„Maybrit Illner: Risikopatient Wirtschaft – mit der Pandemie in die Pleite?“ ZDF, Donnerstag, 18.September 2020, 22.15 Uhr.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag die interessante Behauptung aufgestellt, er sehe dem Untersuchungsausschuss des Bundestages über seine Verstrickung in den Finanzskandal um den Finanzdienstleister Wirecard nicht etwa nur gelassen, sondern sogar mit Vorfreude entgegen.
Wörtlich sagte der Politiker, der nächstes Jahr für die SPD als Bundeskanzler kandidiert: „Ich freue mich auf den Untersuchungsausschuss!“
„Wirklich?“ staunte Talkmasterin Mayrit Illner. „Da sind Sie der erste!“
Doch der Minister hatte eine schlaue Begründung vorbereitet: „Die meisten Dinge, die man dazu wissen kann, habe ich mit großer Energie versucht zusammenzutragen“, berichtete er. „Ich gehe davon aus, dass wir das meiste begriffen haben.“
Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir bessere Instrumente kriegen. Wenn der Untersuchungsausschuss nicht da wäre, wäre der lobbyistische Widerstand so groß, dass wir keine der notwendigen Reformen durchkriegen.“
„Deshalb“, so sein Schlusswort, „setze ich auf den Untersuchungsausschuss als Bündnispartner.“ Wow!
Zuvor war es eine Stunde lang um die Folgen der Corona-Pandemie um die Wirtschaft gegangen. „Irgendwann muss die Regierung die Unternehmen wieder vom Tropf nehmen“, ahnte Illner. Auf der Gästeliste: Ein offizieller und ein inoffizieller Kanzlerkandidat.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), aus Nürnberg zugeschaltet, warnte: „Wo gelockert wird, explodieren die Zahlen. Wir müssen einen zweiten Lockdown verhindern!“
Scholz blieb optimistisch: „Vieles spricht dafür, dass wir das Schlimmste hinter uns haben.“
Prof. Monika Schnitzer, Wirtschaftsweise aus dem Sachverständigenrat, weiß: „Die entscheidende Frage ist nicht, wie viel Geld die Regierung ausgibt, sondern wofür!“
Der Hygienearzt Prof. Klaus-Dieter Zastrow empfahl gegen eine zweite Corona-Welle regelmäßige antiseptische Mundspülungen.
Die Messe- und Eventplanerin Sandra Beckmann funkte S.O.S: „Unsere Branche steht vor den Kollaps!“
Karl Haeusgen, Vizechef der deutschen Maschinenbauer, warnte: „Es ist nicht richtig, Firmen zu stützen, die schon vor der Krise schwächelten!“
Erfreulichste Feststellung
Scholz lobte besonders das Kurzarbeitergeld: „Deutschland ist deshalb besser durch die Krise gekommen, weil die Beschäftigten noch in den Unternehmen waren und es wieder losgehen konnte.“
Zwar werde es Firmen gebe, die wirtschaftlich nicht überleben, meinte der Minister dazu. Doch könne man „im Großen und Ganzen davon ausgehen, dass wir unsere Volkswirtschaft stabilisiert und durch die Krise geführt haben. Und das wir das auch weiter schaffen.“ Uff!
Interessanteste Frage
Die Talkmasterin spitzte ihr Thema auf die beiden Spitzenpolitiker zu: „Hat der nächste Bundeskanzler, egal, ob er Scholz oder Söder hieße, Pleiten, Arbeitslosenzahlen und Haushaltslöcher im Gepäck?“
„Ganz so düster wird es nicht aussehen“, beschwichtigte die Professorin aus dem Sachverständigenrat. „Wir rechnen mit Arbeitslosenzahlen, die nicht weit über drei Millionen hinausgehen werden.“
Gelassenste Vorhersage
Auch der Hygienearzt zeigte keine Lust auf Drama:
„Ich bin unbesorgt“, sagte er total entspannt. Zwar sei Corona nicht vorbei, „aber dass wir noch einmal solche Zahlen wie im April/Mai haben werden, davon gehe ich überhaupt nicht aus!“
Söder war das zu gemütlich: „Vorsicht ist die kluge Strategie“, mahnte er sichtlich besorgt.
Bedauerlichstes Beispiel
„Wegen einer hohen Zahl in München auch durch Familienheimkehrer aus Süd/Südosteuropa, so der Ministerpräsident „haben wir uns entschieden, ein Fußballspiel des FC Bayern München ohne Zuschauer abzuhalten.“ Oder besser: auszuhalten.
Auch Söder hatte vor der Sendung das ZDF-„Politbarometer“ gesehen und wusste sich auf der sicheren Seite: „87 Prozent der Menschen sind zufrieden oder wünschen sich sogar noch konsequentere Maßnahmen“, zitierte er. „Wir befinden uns im klaren Einklang mit dem Mehrheitswillen der Bevölkerung.“
Energischste Ansage
„Das Virus kommt aus dem Nasen-Rachenraum des Menschen“, stellte der Hygienespezialist klipp und klar fest. „Es gibt keine geheimnisvolle Quelle, wo man noch forschen und suchen müsste. Das ist alles Quark!“
„Maske auf und durch!“ schlug Illner vor.
Doch das war dem Professor denn doch zu wenig: „Man kann seinen Mund-Rachenraum desinfizieren“, erklärte er. „Eine Mundspülung in regelmäßigen Abständen vernichtet die Viren. Leute, desinfiziert euch die Münder!“
Die Talkmasterin war auch da sofort dabei: „Maske auf und schön gurgeln!“
Emotionalster Appell
Söder hob noch einmal auf den Ernst der Lage ab: „Es geht um das Leben von Menschen!“ Besonders das Partyvolk geht ihm auf den Geist: „Ich bin nicht bereit zu sagen, weil einige Spaß haben wollen, riskieren wir jetzt Menschenleben!“
Humorloseste Grätsche
Zu den staatlichen Überbrückungshilfen sagt der Bundesfinanzminister: „Wir sind gerade dabei, diese über die jetzigen Zeiträume noch mal bis zum Jahresende zu verlängern und die Kriterien und die Zugangsmöglichkeiten zu erweitern.“
„Das war bis jetzt ein Beschäftigungsprogramm für die Steuerberater“, spottete die Talkmasterin.
Doch Scholz konnte darüber gar nicht lachen: „Das ist ehrlicher Weise etwas, was man sagen kann, womit man der Sache aber nicht dient!“ konterte er knochentrocken.
Klügste Erkenntnis
„Es gibt Branchen, wo schon vorher der Strukturwandel offensichtlich angezeigt war, der aber von manchen Unternehmen nicht so vorangetrieben worden ist, wie es nötig gewesen wäre“, kritisierte die Professorin.
In der Automobilbranche oder in dem vom Onlinegeschäft bedrohten Einzelhandel sei es, so die Expertin, einfach notwendig, dass man in die Zukunft investiert und nicht durch Kaufprämien oder Zurückfahren von Klimaschutz die Modernisierung aufhält.
Frechste Frage
Staatshilfe fürs Automobil, das ist ein Leib-und-Magen-Thema des Ministerpräsidenten, und die Talkmasterin fragte ihn auch gleich: „Sind Sie ein Corona-Sozialist?“
„Das Gegenteil ist der Fall“, lachte Söder, wurde aber gleich wieder ernst: Jetzt gehe es darum, die Forschung in Sachen KI, Wasserstofftechnologie oder Quantenforschung stärken. Dazu weiter Prämien für Elektroautos. Vielleiht auch für E-Nutzfahrzeuge.
Realistischste Einschätzung
„Das Gleiche gilt übergangsweise auch für die modernen und besten Verbrenner der Welt“, fügte Söder dann hinzu. „Denn die Autos, die wir im Diesel jetzt haben, die wir jetzt produzieren, wären ein enormer Beitrag für den Klimaschutz.“
„Deswegen“, so der Ministerpräsident, „müssen wir uns noch mal genau überlegen, welche Impulse wir setzen können, um dort Veränderungen zu schaffen und auch unsere eigene Industrie und die eigenen Arbeitsplätze zu halten.“
Plastischster Begriff
Illner hatte ein neues Wort aufgeschnappt: „Zombieunternehmen“. Solche gebe es sicher, meinte Maschinenbauer Haeusgen, etwa wenn sie ihr Geschäftsmodell nicht schnell genug angepasst hätten und deshalb nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Dann würden Corona-Hilfe genutzt, um einen maladen Zustand zu strecken.
„Man muss alles verhindern, was den Strukturwandel aufhält“, machte die Wirtschaftsweise klar.
Dann ging doch noch der Zoff los
Die Professorin warf der Automobilwirtschaft „Panikmache“ vor: „Bei dem Wort ‚Deindustrialisierung denkt doch jeder: Um Gottes willen, jetzt müssen wir wieder unsere eigenen Kartoffeln anbauen.“
Über die aktuell geforderte Frauenquote in den Vorständen wiederum höre sie aus dem Wirtschaftsministerium: „In Zeiten von Corona können wir uns das gar nicht leisten.“
Haeusgen ärgerte sich vor allem über das Lieferkettengesetz: „Es gibt immer wieder Gesetze, die vom Ziel her unglaublich lobenswert sind, die aber eine Zusatzbelastung für die Unternehmen bedeuten.“
Ihm fiel auch der beste Satz des Abends ein: „Digitalisierung ist die Demokratisierung von Wissen.“
Fazit
Viele Fachsprache von Fachkundigen. Das war eine Show der Kategorie „Telekolleg“.