„Maybrit Illner: „Amerikas Egoismus – Deutschlands Dilemma?“ ZDF, Donnerstag, 10.November 2022, 22.15 Uhr.
Die Ergebnisse der US-Wahl sind noch offen, die Folgen aber bereits klar: Das wird uns schön was kosten! Maybrit Illner bringt das Problem auf eine ziemlich feindselige Formel. Die Gäste:
Christian Lindner (43, FDP). Der Bundesfinanzminister und Parteichef wettert über milliardenschwere Subventionen für US-Unternehmen: „Wir müssen schauen, dass es nicht zu einem Handelskonflikt kommt!“
Lars Klingbeil (44, SPD). Der Parteichef geht in den Verteidigungsmodus: „Dieser Krieg ist nicht wegen einer falschen Energiepolitik gemacht worden, sondern weil Putin ihn wollte!“
Prof. Ulrike Malmendier (49). Die Finanzexpertin der US-Universität Berkeley freut sich vor allem darüber, „dass nicht alle der Trump-Kandidaten durchgekommen sind.“ Uff!
Peter Rough (40). Der Politikberater, Republikaner und Sicherheitsexperte erwartet, dass der neue Kongress „mehr von Europa verlangt“.
Helene Bubrowski (41). Die Journalistin (FAZ) kreidet der Bundesregierung an, beim Begriff Führungsmacht „klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander“.
2 x Ampel, null Opposition, deshalb erwartet das Zoff-o-Meter Attacken nur auf den republikanischen Gast.
Solideste Ursachenforschung
US-Experte Roth, aus Washington zugeschaltet, geht aber gleich aus der Schusslinie und kritisiert die Gefolgsleute seines Ex-Präsidenten: „Die trumpistischen Kandidaten, die Trump gepusht hat, die er rekrutiert hat, haben mit Dreistigkeit und Überheblichkeit nach Ämtern gegriffen, ohne jede politische Erfahrung!“
Denn, so seine Analyse: „Das war vielleicht verlockend, das Vorbild, dass man ohne Lebenslauf, ohne politische Erfahrung überall für den Senats- oder Gouverneurssitz kandidieren kann. Aber das hat nicht gezogen.“ Merke: Ohne Lebenslauf und politische Erfahrung schafft man es höchstens in den Bundestag!
Schlichteste Klarheiten
Für Lindner ist klar, dass die USA „für einige Jahre schwer berechenbar sein werden“. Auf der internationalen Bühne, etwa bei den Handelsbeziehungen dürfe man sich „keiner Illusion hingeben“.
Klingbeil ist optimistisch, dass sich „transatlantisch“ nicht so viel ändern werde, aber: „Klar ist auch, dass es seit Jahren die deutliche Forderung der Amerikaner gibt: Wir müssen mehr tun!“
Entschiedenster Anspruch
„Ich finde auch richtig, dass wir als Bundesrepublik Deutschland sagen: Wir wollen als starkes Land in einem starken Europas viel souveräner, selbstbewusster, auch deutlicher auftreten und unsere Interessen definieren“, erklärt der SPD-Chef dazu. „Wir sehen, wie Amerika auftritt, wie China auftritt. Deutschland muss stärker werden!“
Dickste Beruhigungspille
Zu der Sorge, ein mehrheitlich republikanischer US-Kongress könnte die Unterstützung Kiews reduzieren, macht Lindner klar: „Ich habe keine Anzeichen, dass die Vereinigten Staaten ihre Politik in Bezug auf die Ukraine verändern.“
Die Unterstützung der USA sei „enorm“, fügt der Minister hinzu, aber „Deutschland ist Nummer 2, hinsichtlich der militärischen Unterstützung.“ Und: „Auch die Unterstützung des laufenden Haushalts der Ukraine für die Staatsaufgaben wird stark von uns geleistet.“ Im Rahmen der EU, mit langfristigen Krediten. Uff!
Erstaunteste Frage
Die Talkmasterin fischt das Haar aus der Suppe: „Langfristige Kredite, das klingt nicht so, als würde Deutschland an dieser Stelle schon massiv Hilfe leisten“, zweifelt sie.
Auch der US-Experte wundert sich: Die Deutschen würden jetzt „die Folgen einer Energiepolitik spüren, vor der die USA über Jahre gewarnt hat“, kommentiert Rough. Nach inzwischen 60 Milliarden Dollar für Kiew würden Abgeordnete und Senatoren in Washington wissen wollen: „Warum sollen wir die Rechnung für Deutschlands Fehler begleichen?“
Mildeste Selbstkritik
„Wir haben in Deutschland eine falsche Energiepolitik gemacht“, gibt Klingbeil zu. „Aber eine falsche Energiepolitik ist ja nicht schuld an diesem Krieg. An diesem Krieg ist Putin mit seinen Großmachtphantasien Schuld.“ Über die vor allem aus Deutschland per Gasimport gefüllte Kriegskasse des Kreml spricht der SPD-Chef lieber nicht.
„Wir haben uns in eine einseitige Abhängigkeit begeben“, räumt Klingbeil immerhin ein. „Das kostet uns gerade sehr viel Geld. Das bringt eine Volkswirtschaft auch ins Wanken hier!“
Wirksamstes Gegengift
„Die USA haben jetzt eine Politik eingeleitet, die heimische Industrie mit Geld zu unterstützen“, stellt Lindner fest. „Und sie haben protektionistische Handelsbarrieren beschlossen, von denen ich allerdings glaube, dass das eher gegen die Volksrepublik China gerichtet ist.“
Sein Heilmittel? „Bessere Standortbedingungen!“, rasselt der Finanzminister los und zählt an den Fingern ab: „Planungs- und Genehmigungsverfahren. Infrastruktur. Digitale Öffentliche Verwaltung. Einwanderungsgesetz. Bezahlbare Energie. Wettbewerbsfähiges Steuerrecht.“
Vielversprechendste Idee
Die US-Finanzministerin Janet Yellen habe, so Lindner dann, von einem „Friend-Shoring“ gesprochen, „also dass Wertepartner auch bevorzugte Handelspartner sein könnten. Wir haben gemeinsame Herausforderungen (China), wir haben gemeinsame Werte (Ukraine), lass uns auch beim Handel miteinander statt gegeneinander arbeiten!“
Die Forderung des französischen Präsidenten nach einer „europäischen Antwort“ weist Klingbeil zurück: „Falsch!“ Es gehe vielmehr darum, die „wahnsinnige Marktmacht“ Europa „in den nächsten fünf bis zehn Jahren“ zwischen den USA und China „stark zu positionieren“.
Originellste Spitze
Lindner hofft inzwischen auch wieder auf das erstmals 2013 mit Washington verhandelte Transatlanische Freihandelsabkommen TTIP: „Aus der SPD höre ich Stimmen, die einen neuen Anlauf wollen“, berichtet er, aber: „Unsere Kollegen von den Grünen haben noch … äh…“
„Beharrungsvermögen“, schlägt die Talkmasterin vor, doch der Finanzminister hat einen einprägsameren Begriff parat: „Reflektionsbedarf.“ Heiterkeit in der Runde!
Schärfste Kritik
„Es ist zu Recht gesagt worden, dass das Verhältnis zwischen Deutschland, Europa und China hochkomplex ist“, warnt Lindner dann. „China ist ein systemischer Rivale, ein Konkurrent, wenn es um Einfluss in Afrika geht, aber auch unser Gegenüber im Handel, mit der gefährlichen Ballung von Risiken in einem Binnenmarkt.“
„Wir müssen sehr kritisch mit China sprechen“, fordert der Minister deshalb und runzelt die Stirn. „Ich mache das als Finanzminister bei der Frage der Verschuldung von Schwellen- und Entwicklungsländern, wo China seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Einer der größten Gläubiger weltweit!“
Klügste Strategie
„Wir müssen uns im Handel von der wirtschaftlichen Abhängigkeit lösen!“, fordert Lindner klipp und klar. „Nicht, indem wir der deutschen Wirtschaft sagen: Haut da ab! Denn das wäre gefährlich. Sondern indem wir andere Weltgegenden attraktiver machen, indem wir Handelsbarriere senken“, z.B. in Asien, Nordamerika, Brasilien.
Kompliziertester Knackpunkt
Klingbeil will noch mal Honig daraus saugen, „dass der Bundeskanzler einen ganz wichtigen diplomatischen Erfolg erzielt hat, was die Positionierung Chinas in der Frage Russland und Ukraine-Krieg angeht.“ Sein freudiges Urteil: „Das war der größte Gewinn! Und die Kritik, die ich in den Tagen davor erlebt habe, war teilweise schon absurd!“
„Die kam aus der eigenen Regierung!“, spottet Illner.
Lindner lächelt fein stille, doch die Talkmasterin zerrt ihn aus der Deckung: „Herr Scholz wurde sowohl von Annalena Baerbock als auch von Ihnen kritisiert“, hält sie ihm vor.
„Aber nicht für die Reise“, wehrt sich der Minister. „Ich habe die Entscheidung in Hamburg problematisiert“, wo die Chinesen Anteile an einer Hafen-Firma erwerben durften.
Ungewöhnlichster Plan
„Wir werden unser Außenwirtschaftsrecht verändern“, kündigt Lindner zum Schluss an. Sein Vorschlag: „Wenn es bei einem Unternehmen Zweifel gibt, ob unsere Sicherheitsinteressen berührt sind, soll das Kabinett nicht mehrheitlich widersprechen, sondern einstimmig zustimmen müssen.“
Puh! Klingbeil nickt gaaaanz vorsichtig. Wird das jetzt ein verstecktes Veto-Recht?
„Ich will also die Hürde erhöhen, damit das klarer wird“, fügt Lindner hinzu. Horrido! Einstimmige Zustimmung war zuletzt in Peking zu besichtigen. Es war kein schönes Bild!
Plastischste Formel
„Ich wünsche mir, dass wir ganz gründlich die Liste unserer Schlüsseltechnologien durchgehen“, schlägt Prof. Malmendier vor, „den schönen Index von der EU durchrechnen, wie abhängig wir so sind.“
„Und dann“, so die Expertin weiter, „gegebenenfalls sagen: Nö! Oder, Option 2: Mittel-Nö. Also wir machen das noch, aber wir sorgen dafür, dass es ein anderes Land gibt, wo es auch die Ressourcen oder die Absatzmärkte gibt. Dass wir immer die Diversifikation aufrechterhalten.“ Amen!
Zitat des Abends
„Wenn es zwischen Washington und Peking Streitigkeiten gibt, wird in Peking Zuckerbrot für Deutschland gebacken, aber irgendwann kommt dann die chinesische Peitsche!“ Peter Rough
Fazit
Politische Gefechtsbereitschaft nahe null, statt spannender Debatten fachsimpelnde Langeweile, dazu Plapperattacken bis zum Lippenbruch: Das war eine Talkshow der Kategorie „Zeitdieberei“.