„Maybrit Illner: Krieg, Corona, Klima – eine Krise zu viel, Herr Kanzler?“ ZDF, Donnerstag, 7.Juli 2022, 23.25 Uhr.
Olaf Scholz hat sein Kommunikationsproblem erkannt und schaltet von Wortdürre auf Redefluss: Interviews, Pressekonferenzen, Talkshows wie nie! Maybrit Illner zählt ihm die Themen vor. Ihre Gäste:
Olaf Scholz (64, SPD). Der Kanzler sucht in Sturm und Beben eine Rettungsgasse für die nervöse Ampel-Troika. Anders als seine Vorgänger setzt er sich mit den anderen Talkgästen voll demokratisch an einen Tisch.
Kateryna Mishchenko (38). Die ukrainische Verlegerin und Autorin kennt das Problem des Kanzlers: „Die Lieferung schwerer Waffen verletzt die pazifistischen Gefühle deutscher Intellektueller! Was ist, wenn die Stimmung kippt?“
Ralf Berning (39). Der Intensivpfleger diente 15 Jahre lang als Zeitsoldat und redet auf Instagram als „Schwester Gabi“ Klartext. Seinen Leitspruch brachte er aus Afghanistan mit: „Klagt nicht, kämpft!“
Cornelia (57) und Steffen Stiebling (59). Die Eheleute führen seit 35 Jahren eine Familienbäckerei in Thüringen. Sie werden zugeschaltet.
Rifka Lambrecht (21). Die Politikstudentin und Aktivistin („Extinction Rebellion“) fordert „ein ökologisches und soziales System, das solidarisch denkt und sich nicht nur auf den reichen, ausbeuterischen Westen fokussiert“.
Viel Betroffenheit, viel Emotion, viel Ideologie!
Bedrohlichste Absturzgefahr
Intensivpfleger Bering hat vor vier Jahren ein Haus gekauft und saniert, wird bald Familienvater und legt jetzt Urlaubs- und Weihnachtsgeld teilweise zur Seite: „Wenn man sieht, wie teuer ein Kind heutzutage ist, was schon ein Kita-Platz kostet, und dann auch noch, wie teuer Strom oder Gas werden, dann macht man sich schon sehr große Sorgen!“
Vom Kanzler möchte er wissen: „Lohnt es sich für mich in Zukunft überhaupt noch, arbeiten zu gehen?“ Scholz mit einem aufmunternden Lächeln: „Unbedingt! Unser Land beruht darauf, dass so viele Männer und Frauen berufstätig sind!“
Dann zählt der Kanzler auf: Zwei Sofortpakete mit 30 Milliarden Euro. Für Kinder ab sofort 20 Euro im Monat mehr. Energiegeld. Neun-Euro-Ticket. Für die Zukunft sollten sich jetzt „alle unterhaken in einer konzertierten Aktion.“ Horrido!
Sorgenvollstes Jubiläum
Die Bäckerei Stiebling, 30 Angestellte, wird 100 Jahre alt und ächzt unter den irren Energiepreisen: „Bei uns kostet ein Brötchen mittlerweile 70 Cent, beim Discounter 20 Cent“, beschwert sich der Bäcker. „Wenn das Geld knapp ist bei den Leuten, dann hilft es auch nicht mehr, dass es bei uns frisch ist.“
Ehefrau Cornelia, für die Finanzen zuständig, kaufte bisher günstig am Spotmarkt ein. „Aber jetzt haben die Preise so angezogen, dass wir Anfang des Jahres eine so horrende Nachzahlung und darauf basierend eine Vorauszahlung für 2022“, klagt sie, „dass wir eigentlich im Januar schon vor dem Ruin gestanden haben.“
Tapferste Prognose
„Wir werden nicht alle Preise runtersubventionieren können“, macht Scholz klar, „aber wir sind fest entschlossen, niemanden allein zu lassen. Das gilt für alle, auch für die Bäckereien in Deutschland.“
„Es ist ein Wunder, dass wir heute noch da sind“, macht ihm Stiebling klar. „Mein Schwiegervater hat Geld eingelegt, auch ein Lieferant. Wir haben es irgendwie geschafft, bis hierher zu kommen. Ich bin auch irgendwie guter Dinge. Irgendein Wunder wird geschehen, dass es weitergeht, aber das ist doch keine Zukunft!“
Ehrlichstes Eingeständnis
„Wir werden nicht verhindern können, dass die Gaspreise auf dem Weltmarkt steigen“, gibt der Kanzler umstandslos zu. „Wir werden nicht versprechen können, dass wir verhindern, dass die Ölpreise auf dem Weltmarkt weiter steigen. Wir können nur versuchen, das Beste aus der schwierigen Situation zu machen.“ Uff!
Alarmierendste Aufzählung
„Meine größte Sorge ist, dass junge Menschen langfristig die Verlierer dieser Krisenzeiten werden“, meldet sich die Politikstudentin und legt los: „Brandenburg brennt seit Wochen! Wir haben ein kollabierendes Rentensystem!“
Außerdem, so Lambrecht weiter: „Wir haben unglaublich viele Schulden durch die Milliardenhilfen an Unternehmen, die klimaschädlich sind. Und wir müssen das am Ende alles schultern! Das macht mir große Sorgen, wenn nicht sogar Angst!“
Illner setzt noch einen drauf: „Wir stehen, ist die Frage, vor einem Staatsbankrott?“
Kühnste Prognose
„Nein, überhaupt nicht!“, widerspricht Scholz energisch. „Wenn es normal weiterläuft, werden wir in relativ kurzer Zeit das Schuldenniveau wieder erreichen, das wir vor der Corona-Krise hatten, also wieder auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückkommen.“
Dann gibt der Kanzler noch eine Runde Beruhigungspillen aus: „Im Vergleich zu vielen anderen Ländern werden wir ganz gut rauskommen“, kündigt er an. „Wir haben ja sogar schon am Ende der Corona-Krise weniger Schulden als die meisten befreundeten Länder vor der Krise hatten.“ Heidewitzka! Weniger Schulden als Italien!
Emotionalste Sorge
„Erst mal gab es sehr viel Unterstützung von deutschen Bürgern“, lobt die Ukrainerin unter beifälligem Nicken des Kanzlers. Aber, so Mishchenko danach: „Man kann von der Gesellschaft nicht erwarten, dass sie die ganze Zeit so mobilisiert ist. Die Politik muss jetzt dafür sorgen, dass diese Solidarität in die Politik integriert wird.“
Ihre große Angst: „Leider sieht es so aus, dass das ein langer Weg sein wird. Wie wird das aussehen, wenn die gesellschaftliche Unterstützung nachlässt? Wenn die Akzente auch in den Medien andere werden?“
Berechtigtste Befürchtung
„47 Prozent der Menschen in diesem Land sagen heute, sie wünschen sich Zugeständnisse der Ukraine, Gebiete abzugeben im Süden und im Osten, damit diese Sanktionen aufhören““, warnt auch die Talkmasterin. „Wie lange werden Sie, wie lange wird diese Regierung stehen?“
„Wir werden so lange solidarisch sein, wie es notwendig ist, damit sich die Ukraine gegen den furchtbaren und brutalen russischen Angriff verteidigen kann“, gelobt der Kanzler. Nachdenklich legt er die Finger an die Lippen, dann fährt er mit frischem Mut fort: „Wir können nicht akzeptieren, dass ein Land seinen Nachbarn überfällt und sagt: Ich klau mir ein Stück, das gehört jetzt mir!“
Gretchenfrage des Abends
Illner will es punktgenau wissen: „Wie lange halten Sie das durch, und wie lange werden Sie auch gegen die Stimmung durchhalten, wenn alles immer teurer wird?“
Scholz strafft sich: „Ich glaube, dass man immer nur mit Unterstützung der Bürger regieren kann“, antwortet er vorsichtig, fügt aber gleich mit beschwörenden Gesten hinzu: „Ich glaube, dass das sehr lange möglich sein wird. Dass die Solidarität hält. Das ist mein Eindruck!“
Persönlichste Perspektive
Stiebing hat ukrainische Mitarbeiter, jetzt aber kommen dem Bäcker Zweifel: „Wenn Russland unser einziger Energielieferant ist, wie kann ich dann dieses Land, wenn es mit einem Drittstaat Probleme hat“, beginnt er, stockt dann aber und setzt neu an: „Deutschland kann doch nicht gegen einen Staat, von dem es abhängig ist, immer wieder das Feuer schüren!“
„Wir haben bei den Sanktionen immer darauf geachtet, dass der Schaden bei uns nicht größer ist als bei anderen“, verteidigt sich der Kanzler und nennt Gegenmaßnahmen: Importstopp für Kohle aus Russland im Herbst, für Öl zum Jahreswechsel.
Verzweifeltster Protest
Aber, so Scholz weiter: „Es gibt kein Gasembargo. Dass jetzt die Lieferungen gedrosselt worden sind, ist eine mit Technik begründete einseitige Entscheidung des russischen Lieferanten.“
Der Bäcker ist trotzdem sauer: „Ich kann doch nicht dieses Land komplett gegen die Wand fahren, weil ich gegen den Krieg bin!“, ruft er sichtlich erbost.
Ärgerlichster Vergleich
Auch der Talkmasterin scheinen die Scholzomatismen inzwischen zu glatt, und sie kitzelt den kühlen Kanzler mit einem Lob für seinen volksnahen Vize: „Sie erleben, wie Robert Habeck für seine Kommunikation immer hervorgehoben wird, weil der nicht sagt, wir haben einen Plan, sondern weil er sagt, wir brauchen eure Hilfe.“ Rumms!
Jetzt kommt der Kanzler ins Rudern und Stottern. „Wir sind … also … bitte ich widerspreche Ihnen, wenn es erlaubt ist“, wehrt er sich. Dann aber fängt er sich wieder und referiert er mit zackigen Handkantenschlägen in Richtung Tischplatte: Die Regierung arbeite hart an der Lösung der Probleme, und „das ist nicht nur Gerede!“
Knüppeldickster Vorwurf
„Das müssen Sie mit den Bürgern einfach klarer kommunizieren, damit die das auch verstehen!“, wettert der Intensivpfleger prompt. „Wenn Sie in einem Interview gefragt werden, haben Sie noch Ideen, wie ich zu Hause Energie sparen kann, und Sie sagen, Nö, dann fühlt der Bürger sich veräppelt.“ Oha!
Scholz stiert ihn grimmig an. Seine dünnhäutige Antwort: „Ich bin für reale Vorschläge, aber nicht dafür, dass man so tut, als gäbe es den einen Knopf, auf den man drücken muss, und dann ist alles in Ordnung.“ Puh!
Eleganteste Schlusskurve
Zum Finale patzt auch die Aktivistin den Kanzler noch mal an: „Entspricht es Ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit“, funkelt sie angriffslustig, „wenn, seit Sie Finanzminister sind, die Zahl der Millionäre in die Höhe schießt und wir gleichzeitig 14 Millionen Armutsbetroffene haben?“
Doch mit Klassenkampf ist der Kanzler nicht zu packen: „Gegen mehr Millionäre habe ich nichts einzuwenden“, grient er, „wenn das das Ergebnis wirtschaftlichen Wachstums ist, und von großem Erfolg. Davon profitieren wir alle.“
Allerdings, so Scholz zum Schluss: „Ich finde, sie sollten fair besteuern werden. Das ist mein sozialdemokratischer Beitrag. Ich bin also für viele Millionäre, die gern Steuern zahlen.“ Da ist er wieder, der listenreiche Kanzlerschlumpf!
Zitat des Abends
„Jetzt gerade sehe ich nicht, dass es moralisch vertretbar ist, noch Kinder in diese Welt zu setzen.“ Rifka Lambrecht
Fazit
Harte Vorwürfe, schlaue Antworten, die Schiedsrichterin konstant im Angriffsmodus, der Kanzler oft wolkig im Stil „Scholz und Rauch“, im eigenen Strafraum nach Fouls auch mal hektisch, im Gegenangriff aber immer supercool: Das war eine Talkshow der Kategorie „Donnergrillen“.