„Hart aber Fair: Corona im Schlachthof – sind uns Mensch und Tiere Wurst?“ ARD, Montag, 9.Januar 2020, 21 Uhr.
Der Grüne-Chef Robert Habeck hat in der ARD-Talkshow „Hart aber Fair“ am Montag die Fleischpreise scharf kritisiert und dabei erklärt, er wolle der Politik mehr Einfluss auf das Marktgeschehen verschaffen, auch zu Lasten der Konsumenten.
Wörtlich sagte der Politiker, dessen Partei sich nur langsam aus der Corona-Starre löst: „Tiere werden zum Rohstoff degradiert und dann verramscht! Täglich sterben 11.000 Schweine, die dann in der Mülltonne landen!“
Ändern könne das, darüber war sich die meisten Gäste der Talk-Runde einig, nur der Kunde. Doch Habeck sucht einen anderen Weg: „Wir sind keine Verbraucherdemokratie, wir sind eine Bürgerdemokratie“, erklärte er.
Politischster Appell
Dann wurde der Grüne grundsätzlich: „Zu sagen, der Verbraucher entscheidet das, finde ich das Armutszeugnis der Politik schlechthin. Wir müssen nicht bessere Menschen erziehen, sondern bessere Regeln machen! Wir müssen die Politik ändern, und nicht den Menschen!“
Klar: Die Menschen ändert Habeck mit sowas nicht, höchstens die Wahlergebnisse seiner Partei, und zwar ins Negative wie einst bei der Spritpreis-Diskussion. Damals hatten die Grünen die Macht ihrer Moral über den Geldbeutel der Wähler deutlich überschätzt.
Habecks ehrliches Bekenntnis: „Wir sind als Menschen widersprüchlich, und das bin ich auch. Wir sind keine Engel. Aber wir haben die Chance, Regeln zu finden, die besser sind als wir im Alltag sind!“
Der Fluch des Fleisches: Corona hebt den Deckel hoch, unter dem aus Lebewesen Ware wird. In „Hart aber Fair“ fragte Talkmaster Frank Plasberg einen kundigen Kreis:
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drohte der Fleischindustrie: „Wir werden beim Arbeitsschutz aufräumen und durchgreifen!“
Habeck, einst Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, will eine Neuausrichtung der EU-Agrarförderung: „Ein Mindestpreis für Fleisch wäre nur die unterste Schamgrenze!“
Max Straubinger (CSU), als Veteran der Landwirtschaftspolitik schon seit 1994 im Bundestag, wetterte gegen die Planwirtschaft: „Über den Preis entscheidet der Verbraucher an der Ladentheke!“
Anette Dowideit, Chefreporterin der WELT, schimpft auf das „ausbeuterische System“ und rechnet vor: „Ein bisschen mehr Lohn für die Schlachtarbeiter würde den Verbraucher pro Einkauf nur ein paar Cent kosten!“
Heiner Manten, Verbandschef der Fleischwirtschaft (VDF), klagte: „Einzelfälle werden von Medien und Politik dazu verwendet, eine ganze Branche in Verruf zu bringen!“
Manfred Goetzke, Reporter beim Deutschlandfunk, hat eine rumänische Mutter, spricht Rumänisch und hat rumänischen Schlachtarbeitern der Quarantäne-Betriebe in Coesfeld interviewt.
Alle waren für Verbesserungen. Streit gab es trotzdem. Der Talkmaster sorgte persönlich für Zoff.
Denn: Metzger Manten hatte es gewagt, die Medien zu kritisieren. Dafür musste er jetzt büßen.
„Schönen gute Abend, Herr Plasberg“, sagt Manten zu Beginn artig. „Vielen Dank für die Einladung! Das gibt mir die Gelegenheit, mit Herrn Heil heute das Gespräche führen zu können…“
Strengster Tadel
Weiter kam er nicht, denn Plasberg fegte ihn sofort rüde an: „Herr Heil ist nicht alleine da! Da ist noch Herr Habeck von den Grünen, da ist noch ein Bauer, und ich bin auch noch da!“
Boshafter Rat des Talkmasters: „Wenn Sie mit Herrn Heil das Gespräch suchen: Der hat ein Büro, das können Sie dann ab morgen machen.“ Uff!
Schlimmstes Katz-und-Maus-Spiel
Der Gast, Chef eines anerkannt tadellosen Familienbetriebes, war dem unerwarteten Brutalangriff nicht gewachsen: „Die Infektionszahlen … wie soll ich sagen…“ stammelte er.
Doch Plasberg trieb ihn genüsslich in die Enge: „Sie hätten sagen sollen: „Haben mich nicht überrascht, weil ich die Arbeitsbedingungen kenne!“
Strengstes Verhör
„Bitte geben Sie mir Gelegenheit, mich zunächst ein bisschen zu sammeln“, brachte der Überrumpelte mühsam hervor. „Die Infektionszahlen alleine … in den Medien … Entschuldigung, ich habe ein bisschen den Faden verloren…“
Aber hier ging es ums Schlachten, und der Talkmaster metzelt munter weiter. Als der Unternehmer herumdruckste, die miesen Quartiere der rumänischen Schlachtarbeiter könne er sich „nicht vorstellen“, herrschte ihn der TV-Staatsanwalt Plasberg an: „Vielleicht muss man die Vorstellungskraft ein bisschen befeuern!“
Klarste Ansage
„Wann, wenn nicht jetzt, sollte man tatsächlich grundlegende Konsequenzen ziehen?“ fragte Heil. „Da geht’s um Arbeitsschutz, um Gesundheitsschutz von Menschen aus Mittel- und Osteuropa, aber auch um anständige Löhne und Arbeitsbedingungen!“
Beschämendste Fakten
DLF-Reporter Goetzke informierte die Talk-Runde über seine Recherchen im Corona-Schachthof Coesfeld: 60 bis 70 Werkstunden pro Woche, höchstens 1200 Euro brutto, davon 220 Euro fürs Bett, weitere Abzüge für Fahrten und Arbeitskleidung.
Jetzt in Quarantäne, bekommen einige noch nicht mal Lebensmittel: Sie sind erst seit ein paar Wochen da, und ihr Lohn wurde noch nicht ausbezahlt. Goetzke: „Wer Geld hat, bekommt Essen. Wer kein Geld hat, dem wird nichts gebracht.“
Schärfste Kritik
Heil war sauer: „Wir werden jetzt mit dem Zoll und mit den Arbeitsschutzbehörden massiv kontrollieren, dass die bestehenden Regeln eingehalten werden“, kündigt er an.
Mehr noch: „Wir müssen an die Wurzeln des Übels ran!“ forderte der Minister. „Es ist ja so, dass bei diesen Sub-Sub-Subunternehmern immer jemand die Hand aufhält und sich an der Ausbeutung von Menschen bereichert!“
Wichtigste Zusicherung
Sichtlich erbost versprach der Minister schnelle und deutliche Verbesserungen: „Das betrifft auch unser Anliegen, dass wir Werkverträge in diesen Bereichen nicht mehr zulassen werden!“
Peinlichster Dialog
Unternehmer Manten stellte dem DLF-Reporter eine etwas ungeschickte Frage: „Ist das ein deutsches Sozialversicherungsverhältnis oder ist das eine Versendung?“
Plasberg witterte sofort wieder Beute und funkt dazwischen: „Macht das eigentlich einen großen Unterschied, nach welchem Recht ein Unternehmer einen Menschen bezahlt mit 1200 Euro, wenn er die Arbeit in seinem Unternehmen in Deutschland macht? Ist das nicht ein Taschenspielertrick?“
Der Unternehmer fragte trotzdem weiter: „Ist das Bruttolohn? Ist das Nettolohn? Welche Steuerklasse?“
Abgeschmacktester Auftritt
Da eilte Plasberg hinter seinem Stehpult hervor und stellt sich dicht vor seinen Gast: „Wenn man so eine Talkshow macht“, sagte er zu ihm, „dann passiert es oft, dass es PR-Agenturen gibt, die holen Sie sich zu Rate, und dann wird man gecoacht für so eine Sendung…“
Manten schüttelt den Kopf, doch Plasberg redete in scheinbarer Hilfsbereitschaft weiter auf ihn ein: „Vergessen Sie alles! Alles, was Ihnen Kollegen erzählt haben! Sondern reden Sie für sich, als einen ehrlichen deutschen Unternehmer, dann fahren Sie gut!“
Selbstgefälligste Belehrung
Und gleich noch mal, wie zu einem Kinde: „Vergessen Sie das, was PR-Schulen für Talkshows machen! Reden Sie für sich! Und Ihre Familie! Dann reden Sie gut!“
Und als Manten immer noch weiterreden wollte, versuchte es der Talkmaster mit einem schlimmen, weil erkennbar verlogenen Schmeichelei: „Ich schätze Sie sehr!“ behauptete Plasberg plötzlich. „Sie sind vom Niederrhein! Wie auch meine Frau! Ich weiß, dass Sie ein feiner Kerl sind! Ich möchte nicht, dass es Ihnen hier schlecht geht!“ Ja klar…
Trotz Corona kaut Plasberg seinem Gast dabei fast das Ohr ab. Der Unternehmer wehrte sich gegen die heuchlerischen Ratschläge. „Ich rede sowieso…“
Und kassiert prompt die nächste Unterbrechung: „Was ist das denn für ein Unterschied, ob es 1200 brutto oder netto sind?“ löcherte ihn Plasberg ungerührt weiter. „Das ist auf jeden Fall ein frecher Lohn!“
Billigster Witz
Dann bemerkte Plasberg endlich den schlimmen Distanzverlust. „Ich bin Ihnen zu nahe kommen“ sagte er. „In Corona-Zeiten muss man weggehen!“
Manten ließ sich jetzt nicht mehr aus der Fassung bringen: „Ich hoffe, Sie sind nicht infiziert“, lächelte er.
Doch Plasberg konnte es immer noch nicht lassen: „Sie hoffentlich nicht von Ihrer PR-Agentur!“ rief er zurück.
Deprimierendste Tatsache
Die Journalistin tat, was ihrer Profession entspricht, und stellt wieder auf Fakten um. Sie hatte sich Werkverträge beschafft. Nach Tarif bekommt ein Zerleger 13,61 Euro. Im Werksvertrag über einen Subunternehmer gibt’s nur den Mindestlohn, 9.35 Euro.
Großschlachter z.B. mit 3800 Mitarbeitern würden, rechnete Dowideit vor, „auf diese Weise im Monat zweieinhalb Millionen sparen!“
Härteste Attacke
„Das ist ein Geschäftsmodell!“ wetterte Habeck. „In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die deutsche Schachtmenge verdoppelt, während sie im europäischen Ausland, Dänemark, Niederlande, Frankreich runtergegangen ist!“
Sein Vorwurf: „ Wir sind ein Dumping-Schlachtland geworden! Deutschland hat mit Absicht die Niedrigpreisschlachtbranche installiert und davon Profite gemacht!“
Deutlichster Widerspruch
„Sie hat sich nicht verdoppelt!“ funkte CSU-Straubinger im bayerntypischen Janker dazwischen. „Das stimmt ja nicht! In den letzten zehn Jahren sind sie ziemlich gleich geblieben, und die letzten drei Jahre sind die Schlachtungen zurückgegangen!“
Manten verriet, warum er sich freute, mit dem Minister in der Sendung zu sein: „Wir haben Herrn Heil einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, aber man hat uns eine Absage erteilt!“
Heil wiederum beschwerte sich, bisher hätten solche Gespräche immer nur zu Selbstverpflichtungen der Fleischindustrie geführt, die nie eingehalten worden seien. Sein Urteil: „Das ist eine absolute Nebelkerze!“
Grundsätzlichstes Rededuell
Plasberg fand die Preise mancher Discounter „obszön“, aber Straubinger konnte sie ihm erklären: „Das sind die Lockangebote der Einzelhändler!“
„Das ist doch nicht gut!“ klagte Habeck. „Die verkaufen Hähnchenschenkel, um damit Zahnpasta oder Wattepads zu verkaufen!“
„Ich verteidige das nicht, aber es ist die Realität“, konterte der CSU-Mann: Markt schlägt Plan.
Wichtigste Zusicherung
„Die Bundesregierung hat entschieden, dass wir anfangen mit der Frage: Was ist mit den Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten“, erklärte Heil zum Schluss. „Und ich sage, dass die Verbesserungen, die wir das durchsetzen werden, den Fleischpreis nicht in die Höhe treiben werden!“
Denn, so der Minister: „Das ist auch eine soziale Diskussion. Es muss auch für ganz normale Leute, auch für Geringverdiener, auch für Menschen, die Grundsicherung beziehen, jeder in der Lage sein, sich auch ein Stück Fleisch zu kaufen!“
Fazit: Politiker im Kampf um ihren Rang in der Aufmerksamkeitsökonomie. Viel Politkitsch, parteitaktische Zorngewitter und teils abenteuerliche Wirklichkeitsdeutung. Dazu ein Großmoderator mit peinlichem Distanzverlust: Das war eine Talkshow der Kategorie „Angebrannt“.