„Anne Will: Wählen in Krisenzeiten – wem trauen die Deutschen das Kanzleramt zu?“ ARD, Sonntag, 29.August 2021, 21.15 Uhr.
Als letzte ist nun auch Anne Will, nach elf Wochen, aus dem Urlaub zurück. Sie vertraut weiter auf ihr bewährtes ARD-Strickmuster: Fünf links, eins Mitte.
Die Gäste:
Paul Ziemiak (35, CDU). Der Generalsekretär managt auch den Wahlkampf seiner Partei, doch der läuft eher flau. Startet heute die Aufholjagd?
Kevin Kühnert (32, SPD). Der Parteivize und Ex-Juso-Chef ist für wirre Querschüsse gefürchtet, musste deshalb lange in Talk-Quarantäne.
Cem Özdemir (55, Grüne). Der schwäbische Multifunktionstalker blickt bei jedem Thema durch, und zwar durch die Parteibrille.
Christiane Hoffmann (54). Die Journalistin („Spiegel“) jubelt: „Die SPD wiederum ist in diesen Tagen nicht wiederzuerkennen!“
Jana Hensel (45). Die Journalistin („Zeit“) schimpft auf Twitter, dass „all die Texte, die nun erzählen, wie langweilig Olaf Scholz ist, eben auch sehr langweilig sind.“
Zum Start eine Retourkutsche
Friedrich Merz hatte auf Twitter gespottet, Kühnert werde wohl erst am Wahlabend wieder aus der TV-Verbannung entlassen. Der SPD-Vize konterte, er werde dem CDU-Politiker bei „Anne Will“ zuzwinkern, und das macht er jetzt auch, mit beiden Augen. Klipp klapp!
Energischste Durchhalteparole
Ziemiak hielt sich am gelungenen Auftritt seines Chefs im RTL-Dreikampf mit Annalena Baerbock und Olaf Scholz fest: „Die heute das ‚Triell‘ gesehen haben, haben einen unglaublich starken Armin Laschet erlebt, der in den Themen ist, der die Punkte gesetzt hat.“
Bei Olaf Scholz hingegen, so der CDU-General beschwörend, „war viel heiße Luft“. Ziemiaks Hoffnung: „Ich glaube, dass die nächsten Wochen entscheidend sind. Es ist jetzt eine Richtungsentscheidung: Bleibt Deutschland stabil oder gibt es einen Linksruck?“
Ungewöhnlichste Perspektiven
„Die Wahl ist wirklich offen“, urteilte die „Spiegel“-Journalistin über das „Rodeo“ der Umfragewerte. „Ich glaube, dass wir ein Ergebnis haben werden, das gar keinen klaren Sieger erkennen lässt.“
„Wir sind bei 20 Prozent“, milderte Özdemir den Absturz seiner Parteifreundin. „Ich war mal Spitzenkandidat, da haben wir 8,9 Prozent geholt.“ Auch der grüne Verlierer von 2017 schöpfte aus der RTL-Debatte neue Zuversicht: „Heute Abend hat Annalena Baerbock noch einmal gezeigt: Sie kann es!“
Die „Zeit“-Journalistin meinte, die Grünen hätten sich längst von der Illusion verabschiedet, dass das Kanzleramt in Reichweite sei. Robert Habeck und Markus Söder wären die besseren Kandidaten gewesen.
Trickreichste Begründung
Auf die Frage, wie Scholz Kanzler werden wolle, wo er doch nicht mal SPD-Chef geworden sei, hatte Kühnert sich eine schlaue Erklärung gebastelt: Die SPD habe damals nach „sehr schwierigen Jahren“ Vorsitzende gebraucht, die nicht in die Große Koalition eingebunden waren.
„So haben Sie es damals aber nicht dargestellt“, tadelte die Talkmasterin. „Und noch viel krasser war, als Sie gesagt haben, Sie finden nicht, dass die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten brauche!“
Doch der SPD-Vize drehte seine Pirouette munter weiter: „Gut, dass wir es anders gemacht haben!“ griente er.
Düsterste Prognose
Ziemiak wollte den Brummkreisel aus der Balance kippen: „Es gibt den Wunsch, zusammen mit der Linken eine Regierung zu bilden“, unterstellte der CDU-General. „Das ist doch der klare Plan!“
Zur Unterstützung seiner Prognose haut der CDU-Mann dann kernige Fausthiebe in die Luft: „Ich sage Ihnen heute voraus, dass Olaf Scholz überhaupt nichts zu melden hat!“ behauptet er.
Denn, so Ziemiak weiter: „Wenn es eine Stimme Mehrheit gibt für eine Koalition zwischen der SPD und der Linken mit den Stimmen der Grünen, dann wird es diese Regierungskoalition geben.“ Uff!
Heftigste Attacke
Scholz habe immer versucht, „mehr Geld für die Bundeswehr zu verhindern“, warf der CDU-General dem SPD-Finanzminister vor. Und: „Die Anschaffung bewaffneter Drohnen wird durch die SPD bis heute verhindert!“
„Das war nun alles sehr herzergreifend“, patzte Kühnert seinen Nachbarn an, „aber natürlich grandioser Quatsch, denn du hier vorgetragen hast. Du musst das vortragen, die Verzweiflung ist groß.“ Die Herren duzen sich, aber das ist kein Showkampf!
Durchsichtigstes Manöver
„Die Umfragen sind schlecht, die Partei will sehen, dass ihr euch mal ein bisschen aufrafft“, ätzte der jungsoziale Luftballonpolitiker und ließ noch eine Prise Hohn und Spott aus dem Ventil: „Aber wenn das die Verteidigungslinie sein soll, dann gute Nacht, Marie!“
Dazu machte Kühnert, was er immer gerne tut: Er versucht, die Argumente der Gegenseite durch Übertreibung lächerlich zu machen: „Wer ernsthaft glaubt, dass mit Olaf Scholz die kommunistische Gewaltherrschaft in Deutschland einzieht, dass der mit der roten Fahne durch den Bundestag läuft, der ist ein bisschen falsch gewickelt!“
Verräterischster Versprecher
Die Talkmasterin wollte dem SPD-Vize assistieren: „Warum genau“, fährt sie Ziemiak an, „versuchen Sie bei Olaf Scholz, der uns so nicht bekannt war – das ist eher die rechte, konservative SPD -, warum versuchen Sie, dem zu unterstellen, er würde mit einer Rote-Socken-Kampagne…“
Hoppla! Gerade noch rechtzeitig merkte Will, dass sie in Richtung Treibsand galoppiert, und bessert nach: „Äh, er würde mit einer rot-roten Regierung gehen?“ Uff!
Säuerlichster Zwischenruf
Özdemir, seit zwanzig Minuten nicht mehr zu Wort gekommen, verlor die Geduld: „Darf ich mich mal melden wie in der Schule?“ knurrte er. „Ich würde auch gern zur Diskussion beitragen!“ Aber niemand beachtete ihn.
Dialog des Abends
Nach einer halben Stunde aber war Öko-Özi dann doch wieder dran und wetterte erst mal gegen die Linke: Sie habe sich bei der Abstimmung im Bundestag nicht hinreichend zur Rettungsmission der Bundeswehr bekannt, und „wer sich in einer solchen Frage nicht klar äußert, will dieses Land nicht regieren.“
„Aber Sie distanzieren sich ja nicht“, zweifelte die Talkmasterin. „Sie schließen nicht aus.“
Das wollte der Grüne offenkundig auch gar nicht: „Wieviel mehr kann man sich distanzierten?“ schwurbelte er stattdessen.
„Also das kann man schon besser machen“, stichelte Will.
Wackeligster Drahtseilakt
Özdemir versuchte es mit eine anderen Formulierung: „Die Linkspartei ist außenpolitisch nicht regierungsfähig. Das ist doch ganz einfach!“ behauptet er.
„Und das heißt, Sie schließen…?“ bohrte die Talkmasterin weiter. „Das wäre jetzt eine Neuigkeit, Herr Özdemir.“
Doch der Pudding rutschte ihr immer wieder vom Nagel. „Das habe ich jetzt schon oft gesagt“, windet sich der Grüne. „Auch Annalena Baerbock und Robert Habeck sagen das…“
„Nee!“ grätschte Will ihn ab. „Die sagen das nicht, dass sie das ausschließen!“ Auch Ziemiak schüttelte heftig den Kopf.
Zornigster Kommentar
Özdemir formulierte noch mal um: „Annelena Baerbock hat gesagt, es ist nicht vorstellbar, wie man mit denen zusammenkommt.“
Die Talkmasterin grinste, und Ziemiak wagte es sogar, zu lachen. Özdemir hatte seine Wutdrucksenker nicht genommen und blaffte den CDU-General unvermittelt an: „Darf ich mal einen Satz zu Ende bringen?“
Dann brach der angestaute Ärger heraus: „Ich habe am wenigsten hier geredet!“ beschwerte sich der Grüne. „Ich halte mich an das, was meine Eltern mir beigebracht haben! Dass man in unserem Land immer die Leute ausreden lässt! Das mache ich, aber das heißt ja nicht, dass man nicht drankommt!“
„Sie sind ja jetzt dran“, konterte Will trocken. Halleluja!
Letztes Gefecht
Dann piesackte ihn die Talkmasterin ein letztes Mal: „Also Sie schließen aus – Ja oder Nein?“
„Wenn die Linkspartei jetzt ihr Programm radikal umwirft und sagt: Wir bekennen uns zur Bundeswehr, dann kann das anders sein“, antwortete Özdemir. „Aber ich sehe nicht, dass es dafür eine Chance gibt.“
„Oah!“ machte Will enttäuscht. Heiterkeit im der Runde!
Misslungenste Satire
Kühnert hatte noch eine Rechnung mit seinen CDU-Kontrahenten offen. „Ihr erklärt ja mittlerweile, jede Partei, mit der ihr in den Bundesländern koaliert, sei eigentlich Teil eines Linksbündnisses“, motzte er Ziemiak an. „Wahrscheinlich fordert Friedrich Merz bald die Verfassungsschutzbeobachtung von Olaf Scholz!“
Ärgerlichster Vorwurf
Özdemir nahm einen neuen Gegner auf Korn: „Das ist genau die Art von Wahlkampf, die ich furchtbar finde“, pestete er Kühnert an. „Zu den Kohlekumpeln in der Lausitz gehen und sagen: Kohleausstieg 2038, und bei den Umweltverbänden sagen: naja, vielleicht auch ein bisschen früher…“
Sein Verdruss: „Ich mag das nicht, wenn Politiker überall, wo sie gerade sind, das sagen, was die hören wollen.“ Und: „Ich kann auch viel erzählen, wenn der Tag lang ist.“ Rumms!
Stoßseufzer des Abends
Dann weiter großes Durcheinanderreden. Will fuchtelte hektisch mit den Händen: „Ich lass mir jetzt nicht immer die Struktur wegnehmen!“ jammerte sie, aber ihre Autorität war endgültig den Bach runter und die anderen zofften sich ungerührt weiter.
Peinlichster Rüffel
Zum Schluss kam die Talkmasterin noch mal auf die Katastrophe des Jahres zurück: „Herr Özdemir, war die Flut nicht die spitzenmäßige Vorlage für die Grünen?“ fragte sie allen Ernstes.
Der alte Polit-Profi witterte sofort die Chance, sich für die Kneifzangen-Fragen von vorhin zu rächen: „Spitzenmäßige Vorlage ist es für mich nicht, wenn Menschen sterben, oder ihre Existenz verlieren!“ mahnte er die Talkmasterin ab.
Will musste kapitulieren: „Nein, das war ganz dumm von mir“, gab sie zu.
Verblüffendstes Bekenntnis
„Vielleicht rede ich mich jetzt um Kopf und Kragen“, offenbarte sich der Grüne zum Schluss, „aber wenn man uns wählt und wir in der nächsten Regierung stark sind, werden auch wir die Klimakrise nicht verhindern können.“ Amen!
Fazit: Frechheiten und Frotzeleien im Funktionärssprech, dauerbeleidigte Volksküchenlyrik und viel gezinkte Grünmoral: Das war ein Talk der Kategorie „Nervensache“.