„Maybrit Illner: Keine Angst vor Corona – hat Trump Recht?“ ZDF, Donnerstag, 8.Oktober 2020, 22.30 Uhr.
Kanzleramtsminister Helge Braun hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag die umstrittene Corona-Warn-App der Bundesregierung gegen Kritiker aus Gesundheitsamt und Ethikkommission verteidigt.
Wörtlich sagte der Merkel-Vertraute in einem dringenden Appell: „Jetzt sollten sich wirklich alle die App runterladen, weil man damit andere warnen kann, wenn man positiv ist. Und man kriegt über die App sein Laborergebnis sehr, sehr schnell.“
Der nächste Winter kommt bestimmt, die nächste Grippe ebenfalls, doch diesmal kommt die Influenza nicht allein: Covid-19 attackiert bereits die ganze Welt, und ein Ende der Pandemie ist nicht abzusehen. Kapitulation ist trotzdem keine Option, und nicht nur für den US-Präsidenten. Maybrit Illner fragte dazu kundige Gäste:
- Braun (CDU) ist Mediziner und fürchtet eine „kritische, unbeherrschbare Lage“.
- Die Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer rief die Bevölkerung dazu auf, „nicht erforderliche Reisen in oder aus Corona Hotspots zu vermeiden“.
- Die Virologin Prof. Isabella Eckerle prophezeite: „Wir haben wirklich einen anstrengenden Winter vor uns!“
- Der Berliner Amtsarzt Patrick Larscheid machte klar: „Corona-Testergebnisse in 48 Stunden sind oft unrealistisch!“
- Gerhard Schröders Ex-Kulturstaatsminister Prof. Julian Nida-Rümelin (SPD), seit April im Deutschen Ethikrat, warnt vor Panikmache.
- Elmar Theveßen, ZDF-Korrespondent in Washington, schlug Alarm: „Das Virus breitet sich weiter in Trumps Umfeld aus!“
- Ute Lemper. Die Sängerin lebt in New York und ist seit Corona arbeitslos.
Viel Sachverstand auf Illners Intensivtalkstation. Zu Beginn drohte das Überdruckventil zu explodieren, denn alle Gäste hatten tüchtig Trump-Dampf im Kessel.
„Er spielt seinen Anhängern einfach was vor!“ schimpfte die Virologin über die rasche Rückkehr des Präsidenten ins Weiße Haus. „Aus medizinischer Sicht muss man sagen, dass diese ganze Geschichte irgendwie hinten und vorne nicht zusammenstimmt!“
Interessanteste Ferndiagnose
Über Trumps Medikamente wunderte sich die Expertin: „Normalerweise wird ein Patient nach so einem Cocktail an experimentellen Therapien nicht nach drei Tagen aus der Klinik entlassen!“
Allerdings, auch das sagte die Virologin: „Es gibt tatsächlich erste Forschungsdaten zu diesen Medikamenten, die positiv aussehen. Und ich denke auch, dass die Antikörper-Therapie durchaus vielversprechend sein könnte.“
Härteste Abrechnung
Die Ministerpräsidentin machte keine Gefangenen: „Brandgefährlich!“ wetterte sie über den Wahlkampf-Auftritt am Weißen Haus. „Verantwortungslos! Irreführend! Es ist einfach Wahnsinn, was Trump macht!“
„Das geht an die Wurzeln der Demokratie!“ assistierte Nida-Rümelin der Parteifreundin.
„Das hat etwas von einer Art Todeskult“, fand der ZDF-Korrespondent. „Ein zynisches Spiel!“
Empörteste Statements
„Verheerende Zeichen!“ schloss sich der Kanzleramtsminister an. „Das Ausmaß der Verbreitung im Weißen Haus zeigt, dass man dort das Virus nicht ernst nimmt!“
„Eine unglaubliche Farce!“ protestierte Ute Lemper auf ihrer Terrasse in Manhattan. „Trump hat mit dem Teufel gespielt und sich für unbesiegbar erklärt!“
Konstruktivster Beitrag
Nach der fälligen Druckentladung lenkte Braun ruhig, wie es seine Art ist, die Aufmerksamkeit der entrüsteten Runde auf die jetzt nötigen Maßnahmen: „Wir müssen erreichen, dass wir die Kontaktdaten nachvollziehen“, stellte er fest. „Das gelingt uns in einigen Hotspots nicht mehr!“
Wichtigste Warnungen
„Es geht nicht nur darum, die Älteren zu schützen“, ergänzte Virologin Eckerle. „Auch die Jüngeren sind gefährdet, und vor allem die Schwangeren!“
„Wir dürfen nicht noch einmal in die Situation geraten, dass Kitas und Schulen geschlossen werden!“ mahnte Dreyer.
Dann ging der Zoff los
Nida-Rümelin nahm sich das Corona-Tracking vor: „Wir haben keine Tracing App“, klagte er. „Die Gesundheitsämter wissen nicht, was los ist. Ja um Himmels willen!“
Und warum ist das so? „Wegen der informationelle Selbstbestimmung!“ schimpfte der Professor. „Die ist sehr wichtig. Aber Menschenwürde ist vielleicht auch wichtig! Und Freiheit der Berufsausübung ist auch wichtig! Keine Insolvenzen! Geöffnete Kinos!“
Und, so ein weiterer Vorwurf des Ethikers: „Der Zettelwahn in den Gaststätten ist grotesk!“
Schlüssigste Begründung
„Warum ist das denn noch nicht so ein Granatenerfolgsmodell geworden?“ fragte Illner den Minister. „Warum nicht weniger Datenschutz, aber mehr Nachvollziehbarkeit?“
„Weil unsere App auch mit dem extrem hohen Datenschutzniveau komplett die Funktion erfüllt, die wir brauchen“, beschewichtigte Braun. „Wir wollten eine freiwillige App, und eine freiwillige App braucht das Vertrauen der Menschen.“
Knackigstes Kontra
„Die App hilft uns überhaupt nicht!“ schmetterte ihn Amtsarzt Larscheid ab. „Sie ist in unserem Alltag vollkommen bedeutungslos, weil es eine sehr deutsche App ist. Sie macht den Datenschutz glücklich, aber sie liefert leider gar keine Daten!“
Doch: „Uns interessieren wirklich nur Daten!“ wetterte der Experte weiter. „Wir kriegen nichts aus der App, was wirklich wichtig ist für die Fallermittlung, die Kontaktnachverfolgung, die Unterbrechung der Infektionskette.“
Kontroverseste Punkte
Und nochmal: „Für unseren klinischen Alltag in den Gesundheitsämtern ist diese App vollkommen bedeutungslos“, sagte Larscheid Braun ins Auge. „Insofern kann ich diesen Optimismus nicht nachvollziehen.“ Rumms!
Prompt eilt die Sozialdemokratin dem GroKo-Partner zu Hilfe: „Ich finde es richtig, dass wir auf den Datenschutz achten“, sagte Dreyer. Allerdings: Die App sollte europäisch kompatibel sein, und sie sollte auch auf ältere Handys heruntergeladen werden können.
Hoffnungsvollster Ausblick
Die Talkmasterin hätte gern noch was Positives gehört: „Gibt es aus der Wissenschaft nicht auch gute Gründe, optimistisch zu sein?“ fragte sie die Virologin.
In der Tat! „Die Therapien sind inzwischen viel besser“, berichtete Eckerle. Und auch bei den Impfstoffen gebe es einige sehr aussichtsreiche Entwicklungen. Immerhin!
Kniffligstes Problem
Zum Streit der Bundesländer über die Reisefreiheit sagte der Kanzleramtsminister: „Das Beherbergungsverbot ist ein klassisches Notsignal, weil die Bundesländer Sorge haben, dass die Hotspots so dominierend werden, dass sie das ganze Land anstecken.“
Brauns Hoffnung: „Wir zeigen, dass es, wenn man entschieden handelt, möglich ist, auch einen Hotspot in den Griff zu kriegen!“
Zuversichtlichstes Schlusswort
„Es gibt jetzt wirklich keinen Grund, ängstlich oder verzagt zu sein“, beruhigt Braun zum Finale, macht aber auch klar: „Es geht jetzt darum, diszipliniert zu sein. Wir haben bis hierhin gezeigt, dass wir es können. Und das werden wir auch im weiteren Verlauf sicher hinbekommen!“
Fazit: Solide Sachverhaltsdarstellung ohne die typischen Übertreibungen der Panikgesellschaft und auch ohne die Dramasucht der professionellen Empörungsdienstleister. Das war ein Talk der Kategorie „Durchhaltestelle“.