„maischberger. die woche“, ARD, Mittwoch, 15.Januar 2020, 22.45 Uhr.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in der AR-Talkshow „maischberger. die woche“ am Mittwoch eine wenig bekannte Anekdote erzählt: Im Jahr 1985 hatte er in Bonn eine Hundertschaft des Bundesgrenzschutzes aufbieten müssen, um Boris Becker aus einem Festgedränge zu befreien.
Zuvor hatte die Talk-Runde über die Attacken auf Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker diskutiert. Dabei sagte der zweite Mann im Staat: „Wer in der Öffentlichkeit bekannt ist, ich meine: auch bedeutende Moderatoren oder Sportler, die haben auch ein größeres Risiko.“
Sein ungewöhnliches Beispiel: „Ich habe mal den jungen Boris Becker 1985 auf das Kinderfest im Kanzleramt eingeladen. Er hatte ein paar Wochen vorher Wimbledon gewonnen. Wir mussten ihn nach zwei Minuten mit einer Hundertschaft Bundesgrenzschutz schützen.“
Denn, so Schäuble: „Er hat um sein Leben gefürchtet, weil diese jungen Leute und Kinder haben so für ihn geschwärmt, dass sie ihn erdrückt haben. Ich habe das übrigens bei der Feier der Wiedervereinigung an der Mauer am Reichstag auch so empfunden, als die Menge nachts sich nach vorne bewegte.“
Drohnen und Raketen in Nahost, Buschfeuer in Down Under. Putin baut seine Regierung um, Söder würde das auch gern tun – lauter Steilvorlagen für maischberger.de!
Mit Schäuble waren als Gäste auch der ARD-Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, die „ARD“-Moderatorin Pinar Atalay, die Journalistin Ferdos Forudastan („Süddeutsche Zeitung“) und der Journalist Gabor Steingart („Morning Briefing“) gekommen.
Warmlaufen mit Megxit
Atalay zeigte sich von Meghans Rückzug aus dem Royal-Gehege „beeindruckt“. Die SZ-Journalistin wiederum hörte in der britischen Boulevardpresse einen „rassistischen Unterton“.
Steingart sah sogar „einen Triumph der bürgerlichen Gesellschaft“, denn: „Früher wollten die Bürgerlichen Prinzessinnen werden, jetzt will eine Prinzessin lieber bürgerlich sein.“
Dann die ersten Talk-Prügel
Der Journalist knöpfte sich „Siemens“-Chef Joe Kaeser vor: „Er hat versucht, die deutsche Greta zu kaufen“, sagt er zum plötzlichen verlockenden Jobangebot für die „Friday for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer.
Steingarts Kommentar: „Er hat es mit Macht und Geld versucht, sie hat es ihm mit Haltung zurückgezahlt.“ Auch Kollegin Forudastan senkt den Daumen: „Schnöde und billig!“
Erster Beifall
Zum Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, das Bundeskabinett sollte verjüngt werden, sagte die SZ-Journalistin milde: „Er profiliert sich und versucht den Einfluss der CSU auszubauen.“
Ungleich härter ging sie mit CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer ins Gericht: „Zum Fremdschämen! Peinliche Auftritte!“ urteilte sie wenig überraschend und sicherte sich prompt den talkshowtypischen Anti-CSU-Applaus.
Eleganteste Anmache
Nach 20 Minuten kam der Bundestagspräsident in die Arena. Steingart empfing ihn mit einem hinterlistigen Kompliment: „Schäuble ist im besten Trump-Alter!“
Tatsächlich wollte Talkmasterin Maischberger als erstes wissen, ob der große alte Mann der deutschen Politik womöglich doch noch Kanzler werden wolle. Damit kam sie aber nicht weit: „Ich bin 77 Jahre alt, und seit 30 Jahren im Rollstuhl!“ Mehr musste der Präsident nicht sagen.
Schönster Seitenhieb
Zum Wahlkampf um den Vorsitz seiner Partei sagte Schäuble mit feinem Lächeln: „Ich fand den Personalentscheidungsprozess in der CDU fast besser als den in der SPD!“
Über den großen Verlierer sagte er: „Ich bin mit Friedrich Merz seit vielen Jahren persönlich befreundet, und das ist auch erlaubt!“
Und über die Siegerin: „Die Entscheidung ist getroffen. Es war ein fairer, demokratischer Prozess. Ich finde, wir haben genug Personaldebatten gehabt. Das Land hat viele große Probleme, die dringend in vernünftigen Debatten gelöst werden müssen.“
Klarste Kante
Über den getöteten Terrorgeneral Soleimani sagte Schäuble umstandslos: „Das war ein Mann, der auf der EU-Liste der gefährlichsten Terroristen gestanden hat!“
Und über Australien: „Das kommt einem vor wie eine Apokalypse. Wir haben viel zu lange viel zu wenig getan. Wir müssen viel entschlossener vorangehen. Das ist auch eine Mahnung!“
Frage des Abends
„Eigentlich gehören wir ja zu den Amerikanern und dem Westen“, meinte die Talkmasterin dann, „und doch gibt es immer mehr Stimmen, die sagen: Der berechenbare Partner ist eigentlich der Man in Moskau!“
In dieser Frage blieb Schäuble besonders klar: „Uns gäbe es doch gar nicht ohne die Verlässlichkeit und den Schutz und das Bündnis mit den Amerikanern seit dem Zweiten Weltkrieg!“
Wichtigster Rückblick
„Ich habe noch eine dunkle Erinnerung an den 17.Juni, an die Luftbrücke, an den Bau der Mauer und den Fall der Mauer, und an die Kuba-Krise“, erklärte Schäuble weiter. „Ohne die Amerikaner wäre Europa nicht da, wo es heute ist, hätte Deutschland überhaupt keine Chance gehabt!“
Und: „Es gibt keine Äquidistanz. Die Amerikaner sind unsere Partner. Wenn wir den amerikanischen Präsidenten wählen würden, würden wir das wahrscheinlich anders machen, aber das machen die Amerikaner!“
Traurigstes Statement
Auch diesmal gab Maischberger Sätze vor, die ihr Gast vollenden sollte. Beispiel: „Dass Günter Krause, mit dem ich vor 30 Jahren den Einigungsvertrag ausgehandelt habe, am Dschungelcamp teilgenommen hat…“
Schäuble reagierte deutlich betroffen: „Hat mir wehgetan“, antwortete er. Das Publikum lachte und klatschte, doch der Präsident blieb ernst und sichtlich bedrückt.
Irrste Aussage
Zum Finale folgte noch mal das übliche Trump-Bashing, diesmal in besonders grotesker Form: „Meine iranische Großmutter“, sagte Forudastan, „die jetzt 120 Jahre alt wäre, die wie viele Frauen ihrer Generation nicht lesen und nicht schreiben konnte, die immer einen Schleier getragen hat, tief religiös war, die hatte in ihrem kleinen Finger mehr Klugheit und mehr Kultur als dieser Mann im Weißen Haus.“
Amen! Forudastan war bis 2017 Sprecherin bei Bundespräsident Joachim Gauck und leitet seit Januar 2018 das Ressort Innenpolitik der „SZ“. Dazu den Kollegen an dieser Stelle einen herzlichen Glückwunsch.
„Trump ist jetzt im Kampagnenmodus und spricht die Sprache des Volkes!“ erklärte Gabor Steingart Formulierungen des US-Präsidenten wie „Hurensohn“. Danach durfte der ARD-Generalexperte Ranga Ich-weiß-etwas-das-ihr-nicht-wisst Yogeshwar noch eine Viertelstunde lang sein Talent demonstrieren, mit ganz vielen Worten ganz wenig zu sagen. Und eine aus Balmoral bei Sydney zugeskypte Auswanderin erzählte, wie ihr im allerletzten Augenblick zwischen „75 Meter hohen Flammen“ auf einem kurz darauf gesperrten Highway gerade noch die Flucht gelungen sei. Sie berichtete das allerdings aus dem aufgeräumten Wohnzimmer ihres unversehrten Hauses.
Viel Zeitgeistergebenheit im Rechthabemodus mit parfümierten Wohlfühlargumenten, aber zum Glück auch ein wirklicher Stargast als intellektuelles Talkgewitter und eine Moderatorin ohne peinliche Gefälligkeitsfragen: Das war ein Talk aus der Rubrik „Kontraste“.