„Maischberger“. ARD, Mittwoch, 22.50 Uhr.
Wolfgang Schäuble im Reue-Modus! Sein Einsatz für Armin Laschet kostete die Union das Kanzleramt, doch ein anderer Irrtum wirkte sich noch viel verheerender aus. Talkmasterin Sandra Maischberger nimmt dem großen alten Mann der CDU die Beichte ab. Die Gäste:
Wolfgang Schäuble (78, CDU). Die graue Eminenz der Christdemokraten nahm sich nach dem Laschet-Crash acht Monate lang komplett raus. Will das alte Schlachtross jetzt wieder mitmischen?
Andreas Gassen (59). Der Chef der Kassenärzte fordert den Sofort-Stopp der Maskenpflicht: Für die meisten Bürger sei die Pandemie „vorbei“.
Christina Berndt (53). Die Wissenschaftsjournalistin (SZ) findet es „traurig, dass der Bund ausgerechnet jetzt, bei dieser Inzidenz, hemmungslos öffnen will.“
Walter Sittler (69). Der Schauspieler musste in der Pandemie Federn lassen und Auftritte streichen.
Jagoda Marinić (44). Die Kolumnistin („Stern“) führte ein Corona-Tagebuch.
Markus Preiß (44). Der ARD-Korrespondent in Brüssel reiste durchs ukrainische Kriegsgebiet.
Fünf Gäste, drei Themen, ein Knaller. Wie hoch dreht das Zoff-o-Meter?
Start mit Schröder-Bashing
Die Talkmasterin steigt mit einem Reizthema ein: „Das Bundeskabinett hat gestern auf den Weg gebracht, dem Altkanzler Gerhard Schröder seine sogenannten Privilegien abzuerkennen. Heute erfahren wir: Die EU-Parlamentarier wollen ihn auf die Sanktionsliste setzen.“
„Wenn ich sehe, was alles für Sanktionen gegen russlandfreundliche Leute verhängt wird, ist es richtig“, urteilt Sittler, aber: „Ich hätte sie ihm nicht entzogen, sondern ausgesetzt, bis er sich erklärt.“
Schlimmste Befürchtung
Denn, so der Schauspieler mit abwägenden Handbewegungen: „Wir wissen nicht genau, was ihm im Nacken sitzt. Putin und seinen Leute sind nicht zimperlich!“
Sittlers milder Strafantrag: „Wenn er wieder auf der Seite der Demokratie ist – da war er ja eigentlich immer, nur ist er im Moment ein bisschen abgedriftet -, dann kann er sie wieder haben.“
Schallendstes Abwatschen
Deutsch-Kroatin Marinić zeigt weniger Nachsicht: „Ich habe mich gefragt, warum das nicht schon lange passiert ist!“, wettert sie los und kritisiert den „spielerisch-humorvollen Umgang, so zu tun, als wäre es nicht schlimm“.
Ihr massiver Vorwurf: „Ich wüsste nicht, welches andere Land ein Staatsoberhaupt (gemeint: Regierungschef) hätte, das sich Russland nach seiner Amtszeit so angedient hat. Man hätte schon viel früher von Seiten der SPD das Gespräch suchen sollen. Es ist völlig irritierend, dass Deutschland diese Ostpolitik nicht aufarbeitet!“
Klarsichtigste Kritik
„Es ist nicht getan mit Instagram-Bildern, auf denen die Frau betet und hofft, er wird die große Wende bringen“, spottet die Kolumnistin über So-yeon Schröder-Kim. „Da ist ein ganz großes System hinter Schröder von Verharmlosung des Umgangs mit Putin!“
Marinićs hoffnungsvolle Feststellung: „Ich bin froh, dass wir da jetzt irgendwie einen Schritt machen, ihm ein Signal zu setzen, dass wir ihn nicht damit durchkommen lassen!“ Dafür gibt’s den ersten Applaus.
Kühlster Kommentar
„Die EU und die Nato täten gut daran, Russland eine Sicherheitsgarantie zu geben“, schlägt Sittler friedfertig vor. Aber: „Erst muss Russland zurück auf seine Grenzen“. Dann hebt der Schauspieler die Hände: „Mit der Krim, das ist wieder ein anderes Problem.“ Uff!
Der ARD-Korrespondent dagegen macht keine Gefangenen: „Die ganzen Ängste und Sorgen Russlands sind für mich gestorben, indem Russland diesen Schritt gemacht hat. Die Konsequenz muss es jetzt tragen.“ Auch dafür Beifall.
Geschichtsbewusstestes Argument
Marinić erinnert an den Balkankrieg: „Ich kenne diesen Pazifismus, der meint, er tue etwas Gutes, indem er sich nicht einmischt“, rüffelt sie. „Immer wenn die Weltgemeinschaft nicht handelt, können Leute wie Putin sagen: Schaut mal diesen Westen an mit seinen hehren Werten, für euch macht er sich nicht die Finger schmutzig!“
Ihr entscheidender Punkt: „Die Tendenz, dass Nichtstun Aggressoren stoppt, ist historisch nicht zu belegen. Es hat die Nazis nicht gestoppt, es wird niemanden stoppen.“
„Putin hat sein Gesicht gezeigt“, sekundiert Preiß, „und wir wären einfach nur naiv, wenn man darauf nicht reagiert.“
Ehrlichstes Eingeständnis
Dann sitzt Schäuble bei der Talkmasterin am Tisch und wird mit einer Kern-Frage konfrontiert: „Hätten Sie Angst vor einem Atomkrieg?“
„Ja“, antwortet der CDU-Grande und gesteht: „Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine habe ich keine richtige Vorstellung, wie wir da wieder rauskommen sollen.“
Alarmierendste Übereinstimmung
Denn, so Schäuble weiter: „Alle sagen, Putin darf nicht gewinnen. Klar: Wenn er gewinnt, macht er weiter. Es gibt schreckliche Parallelen zu der Entwicklung zwischen den beiden Weltkriegen.“
Ernüchterndster Vergleich: „Er hat ja früh gesagt, dass der Zerfall der Sowjetunion 1990/91 die größte Katastrophe des vergangene Jahrhunderts war und dass er das wieder rückgängig machen will“, erinnert Schäuble. „Ein anderer hatte früh angekündigt, dass er die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Lage wieder ändern will…“
Warnendstes Beispiel
Erst als Frankreich kapituliert habe, sei der Versuch aufgegeben worden, Hitler durch Appeasement einzuhegen, stellt Schäuble fest. Heute sei die Lage ähnlich gefährlich, und er beneide die Politiker nicht, die jetzt Entscheidungen treffen müssten.
Emotionalste Erinnerung
„Meine Eltern hatten natürlich Angst!“, erinnert sich der Politiker an den Volksaufstand von 1953, den russische Panzer niederwalzten, als er elf Jahre alt war. Der Aufstand 1956, der Bau der Berliner Mauer 1961, der Prager Frühling 1968: „Wir haben geglaubt, dass das nicht wieder passiert.“
„Wer da unter den Politikern, die damals gelebt haben,. nicht auch der Meinung war, das wird nicht wieder passieren“, schließt Schäuble und ringt die Hände, „der soll von mir aus andere kritisieren – ich mache es nicht.“
Erschütterndster Einspieler
Die Talkmasterin zeigt einen Auszug aus einem Interview mit Helmut Schmidt vom 28.April 2015. Damals hatte sie gefragt, ob man Putin nach dem Überfall auf die Krim noch vertrauen könne.
Schmidts Antwort: „Das Vertrauen wurde zerstört durch die idiotischen Angebote und Absichten seitens der Europäischen Union. Der Versuch, die EU auszudehnen auf die Ukraine, gleichzeitig noch auf Georgien, am liebsten noch auf Armenien, alles das ist ein ziemlicher Blödsinn. Das ist geopolitische Kinderei.“ Härteste Kritik
Hm – das klingt, als hätte Putin daraus später Verständnis für seinen Angriffskrieg ableiten können. „Stimmen Sie zu?“, will Maischberger von Schäuble wissen. Antwort: „Nein, aber Helmut Schmidt war zu dem Zeitpunkt nicht mehr der Jüngste. Das war nicht seine beste Interview-Äußerung. Er wäre besser nicht in der Sendung gewesen.“ Ächz!
Dann beugt sich der erfahrene Politiker energisch vor: „Was Putin als Bedrohung empfindet“, erklärt er, „ist, dass in seiner Nachbarschaft rechtsstaatliche freiheitliche Demokratien offenbar attraktiver sind als seine Diktatur.“ Rumms!
Deutlichste Kanzlerinkritik
Seine eigene Politik rechtfertigt Schäuble heute so: „Nach der Annektion der Krim hätten wir natürlich Nord Stream 2 unter keinen Umständen mehr … Das habe ich sogar als Mitglied der von Bundeskanzlerin Merkel geführten Regierung gesagt. Hat sie nicht gefreut.“
„Es war ein Fehler“, gesteht er nun ein. „Ich habe das immer gesagt: Es war ein Fehler. Sie weiß, dass ich nicht ihrer Meinung war, wie viele andere auch.“
Gretchenfrage des Abends
Die Talkmasterin setzt ihm die Nagelpistole auf die Brust: „Wenn Ihnen das damals klar war, muss man schon fragen, warum die damalige Bundesregierung nicht die Konsequenzen gezogen hat, die Gasbeziehung, die Abhängigkeit nicht weiter auszubauen?“
Doch diesen Pudding kriegt sie nicht an die Wand getackert: „Weil sie gehofft hat, dass es nicht so sein wird“, antwortet Schäuble. Dann hebt er abwehrend die Hände und wiederholt: „Wer da jetzt anfängt, ich habe das schon zwei Jahre früher gewusst – ich will das nicht machen, weil, das ist nachträgliche Besserwisserei.“ Aber hat er nicht eben genau das versucht?
Schlappstes Rückzugsgefecht
„Wir haben das alle gehofft, es wird nicht sein. Viele haben das noch bis zum Einmarsch am 24.Februar gehofft“, wehrt sich Schäuble genervt. Doch Maischberger bohrt trotzdem weiter in der Wunde: „War das Wegschauen? Nicht wahrhaben wollen?“
Schäuble lässt resignierend die Hände auf den Tisch fallen. „Tja“, antwortet er mit einem tiefen Seufzer. Dann aber rafft er sich wieder auf: „Ich finde, die Debatte ein Stück weit rückwärtsgewandt. Die hilft uns jetzt auch nicht. Wir brauchen doch jetzt nicht kleinmütige Streitereien, wer hat recht, oder wer hat sich da blöd benommen…“ Puh! Aufarbeitung geht anders…
Klarstes Schuldbekenntnis
Auf der ARD-Seite des Maischberger-Talks wird Schäuble dagegen mit den Worten zitiert: „Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, der Ukraine beim NATO-Gipfel 2008 keine Aufnahmeperspektive gegeben zu haben.“
Und: „Auch ich dachte, wir müssen mit Russland kooperieren. Heute weiß ich: Ich lag falsch, wir alle lagen falsch.“ Amen!
Vernichtendste Kritik
Leichter hat es Schäuble, als auch er nach Schröder gefragt wird. Erst winkt er ab: „Die Debatte ödet mich eher an!“ Dann aber kommt Klartext: „Ich finde es allerdings wirklich schäbig, dass ein ehemaliger Bundeskanzler sich in die Dienste einer ausländischen Gesellschaft begibt. Das macht man nicht. Er tut mir eigentlich fast schon Leid.“
Dann zündet das Zoff-o-Meter
Über Corona sollen sich Gassen und Berndt streiten. Der Kassenärztechef legt vor: „Die Maske ist nur ein Mosaikstein“, meint er. „Der hat in Deutschland einen extrem hohen Symbolwert. Es gibt Menschen, die sollten sie tatsächlich tragen.“ Im Flugzeug sei das „nicht sinnhaft“, wohl aber in der Bahn oder im Kaufhaus-Aufzug.
„Das ist eine Scheindiskussion!“, schimpft die Journalistin. „Wir haben viele Millionen Menschen, die immer noch gefährdet sind. Und in vollen Bussen und Bahnen haben wir immer noch ein erkleckliches Risiko.“
Letztes Gefecht
Gassen hat eine Stunde vor der Sendung noch mit dem Gesundheitsminister telefoniert: „Es ging um die Frage: Wie gehen wir in den Herbst? Die Killervariante wird nicht kommen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, widerspricht Berndt. Und: „Die Wissenschaft hat den Stand, den sie hat!“
Doch der Kassenärztechef bleibt Optimist. Lockdown oder Weihnachtsmarkt? fragt Maischberger. Seine Antwort: Ich gehe von Weihnachtsmarkt aus. Halleluja!