„Hart aber Fair: Massenerkrankung in der Fleischfabrik – Gefahr fürs ganze Land?“ ARD, Montag, 22.Juni 2020, 21 Uhr.
Der nordrhein-westfälische Arbeits-, Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann hat sich in der ARD-Talkshow „Hart aber Fair“ am Montag einen harten Schlagabtausch mit der Grüne-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt geliefert.
Wörtlich sagte der CDU-Politiker dabei über die umstrittenen Arbeits- und Wohnverhältnisse von Schlachtern aus Polen, Bulgarien und Rumänien zu der Grüne-Politikerin: „Gerade Sie müssen nicht sagen, dass die Werkverträge nichts mit Grün zu tun haben!“
Corona-Großalarm: über 1550 Infizierte bei Schalke-Boss Clemens Tönnies, sogar die Bundeswehr an der Viren-Front! Talkmaster Frank Plasberg suchte mit sehr unterschiedlichen Gästen nach Schuld und Sühne:
Der NRW-Coronaminister Laumann forderte: „Wir müssen die Missstände schleunigst beseitigen!“
Göring-Eckardt prangerte die Billigheimer an: „Es rächt sich jetzt schon der Preiskampf ums Fleisch!“
Der XXL-Gesundheitspolitiker Prof. Karl Lauterbach (57, SPD) sah voraus: „Der Lockdown im Kreis Gütersloh ist überfällig!“
Der Ex-Politiker Christian von Boetticher (CDU), heute Vizechef der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), schimpfte: „Den Schwarzen Peter einfach weiterzuschieben, da macht es sich die Politik etwas zu einfach!“.
Der Journalist Michael Bröcker („Media Pioneer“) warnte: „Tönnies könnte der Fukushima-Moment der Fleischbranche werden!“
Der Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich kämpft schon lange gegen die moderne Sklaverei unter den Schlachtviehhaken.
Schnitzel-Jagd mal ganz anders: Wer ist schuld an Hygienesünden und Sozialschweinerei im Tönnies-Reich? Da war Zoff vorprogrammiert!
Zum Start stellte Lauterbach die Sirene an: „Wahrscheinlich ist das Virus schon sechs oder acht Wochen in der Region unterwegs“, fürchtete er. „Es wäre eine Überraschung, wenn es nicht schon auf die Bevölkerung übergesprungen wäre!“
Ernüchterndster Lagebericht
„Wir sind schon mitten im Lockdown“, stellte Laumann fest und zählt auf: 7000 Menschen in Quarantäne. Schulen und Kitas zu. Über 100 Teams in den Wohnungen der Infizierten. Alle Altenheime durchtesten. Querschnittstestung der Bevölkerung.
Kleiner Trost: Bisher nur 19 Infizierte außerhalb der Schlachthöfe. Bei den Kontrollen in den Wohnungen helfen drei Hundertschaften Polizei, über 100 Dolmetscher, Sanitätszüge der Bundeswehr, Rotes Kreuz Malteser… Mehr geht nicht.
Plasberg legte den Verbandsvizechef der Ernährungsindustrie, bei dem auch Tönnies Mitglied ist, auf den Grill: Hätte der Schlachthof nicht längst und von allein schließen müssen?
„Ich versuche mal die Einordnung der Gesamtprozesses und des Gesamtkomplexes“, kündigte von Boetticher an.
Das war allerdings nicht das, was Plasberg hören wollte. „Das klingt jetzt wie eine Drohung!“ spottete der Talkmaster. „Meine Frage war relativ einfach!“
Überzeugendste Verteidigung
Trotzdem rasselte der Funktionär ungerührt eine astreine Stellungnahme runter: Die Nahrungsmittelindustrie habe in der Krise eben nicht wie andere Branchen die Leute in die Kurzarbeit entlassen, sondern Höchstleistungen gefahren, erklärte er.
„Wir mussten Schichten umstellen und mehr Leute einstellen, damit wir diesen riesigen Nachfragebedarf decken konnten“, berichtete von Boetticher zufrieden und hatte ebenfalls eine Aufzählung dabei: Notfallteam, Hygienekonzept, enge Abstimmung mit den Gesundheitsämtern…
Der Fleischbereich sei ein Kältebereich, machte er klar, da fühlt sich das Virus leider besonders wohl.
Entschlossenste Gegenwehr
„Herr Tönnies wusste, wie kalt es bei ihm ist!“, funkte der Talkmaster dazwischen.
„Die Gesundheitsämter auch!“ konterte von Boetticher, der sich nicht zur Schlachtbank führen lassen wollte. Bisher wisse noch niemand, wie die Infektionen der Belegschaft wirklich erfolgen konnten: Tröpfcheninfektion? Aerosole?
Sein Rat: „Erst mal die Profis die Bestandaufnahme machen lassen!“ Tja – dann stünde der von Plasberg als Tribunal konzipierte Talk allerdings auf ziemlich wackeligen Beinen.
Schönste Attacken
Die lange Verteidigungsrede des Funktionärs hatte den Talkmaster wenig beeindruckt: „Die Fleischbarone sind Wiederholungstäter!“ stellte Plasberg fest.
„Ernährungssicherheit hat für mich nicht automatisch was mit Schweinefleischsicherheit zu tun“, assistierte die Grüne-Politikerin, die schon 2011 einen Vegetariertag einführen wollte.
Heftigstes Wortgefecht
Dann attackierte Göring-Eckardt die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf, die nichts gegen die Ausbeutung der rumänischen oder bulgarischen Schlachter unternehme: „Das sind Versäumnisse der Landesregierung!“
Dafür gab’s sofort ein ministerielles Donnergrollen: „Woher wissen Sie das?“ fragte Laumann sauer. „Wer hat denn den Arbeitsmarkt dereguliert? War das nicht unter Rot-Grün, wo diese Werkverträge möglich wurden?“
Die Grüne setzte mal wieder ihr berühmtes kleines Lächeln auf: „Ich verstehe, dass Sie angefasst sind, und dass auch nervig ist“, säuselte sie.
Und dann rettet sie sich mit all ihrer Routine in eine interessante Ausrede: „Man kann doch nicht über Jahre hinweg sagen, das war mal vor 15 Jahren oder irgendwas.“ Sollte wohl heißen: Rot-Grün? Alles Schnee von gestern!
Leidenschaftlichster Zornesausbruch
„Diese Art von Werkverträgen führen genau zu diesen Zuständen!“ patzte Göring-Eckardt den Minister dann auch noch an. „Das hätten Sie schon längst abschaffen können!“
Damit war sie allerdings an den Falschen geraten. „Ich glaube nicht, dass es in Deutschland einen Politiker gibt, der diese Werkverträge in der Fleischindustrie über Jahre so angeprangert hat wie ich!“ entrüstete sich Laumann.
„Anprangern und Ändern sind zwei Sachen“, stichelte die Fraktionschefin.
Dafür gab’s noch mal einen Einlauf: „Gerade Sie müssen nicht sagen, dass die Werkverträge nichts mit Grün zu tun haben!“ polterte der Minister.
Schärfste Vorwürfe
„Ich kenne Leute, die arbeiten regelmäßig 250 Stunden im Monat“, berichtete Pfarrer Kossen aus der Schlachthofszene.
„Das ist organisierter Verantwortungslosigkeit“, kommentierte Plasberg flink.
„Das ist organisierte Kriminalität“, verbesserte der Geistliche. Die Versprechungen der Unternehmer seien sinnlos, denn: „Man kann die Mafia nicht mit der Mafia bekämpfen! Die billige Bratwurst auf dem teuren Grill führt zu hohen Nebenkosten!“
Wütendster Angriff
Laumann legte noch mal los: „Der Tönnies kann Ihnen sagen, von welchem Schwein die Mettwurst kommt, aber er kann keine digitale Arbeitszeiterfassung machen!“ schimpfte der Minister. Deshalb sei es auch so schwer, der Ausbeutung mit dem Arbeitsschutz auf die Schliche zu kommen. „Das Verbot der Werkverträge muss kommen! Es kann doch nicht sein, dass eine Firma in Deutschland, wo 7000 Menschen arbeiten, betriebsrats- und gewerkschaftsfrei ist!“
Heftigste Gegenrede
Von Boetticher ärgerte sich iüber den Sklaverei-Vorwurf der Pastors: „Polen, Rumänen, Bulgaren, das sind alles EU-Länder! Es geht mir gegen den Strich, dass Sie sich zu so einem Vergleich hinreißen lassen!“ wetterte er.
Doch der Geistliche setzte sogar noch einen drauf: „Die Leute werden von der Not zu uns getrieben und finden sich dann in einer Sackgasse wieder. Schuldsklaverei! Lohn nicht ausbezahlt, Strafgelder, 250 Euro für eine Matratze, auf der die Leute in drei Schichten schlafen…
„Das System Tönnies ist beendet“, resümierte der Journalist. „Diesen Gegenwind wird er nicht mehr aufhalten können.“
Letztes Gefecht
„Für das Fleisch gilt, was für viele Widersprüche unserer Gesellschaft gilt: Corona wirkt wie so eine Art Brennglas“, meinte Görig-Eckardt. „Man kann das Fleisch nicht unter dem Produktionspreis verkaufen. Das geht einfach nicht. Wir müssen für einen Mindestpreis für Fleisch sorgen!“
Von Bötticher gab nicht auf und lenkte die Debatte auf den Handel: Dort und nicht etwa beim Bauern würden die Preise gemacht. Allerdings stünden die 6100 Produzenten nur fünf großen Handelskonzernen mit knallharten Verhandlungsprofis gegenüber.
Der Themenwechsel gelang, aber nun redeten alle durcheinander, bis Plasberg die Notbremse zog: „Chorgesang zu Ende!“
Flottes Finale
Die übliche Schlussfrage an die Gäste lautete diesmal wenig überraschend: „Mit wem aus dieser Runde würden Sie gern grillen?“ Danach zündete Plasberg zum letzten Talk dieser Hinrunde noch ein paar kleine Pointen.
An „Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga übergab er mit dem Spruch: „Ich hoffe, Sie haben jetzt keinen Speichelsturz!“
Und als sich Laumann ächzend von seinem Sitz stemmte, gab ihm der Gastgeber schnell noch einen für den Heimweg mit: „Die Stühle sind nicht bequem, aber das hat auch keiner gesagt!“
Fazit: Extreme Diskussionsdichte mit Wuterregungen und Zornentladungen, alle Talkgäste hart drauf, der Talkmaster drückte pausenlos auf alle Tasten seiner Empörungsmaschine: Das war eine Talkshow der Kategorie „Schlachtfest“.