„Maischberger“. ARD, Mittwoch, 5.Oktober 2022, 22.50 Uhr.
Russlands Soldateska ist auf dem Rückzug: Erst stürmen, dann türmen. Jetzt schickt Putin notgedrungen seine B-Truppen los. Und die Ampel verkauft dem Volk einen Regenschirm, spannt ihn dann aber nicht auf, da hat Sandra Maischbergers Runde wieder viel zu talken! Die Gäste:
Norbert Röttgen (57, CDU). Der Außenpolitiker stellt fest: „Ein militärisches Zurückdrängen Russlands ist Bedingung für Verhandlungen!“
Amira Mohamed Ali (42, Linke). Die Fraktionschefin formuliert friedenspolitische Bedenken: „Dass der Krieg auf militärische Weise gelöst werden kann, bezweifle ich.“
Gerhart Baum (89, FDP). Der Ex-Innenminister will die „auf Menschenwürde und Friedenssicherung“ gegründete Weltordnung „mit Zähnen und Klauen verteidigen“.
Urban Priol (61). Der Kabarettist wetterte schon im April: „Auf Putin kann man gar nicht genug draufhauen!“
Mariam Lau (60). Die Journalistin („Zeit“) hat schon in den ersten Wochen des Krieges 20 Atombombendrohungen registriert, insofern sei „man schon ein ganz kleines bisschen abgestumpft“.
Gregor Peter Schmitz (47). Der Chefredakteur („Stern“) lästert über den Kanzler: „Klar ist bei ihm eigentlich nur, dass er schon immer recht hatte.“
Tag 224 des Krieges. Wer hält Linie, wer gibt auf? Hoffentlich gibt’s Teamwork statt der üblichen Talk-Treterei!
Hunnischster Humor
Putins roter Kernwaffenknopf macht Sorgen, aber nicht bange: „Zeit“-Journalistin Lau hält „die Wahrscheinlichkeit trotz des Säbelrasselns immer noch für gering“. Für „Stern“-Chef Schmitz kommen „die deutschen Urängste geballt zurück: Inflation, Atom, die Bedrohung durch den Russen…“
Kabarettist Priol arbeitet sich lieber an CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter ab: „Klingt wie Attila der Hunnenkönig. Er sagt, wir können 100 Marder liefern. Ich weiß nicht, ob er Tiere gemeint hat. Ein ganz schöner Haudrauf.“ Puh…
Kühlste Analyse
„Das Problem mit der Erpressung ist: Wenn man sich einmal darauf einlässt, läuft man Gefahr, immer weiter erpresst zu werden“, warnt Schmitz.
„Man muss das doch einfach mal ganz kalt durchrechnen“, schlägt Lau vor. „Wann gehe ich an den Verhandlungstisch? Doch dann, wenn ich auf dem Schlachtfeld nichts mehr zu erreichen habe. Das kann für die Russen nur eintreten, wenn sie merken, dass die Annexion nicht gelingt.“ Punkt!
Erwartbarstes Bashing
„In Berlin gibt es ein gewisses Misstrauen, ob die Ukraine vielleicht zu viel will“, vermutet der „Stern“-Chef. „Dass sie vielleicht expansiv werden. Dass sie vielleicht alles zurückerobern wollen. Dass sie den Russen eine so vernichtende Niederlage zufügen wollen, dass man Bauchschmerzen bekommt in Berlin.“ Uff!
Priol steuert die routinemäßige Beschimpfung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban bei: „Gulasch-Putin!“
Erschütterndster Bericht
Zu Fernsehbildern aus dem Iran meldet die in Teheran geborene „Zeit“-Journalistin betroffen: „Was jetzt passiert, ist, dass wirklich 13-, 14-jährige Mädchen auf die Straße gehen, unverschleiert, und rufen: Tod dem Diktator! Das kann man wirklich nur als todesmutig bezeichnen.“
„Man denkt natürlich, Kinder bringen das Regime in Verlegenheit, denn es ist schwer, auf Kinder zu schießen“, erklärt Lau dazu. „Aber dann haben wir jetzt aktuell zwei Fälle von 16-jährigen Frauen, die beide mit einer unfasslichen Brutalität erschlagen worden sind, so dass die Eltern die Gesichter kaum wiedererkannt haben.“
Einleuchtendste Erstdiagnose
Zur Debatte setzen sich zusammen: CDU-Außenpolitiker Röttgen in Diplomatendunkelgrau und Linke-Fraktionschefin Mohamed Ali in Friedensengelstrahleweiß. „Es ist zunehmend eine Schizophrenie“, urteilt der CDU-Mann über die Jubelbilder vom Roten Platz.
Denn: „Es ist dieser Macht- und Gewaltexzess, der, schon in den Gesichtern ablesbar, jedes Maß verloren hat“, erläutert er. „Und gleichzeitig ist ja die Realität in der Ukraine eine gegenteilige. Was dort als Machtübernahme gefeiert wird, wird in der Ukraine auf dem Boden gerade verloren. Putin steht unter Druck wie noch nie!“
Friedliebenste Antithese
„Für mich ist die Frage offen, wie stark Putin unter Druck steht“, widerspricht die Linke-Fraktionschefin. „Ich glaube, dass das Potential noch nicht ausgeschöpft ist. Die Teilmobilmachung ist eine nächste Eskalation. Ich glaube, dass da weitere folgen werden.“
„Aber wenn Sie Recht haben und Putin wirklich so unter Druck steht“, fügt Mohamed Ali mit beschwörenden Gesten hinzu, „dann ist es doch umso wichtiger, jetzt die Verhandlungen aufzunehmen. Dann müsste er ja jetzt eigentlich darauf eingehen.“
Gretchenfrage des Abends
„Spricht das auch dafür, dass man jetzt mit mehr Waffen reingeht?, will die Talkmasterin wissen.
Mohamed Ali ist weiter dagegen, „weil wir noch nie erlebt haben, dass Waffenlieferungen einen Frieden beschleunigen.“
Röttgen dagegen wirbt weiter für Waffenlieferungen, „denn sie ermöglichen die Chance auf Frieden. Mit jedem Quadratkilometer, der von russischer Besatzung befreit wird, werden dort die Menschen nicht mehr getötet, gefoltert, und die Frauen nicht mehr vergewaltigt.“ Dafür Applaus.
Deutlichster Widerspruch
„Russland hat ein Interesse daran, sich von der EU wirtschaftlich unabhängig zu machen“, behauptet die Linke danach kühn. Ihre Idee: Die EU sollen mit China und Indien reden, um Putins Verbindungen dorthin zu „kappen“. Stöhn!
Röttgen hebt abwehrend die Hand. „Das ist wirklich Träumerei“, kontert er. „Putin will den Krieg. Er verheizt die eigenen Leute. Der Schritt zum Frieden ist, den Krieg zu besiegen!“
Dann geht der Zoff richtig ab
Mohamed Ali macht, was sie immer gerne tut: Sie versucht, Realismus durch Ironie zu widerlegen. „Dann müsste die Nato also reingehen und sagen, jetzt treiben wir Russland in die Enge!“, spottet sie. „Das wäre doch die konsequente Schlussfolgerung daraus!“
Doch Röttgen hat die Ruhe weg: „Es wäre nicht richtig, wenn die Nato Krieg führen würde“, erklärt er geduldig durch ein hitziges Sperrfeuer aufgeregter Gegenreden, aber „das Land, das angegriffen worden ist, unterstützen wir militärisch. Wir sollten alles tun – bis auf eine eigene Beteiligung am Krieg.“ Amen!
Klarste Kante
„Ist die Bundesregierung schuld, wenn die Gaspreise steigen?“, fragt Maischberger dann. „Naja, Schuld ist immer so ein moralisches Thema“, druckst sich die Linke durch die Klippe. „Aber die Wirtschaftssanktionen halte ich für falsch.“
Den CDU-Politiker erinnert die Talkmasterin daran, dass er bereits am 25.März den Sofort-Stopp von Öl und Gas aus Russland gefordert hatte. Und heute? Bleibt Röttgen dabei, und zwar ohne Wenn und Aber.
Plausibelste Begründung
„Wir hätten das machen sollen“, erklärt Röttgen dazu. „Stattdessen haben wir zugewartet. Wir haben Putin die Taschen vollgemacht. Als er im Juni seine Geldkoffer voll hatte, hat er dann uns sanktioniert, und wir sind ihm jetzt ausgeliefert.“
Sein Ärger: „Hätten wir das Heft des Handelns in die Hand genommen, wären wir diejenigen, die sanktioniert hätten, und wären nicht die Sanktionierten von Putin!“
Emotionalste Erinnerung
Baum, in Dresden geboren und bei Kriegsende zwölf Jahre alt, wird durch Putins Krieg an eigene dunkle Zeiten erinnern: „Wir haben Entbehrungen hingenommen, wir haben gehungert, wir waren auf der Flucht, wir waren mit dem Tod konfrontiert“, berichtet er sichtlich bewegt.
Sein Credo: „Ich will den jungen Leuten jetzt nicht zumuten, sich in unsere Situation zu versetzen, aber ein bisschen mehr sich anzupassen, den Lebensstil zu ändern, die Erwartung an Wohlstand zu reduzieren, anders zu leben, das möchte ich doch bitten.“ Dafür applaudieren besonders die jungen Leute im Studio.
Eindringlichster Appell
Dann beugt sich der Altliberale beschwörend vor: „Der Klimawandel ist eine Frage der Demokratie“, mahnt er. „Wenn wir so weiterleben, muten wir den künftigen Generationen zu, die Freiheit stärker einzuschränken als wir das tun.“
Seine Warnung: „Wir müssen dafür sorgen, dass hier eine Gerechtigkeit stattfindet. Dass die Demokratie nicht Schaden nimmt, in Zukunft. Jetzt kommt eine Bewährungsprobe unserer Demokratie. Jetzt, im Winter. Halten wir das durch? Da erwarte ich auch, dass eine Regierung da ist, die uns dabei hilft!“
Und dann hacken seine Hände zornig durch die Luft: „Die sollen sich nicht streiten, die sollen sagen, was Sache ist!“, wettert er.
Interessanteste Erinnerung
Der nächste ARD-Einspieler zeigt Baum als Innen-Staatssekretär bei einer Lobrede auf die Atomkraft: „Die Kernenergie ist eine sehr wirtschaftliche Energieart, die wir brauchen!“, hatte er damals verkündet. Seine Einschränkung: „Die Bevölkerung muss aufgeklärt werden und im Grunde zustimmen.“
Und heute? „Da fehlt natürlich ein wesentliches Argument: die Entsorgung“, ergänzt der in Ehren ergraute Politiker. Dafür hätten die Länder sorgen sollen.
„Ihnen sitzt jemand gegenüber, der die drei Kraftwerke, um die es jetzt geht, genehmigt hat“, sagt der Liberale zu Maischberger und breitet wie entschuldigend die Hände aus: „Ich habe keine Ahnung von der Technologie…“
Kniffligste Frage
„Sie haben Putin verklagt, wollen ihn vor Gericht bringen“, forscht die Talkmasterin beim nächsten Thema nach. „Wird Ihnen das gelingen?“
„Das wird schwierig“, untertreibt Baum mit feinem Lächeln. „Mir würde es schon reichen, wenn dieser furchtbare Kerl, der die Söldnertruppe Wagner anführt, mit den Mördern und Vergewaltigern, die aus den Gefängnissen entlassen wurden, wenn dieser Mensch jetzt in Deutschland angeklagt würde. Das können wir machen!“
Fröhlichstes Finale
„Meine Frau steht frühmorgens auf und sagt: Willst du heute wieder die Welt verbessern?“, grient der Polit-Oldie zum Schluss. „Also irgendwas treibt mich an, und ich freue mich auch über Zuspruch, über Ermutigung, werde auch viel kritisiert. Das hält mich jung, oder jünger!“
Die nächste Power-Dusche erwartet ihn zum Geburtstag am 28.Oktober: „Im Severinsviertel in Köln gibt’s eine Kneipe, da gibt’s Kölsch, und die haben wir gemietet“, freut er sich, „und alle unsere Nachbar eingeladen, den Friseur, die Buchhändlerin, den Pfarrer. Jeder kann kommen und gehen, wann er will.“ Viel Spaß!
Zitat des Abends
„Scholz kann man nicht parodieren. Da muss man Pantomime können.“ Urban Priol
Fazit
Aufmerksame Beobachter und motivierte Diskutanten verteilten kühl und trocken gelagerte Beruhigungspillen gegen die von manchen bereits befürchteten winterlichen „Heiz- und Hungergames“. Das war eine Talkshow der Kategorie „Krisenstab“.