„Anne Will: „Razzia bei ‚Reichsbürgern‘ – Wie groß ist die Terrorgefahr durch Staatsfeinde?“ ARD, Sonntag, 11.Derzember 2022, 21.45 Uhr.
3000 Polizisten, 150 Durchsuchungen, 25 Festnahmen: Die Ampel zeigt der rechtsextremen Szene klare Kante, aber es gibt noch Fragen, z.B. bei Anne Will. Die Gäste:
Nancy Faeser (52, SPD). Die Bundesinnenministerin will nach dem Einsatz das Waffenrecht „in Kürze weiter verschärfen“. Sie wird zugeschaltet.
Herbert Reul (70, CDU). Der NRW-Innenminister will Beamte bei Volksverhetzung schneller rausschmeißen können.
Janine Wissler (42, Linke). Die Parteichefin fordert: „Es muss dringend konsequent gegen rechte Netzwerke in Armee und Polizei vorgegangen werden!“
Gerhart Baum (90, FDP). Der Bundesinnenminister a.D. milderte einst den damals vor allem gegen Linksextreme gerichteten „Radikalenerlass“ ab: „Ich wollte keine Kommunisten als Lehrer haben!“
Florian Flade (33). Der WDR-Reporter rät dringend, das „Stammtischgerede“ solcher Gruppen ernst zu nehmen.
Infos, Hintergründe, Meinungen: In ihrer letzten Sendung vor dem Weihnachtsfrieden fährt die Talkmasterin noch mal das volle Programm. Das Publikum hofft auf Klarsicht statt Kontroverse.
Wahnwitzigstes Szenario
Als Startvorgabe blendet die Talkmastern das Statement der Innenministerin vom Mittwoch ein: „Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung blicken“, so Faesers Urteil nach der Razzia.
„Was sehen Sie da?“, fragt die Talkmasterin nun nach. Die Erläuterung der Ministerin: „Wir sehen eine Vorbereitung auf mögliche Umsturzfantasien! Sehr genaue Planungen, dass man in den Bundestag eindringen wolle und dann sich mit Waffengewalt den Abgeordneten gegenüberstellen wollte!“
Besorgteste Analyse
„Es waren mehr als Spinnereien“, sekundiert ihr CDU-Kollege aus NRW, „denn es waren Leute dabei, die wissen, wie man sowas macht. Und es waren Leute dabei, die Waffen oder Zugang zu Waffen hatten. Es war total wichtig, direkt sich hier einzumischen.“
Aber, so Reul weiter: „Dass es diese Milieus gibt und was sich da tut, darauf haben wir schon 2018/19 hingewiesen, auf diese Mischszenen, die sich da entwickeln, zwischen Rechtsextremen und Menschen im bürgerlichen Lager. Dass da ein Gebräu entsteht, im Netz, das auch zu Taten führen kann.“
Bedrohlichste Parallelen
Reuls schlimme Befürchtung in Erinnerung an die Ermordung des hessischen CDU-Landrats Walter Lübcke 2019: „Dass die Leute sich hochstacheln, viele Likes geben, und dann geht einer los und schießt.“
„Wie konkret die Gefahr am Ende war, das werden die Ermittlungen zeigen müssen“, assistiert der WDR-Reporter. Dabei dürfe es nicht nur um die Ziele der Terroristen gehen: „Die RAF hat nicht ihr sozialistisches Utopia bekommen, und der NSU nicht sein Viertes Reich. Gemordet haben sie trotzdem!“
Beängstigendste Aufzählung
Die Talkmasterin nimmt ihren Zettel zu Hilfe: „Da gehört dieser Prinz dazu, der Immobilienhändler ist. Ein ehemaliger Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons, eine Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, ein Polizist, ein Koch, eine Astrologin. Eine krude Mischung! Was verbindet die?“
„Eine Staatsfeindlichkeit“, antwortet der Journalist trocken. „Eine Demokratiefeindlichkeit. Elemente, die antisemitisch sind. Sehr viele aus der QAnon-Bewegung, einer Internetsekte. Menschen, für die Trump ein Heilsbringer ist und die an pädokriminelle Eliten glauben. Menschen, die sich in der Corona-Pandemie radikalisiert haben.“
Einprägsamstes Fachwort
„Man liest jetzt von dem ‚Salatbar-Extremismus‘, zitiert Will. „Was ist das?“
„Den Begriff hat das FBI geprägt, weil man irgendwann keine Kategorien mehr hatte für das, was da entsteht“, erläutert Flade. „Die Amerikaner reden sehr viel von der ‚Domestic violence‘, also der gewaltorientierten inländischen Extremistenszene.“
Alarmierendste Erinnerung
FDP-Baum hält die Reichsbürger sogar für noch gefährlicher als die RAF, die er bis 1982 als Bundesinnenminister bekämpfte, denn: „Der Generalbundeanwalt hat gesagt, die Gefahr kommt aus der Mitte, nicht von den Rändern.“
Bedenklichstes Beispiel: „Die Weimarer Republik ging zugrunde, weil das Bürgertum die Demokratie nicht verteidigt hat“, warnt der Ex-Minister und hebt abwehrend die Hände: „Die RAF hat das Volk nicht erreicht, aber hier gibt es Leute, die das Volk erreichen, und das macht mir Sorgen!“
Härtester Vorwurf
Auch Linke-Wissler findet es „notwendig, dass man die Reichsbürger nicht als harmlose Spinner abtut, auch wenn ihre Pläne größenwahnsinnig sind.“
Prompt hält ihr Will ein Zitat ihrer Parteigenossin Martina Renner vor. „Diese Razzia wirkt wie eine PR-Aktion„, hatte die Bundestagsabgeordnete kritisiert. Die Info an die Presse mindestens eine Woche zuvor habe nicht nur den Erfolg der Aktion, sondern auch die Sicherheit der Beamten gefährdet. Rumms!
Überraschendste Erklärung
„Wann und wie haben Sie von der bevorstehenden Razzia erfahren?“, erkundigt sich die Talkmasterin bei dem Reporter. Flades flapsige Antwort: „Also ich kann mich nicht erinnern, dass ich zum Kaffee bei Frau Faeser eingeladen war und dann irgendwie Adressen bekommen hätte.“
Als niemand lacht, wird der Journalist rasch wieder ernst: „Wir wussten, dass diese Razzien kommen würden“, meldet er, „und zwar grob zwei Wochen vorher. Durch Kontakte und Recherche.“ Uff!
Verblüffendste Erklärung
Will hat gelesen, dass „einer der Beschuldigten schon ein paar Tage vorher seine Nachbarin über die Razzia informiert“ habe. „Das ist ja auch nicht im Sinne des Erfinders“, murrt sie.
„Wenn das der Fall ist, muss das aufgeklärt werden“, fordert Flade irritiert. Tatsächlich sei etwa bei der Festnahme des Prinzen eine Kollegin dabei gewesen, aber: „Wir sitzen da nicht drei Tage vor dem Haus im Auto. Wir gefährden keine polizeilichen Maßnahmen.“
Gretchenfrage des Abends
Die Talkmasterin sucht nach Erklärungen für die vielen undichten Stellen: „War das genauso gewollt“, forscht sie listig. „weil das ja auch einen demonstrativen Effekt hat und zeigt, wie wehrhaft eine Demokratie ist?“
„Nein“, dementiert die Ministerin energisch, lässt sich aber ein Hintertürchen offen: „Wenn vorher informiert wurde, durch die Sicherheitsbehörden, dann muss man das aufklären.“
Unfairster Vergleich
Danach zeigt Will ein Foto des CDU-Ministers bei einer Clan-Razzia: „Sie sind persönlich anwesend gewesen und haben sich auch nicht vor den Kamera wegeduckt“, höhnt sie. „Gefährden solche Inszenierungen nicht die Sicherheit der Einsatzkräfte und dienen letztlich nur Ihnen als Innenminister?“ Horrido!
„Jetzt müssen wir nicht alles durcheinander bringen“, wehrt sich Reul. „Razzien und Hausdurchsuchungen machen immer nur Sinn, wie Frau Faeser gesagt hat, wenn man sie geheim hält. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Und wenn, wird geklärt, wer da gequatscht hat!“
Dann gibt es Zoff
Die Linke-Chefin will immer wieder darauf hinaus, dass es bei Polizisten und Soldaten ein „strukturelles Problem“ gebe. Reul verliert langsam die Geduld: „Da liegen Sie total daneben!“, wettert er mit erhobenem Zeigefinger. „Das ist wirklich grober Unsinn! Das ist der Unterschied: Dumm schwätzen oder sich drum kümmern!“
Schwungvollster Rückzieher
Dann geht es ans Eingemachte: Will möchte wissen, wie genau die Ministerin Problem-Beamte zu feuern gedenke: „Sie wollen das Disziplinarrecht ändern und die Beweislast umkehren“, erinnert sie. „Wie stellen Sie sich das vor?“
Faesers Antwort macht die Runde sprachlos: „Nein, ich will nicht die Beweislast umkehren“, dementiert die Ministerin plötzlich. Wie bitte? Echt jetzt? Nach all der Aufregung? Kalte Füße?
Feinsinnigste Unterscheidung
Danach ist Faeser sichtlich um eine halbwegs überzeugende Begründung für den plötzlichen Sinneswandel bemüht: „Ich habe das etwas umgangssprachlich verkürzt im Fernsehen berichtet“, entschuldigt sie sich flau.
Ihre neuer Ansatz: „Ich will das Disziplinarrecht so aufstellen, dass es keiner Verwaltungsgerichtsklage mehr bedarf, um Bedienstete aus dem öffentlichen Dienst zu bekommen, sondern dass das mittels eines Verwaltungsaktes geschehen soll.“
Wackeligste Beweisführung
„Das geht dann schneller“, begründet Faeser ihre Idee, „das ist einfacher nachzuweisen, und es ist handhabbarer.“ Denn: „So ein Verwaltungsgericht vorzubereiten ist auch innerhalb der Verwaltung nicht ganz banal. Dort müssen wir einfach schneller werden.“
„Also statt eines Verwaltungsgerichts entscheidet jetzt die Behörde selbst“, übersetzt die Talkmasterin unter heftigem Nicken der Ministerin. „Derjenige hat dann die Chance, dagegen zu klagen und zu sagen: Ich bin unschuldig.“
Alles klar? „Der Begriff (Beweislastumkehr, d.Red) kommt aus der Mafiabekämpfung“, zweifelt Flade. „Beweise mir, wie du deine Villa oder den Ferrari finanziert hast, ansonsten nehme ich ihn dir weg.“
Das aber, so der Reporter weiter, „ist bei Verfassungstreue etwas schwierig. Was soll denn dieser Mensch tun? Soll er seine Hand auf das Grundgesetz legen und irgendwie noch mal schwören?“ Lautes Schweigen von FDP-Baum und CDU-Reul.
Sachlichste Analyse
Auch bei den Reichsbürgern in Uniform hat Flade Einwände: „Da sind ehemalige Soldaten dabei, deren Dienstzeit lange zurückliegt“, merkt er an. „Und auch bei der Polizei Leute, die schon länger krankgeschrieben, nicht mehr im Dienst sind.“
Gefahren gebe es jedoch, warnt der Reporter, bei Spezialkräften mit ihrem „komischen Korpsgeist“, den man in der Wissenschaft „toxische Polizei“ oder „Cop culture“ nenne. Das sei etwa beim KSK extrem aufgefallen.
Letztes Gefecht
„Im Moment haben wir eine abenteuerliche Diskussion darüber, was alles geschützt werden muss im Netz“, beklagt sich die Ministerin zum Schluss. „Für mich ist es wichtig, dass wir hart durchgreifen können auch bei Dingen, die im Netz geschehen. Ich würde mir wünschen, dass es dafür Mehrheiten gibt!“
Denn, so Faeser angriffslustig: „Es ist nicht überall gleichermaßen, dass gegen Hass und Hetze insbesondere aus dem rechtsextremistischen Milieu durchgegriffen werden kann. Dafür brauche ich ein paar Instrumente.“ Amen!
Zitat des Abends
„Ich rede immer nur über Sachen, die ich weiß.“ Herbert Reul
Fazit
Die Demokratie hat aufmunitioniert und die Medien stehen geschlossen im Wachdienst, aber leider gab‘s auch voreilige Versprechungen, Schnellschüsse ins Blaue und peinliches Parteiengezänk: Das war ein Bundeswarntalk der Kategorie „Abwehrfehler“.