„Maybrit Illner: Laschet auf dem Rückzug – kommt die Ampel?“ ZDF, Donnerstag, 7.Oktober 2021, 22.15 Uhr.
Im Meinungskessel der Union stieg der Druck zuletzt bedenklich an. Jetzt pfiff er los, und der Vorsitzende nahm das heiße Teil erst mal vom Herd. Maybrit Illners Gäste:
Friedrich Merz (65, CDU). Der Favorit der CDU-Basis bringt sich für eine Neuausrichtung der Partei in Stellung: „Ich werde mich nach Kräften daran beteiligen!“
Jessica Rosenthal (28, SPD). Die Juso-Chefin mahnt: „Sondierungen sind Sondierungen, Koalitionsverhandlungen sind Koalitionsverhandlungen.“
Cem Özdemir (55, Grüne). Der Ex-Parteichef ist bei den Sondierungen außen vor, beackert aber die Talkshows: gestern Maischberger, heute Illner, morgen…
Melanie Amann (43). Die Journalistin („Spiegel“) glaubt: „Das Unionsdrama, es ist noch nicht vorbei.“
Ist Laschets Schachzug ein Rückzieher oder eher eine Rochade? Zum Start ein Wetterbericht:
„Wir haben ein bisschen das Programm geändert, aus aktuellem Anlass“, kündigt die Talkmasterin an. „Es liegt Nebel über Jamaika, aber offensichtlich auch Nebel über der Zukunft vom Armin Laschet.“
Interessanteste Klarstellung
„Es hat uns alle etwas überrascht, was heute geschehen ist“, gesteht Merz. „Es gibt einen Parteitag, und es gibt einen Neuanfang.“
Illner ist damit nicht zufrieden: „Das wird ein Abgang auf Raten?“ bohrt sie nach.
„Armin Laschet hat Respekt verdient für das, was er heute gesagt hat“, erklärt der CDU-Politiker. „Es wird einen Neuanfang geben, aber es gibt einen Vorsitzenden bis zu diesem Neuanfang, und die CDU ist ansprechbar für Gespräche über eine Regierungsbildung.“
Wichtigste Ankündigung
„Es wird einen Neuanfang geben, mit einem heugewählten Vorstand der CDU“, fügt Merz hinzu. „Das ist die klare Botschaft von Armin Laschet heute gewesen.“
„Das klingt nicht nach ‚Ich mache den Weg frei‘“, murrt die Talkmasterin.
„Er hat von Neuaufstellung und Neuanfang gesprochen“, beteuert Merz. „Es gibt kein Vakuum bei uns. Es gibt keinen Übergang ohne Führung.“
Spannendste Spekulation
„Es könnte für Herrn Merz vielleicht einen dritten Anlauf geben“, vermutet die Journalistin. „Jetzt beginnt der Prozess, den Herr Laschet nicht mehr kontrollieren kann.“
„Der heutige Tag hat nicht dazu beigetragen, dass die Grünen oder die FPD die Entscheidung, jetzt erst mal mit der SPD gemeinsam zu reden, bereuen“, spottet Özdemir.
Klammheimlichste Sorge
Die Juso-Chefin erzählt, dass sie „die Debatte um Jamaika, die die CDU immer wieder aufmacht, mit relativ viel Erstaunen beobachte“.
Denn, so Rosendahl: „Es gibt einen Wahlverlierer. Das ist die Union. Und es gibt ein klares Bekenntnis, die Ampel zu verhandeln.“
Mit einem strengen Seitenblick auf Özdemir zu ihrer Rechten fügt sie hinzu: „Dafür braucht es nicht am Firmament das Drohen mit Jamaika!“
Staatsmännischstes Statement
„Wir haben eine friedliche Wahl gehabt“, lobt Merz. „Wir sind in einer Demokratie, und da gehört der Regierungswechsel dazu.“
Und: „Wenn wir Opposition sind, dann sind wir Opposition. Und dann sind wir auch nicht viertes oder fünftes Rad am Wagen, dann sind wir gleichberechtigt mit der Regierung im Parlament, und dann tragen wir die Meinungsstreitigkeiten dort aus!“
Ehrlichstes Eingeständnis
„Wir hätten diese Bundestagswahl gern gewonnen“, gibt Merz dann zu. „Wir hätten sie auch gewinnen können, wenn wir es richtig gemacht hätten. Aber wir haben sie halt verloren. Und das ist Demokratie!“
Überfälligste Abrechnung
„Im Grunde genommen liegen die Fehler weit zurück“, erläutert Merz die Niederlage. „Das war der 29.Oktober 2018. Das war der Tag, als die Partei akzeptiert hat, dass Kanzleramt und Parteivorsitz nicht mehr in einer Hand liegen.“
Sein Urteil: „Das war, aus der Rückschau betrachtet, der schwere strategische Fehler.“
Betrüblichste Erkenntnis
Die Talkmasterin führt den CDU-Granden Wolfgang Bosbach als Entlastungszeugen an: „Er hat gesagt, wir hatten drei Jahre, und diese drei Jahre hätten wir nutzen können, einen neuen Parteivorsitzenden zu suchen. Das kann man nicht Frau Merkel in die Schuhe schieben!“
„Ich habe über die Partei gesprochen, nicht über Frau Merkel!“ macht Merz klar. „Die Partei hat akzeptiert, dass diese beiden Aufgaben voneinander getrennt werden, und das ist uns nicht gut bekommen!“
„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet, sagt Jesus – wenn ich als säkularer Muslim die Bibel zitieren darf“, spottet Cem Özdemir.
Konsequenteste Aussage
„Wie hätte die Partei denn handeln sollen, wenn sie das nicht akzeptiert hätte?“ will die „Spiegel“-Journalistin wissen.
„Wenn Angela Merkel aufhören möchte“, erwidert Merz ohne Umschweife, „dann muss sie akzeptieren, dass auch das Kanzleramt zur Disposition gestellt wird!“
Sein harter Vorwurf: „Wir sind jetzt drei Jahre im einer Führungskrise gewesen, und das ist der Auslöser gewesen!“
Notwendigste Kurskorrektur
Über Laschets Kandidatur sagt Merz: „Eine Partei muss hin und wieder gegen den Willen der Mitglieder Entscheidungen treffen. Das kann man einmal machen, aber das kann man nicht dreimal hintereinander machen. Das ist dann zweimal zu viel.“
Seine dringende Empfehlung: „Wir müssen uns für die Zukunft andere Prozesse, andere Verfahren überlegen, wie wir solche Sach- und Personalentscheidungen treffen. Das gilt für die CDU, aber auch für den Entscheidungsprozess um die Kanzlerkandidatur. Wir brauchen dafür zwischen CDU und CSU institutionell ein Verfahren!“
Klarste Kante
„Es gibt ein Establishment in Ihrer Partei, das Sie als Vorsitzenden verhindert hat, und das auch verhindert hat, dass Markus Söder Kanzlerkandidat wurde“, merkt Illner an.
„Das ist die richtige Beschreibung der Geschichte, die hinter uns liegt“, kommentiert Merz umstandslos. Ui!
Persönlichste Erklärung
„Ob ich noch einmal für den Parteivorsitz kandidiere, ist eine Frage, mit der ich mich nicht abschließend beschäftigt habe“, macht der CDU-Politiker klar, „aber ich werde nicht noch einmal in eine streitige Abstimmung auf einem Bundesparteitag gehen. Das schließe ich aus.“
Überflüssigster Zwischenruf
Am Montag werde es voraussichtlich im Bundesvorstand eine Diskussion darüber geben, ob es zur Wahl des neuen Vorstands eine Mitgliederbefragung geben werde“, berichtet Merz weiter.
Özdemir will billig Punkte machen: „Die Prozesse in den Union sind sehr spannend, aber noch spannender fände ich, dass wir uns darüber unterhalten, was mit dem Land passiert“, mäkelt er. Hm – das hier ist allerdings eine Talkshow und nicht eine neue Wahlkampfrunde!
Energischste Forderungen
„Wir Jusos gehen nicht vom Tisch, wenn da nicht auch was für junge Menschen drin ist“, sagt Rosenthal über die anstehende Ampel-Schaltung. „Endlich mal Inhalte und nicht nur Personal!“
Ihre kühle Ansage: „Es ist wichtig, dass Olaf Scholz nicht alleine am Tisch sitzt. Da sitzen auch noch andere. Diese Partei ist geprägt von vielen Gesichtern, nicht nur von unserem Kanzlerkandidaten. Am Ende des Tages werden wir das gemeinsam verhandeln.“
Dann geht der Zoff los
„Spiegel“-Amann schwadroniert über von ihr erwartete Richtungsänderungen der CDU: Ein Teil der Partei, auch Merz, träume davon, sich jetzt wieder „so alt, so klassisch aufzustellen“, vermutet sie.
„Lassen Sie mich mal sagen, wie ich das sehe, nicht wie Sie das gerne hätten!“ kontert Merz leicht erbost.
„In Ihrem Programm waren Positionen, die hätte es mit einer Kanzlerin Merkel nicht gegeben“, behauptet Amann kühn.
„Wie kommen Sie auf diese Vermutung?“ wundert sich Merz gereizt.
„Ich habe Ihr Programm gelesen“, sagt die Journalistin und spottet: „Ich bin mir nicht sicher, ob Sie es gelesen haben!“
Frechheit! „Ich habe es mit geschrieben!“ kontert Merz. „Jetzt hören Sie mal auf mit diesen Geschichten! Dieses Programm ist im Präsidium der CDU beschlossen worden in Gegenwart, Anwesenheit und stimmberechtigt Angela Merkel!“
Sein Vorwurf an die Journalistin: „Sie legen sich hier, weil Sie ein Klischee von meiner Person bedienen wollen, Geschichten zurecht, die einfach falsch sind.“ Rumms!
Letztes Gefecht
Auch beim Thema Klima gibt’s klare Kante: „Ich habe mit Armin Laschet gesagt, dass die Reihenfolge in der Energiepolitik falsch war!“ erklärt Merz.
„Heißt das, die Atomfrage noch mal aufzumachen?“ fragt Özdemir besorgt.
„Nein“, antwortet Merz, „aber die Reihenfolge war falsch. Und wir werden uns von Ihnen nicht noch mal in eine falsche Reihenfolge drängen lassen.“ Uff!
Aufschlussreichstes Finale
„Ich glaube, dass Jamaika ein gutes Projekt gewesen wäre“, sagt Merz zum Schluss sichtlich enttäuscht. „Ich glaube auch, dass wir mit den Grünen etwas Gutes hätten erreichen können. Abgesehen davon, dass wir auch eine Mehrheit im Bundesrat hätten. Wir hätten viel durchsetzen können. Aber Stand heute ist die Wahrscheinlichkeit klein.“
Sein erklärter Wunsch: „Ich hätte gern, dass man die drei Buchstaben CDU größer schreibt als die drei Buchstaben ICH.“
Fazit
Vorgefasste Meinungen, krumme Argumente, jede Menge Fouls, vier gegen eins im Tribunal-Modus, die Talkmasterin nicht Schiedsrichterin, sondern selber Abteilung Attacke: Das war ein Talk der Kategorie „Polterabend“.