Teletäglich

Riesiger Corona-Zoff zwischen Ministerpräsident Michael Kretschmer und Prof.Michael Hüther bei „Anne Will“

„Anne Will: Mit Vorsicht aus der Corona-Krise – wie hart trifft uns die ‚neue Normalität‘?“ ARD, Sonntag, 19.April 2020, 21.45 Uhr.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU= und der Wirtschaftsforscher Prof. Michael Hüther haben sich in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntag einen heftigen Schlagabtausch geliefert.

Auslöser war eine berechtigte Frage der Talkmasterin: „Versucht die Bundesregierung, uns die Ausnahmeregelung als neue Normalität zu verkaufen?“ wollte Will wissen.

Hüther hielt daraufhin eine Kurzvorlesung über den richtigen Weg, die Schulen wieder zu öffnen: „Lehrpläne entschlacken! Klassen halbieren! Die Dänen machen es uns vor!“

Kretschmer wollte darüber diskutieren, doch der Professor bügelte ihn rücksichtlos ab: „Lassen Sie mich ausreden!“

Schärfster Wortwechsel

Der Ministerpräsident reagierte sauer: „Diese klugen Reden sind ganz toll!“ schimpfte er.

Sie sind nicht mit der nötigen Intensität unterwegs!“ konterte der Professor daraufhin giftig. Danach redeten die beiden eine halbe Minute lang erregt aufeinander ein – gleichzeitig und mit steigender Lautstärke.

Der doppelte Ausraster zeigte die wachsender Nervosität vor dem der Politik in der Corona-Zwickmühle: Auf der einen Seite geben Wissenschaftler unterschiedliche Ratschläge, deren Umsetzung sie nicht verantworten. Auf der anderen Seite fordern Bürger immer heftiger massive Erleichterungen, für deren negative Folgen ann aber die Politiker herhalten müssten. Drei waren in der Sendung dabei:

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte die Bundesländer vorher angemacht: „Wir dürfen nicht durcheinanderlaufen wie ein Hühnerhaufen!

Kretschmer erwartet durch die ersten Ladenöffnungen „viel Bewegung, viel Interaktion“ – mit den bekannten, aber kaum vermeidlichen Gefahren.

Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) findet viele Verbote „zwar geeignet, aber nicht notwendig“.

Hüther, aus Frankfurt zugeschaltet, schlug Alarm: „Mindestens fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung sind in diesem Jahr bereits verloren!

Der System-Immunologe Prof.Michael Meyer-Hermann warnte beinhart: „Epidemiologisch ist jede Lockerung falsch!“

Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – wie in den bisherigen Corona-Talkshows, jetzt aber erkennbar weniger um Harmonie bedacht als zu Beginn der Krise.

Zum Start ein Hoffnungsschimmer

Bei günstigen Infektionszahlen wird es natürlich weitere Lockerungen geben“, versprach Altmaier vorsichtig. Dass er im Krisenkabinett Krach mit NRW-Chef Armin Laschet wegen der Öffung von Läden bis 800 Quadratmetern hatte, wollte der Minister wortreich nicht bestätigen.

Dann eine ernste Warnung: „Je länger der Lockout wirkt, desto mehr Risiken handeln wir uns an anderer Stelle ein“, mahnte Prof. Hüther. Das gelte vor allem für die Schulen.

Deutlichste Absage

Eine Normalisierung kann es nicht geben, bevor es einen Impfstoff gibt!“ erklärte Kretschmer. „Wir haben als höchstes Schutzgut die Gesundheit und das Leben der Menschen!“ Und: „Das religiöse Leben soll wieder beginnen können.

Der Ministerpräsident hatte sich mit leuchtend blauen Socken zu braunen Schuhen locker gemacht, doch der Immunologe neben ihm wirkte noch viel cooler: Schwarze Lederjacke, rote Hose, Viertagebart, graues Zöpfchen am halb kahlen Kopf.

Härtester Lösungsweg

Die Warnungen des Epidemie-Experten klingen allerdings ziemlich happig: „Ich merke, dass die angekündigten Lockerungen das Bewusstsein in der Bevölkerung verändert haben“, sorgte sich Meyer-Hermann.

Sein Vorschlag: „Wir könnten mit radikalen Maßnahmen versuchen, das Virus auszutrocknen. Bei einer Reproduktionszahl von 0,2 oder 0,3 könnten wir die dann noch verbleibenden Fälle wirklich zurückverfolgen und dann in relativ kurzer Zeit zu den alten Realitäten zurückkehren.“

Dafür gab es bei den Politikern allerdings keinerlei Begeisterung: „Radikale Maßnahmen“ – da drohen Massenproteste und jede Menge Klagen vor dem Verfassungsgerichten.

Schlüssigste Analyse

Solche Klagen sind das Leib-und-Magen-Thema der FDP-Politikerin: Seit kurzem ist Leutheusser-Schnarrenberger Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof. „Es geht um massive Freiheitsbeschränkungen“, stellte sie fest. „Je länger der Zeitraum geht, desto genauer muss abgewogen werden!“

Denn, so die Politikerin: „Ich kann nicht einfach sagen, jetzt mache ich alles komplett dicht!“ Ein generelles Versammlungsverbot etwa sei nicht verfassungskonform.

Bestes Beispiel

Zur Unterstützung seiner These brachte Prof. Meyer-Hermann ein Erfolgsmodell aus Fernost auf den Punkt: „Südkorea hat es uns vorgemacht: Ohne Maske kommst du hier nicht rein!“

Von diesem Montag an versuchen das nun auch die Sachsen. Deutschland bräuchte dazu allerdings nach Altmaier zwölf Milliarden Masken im Jahr.

Dramatischste Analyse

„Noch mal ein Lockdown wäre Selbstmord im ökonomischen System!“ warnte Prof.Hüther. Für ihn ist nicht die Reproduktionszahl von aktuell 0,7 die wichtigste Ziffer, obwohl sie immerhin die niedrigste Ansteckungsquote seit Beginn der Pandemie anzeigt.

Stattdessen orientiert sich der Wirtschaftsforscher lieber an der Auslastung der Intensivbetten, und da ist noch viel Luft nach oben – ganz nach Spahns Urteil, die Krise sei jetzt „beherrschbarer“ geworden.

Schönste Anerkennung

Kretschmer mochte sich die Reproduktionszahl aber nicht madig machen lassen: „Es ist uns gelungen, durch ein wirklich kluges Handeln – und man sieht da wieder: das ist typisch deutsch. Es gibt ein Problem, da machen die Deutschen einen Plan, dann machen sie eine Strategie, dann fangen sie an, den abzuarbeiten, zu optimieren, und am Ende läuft es wie am Schnürchen!“

Die Talkmasterin feixte: Ein so offenes Lob deutscher Tugenden wird in ARD-Talkshows nicht oft geboten!

Populärste Forderung

Und der Ministerpräsident war noch nicht fertig: „Dass wir heute so viele Intensivbetten frei haben, anders als Italien, das ist der Erfolg unserer gemeinsamen Anstrengungen“, fügte er hinzu.

Die Menschen sind vernünftig gewesen. Politik, Medizin, alle haben zusammengehalten!“

Altmaier lächelt wohlgefällig. Es gibt also auch warme Worte unter Parteifreunden!

Dann aber kündigte sich Zoff an

Jetzt brauchen wir für die Gastronomie Licht am Ende des Tunnels!“ sagte Kretschmer energisch und forderte für diese Branche gleich mal eine Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent.

Die Talkmasterin schreckte hoch: „Ach!“ rief sie. „Dafür sind Sie! Sie auch, Herr Altmaier?“

Härtestes Puddingboxen

Doch der Wirtschaftsminister weiß genau, was der Finanzminister von solchen Plänen hält, und wich elegant aus: Er habe schön öffentlich gesagt, dass er sehr dafür sei, diesen Vorschlag genau anzuschauen, der ja auch von Markus Söder gemacht worden sei, schwurbelte Altmaier drauflos, und im Übrigen müsse man über Innovationszuschüsse für die Gastronomie reden usw…

Die Talkmasterin wollte sich von dem Wortschwall nicht ablenken lassen: Was Altmaier in puncto Mehrwertsteuersenkung entschieden habe? hakte sie nach.

Die Antwort des Ministers klang daraufhin etwas lahm: „Das entscheide nicht ich, sondern die Bundesregierung…“

Untauglichster Versuch

Dann folgten lange, lähmende Ministermonologe über Schulöffnungen und andere Alltagsfragen. Kretschmer flocht geschickt ein Kompliment ein: „Zu den ganz großen Helden gehören neben den Medizinern und den Pflegern auch die Lehrer!“

Auf der Suche nach neuem Schwung wollte die Talkmasterin den Maskenfreund Kretschmer gegen den Maskenskeptiker Altmaier aufstacheln: „Warum führen Sie die Maskenpflicht ein?“ fragte sie.

Doch der Sachse ließ sie ins Leere laufen: „Das ist ein Streit um des Kaisers Bart“, antwortete er.

„Ach!“ stöhnte Will enttäuscht, winkte mit ihrem Spickzettel ab und warf sich sichtlich sauer in den Sessel zurück.

Finale Durchhalteparole

„Wir brauchen eine Rückkehr zur Normalität“, sagte Altmaier zum Schluss. „Bis es soweit ist, wird es noch eine Weile dauern. Wenn wir Pech haben, bis zur Entwicklung eines Impfstoffs.“

Immerhin, so Altmaier nicht ganz ernst: „Wir konnten Versorgungsengpässe beim Toilettenpapier vermeiden!“

Fazit: Argumente mit Sicherheitsabstand, leichte Störungen der Impulskontrolle und eine politikgestützte Privatfehde. Dazu Monologe so nervig wie der Stau an der Supermarktkasse, dann wieder Zoff bis zum Abwinken und eine zähe, aber hektische Moderatorin, die sich immer wieder verhaspelte: Das war eine Talkshow der Kategorie „Let’s fetz!“

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