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Talk-Hammer bei Maischberger. Gabriel kündigt an: „Biden will vier Jahre lang Präsident bleiben – mindestens!“

„maischberger, die woche“. ARD, Mittwoch, 12. November 2020, 22.50 Uhr.

Ex-Außenminister Sigmar Gabriel hat in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche“ am Mittwoch mit einer überraschenden Prognose der Erwartung widersprochen, Joe Biden werde sein Amt womöglich schon bald aus Alters- oder Krankheitsgründen seiner Vizepräsidentin Kamala Harris überlassen.

Wörtlich sagte der SPD-Politiker: „Wir können erwarten, dass Biden mindestens vier Jahre amerikanischer Präsident bleiben will“.

Denn, so Gabriel weiter: „Wenn Sie dieses Amt erreicht haben, dann ist das nicht ein Amt, wo Sie sagen: Ach Mensch, ein Jahr, dann gut…“

Die Erfolgsformel für den Talk-Herbst 2020 heißt „Coronusa“, denn um das Virus und den US-Nachwahlkampf toben weiter schwere Meinungsgefechte. „maischberger.die woche“ prüfte Standpunkte und Argumente. Die Gäste:

Gabriel meinte vor einer Woche noch: „Es ist egal, ob Joe Biden oder Donald Trump Präsident wird.“

Dieter Hallervorden, der Schauspieler aus der Hochrisikogruppe, ist zwar noch skeptisch, will sich aber wohl doch impfen lassen. Er wurde aus Berlin zugeschaltet.

Der Galerist und Medienexperte Markus Peichl („Tempo“) kämpft gegen die „kulturelle Verzwergung“ Berlins.

Die Unternehmensberaterin Sandra Navidi warnte in der Coronawelle:  „Die größte Gefahr für Amerika ist Trump!“

Die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt (SZ) twitterte: „Ich freue mich auf eine spannende Diskussion!“

RTL-Politikchef Nikolaus Blome wetterte über Trumps jüngste Personalentscheidungen: „Ein abgetakelter Präsident installiert seine Lurche!“

Bunter Mix, aber nur eine Meinung: Trump muss gehen!

Kampfstart mit Schimpfkanonade

Der RTL-Mann ging ansatzlos zur Attacke über. Auf die  Frage nach den Verlierern der Woche antwortet er: „Mir sind die drei Kinder von Donald Trump aufgefallen, die beiden Söhne, die offenkundig stärker limitiert sind als die Schwester, als Ivanka.“

Denn, so der Politikchef: Es seien die Brüder, die „vom totalen Krieg sprechen, die ihren Vater zum Kampf bis zum letzten Blutstropfen auffordern, bis zum Tod – jetzt wird’s wirklich ein bisschen schrill!“

Blomes Urteil: „Man sieht, dass dieser Teil des Panoptikums Trump wirklich unterqualifiziert, unterkomplex und echt peinlich ist. Es ist vor allen Dingen surreal!“

Surrealster Vergleich

Unternehmensberaterin Navidi wollte noch einen draufsetzen: „Ich saß bei Ihnen in der Sendung Anfang 2017“, erinnerte sie die Talkmasterin, „und habe gesagt: Donald Trump wird eine autokratische Machtübernahme versuchen.“

Jetzt sei es so weit: „Da hat er viel gemein mit anderen Staatsmännern, die eine demokratische Autokratie versucht haben – wie Putin, Orban oder Erdogan.“ Hm, auch der kleine Ungar? Nicht der chinesische Großkhan Jinping?

Schlüssigste Erklärung

Der TV-Journalist kennt die Hintergründe für das zähe Festhalten der Republikaner an ihrem Präsidenten: „Da geht es noch um zwei Sitze, in Georgia, wo nachgewählt wird“, erläuterte er. „Wenn die Trump-Partei diese Sitze nicht gewinnt, haben sie keine Mehrheit mehr im Senat!“

Blomes Prognose: „Bevor diese Nachwahl nicht stattgefunden hat, werden sie sich von ihrem Ex-Chef nicht trennen, denn das könnte die entscheidenden Prozente kosten!

Interessanteste Selbstkritik

Irgendwann müssen wir mal aufhören, über Donald Trump zu reden“, murrte Gabriel. „Wir haben das viel zu lange gemacht!“

Denn: „Wir haben da so Charakterstudien gemacht, sind Hobby-Freuds geworden“, spottet der SPD-Mann über die Amateurpsychologen in Politik und Medien. „Interessanter wäre die Frage: Wie hat Trump es eigentlich geschafft, zum zweiten Mal fast die Hälfte der Wähler zu bekommen?“

Klügste Analyse

Über das Nachwahldrama mit seinen Last-Minute-Personalien urteilte der Ex-Außenminister: „Ich glaube, dass wir im Abspann sind. Da werden ja die Namen alle noch mal aufgeführt.

Allerdings gelte für den Noch-Präsidenten, so Gabriel: „Je länger er das macht, desto stärker wird er zur Witzfigur.“

Ehrlichster Stoßseufzer

Über Biden sagte der SPD-Politiker voraus: „Er hat eine Demokratische Partei, bei der der linke Flügel viel mehr von ihm fordert, als er bei den Mehrheitsverhältnissen im Senat eigentlich bringen kann.

„Das kennen wir in Deutschland, was die SPD angeht, vielleicht auch!“ spottete Maischberger.

„Wem sagen Sie das!“ ächzte Gabriel.

Sympathischste Anekdote

Maischbergers Leute hatten ein Foto aus dem Jahr 2014 ausgegraben, das Gabriel bei Biden in Weißen Haus zeigt. „Da waren Sie beide Vize“, kommentierte sie. „Sie Vizekanzler, er Vizepräsident. Verbindet das irgendwie?“

„Die Begrüßung war schon gut“, erzählte Gabriel launig. „Das erste, was er sagte, war nicht ‚Guten Tag’ oder ‚Hallo‘, sondern er sagte: ‚Na? Vize ist blöd, oder?‘“

„Er hat es ein bisschen drastischer ausgedrückt“, fügte der Ex-Außenminister hinzu, „aber weil wir hier beim Öffentlich-Rechtlichen sind…“

„Ich glaube, er hat gesagt: ‚Awful‘ (Schrecklich), meinte Maischberger. „Das geht doch noch, oder?“

„Mindestens“, grinste Gabriel.

Kräftigster Seitenhieb

„Biden wird mit den Europäern zusammenarbeiten“, prophezeite Gabriel dann. Aber: „Europa und die USA sind ungefähr gleich große Volkswirtschaften, und es kann niemand erklären, warum die Amerikaner 70 Prozent der Verteidigungslasten Europas tragen sollen.“

„Ihr Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich, sagt, das sei doch wie der Tanz ums Goldene Kalb“, zitierte die Talkmasterin. Zwei Prozent für die NATO, das sei „völlig willkürlich gegriffen“, und wenn die USA Soldaten abziehe, solle sie „die Atomwaffen gleich mitnehmen.“

„Sehr kurzsichtig“, schimpfte Gabriel. Die Lehren des Zweiten Weltkriegs für Deutschland seien „Nie wieder“ und „Nie wieder allein“. Sein Credo: „Wir sind dieser Lehre verpflichtet, weil das bedeutet: Wir sind berechenbar für unsere Partner!“

Coolste Idee

Und dann erinnerte der Ex-Außenminister an einen ungewöhnlichen Vorschlag: „Ich würde raten, 1,5 Prozent in die Bundeswehr zu finanzieren und 0,5 Prozent in die Verteidigungsfähigkeit Osteuropas.“

Begründung: „Das wäre mal ein Beispiel für die Polen und die Balten, wenn die Deutschen bereit wären, eine amerikanische Rolle zu übernehmen, nämlich die Sicherheit osteuropäischer Mitgliedsstaaten der NATO mitzufinanzieren.“ Poh!

Gretchenfrage des Abends

Maischberger erinnerte den Ex-Außenminister an sein Ausscheiden aus Regierung und Bundestag: „Haben Sie manchmal Phantomschmerzen?“ bohrte sie.

Ach nee“, antwortet Gabriel und teilt noch mal aus: „Wenn man draufschaut, wie wenig sich die eigene Partei mit dieser Welt und der Rolle, die das heißt, für Deutschland, für Europa und dann für die SPD auseinandersetzt, dann ist man doch ganz froh, dass man dafür keine Verantwortung mehr trägt.“ Rumms!

In der Partei bleibe er trotzdem: „Warum sollte ich austreten?“ grinste er. „Vielleicht gibt’s welche, die sich das wünschen, aber dann wär’s ein Grund, drinzubleiben!“

Interessanteste Hintergrundinfo

Zu Trumps Vorwurf, die US-Arzneimittelbehörde FDA habe die Freigabe des neuen Impfstoffs absichtlich verzögert, um ihm zu schaden, sagt Navidi: „Die Firmenchefs und auch die Wallstreet haben alle auf Biden gesetzt!“

Die SZ-Journalistin wurde noch etwas deutlicher: „Offensichtlich ist es so, dass diese Nachricht nach vielen Absprachen verschoben wurde“, gab sie zu.

Bedenklichste Schlussfolgerung

„Es wurde lange angekündigt: Im Oktober gibt es eine Interim-Analyse, wenn es 32 Krankheitsfälle in dieser großen Studienpopulation gibt“, erklärte Berndt dazu. „Dann hat man sich aber von Firmenseite mit der FDA darauf geeinigt: Wir machen 64 Fälle. Diese Absprachen zogen sich dann so lange hin, bis man 96 Krankheitsfälle hatte.“

Kommentar der Wissenschaftsjournalistin: „Da kann man sich schon fragen: Wieso genau hat sich das jetzt so lange hingezogen? Das weiß keiner so genau.“

Deutlichstes Dementi

Ich möchte darauf hinweisen, dass ich kein Corona-Leugner bin!“ rief Hallervorden aus seinem Monitor.

Zum neuen Impfstoff hatte er „die Frage, ob man hier nicht versucht, zu voreilig mit Spritzen tätig zu werden.“ Aber: „Ich persönlich, der ich ja Mitglied der  Hochrisikogruppe bin, werde mir noch überlegen, ob ich mir die Spritze zuziehe. Ich glaube aber beinahe: Ja!“

Kritischster Kommentar

„Ich finde die Schließung der Theater unverhältnismäßig und in Teilen rechtswidrig“, sagte der Schauspieler über seine Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Sein größter Ärger: „Warum sollen Kirchen offen bleiben und Theater schließen müssen?“

Seine Philosophie bleibt trotzdem positiv: „Optimisten wandeln auf Wolken, unter denen Pessimisten Trübsal blasen.

Bewegendste Erzählung

Zum Schluss berichtet Galerist Peichl über die Torturen eines Corona-Patienten: 14 Tage kaum Luft, dann Krankenhaus, 10 Tage Intensivstation, kurz vor der künstlichen Beatmung ein hochdosierter Sauerstoff-Highflow durch die Nase: „Das ist wie ein Tornado, der durchs Hirn bläst!“

Nach drei Monaten entlassen, 25 Kilo verloren, 40 Prozent Lungenvolumen verloren, eine überschießende Immunreaktion griff das Gehirn an, noch mal Krankenhaus…

Emotionalstes Schlusswort

„Ich bin am 1.April in der Charité auf eine Intensivstation gekommen, die siebzehn Betten hat“, berichtete der Galerist. „Ich war der vierzehnte. Wenn es den Lockdown nicht gegeben hätte, hätte es sein können, dass ich der achtzehnte gewesen wäre.“

„Das ist der Grund, warum ich Frau Merkel, Herrn Söder und Herrn Scholz unendlich dankbar bin, dass sie dies Maßnehmen getroffen haben“, sagt Peichl zum Schluss. „Und ich bin auch jedem einzelnen unendlich dankbar, der damals zu Hause geblieben ist.“

Fazit: Diskussionen, Informationen, Emotionen und ein schmerzfreier Ex-Vizekanzler: Das war eine Talkshow der Kategorie „systemrelevant“.

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