„Anne Will: Wenig Impfstoff, hoch ansteckende Virus-Mutationen – mühsamer Start ins neue Jahr!“ ARD, Sonntag, 10.Januar 2021, 21.45 Uhr.
Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und SPD-Vizechefin hat in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntag die EU-Kommission heftig kritisiert.
Wörtlich sagte die aus Schwerin zugeschaltete Regierungschefin über die Verträge der Brüsseler Bürokraten mit den sechs relevanten Pharmaproduzenten: „Ich kann nicht verstehen, warum die reiche Europäische Union nicht gesagt hat, wir bestellen bei allen Impfstoffkandidaten 100 Prozent!“
Ihre Enttäuschung: „Ich hatte immer gedacht, dass wir da in die Vollen gehen!“ In Schwerin etwa könne sie jetzt nur 600 Impfungen pro Woche machen.
Jetzt hat Corona auch die Politik voll infiziert: scharfe Debatten, schlimme Vorwürfe, schwere Schnitzer! Deshalb hatte Anne Will ihre Talkarbeiterbrigade kurzfristig zu einer Sonderschicht einbestellt. Die Gäste:
Reiner Haseloff (CDU), der Ministerpräsident von in Sachsen-Anhalt, fuhr den Lockdown vor zwei Tagen drastisch hoch.
Schwesig schwor die Bevölkerung ihres Bundeslandes am Freitag auf noch härtere Maßnahmen ein: „Bleiben Sie zu Hause, treffen Sie niemanden!“
Frank Ulrich Montgomery, Chef des Weltärztebundes, kritisiert oft und hat auch oft Recht.
Die Virologin Prof. Melanie Brinkmann wusste schon vor zwei Wochen: „Am 10. Januar werden wir noch nicht da sein, wo wir hin müssen!“
Der Journalist Martin Knobbe („Spiegel“) verfasste das Buch „Lockdown – Wie Deutschland in der Coronakrise knapp der Katastrophe entkam“.
Ein klares Ziel, jedoch der Wege viel! Prof. Brinkmann schreckte die Runde gleich mit einer bösen Nachricht über die neue Gefahr aus Großbritannien auf: „Es sieht tatsächlich so aus, als wäre das eine Virusvariante oder Mutante, die sich besser und schneller verbreitet!“
„Sie ist um etwa fünfzig Prozent infektiöser“, fügte die Virologin hinzu. „Da ist tatsächlich ein sehr hoher Anstieg zu beobachten. Es sind noch viele Fragen offen, und die Experimente, die jetzt notwendig sind, brauchen Zeit.“
Dramatischste Warnung
Die bisher entwickelten Impfstoffe würden wohl auch die neue Variante wirksam bekämpfen, hoffte die Expertin: „Das sieht schon ganz gut aus.“
Doch: „Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass diese Variante sich schneller vermehren und besser übertragen werden kann, dann haben wir ein echtes Problem!“
Gretchenfrage des Abends
„Reichen die Maßnahmen dann noch aus, die am Dienstag verschärft und verlängert worden sind?“ wollte die Talkmasterin wissen.
Die Professorin schickte ihrer Antwort einen brunnentiefen Seufzer voraus. „Man muss sich auch fragen, ob die Maßnahmen reichen, ohne diese Variante jetzt zu betrachten!“ sagte sie dann.
„Wir müssen jetzt wirklich ganz fokussiert sagen: Wo ist es möglich, Kontakte reduzieren?“ forderte sie. „Jetzt haben wir die Schulen geschlossen. Haben wir vielleicht noch Bereiche ausgelassen, wie zum Beispiel den Arbeitsplatz?“
Klarste Ansage
Dann ging die Virologin ins Allerheiligste, die Arbeitswelt. Unter anderem störe sie, dass jetzt deutlich weniger Menschen im Home Office seien als noch im Frühjahr.
„Wir müssen verhindern, dass Menschen bei der Arbeit vielleicht auch noch zusammen essen oder sich im Pausenraum treffen, wo man die Maske dann auch mal abnimmt“, erklärte sie. „Wir müssen wirklich noch mal dolle draufhauen!“
Optimistischstes Statement
„Wir haben die Chance, jetzt in den nächsten drei Wochen noch mal deutlich ein Zeichen zu setzen und die Zahlen nach unten zu kriegen“, hoffte auch Haseloff.
Denn, so der Ministerpräsident: „Wir haben alle Stichworte: Betriebskantinen. Öffentlicher Nahverkehr zum Arbeitsort. Und mit all den IT-Möglichkeiten kann man kann heute Homeoffice ganz anders fahren als im Frühjahr!“
Strengste Einschränkungen
Schwesig kündigte als erstes für die Mecklenburgische Seenplatte ab Montag eine Ausgangssperre und die Beschränkung der Mobilität auf 15 Kilometer vom Wohnort an. Uff!
Für ihr Bundesland gelte, so die Ministerpräsidentin, Reisen von außerhalb nur noch möglich seien, wenn man die Kernfamilie besuche oder wenn man dienstlich unterwegs sei.
Problematischster Punkt
„Herr Haseloff und ich haben uns vor allem dafür eingesetzt, dass die Bundesregierung alles dafür tut, dass auch die Mobilität insbesondere auch vom Ausland eingeschränkt wird“, berichtete Schwesig weiter.
Denn: „Das ist ein Tabuthema, und weder Herr Haseloff noch ich mit unserer historischen Erfahrung sind besonders begeistert, aber das muss sein, gerade im Pendlergrenzverkehr!“
Aktuellste Beschwerde
„Das einzige, was uns jetzt hilft, ist die Distanzierung, das Vermeiden jedweder Kontakte“, stellte Ärztechef Montgomery fest.
Sein Ärger: „Wenn ich in Berlin durch die Friedrichstraße gehe, wo so ein winziges Schildchen ‚Maskenpflicht‘ steht, und keiner sanktioniert, wenn Sie das nicht tun, dann machen wir hier etwas falsch!“
Misslungenstes Eigenlob
Die Talkmasterin wollte mit einer Selbstverständlichkeit Sympathiepunkte sammeln: „Da nehme ich natürlich sofort die Berlinerinnen und Berliner in Schutz“, sagte sie eifrig. „Wenn ich da langloofe, trage ich auch eine Maske!“
„Deswegen habe ich Sie auch nicht erkannt“, spottete Montgomery. „Aber ansonsten sind Sie eine Ausnahme!“
Emotionalste Anklage
„Ich sehe es wirklich als Versagen an, dass wir die Schulen wieder schließen mussten“, sagte die Virologin traurig. An ihr lag es freilich nicht: „Ich war im Oktober hier und habe gesagt, wenn wir die Schulen wieder schließen müssen, ist was schiefgelaufen in Deutschland“, erinnerte sich Brinkmann sichtlich angefasst. „Und jetzt sitze ich hier, und die Schulen sind geschlossen! Ich bin selber davon betroffen, und es tut mir im Herzen weh!“
Tröstlichste Prognose
„Die Impfung ist jetzt da, und wir werden bald erste Effekte sehen“, sagte Brinkmann dann voraus. „Herr Spahn wird Unmengen Impfdosen beschaffen. Da vertraue ich jetzt mal drauf!“
Ihre Hoffnung: „Es wird eine Zeitlang dauern, aber das Licht am Ende des Tunnel ist ja da!“
„Es war ja doch erstaunlich, dass die Bundeskanzlerin vor die Presse trat und sagte, diese Beschlüsse reichen nicht aus!“ ätzte der Mann vom „Spiegel“ über die Corona-Runden der Länderchefs.
Sein Vorwurf an Haseloff: „Der Bruch kam im November, als Sie diese Beschlüsse dann zu 80 Prozent gestrichen haben! Diesen Herbst haben Sie als Ministerpräsidenten ein bisschen verschlafen!“
Jetzt ist der Bock aber fett! „Diese 80 Prozent müssen Sie mir an Hand der Ursprungspapiere und der Beschlusslage darstellen!“ konterte Haseloff. „Wir haben 90 Prozent Konsens erzielt, und auch durchgängig realisiert!“
Härteste Gegenattacke
Ein ARD-Einspieler listete die Probleme bei der Impfstoffbeschaffung durch die EU auf. Prompt arbeitete sich der „Spiegel“-Journalist an einer ganzen Latte von Vorwürfen gegen den Gesundheitsminister ab. Vor allem stört ihn, dass es nicht genügend Impfdosen gebe.
„Unfair!“ schimpfte Montgomery. Der „Spiegel“ habe Spahn zuletzt sogar den Vorwurf gemacht, dass er versucht habe, an der EU vorbei zusätzlichen Impfstoff für Deutschland zu kaufen, und das als „Rechtsbruch“ gegeißelt!
Klügster Rat
Haseloff bekam Puls, denn die allgemeinen Rechthaberei um Zahlen, Termine und die verschiedenen Produkte der Pharmafirmen nervte ihn: „Die Menschen erwarten jetzt einfach, dass die Impfungen kommen!“ knurrte er. „Wir sollten uns nicht schlechter machen, als wir sind! Ich habe noch keine Ausreiseüberlegungen angestellt, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen, dass ich mein Leben rette!“
Und, so der Ministerpräsident: „Letztlich können wir dieses Neue Jahr mit einem Halleluja beginnen, dass wir sagen, Gottseidank ist der Impfstoff da und die Impfbereitschaft hoch, jetzt lasst uns das durchorganisieren, und wir schaffen das!“
Ehrlichster Gefühlsausbruch
Doch die Runde diskutiert ungerührt Kosten, Preise und Rabatte, bis Schwesig schließlich der Kragen platzt: „Mir dreht sich der Magen um!“ wütet sie. „Ich möchte gar nicht wissen, wie da geschachert worden ist!“
Denn, so die Ministerpräsidentin weiter: „Es geht hier doch nicht um Computer für Gesundheitsämter! Es geht um das einzige Mittel, das wir haben, um aus der Pandemie zu kommen! Da kann es nicht sei, dass die EU feilscht!“ Rumms!
Positivste Vorhersage
„Wir haben ein Mittel in der Hand, um dem Virus einen draufzugeben“, sagte die Virologin zum Schluss. „Wenn die Menschen sehen, das klappt jetzt doch ganz gut, dann wird auch die Impfbereitschaft steigen.“
Ihre eindringliche Warnung: „Wenn wir das Virus laufen lassen, dann wird es sich verändern!“ Bei solchen Mutationen aber könne es passieren, dass ein Impfstoff deutlich schlechter wirke.
Schlusswort der Virologin: „Deshalb müssen wir jetzt dieses Virus in die Flasche zurückdrücken. Dann können wir die Maßnahmen, unter denen wir alle leiden, wieder zurücknehmen.“ Amen!
Fazit: Viel Expertise, wenig Parteiaroma. Das war ein Talk der Kategorie „Blattschuss“.