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Stadt und Land bei Plasberg: Angespuckt, weil sie schwanger war

„Hart aber fair: Abgehängt und unverstanden: Wie tief ist die Kluft zwischen Stadt und Land?“ ARD, Montag, 8.November 2021, 21 Uhr.

Kein Internet, kein Bus, der letzte Laden dicht: „Janz weit draußen“ leben viele eine ganze andere Wirklichkeit. In „Hart aber fair“ recherchiert Frank Plasberg bei Gästen mit speziellen Erfahrungen.

Juli Zeh (47). Die Bestseller-Autorin („Über Menschen“) genießt im Haveldorf Barnewitz „größere Freiheiten für meine Kinder und meine Tiere“.

Jamila Schäfer (28, Grüne). Die Parteivizechefin erforschte das Landleben auf einem Schnupperkurs bei einem Milchbauern mit 70 Kühen und einem „Scheißeroboter“. Respekt!

Prof. Reint Gropp (54). Der Wirtschaftsforscher findet den Kampf der Bundesregierung um Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse „unrealistisch und falsch“.

Marco Scheel (32). Der Gründer von „Nordwolle Rügen“ lässt das bedrohte Pommersche Landschaf für nachhaltige Outdoormode scheren.

Simon Pearce (40). Der TV-Comedian („Genial daneben“) wuchs im oberbayerischen Puchheim auf: „Wir waren die einzigen Schwarzen, da reden die Leute.“

Kein Corona, keine Ampel: Plasberg tanzt thematisch gern mal aus der Reihe. Das Zoff-o-Meter ist deshalb besonders gespannt!

Start mit Feldforschung

Man muss sich nicht spinnefeind sein, weil ein Städter anders tickt als ein Dörfler“, predigt Schriftstellerin Zeh, die auch brandenburgische Verfassungsrichterin ist.

Ihr Eindruck sei allerdings, „dass ein Berliner in Tokio super zurechtkommt, während er, wenn er 80 Kilometer rausfährt und in einem 90-Seelen-Dorf auf der Kreuzung steht, wahrscheinlich Schnappatmung kriegt: Das ist die Fremde! Das ist die wahre Exotik!

Wichtigster Lehrsatz

„Auf dem Dorf funktioniert sehr viel über ein gegenseitiges Abschnuppern“, diagnostiziert Zeh, „vor dem Horizont der Erwägung: Möglicherweise verbringe ich die nächsten fünfzig Jahre mit dir. Nicht, weil wir heiraten, sondern weil du vielleicht hier hinziehst, und dann werde ich dich nicht mehr los…“

„Das ist ja die Goldhochzeitsfrage“, staunt Plasberg. „Haben Sie die bestanden, in Ihrem Dorf?“

„Ich würde sagen: Ja“, hofft die Autorin, denn: „An meinen Grundstücksgrenzen brennen keine Autoreifen!“

Überzeugendste Definition

Unterschiede zwischen Stadt und Land gebe es etwa „in der Volatilität, der Flüchtigkeit der Beziehungen“, doziert Zeh dann.

„Reden Sie auf dem Dorf eigentlich auch so?“ erkundigt sich der Talkmaster. „Übersetzen Sie mal ‚Dystopie‘ für Ihren Nachbarn!“

Die Autorin muss nicht lange überlegen: „Wird Scheiße“, erläutert sie. „Alles wird Scheiße“. Heiterkeit im Studio!

Qualifizierteste Abrechnung

„Lastenfahrräder? Typische urbane Idee“, kritisiert Scheel, der einst eine dörfliche Gruppe der Grünen Jugend mitbegründete. „Funktioniert in der Stadt, hat keinen Wert für das Land.“ Und warum nicht? „Kopfsteinpflaster!“

Seine Erklärung für das schwache Abschneiden der Ökopartei in der Provinz: „Das hat mit dem Vokabular zu tun. Wenn man sich nicht verstanden fühlt, kommt oft das Gefühl auf, man wird von oben herab behandelt.“

Schlagfertigste Antwort

„Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie eine Sprache, die im politischen Diskurs gesprochen wird, nicht mehr verstehen“, erläutert der Unternehmer dazu.

Plasberg will mit einem Seitenhieb punkten: „Diskurs ist auch so ein Wort, das eher in die Blase gehört“, spottet er.

Eigentor! „Ich versuche es ja IHNEN zu erklären“, kontert Scheel, nicht seinen Nachbarn. Die würden „nicht verstehen, warum sich Leute in der Stadt an der Frage abarbeiten, ob es jetzt ‚Fußgänger‘ oder ‚Fußgehende‘ heißen soll.“ Volltreffer!

Wirksamster Nasenstüber

„Unglaublich kleinteilige Fragen an der Grenze zur Unerheblichkeit!“ stöhnt der Professor unzufrieden. „Wir müssen über die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse reden!“

„Ist ja eigentlich ein Verfassungsgebot“, ergänzt Plasberg eifrig, hat aber Pech, denn Gropp korrigiert ihn umgehend. „Es wird in der Verfassung erwähnt, ist aber kein Verfassungsgebot“, belehrt er ihn.

„Danke für diese Richtigstellung“, ärgert sich der Talkmaster. „So kann’s gehen, wenn man mit Professoren hier ist…“

Temperamentvollste Beschwerde

Schafwolle-Scheel schimpft kräftig auf die Behörden, die ihn bei dem Versuch ausbremsen, in Züsow einen Kuhstall für die Produktion auszubauen: „Der politische Wille ist nicht da!“

Sein Zorn: „Wir können nicht alle mit einem MacBook und einem Chai Latte in Berlin in einem Coworking Space sitzen und die zehnte Dating App erfinden! Es gibt auch ein paar Leute, die etwas anfassen müssen und sich die Hände schmutzig machen. Wir machen halt Realwirtschaft!“

Hinterlistigste Fangfrage

Plasberg zeigt einen Einspieler: „Hier sehen wir einen Wolf in Wismar, 19 Kilometer von Ihrem Hof entfernt“, erklärt er dem Unternehmer. „Weiß eigentlich der geschützte Wolf, dass die Schafe auch geschützt sind?“

„Wenn er es weiß, hat er einen schlechten Charakter“, ulkt Scheel, wird aber gleich wieder ernst: „Bei uns hat man wenig Verständnis dafür, dass man den Wolf aus ökologischen Gründen oder aus Tierwohlgründen schützt, während wir um die Ecke eine mehrstöckige Schweinemastanlage haben.“ Rumms!

Überzeugendste Merksätze

Über die Bürokratie regen sich auch die anderen auf. „Je weiter weg Entscheidungen fallen“, weiß Prof. Gropp, „desto schwerer ist es, sie nachzuvollziehen.“

„Je komplizierter die Regel, desto wichtiger der Beamte“, fügt der Professor hinzu und hat noch einen: „Wir müssen davon wegkommen, zu denken, dass der Staat besser weiß, was eine gute Idee ist, als der Einzelne.“ Passt!

Klarsichtigste Kritik

„Es ist am Ende doch oft so, dass in Berlin eine Kommission sitzt, die sagt: Das ist jetzt gut für die ländlichen Regionen“, erläutert Prof. Gropp die Lage. „Politiker tun nichts lieber, als zu entscheiden: Du kriegst Geld, aber du nicht!“

Seine Warnung: „Solange wir das so machen, unterbinden wir am Ende die Eigeninitiative. Das ist das Kernproblem: Dass wir als Politiker alles besser wissen. Der beschützende Staat! Wir wollen alle Menschen schützen, wir müssen die Unternehmer vor sich selber schützen…

Schlagendstes Beispiel

„Für mich als Städter ist das total absurd, dass da ein Vier-Personen-Haushalt vier Autos hat“, wundert sich Pearce über die eigene Verwandtschaft. Aber: „Wenn man mal eine Woche dort ist, versteht man, dass das so sein muss.“

Denn, so der Comedian: „Sonntags fährt ein Bus, den muss ich aber eine Stunde vorher anrufen. Im Ort gibt es nicht mal mehr einen Geldautomaten. Auch keinen Bäcker. Ein Hundefutterladen ist noch da.“

Raueste Ansage

„Ältere Leute können nicht mal schnell mit dem Fahrrad in den Nachbarort“, schildert Pearce die Situation. „Einer will hierhin, einer dorthin, einer in die Stadt, der Sohn muss zum Sport“ – und einen Hund haben sie auch nicht, sondern eine Katze…

Plasberg-Assi Brigitte Büscher hat aus der Zuschauerpost ein Beispiel für einen „raueren Ton“ herausgefischt: „Wir auf dem Land fühlen uns nicht abgehängt, sondern in erster Linie von angeblich besserwissenden Städtern bevormundet!“ wettert eine Dorfbewohnerin.

Stoßseufzer des Abends

Ein Städter wiederum freut sich auf Facebook: „Der Lärm ist Musik in meinen Ohren. Hier tobt das Leben!“

„Sehr schön!“ höhnt der Talkmaster. „Ich lade Sie ein, bei uns zu übernachten! Wir sind in der Ausflugschneise des Köln-Bonner Flughafens. Wunderbar…“

Schlimmste Erinnerung

„In Puchheim bin ich viel weggelaufen“, schildert Pearce den „ganz normalen Alltagsrassismus“ in Stadt und Land. „Ab 13 wurden die Aggressionen stärker. Aber körperlich wurde es bei mir nur in München, dass sie mich erwischt haben.“

„Im Kulturzentrum, eher links, waren auch die Nazis“,

berichtet der Comedian über seine Heimatgemeinde. „Wenn ich jemanden sehe, eine Tätowierung – ich kriege jetzt beim Reden schon feuchte Hände. In Würzburg ist meine Frau angespuckt worden, weil sie von mir schwanger war!“

Tröstlichste Erfahrungen

„In Puchheim wusste man: Aha, Glatze – der Dorfnazi!“ erinnert sich Pearce. Aber: „Ich bin auch verteidigt worden. Auf dem Volksfest standen auf der Toilette plötzlich vier Typen um mich herum. Da aber kamen die Dorfbauern und haben mich beschützt, weil ich im Fußballverein bin. Auch die Türken im Ort haben mich unter ihre Fittiche genommen.“

„Es geht nicht darum, zu sagen: Ihr blöden Städter, oder Ihr doofen Dörfler“ kommentiert die Autorin zum Schluss. „Wir brauchen hier einen Boden, auf dem wir uns alle gleichermaßen bewegen können. Von dem können wir starten, und uns verwirklichen, egal ob Stadt oder Land.“ Amen!

Fazit

Super-Druckbetankung als Schnellsiedekurs für Landleute, Landsleute und Landleuchten,  Plasberg polierte eifrig sein Talkersilber, doch die Delikatessen lieferten seine ungewöhnlich denkfixen Gäste. Das war ein Talk der Kategorie „geballte Ladung“.

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