„Maybrit Illner: Über Rechtsaußen an die Macht – Tabubruch in Thüringen?“ ZDF, Donnerstag, 6.Februar 2020, 22.25 Uhr.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner am Donnerstag schwere Vorwürfe sowohl gegen die Linkspartei als auch gegen die AfD erhoben.
Von der Finte zur Farce: Der Erfurter Kopflossprung endet mit Schädelschmerzen! Die bürgerliche Mitte versucht mit wachsender Verzweiflung, sich aus der Extremistenfalle zu befreien. SPD und Grüne sind dabei keine Hilfe – im Gegenteil.
Die Gäste bilden das komplette Parteienspektrum ab.
Kretschmer wollte die Parteifreunde vom Nachbarland irgendwie rauspauken. Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg musste sich heute warm anziehen, der Gegenwind war eise!
AfD-Chef Alexander Gauland bejubelte eine „bürgerliche Mehrheit“ in Thüringen, hatte sich aber erkennbar zu früh gefreut. Grüne-Chef Robert Habeck beschränkte sich auf Vorwürfe: In Erfurt sei „eine Brandschutzwand eingerissen“ worden. Und die Linke-Vizechefin Janine Wissler tobte im SED-Stil: „CDU und FDP paktieren mit Faschisten!“
Die WELT-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld machte klar, dass CDU und FDP „schwerer Schaden zugefügt“ wurde. Das zeigte sich auch im Verlauf der Sendung immer deutlicher. Motto: Auf die Mitte mit Gebrüll!
Doch zuerst hatte die Verteidigung das Wort. „Es darf keine Abhängigkeit von der AfD geben“, stellte die FDP-Generalin fest. „Das hätte so nicht passieren dürfen!“ gab der CDU-Ministerpräsident zu.
Cleverster Entlastungsangriff
Dann aber fuhr Kretschmer gleich eine Attacke gegen den abgewählten Linke-Regierungschef Bodo Ramelow: „Ich habe kein Verständnis dafür, dass ein Ministerpräsident, der keine Mehrheit hat, andere erpresst, ihn zu wählen!“
„Es war ein Fehler, die Wahl anzunehmen!“ sagte Teuteberg über ihren FDP-Überraschungsministerpräsidenten.
„Politik ist was für Profis“, urteilte Journalistin Rosenfeld kühl und machte den Punkt.
Dann ging der Zoff auch schon los
„Ich glaube nicht, dass das ein Versehen war!“ sagte Habeck vorwurfsvoll über die Schand-Wahl. „Heute habe ich nur faule Ausreden gehört!“!
Seine erste Bilanz: „Frau Annegret Kramp-Karrenbauer hat ein Führungsproblem. Und Christian Lindner ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.“
Unwillkommenster Taktikkurs
Das ließ sich Kretschmer aber nicht gefallen: „Ihre Koalition ist abgewählt worden!“ sagte er zu dem Grünen-Chef. „Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen, dass es im Parlament eine Mehrheit gibt! Aber Sie sind bockig mit der Brechstange in diese Wahl gegangen!“
Der AfD-Chef erläuterte stolz den linken Trick seiner Parteifreunde: „Wir konnten Ramelow nur verhindern, indem wir einen anderen bürgerlichen Kandidaten wählten und nicht den eigenen“, dozierte er mit sichtlicher Genugtuung.
Wütendste Schelte
Gaulands Selbstgefälligkeit brachte die Linke auf die Palme: „Die AfD ist eine offen rassistische, nationalistische Partei!“ schimpfte sie.
Ihr härtester Vorwurf: „75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz haben CDU und FDP in Thüringen mit Faschisten paktiert!“
Außerdem, so Wissler, finde sie das „Geschwätz“ mit der „Gleichsetzung von rechtem und linkem Rand gefährlich und dumm!“
Erster Ordnungsruf
„So verbissen wird das nichts“, warnte Kretschmer. „Es gibt jetzt eine Polarisierung wie in der Weimarer Republik!“
Gauland nahm den AfD-Landeschef in Schutz: „Wenn Herr Höcke ein Faschist wäre, würde er nicht im Thüringer Landtag sitzen“, behauptete er.
Klügste Analyse
„Das ist der gleiche Mann, den Ihre Partei vor zwei Jahre aus der Partei ausschließen wollte“, stellte die Journalistin fest. Ihr Urteil: „CDU und FDP haben die AfD ins bürgerliche Lager geholt, in dem Moment, als Thomas Kemmerich die Wahl angenommen hat!“
Vernünftigster Vorschlag
„Wie geht’s jetzt weiter?“ fragte Kretschmer und hat einen Tipp: Er selbst habe in Sachsen eine Zusammenarbeit mit Links- und Rechtsaußen ausgeschlossen und eine Koalition der Mitte zustande gebracht: CDU, SPD, Grüne.
Im Gegensatz dazu sei Rot-Rot-Grün in Thüringen „mit einer unglaublichen Hybris in die Wahl gegangen“, wetterte der Ministerpräsident.
Die AfD ist für Kretschmer „in höchstem Maße reaktionär und spalterisch“, und in manchen Reden „so faschistoid, dass mir Angst und bange geworden ist!“
„Wir haben jetzt die Chance, die bürgerliche Mitte zu stärken, und nicht die Ränder!“ fügte der CDU-Politiker hinzu.
Strittigste Behauptung
Die Linke-Politikerin erinnerte noch einmal an die Schrecken der Nazizeit: „Die Bürgerlichen haben damals mit der NSDAP paktiert, und dann haben sie gemeinsam im KZ gesessen und sind dort miteinander gestorben!“
Doch der AfD-Chef verwies ungerührt auf das Wahlergebnis in Thüringen: „Sie können nicht auf Dauer ein Viertel der Wähler ausgrenzen!“ meinte er.
Klarste Kante
„Ich schließe niemanden aus!“ konterte Kretschmer sichtlich angefasst. „Aber ich würde nie mit Leuten zusammenarbeiten, die andere als ‚Deutschlandhasser‘ ausgrenzen. Die sind gefährlich für dieses Land!“
Sein Ziel: CDU, Grüne, SPD und FDP sollten in Thüringen miteinander reden.
Journalistin Rosenfeld blieb skeptisch: „In Erfurt gibt es keine gute Lösung mehr!“
Interessantestes Kompliment
Habeck machte ein Friedensangebot: Kretschmer habe in Sachsen eine funktionierende Regierung auf die Beine gebracht, „weil er Führungsstärke gezeigt hat“, lobte der Grüne den CDU-Politiker. Tut sich da was?
Dann wollte der Grüne aber auch zeigen, dass er den Hammer schwingen kann: Die Wahl des FDP-Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen sei „ein Kollateralschaden für das Vertrauen in die Demokratie!“ schnauzte er die Sünder an.
Letztes Gefecht
Linke-Wissler fand es „ungeheuerlich, dass die Brandstifter von gestern heute Feuerwehr spielen“.
Kretschmer reagierte sauer: „Ich verbitte mir das!“
„Das ist nun mal die Wortwahl der Linken“, ätzte ausgerechnet Gauland.
Staatsmännischstes Schlusswort
WELT-Rosenfeld nahm Berlin in den Blick: „Die SPD sucht immer mal wieder nach einer Exitstrategie für die GroKo“, sagte sie. „Thüringen wäre eine Vorlage dafür.“
Damit aber, meinte sie, „ist Habeck dem Kanzleramt so nahe gekommen wie noch nie!“
Der Grüne widersprach nicht, sondern schaltet gleich mal in den überparteilichen Verantwortungsmodus: „Wir brauchen eine funktionierende Demokratie“, sagte er, denn: „Irgendjemand wird ja regieren müssen!“
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