„Maybrit Illner: Ampel unter Druck – keine Strategie in der Energiekrise?“ ZDF, Donnerstag, 1.September 2022, 22.35 Uhr.
Die Regierung schnitzt sich die Opposition selber, z.B. mit dem Dauer-Duell Finanzminister gegen Wirtschaftsminister. Die Grünen wiederum sind mal für, mal gegen die Atomkraftstreckung. Nicht nur Maybrit Illner wundert sich! Die Gäste:
Ursula von der Leyen (63, CDU). Die EU-Kommissionspräsidentin geht davon aus, dass Russland in Zukunft überhaupt kein Gas mehr liefern wird. Uff!
Ricarda Lang (28, Grüne). Die Parteichefin kämpft weiter gegen die überfällige Laufzeitverlängerung für Atommeiler. Heute immer noch?
Christian Dürr (45, FDP). Der Fraktionschef fordert ein drittes Entlastungspaket und setzt dabei auf eine schnelle Einigung. Optimist!
Luisa Neubauer (26, Grüne). Die Klimaaktivistin („Fridays for Future“) findet eine auf wenige Monate begrenzte AKW-Laufzeitverlängerung „akzeptabel“.
Karl-Josef Laumann (65, CDU). Der NRW-Sozialminister fordert mehr Entlastung für Geringverdiener.
Eva Quadbeck (52). Die Journalistin (RND) moniert: „Die Probleme sind ständig mindestens einen Schritt voraus!“
Sechs Köpfe, sechs Meinungen!
Ouvertüre unter dem Watschenbaum
Die Talkmasterin heizt das Klima mit einem knalligen Einspieler über den Koalitionsgipfel an. O-Ton: „Der Summer of Love von Meseberg soll das wuchtige Poltern zuvor vergessen machen.“ Passender Spruch von SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese: „Das Prinzip Habeck geht so: Auftritte filmreif, Umsetzung bedenklich, und am Ende zahlt der Bürger drauf.“
Konter des Grüne-Fraktionsvize Konstantin von Notz: „Die schlechte Performance des Bundeskanzlers, seine miesen Umfragewerte, Erinnerungslücken bei Warburg und seine Verantwortung bei North Stream 2 werden durch unloyales Verhalten nicht geheilt.“ Heidewitzka!
Hoffnungsvollste Prognose
„Es ist so, dass Habeck mit der Gasumlage einen groben handwerklichen Fehler gemacht hat“, schiedsrichtert Journalistin Quadbeck und sieht „bei SPD und FDP eine Mischung aus Schadenfreude und Erleichterung: Da kann man mal so richtig schön reingehen.“ Rumms!
Quadbecks Lagebeschreibung: „Da kann man sehen, dass es ordentlich ruckelt in der Koalition. Ich gehe aber trotzdem davon aus, dass am Wochenende die Vernunft siegt.“ Schön wär’s!
Krachendster Konter
FDP-Fraktionschef Dürr, aus Bremen zugeschaltet, redet lieber erst mal über die Entlastungspakete 1 und 2: „Das war damals schon ein wuchtiger Aufschlag“, lobt er, „sucht übrigens seinesgleichen in Europa.“
CDU-Minister Laumann, aus Düsseldorf auf dem Schirm, erinnert sorgenvoll an „die vielen Menschen, die fleißig sind, gerade über die Runden kommen, aber in den ersten beiden Entlastungspaketen trotzdem nicht bedacht wurden“. Seine schlimme Vermutung: „Ich glaube, die das gemacht haben, wissen gar nicht, wie die Durchschnittsrenten sind!“
Schrillstes Schlagwortgewitter
Aktivistin Neubauer rechnet erst mal mit dem Rest der Runde ab: „Warum sind wir denn in dieser Krise?“, fragt sie vorwurfsvoll. „Weil wir ein katastrophales Missmanagement erlebt haben in der Energiepolitik in den letzten Jahrzehnten!“
„Wenn man in Lichtgeschwindigkeit LNG-Terminals aufbauen kann, dann kann man auch mit Lichtgeschwindigkeit Erneuerbare ausbauen“, rattert sie weiter. „Die Aktivisten, die sich auf Straßen kleben, während 30 Prozent von Pakistan von Fluten bedroht sind, haben eine eigene Legitimation!“
Lockerster Nasenstüber
Als nächste kommt Grüne-Chefin Lang ins Rollen. Die Talkmasterin widmet ihr eine schnoddrige Überleitung: „Da ist das Leben natürlich immer konkret widerwärtig und gemein. Wieso braucht man den Hinweis, dass der Waschlappen eine gute Erfindung ist?“
„Es ist komplett klar, dass wir jetzt über Einsparungen reden müssen“, antwortet die Parteichefin dickfellig. „Diese hohen Preise liegen nicht am Klimaschutz, sondern am Gegenteil, weil in der Vergangenheit zu wenig für den Klimaschutz gemacht wurde!“
Illners knappe Quittung: „Sie hören, was Sie hören wollten…“
Massivste Attacke
„In anderen Ministerien wird Arbeitsverweigerung betrieben!“, poltert Neubauer. „Das Verkehrsministerium weigert sich offen, Klimaschutzziele einzuhalten. Was Volker Wissing gerade produziert, wäre in jedem anderen Berufsfeld ein Kündigungsgrund!“
Der FDP-Chef schüttelt den Kopf, doch die Aktivistin nimmt gleich auch die Öko-Kollegin auf die Hörner: „Da muss man sich auch als grüne Partei fragen: Wie weit können wir da Kompromisse machen? Was schützen wir gerade – das Koalitionsklima oder das Weltklima?“
Beliebtester Blitzableiter
Dürr wagt sich als erster an den Elefanten im Raum: Die Koalition müsse jetzt dringend die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke besprechen, kündigt er an. Danach entlastet der FDP-Mann seinen Parteifreund durch Stänkern gegen dessen CSU-Vorgänger: „Natürlich hat Volker Wissing da auch eine Hypothek geerbt!“
„Oh!“, macht die Talkmasterin erfreut. „Noch ein kleines Erinnern an Andy Scheuer!“ Bayern-Bashing zieht bekanntlich immer.
Eindringlichste Warnung
„Wir müssen dafür sorgen, dass der Plan von Putin nicht aufgeht, dass sich die Gesellschaft in Deutschland spaltet und wir soziale Unruhen kriegen“, mahnt Laumann.
Die Aktivistin wiegt zweifelnd den Kopf: Anderes Thema! Doch der CDU-Mann lässt sich nicht beirren: „Ich sehe, dass diese Energierechnungen von einem größeren Teil der Bevölkerung nicht bezahlt werden können“, ahnt er.
Seine Sorge: „Putin will doch, dass wir Probleme in unserer eigenen Gesellschaft kriegen. Deswegen müssen wir auch sozialpolitisch höllisch aufpassen. Wie gehen wir mit der energieintensiven Industrie in Deutschland um? Ich sehe das auch als eine präventive Sozialpolitik an, dass wir diese Industriezweige über diese Krise bringen.“
Wuchtigste Ankündigung
Aus Brüssel erscheint die EU-Kommissionspräsidentin auf den Monitor. „Wir wollen mit einem Notfallinstrument direkt in den Strommarkt eingreifen“, verspricht sie, „und den überbordenden Einfluss des teuren Gases auf die Strompreisbildung reduzieren.“
Ihr zweites Vorhaben: „Wir wollen bei den anderen Energieformen dafür sorgen, dass die Tatsache, dass sie billiger und günstiger produziert werden, tatsächlich beim Verbraucher ankommt. Das heißt: Einen Teil der Gewinne werden wir abschöpfen und dazu nehmen, dass sie für einkommensschwache Haushalte zur Verfügung gestellt werden.“
Ihr Credo: „Es ist selbstverständlich, dass die Stromerzeuger der fossilen Energien, der schmutzigen Energien, auch ihren Krisenbeitrag leisten müssen.“
Klarste Ansage
„Wir werden Ende der nächsten Woche beim Energieministertreffen die Vorschläge von allen Seiten beleuchten und dann mit einem Gesetzesvorschlag kommen“, verspricht die Präsidentin dann.
Es gehe dabei nicht um eine Steuer, sondern, so von der Leyen: „Dies hier ist ein Kriseninstrument, das man kurzfristig einsetzen kann. Die Tatsache, dass wir die rechtliche Grundlage dazu haben, für Krisenmomente bestimmte Instrumente zu entwickeln, die nutzen wir.“ Frischauf!
Klarste Zielvorgabe
„Uns ist wichtig, dass wir insgesamt rauskommen aus den fossilen Brennstoffen“, erklärt die Präsidentin dazu, „und viel stärker und auf die Dauer ausschließlich in die erneuerbaren Energien investieren.“
Ihre unmissverständliche Ansage: „Wir müssen jeden Tag damit rechnen, dass Putin das Gas vollständig abstellt. Das Ziel ist, dass wir durch diesen Winter kommen. Das Ziel ist, dass Putin uns nicht länger erpressen kann. Das Ziel ist, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt!“
Peinlichster Versprecher
Die Grüne-Chefin hat sich eine neue Formel ausgedacht: „Winter der Solidarität statt Winter der Wut!“
Illner erinnert an die von Blamagen begleitete Suche des Wirtschaftsministers nach neuen Energiequellen und schießt mal wieder einen Bock: „Im Falle von Kuwait – ein Knicks für nix“, lästert sie über Habecks devoten Handschlags, verbessert sich dann aber flugs: „Katar, nicht Kuwait.“ Puh!
Feurigstes Plädoyer
Zum Schluss wagt sich auch Laumann auf verstrahltes Gelände: Seine Meinung sei, dass „die drei Atomkraftwerke, die wir haben, weiter zu betreiben, für diese eng begrenzte Übergangszeit moralisch vertretbar ist.“ Punkt!
Die Aktivistin verzieht keine Miene, die Grüne-Chefin zieht einen beleidigten Schmollmund, doch Laumann zieht sein Ding durch: „Das ist keine Rolle rückwärts in der Atompolitik“, behauptet er schlank. „Damit könnten wir in erheblichem Umfang Gaskraftwerke stilllegen. Es wäre gut, wenn es technisch vernünftig ist, es zu tun.“ Amen!
Zitat des Abends
„Es gibt einen Konsens darüber, dass man erst mal den Leuten helfen muss, denen das Wasser bis zum Hals steht, und dann vielleicht denen, denen es nur bis zu dem Knien steht.“ Eva Quadbeck
Fazit
Mehr Eifer als Einsicht, statt Klarsicht oft Kurzsicht, die Gäste spulten steril ihre Programme ab und die Talkmasterin wechselte Gas- und Bremspedal beharrlich an der falschen Stelle. Das war eine Talkshow nach der alten Skatspieler-Weisheit „Auf dem Tisch geht‘s Blatt kaputt“.