„Hart aber fair: „Auf der Flucht vor Putin: Wie können wir helfen?“ ARD, Montag, 14.März 2022, 21 Uhr.
Putins Blitzkrieg ist gescheitert. Jetzt Stellungskrieg. Dann Partisanenkrieg? Immer mehr Frauen, Kinder und Alte retten sich auch nach Deutschland. Frank Plasberg will was tun. Die Gäste:
Saskia Esken (60, SPD). Die Parteichefin bleibt dabei: „Die Energieimporte aus Russland stoppen geht leider nicht von heute auf morgen.“
Katja Kipping (44, Linke). Berlins Sozialsenatorin meldet jeden Tag bis zu 10.000 ukrainische Flüchtlinge: „Höchste Zeit, dass die bundesweite Verteilung kommt!“
Vassili Golod (29). Der WDR-Journalist mit russisch-ukrainischen Wurzeln wurde eine Stunde vor der Sendung positiv getestet und diskutiert deshalb aus einem WDR-Büro mit.
Markus Kaim (53). Der Politologe warnt: „Der Krieg wird jetzt von Putin in die Westukraine ausgeweitet.“
Sergei Osachuk (50). Der Gouverneur von Czernowitz im Südwesten schlägt Alarm: „Wenn Putin unsere Atomkraftwerke angreift, hat ganz Europa unter den Folgen zu leiden!“
Prof. Dirk Reinhardt. Der Chefarzt versorgt krebskranke Kinder aus der Ukraine.
Militärisch haben wir noch Luft nach oben, aber humanitär sind wir ziemlich weit vorn. Gibt‘s darüber Streit? Das Zoff-o-Meter ist gespannt!
Erschütterndster Lagebericht
Aus dem besonders brutal zerbombten Mariupol wird Vize-Bürgermeister Sergej Orlow zugeschaltet. „Eigentlich gibt es unsere Stadt nicht mehr“, kommentiert er die erschreckenden Folgen russischer Luftangriffe. „Grosny, Aleppo: So sieht es jetzt auch in unserer Stadt aus.“
„Das ist eine Handschrift der russischen Kriegsführung der letzten Jahre“, stellt Experte Kaim fest. „Wir haben es mit einer großen Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung zu tun.“ Rücksichtlosigkeit? Ist das nicht viel zu milde?
Überflüssigste Satzzeichen
„Wenn Kiew einmal umzingelt ist, können wir davon ausgehen, dass es zehn bis 14 Tage dauern wird, bis die Stadt fällt“, sagt Kaim voraus.
„Trotz allen in Anführungsstrichen heldenhaften Kampfes der ukrainischen Armee“, fügt der Experte dann hinzu, „wird das gegen die nackte Gewalt wahrscheinlich nicht ausreichen.“ In Anführungsstrichen? Diese Kämpfer haben sicher nicht verdient, dass man ihr Heldentum mit Gänsefüßchen reduziert!
Ungewohnteste Formulierung
„Wir haben mit der Waffenlieferung in ein Kriegsgebiet bereits rote Linien der deutschen Außenpolitik überschritten“, meint Esken, sollten aber „nichts tun, dem Konflikt über die Grenze der Ukraine hinaus auszuweiten.“ Das muss auch noch geübt werden: „Konflikt“ klingt eher nach Kreml-Sprech, bei Zehntausenden Toten!
Immerhin findet die SPD-Chefin für Putins Vorgehen den passenden Begriff: „Wir müssen sehen, dass diese Brutalität auch weitergehen wird“, warnt sie. „Wir müssen mit allem unterstützen, was wir können.“
Überraschendste Antwort
Plasberg wird hellhörig: „Aber keine Nato-Soldaten in ukrainischem Gebiet!“, will er sich vergewissern.
Doch die SPD-Chefin lässt sich nicht einbremsen: „Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, wo wir zu nichts ‚niemals‘ sagen sollten“, erwidert sie knallhart, „weil wir nicht wissen, wie die Entwicklung weitergeht.“ Ui! Ist das mit dem Kanzler abgesprochen?
„Aber nach derzeitigem Stand wäre das ein Beitrag zur Eskalation“, ergänzt Esken immerhin noch, „und da sollten wir sehr, sehr vorsichtig sein.“
Stärkster Tobak
Plasberg traut seinen Ohren trotzdem nicht: „Ich habe aufmerksam zugehört“, kommentiert er. „Das ist kein Nein!“
Der Politologe schnaubt und lächelt unsicher, doch die SPD-Chefin bleibt auf Kurs: „Die Situation ist so, dass wir eigentlich zu nichts ‚niemals‘ sagen können“, wiederholt sie, „weil wir nicht wissen, wie sich die Situation weiterentwickelt.“
„Aber derzeit haben wir immer noch Hoffnung, dass wir die Möglichkeit habe, diese kriegerische Auseinandersetzung zu beenden“, fügt sie hinzu, „und zwar in dem Status, in dem sie sich jetzt befindet.“ Mannomann!
Traurigstes Wiedersehen
Zur Illustration zeigt Plasberg Bilder aus Charkiw: „Das ist die Geburtsstadt unsere Gastes Vassili Golod“, erläutert er. „Ich weiß gar nicht, ob er die Bilder jetzt sehen kann in seinem Büro.“
Kann er, und ist entsprechend bedrückt: „Große Teile des Zentrums zerstört, wichtige Gebäude zerstört“, klagt er. „Es tut einfach weh, das zu sehen. Es tut generell weh, solche Bilder zu sehen, aber wenn man wie ich an diesen Orten war, tut das einfach doppelt weh.“
Überfälligste Abreibung
„Die Menschen, die sich jetzt wundern und sagen, Mensch, vor ein paar Monaten war Putin doch noch ein normaler Typ, die täuschen sich“, schimpft der Journalist dann, und Esken nickt heftig.
Golods scharfes Geschütz: „Es gibt leider Teile der SPD und Teile der Linkspartei, die in den vergangenen Jahren im deutschen Diskurs immer wieder dazu beigetragen haben, dass diese Politik Putins mit Doppelstandards legitimiert wurde, nach dem Motto: Naja, das ist halt so in Russland.“
Emotionalste Anklage
„Es bricht mir doppelt das Herz“, wettert der Journalist weiter, „wenn ich sehe, dass die Ukraine, das Land, in dem ich geboren wurde, in großen Teilen zerstört wurde und dass Russland, das Land, in dem mein Opa noch lebt, immer mehr Freiheiten verliert und sich selber isoliert durch Wladimir Putins Politik.“
Plasberg findet für die Kritisierten eher milde Worte: „Sie haben eben Linkspartei und SPD erwähnt“, sagt er zu Golod, aber „das ist ja auch eine positive menschliche Eigenschaft, dass man Irrtümer zugeben kann.“ Amen!
Dramatischste Schilderung
„Am Donnerstag vor zweieinhalb Wochen hat Putins brutaler Angriffskrieg begonnen. Am Tag danach habe ich sofort entschieden, Berlin muss jetzt die Herzen und Arme öffnen und für die Kriegsflüchtlinge da sein“, berichtet Kipping.
„Seitdem“, so die Senatorin weiter, „ist jeder Tag ein Wahnsinnswettlauf, weil wir merken, es kommen sehr viele, und das ist erst der Anfang. Verantwortungsvolles Handeln heißt, optimistisch zu sein, aber auch immer vom schlimmsten Fall auszugehen.“ Passt!
Beklemmendster Frontbericht
„Am ersten Kriegstag in den frühen Morgenstunden sind 80 Kilometer von hier Raketen explodiert, und die Explosionswelle reichte bis zu meiner Wohnung“, meldet Gouverneur Osachuk aus Czernowitz. „In der Ukraine ist niemand mehr in Sicherheit. Es gibt keine ruhige Minute mehr.“
Seine klare Forderung: „In Europa brennt das Haus. Bitte gebt uns Feuerlöschkommandos und nicht Reinigungskräfte! So wichtig es auch ist, Flüchtlinge zu versorgen: Wir müssen stärker gegen die Ursachen vorgehen. Man muss Klartext sprechen: Es ist ein Völkermord!“
„UNO, OSZE, EU, Nato: Alle diese Organisationen sind Schnee von gestern“, meint der Gouverneur. „Jede muss sich neu bewähren, wie die Ukraine sich im Kampf bewährt hat.“
Wichtigster Hinweis
„Gemäß der UN-Charta hat die Ukraine nicht nur das Recht, sich zu verteidigen, sondern sie kann auch fremde Mächte einladen, sie dabei zu unterstützen“, stellt der Politologe klar. „Die russische Seite hat das 2015 gemacht, indem sie sich von der syrischen Seite hat einladen lassen.“
Kaims weitreichende Schlussfolgerung: „Es wäre also ein völlig legaler Vorgang, Truppen westlicher Staaten in den Kampf zu schicken oder zumindest auf ukrainischem Territorium zu stationieren.“
Beängstigendste Nachricht
Außerdem, so Kaim, „kursiert seit einigen Tagen die nicht unberechtigte Sorge, dass die russische Seite Massenvernichtungswaffen einsetzt. Chemiewaffen oder biologische Waffen. Das kommt aus den amerikanischen Geheimdiensten. Über die kann man viel sagen, aber sie sind in den letzten Monaten exzellent informiert gewesen und haben sehr viel vorausgesagt.“
„Dann aber“, so der Experte weiter, „könnte ich mir vorstellen, dass ein Schrei durch die westlichen Metropolen geht, der lauten wurde: Jetzt muss irgendjemand irgendetwas tun!“ Aber das ist Spekulation. Uff!
Die SPD-Chefin lobt Kaim: „Frau Esken war so ehrlich, zu sagen: Es wäre vermessen, in der dritten Woche des Krieges Dinge auszuschließen, die die Bundesrepublik vielleicht in der Woche 17 für nötig erachtet. Diese Möglichkeiten müssen wir uns offenhalten.“ Rumms!
Groteskester Gendersprech
„Ich suche irgendwie ein positives Ende für diese Gespräch“, ächzt Plasberg im Interview mit dem Gouverneur.
Doch der Stoßseufzer des Talkmasters weckt bei Kaim kein Mitleid: „Ich bleibe skeptisch“, urteilt der Experte über die Chancen auf baldigen Frieden und spottet: „Ich ruiniere Ihren Abend vollends.“
Seine ernstgemeinte Zugabe: „Es ist die große Hoffnung, die wir haben, dass wir einen Regimewechsel in Moskau haben, nächste Woche, und der neue Machthaber, die neue Machthaberin einen Friedensschluss mit der Ukraine plant.“ Heidewitzka!
Bewegendste Bilder
Der letzte Einspieler zeigt die Ankunft krebskranker Kinder aus der Ukraine in Köln. „Sie machen sich Sorgen um die Väter, die zurückgeblieben sind“, schildert Prof. Reinhardt.
Seine Diagnose: „Wir müssen uns nicht nur um die Krebsbehandlung kümmern, sondern auch um die Traumata, die die Kinder, die Familien, die Geschwister erlitten haben.“ Traurige Erkenntnis: „Wir werden nicht alle Kinder heilen können. In Berlin sind auch Kinder angekommen, denen man nicht mehr helfen konnte.“
Befremdlichste Frage
„Gleich diese massive Bewährungprobe!“, funkt Plasberg zum Schluss die SPD-Chefin an. „Hätten Sie sich manchmal gewünscht, dass Frau Merkel noch da wäre und Strukturen, die eingeübter waren, in dieser Krisensituation zur Verfügung stünden?“
Was denkt sich der Talkmaster wohl bei so einer Frage? „Ich bin sehr, sehr froh, dass Olaf Scholz unser Bundeskanzler ist“, antwortet Esken trocken. Soll heißen: Jetzt wird geführt wie bestellt und nicht mehr herumgemerkelt!
Fazit
Ausgewogene Analysen, mutige Statements und bewegende Berichte, leider aber auch ein selbstbezogener Vorturner mit Hang zu abgeschmackten Späßen. Trotzdem ein Talk der Kategorie „kriegsverwendungsfähig“.