„Maybrit Illner: Anschlag in Halle – tödlicher Judenhass in Deutschland“. ZDF, Donnerstag, 10.Oktober 2019, 22.15 Uhr.
Die Grüne-Politikerin und Netz-Expertin Marina Weisband hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ darauf hingewiesen, dass der Rechtsterrorist von Halle offenbar auch von einem Youtuber zu seinen Morden angeregt worden sein könnte.
Die gläubige Jüdin erinnerte daran, dass der Täter „Kill all Jews“ in sein „Manifest“ geschrieben hatte. Doch die krude Aufforderung sei ursprünglich „ein Witz gewesen von einem der größten Youtuber der Welt, PewDiepie, der Leute dafür bezahlt hat, das auf Schilder zu schreiben!“
Ungewöhnlichste Information
Der Youtuber, erklärte die Expertin, habe „versucht, damit zu provozieren, und das funktioniert im Internet hervorragend, weil Jugendliche gern provozieren, und weil das Clicks generiert.“
Die Terrortat von Halle aber zeige nun, so Weisband, „wie aus einem Witz, aus Ironie Ernst und Tod wird.“ Denn: „Die Rechte radikalisiert über memes (Bilder oder Videos mit prägnanten Texten), über lustige Bilder und immer über Humor, weil man es humorvoll ja sagen darf!“
Weisbands eindringliche Frage: „Wo lernen Kinder, wann Worte gefährlich werden? Wo ist der Ort, an dem diese politische Bildung stattfindet?“
Nach dem „Tag der Schande“ („BILD“) konnte das Land nicht einfach so zur Talk-Routine übergehen. Deshalb hatte Maybrit Illner in aller Eile eine Diskussionsrunde aus Hochkarätern organisiert. Das Thema brachte das Entsetzen auf den Punkt: „Anschlag in Halle – tödlicher Judenhass in Deutschland!“
Bewegendste Erkenntnis
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) war am Tag des Anschlags fassungslos: „Die verabscheuenswürdige Tat ist auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land!“ hatte er erklärt.
In der Talk-Sendung sagte er dann: „Wir sind alle angegriffen, und wir sind alle betroffen. Ich werde bis an mein Lebensende daran zu knabbern haben!“
Wichtigste Sorge
Dann legte der Ministerpräsident den Finger in der Wunde: „Welcher Geist ist in unserer Gesellschaft?“ fragte er bestürzt. „Was haben wir zugelassen, was tolerieren wir, was bagatellisieren wir – bis in die Anwendung des Strafrechts?“
„So ein ‚Nie wieder!’ ist leicht hingesprochen“, warnte der CDU-Politiker. „Wir brauchen auch die technischen Lösungen, und die Instrumente!“
Schwierigstes Problem
„Wie konnte sich eine Person so entwickeln, dass sie keinen Respekt mehr vor dem Leben hat, dass sie draufdrückt und schießt und noch mal schießt?“ fragte Haseloff in die Runde.
Sein bedrückendster Zweifel: „Ist der Täter überhaupt noch in der Lage gewesen, in seinem isolierten Dasein, zu unterscheiden zwischen einer virtuellen Wirklichkeit und einer realen Wirklichkeit? Zwischen dem, was er in seinen Computerspielen abgeschossen hat, und dem, was er dort wirklich auf Menschen abgeschossen hat?“
Emotionalstes Statement
„Ich war vorhin in der Universitätsklinik“, berichtete Haseloff später sichtlich bewegt, „und habe das Paar besucht, das gestern angeschossen wurde. Sie haben mir eins gesagt: Wir hatten ein Leben bis Mittwoch, und jetzt haben wir ein Leben nach dem Mittwoch. Dieser Mittwoch wird deutliche Spuren in der Geschichte Deutschlands hinterlassen!“ Doch: „„Rs gibt keine schnellen Patentlösungen!“
„Die Gewalt beginnt nicht mit Mord“, erklärt Expertin Weisband. „Sie beginnt mit Überzeugung, mit Witzen, mit Sprache, mit sprachlicher Gewalt im Internet!“ Dafür gibt es Beifall der hochkonzentrierten Zuschauer.
Mutigstes Bekenntnis
„Wir alle haben rassistische Überzeugungen in uns drin“, gesteht die Netz-Expertin. „Auch ich erwische mich manchmal dabei, dass ich mich zweimal nach einem Araber im Flughafen umdrehe. Aber wir müssen ehrlich damit umgehen. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir diese Dinge ignorieren!“
Ihr Credo: „Es ist wichtig, dass wir nicht den Nahost-Konflikt nach Deutschland importieren. Nach allen Anschlägen zeigen sich Juden und Muslime sehr oft solidarisch miteinander. Das war auch in Halle so. Der Feind ist der Menschenhass: Die Ideologie, dass bestimmte Menschengruppen schlechter sind als andere.“
Schlüssigste Erklärung
Thüringens oberster Verfassungsschützer Stephan J.Kramer, zuvor Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, gab zu: „Wir müssen uns ehrlich machen: Wir haben über lange Zeit den Rechtsterrorismus kleingeredet, obwohl wir ihn seit den 1960er Jahren eigentlich immer in der Bundesrepublik gehabt haben“, gibt der Verfassungsschützer zu. Aber: „Es hat einen Kurswechsel gegeben!“
Für Sebastian Fiedler, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, geht es in solchen Fällen nicht so sehr um Terrorismus, sondern im Kern eigentlich um Amokläufe. Darauf müsse sich auch die Prävention einstellen.
Zornig prangerte der Kripo-Funktionär die „personell desaströse Situation“ der Behörden an und kritisierte barsch auch den Ministerpräsident, der neben ihm saß: „Die Politik reagiert immer nur dann, wenn etwas passiert ist!“
Der ZDF-Terrorismusexperte Elmar Theveßen warnte, der Täter sei Teil einer rechten Bewegung, die sich weltweit vernetzte. Die Ideologie des Rechtsterrorismus richte sich nicht allein gegen Juden, sondern gegen alle, die „anders“ seien.
Seine schlimme Erkenntnis: „Rechtsterroristen sind eingebettet in ein Netzwerk von Plattformen, auf denen man sich gegenseitig anspornt, möglichst viele zu töten. Hinterher werden die Täter gefeiert. Sie werden als ‚Saints‘, als Heilige bezeichnet – auch nach den Morden in Halle.“