demokratie – das war eine Talkshow der Kategorie „Vollwertkost“.