„Maybrit Illner: „Krieg in der Ukraine – Zeitenwende für Deutschland?“ ZDF, Donnerstag, 31.März 2022, 22.15 Uhr.
Putin zieht die Schlinge immer enger: Drohungen, Lügen, Täuschungsmanöver, Hungerblockaden und brutaler Bombenterror gegen Frauen, Kinder, Alte, Kranke. Maybrit Illners Gäste:
Christine Lambrecht (56, SPD). Die Verteidigungsministerin meldet mal wieder Waffen für die Ukraine, aber Kiew weiß nichts davon. Was ist da los?
Roderich Kiesewetter (58, CDU). Der Verteidigungspolitiker und Oberst a.D. warnt davor, auf ein Kriegsende durch Verhandlungen zu hoffen: „Putin will, dass die Ukraine zerfällt!“
Luisa Neubauer (25, Grüne). Die Klima-Aktivistin („Fridays for future“) will Putins Krieg für eine „radikale Energiewende“ nutzen.
Siegfried Russwurm (56). Der Industrie-Präsident warnt vor einem Importstopp für Öl und Gas aus Russland: „Wir sollten uns nicht mehr schaden als dem Aggressor!“
Jana Puglierin (42). Die Politologin schlug schon vor Wochen Alarm: „Putins Ziel ist es, die Kontrolle über die gesamte Ukraine zu erreichen!“
Robin Alexander (46). Der Journalist (WELT) twittert, dass die Ukraine die Liste deutscher Waffenlieferungen von Wladimir Klitschko im Berliner Wirtschaftsministerium abholen lassen musste. Wie peinlich ist das denn!
Viele Stimmen, viele Interessen. Was passt zusammen, was nicht? Zum Start ein klarer Blick auf die Lage.
Der Oberst a.D. warnt erst mal vor westlicher Blauäugigkeit: „Ich sehe die ganz große Gefahr, dass Russland Umgruppierungen vornimmt und das als Truppenabzug bezeichnet!“, gibt er zu Protokoll. Putin werde uns weiter an der Nase herumführen.
„Es geht darum, weiter ukrainische Kräfte zu binden, gleichzeitig einen Transfer russischer Truppen in den Donbass vorzubereiten und dort einen erneuten Angriff zu starten“, assistiert Politologin Puglierin, aus Berlin zugeschaltet. Die Rückeroberungen der Ukrainer seien „durchaus nennenswert“.
Jüngste Erkenntnisse
„Es wird nicht mehr so sein wie vorher“, ahnt BDI-Präsident Russwurm. „Es wird lange dauern, bis diese Narben verheilt sind. Bei aller Systemrivalität gab es immer einen Grundkonsens, und den hat Putin jetzt aufgekündigt.“
FFF-Aktivistin Neubauer sitzt angriffslustig auf der Stuhlkante und spult ihr Programm ab: „Wir sehen, dass diese Fossilabhängigkeit keine Zukunft hat! Man muss eine wirklich radikale Energiewende machen! Die muss jetzt schneller kommen!“
Drastischste Schilderung
„Nord Stream 2 war die nächste Schlinge, die Putin gelegt hat“, stellt WELT-Journalist Alexander fest. „Die Ukrainer haben auf den Fußmatten des deutschen Regierungsviertels gewinselt: Lasst das sein! Seid ihr wahnsinnig!“
Sein schwerer Vorwurf: „Putin hat das, was er jetzt tut, schon einmal getan: in Syrien. Und wir haben trotzdem weiter mit ihm Geschäfte gemacht. Er dachte augenscheinlich, dass er weitermachen kann!“
Härteste Abrechnung
„Dass wir diesem Mann die Illusion gegeben haben, wir wären als Gesellschaft so käuflich, das ist doch etwas, was wir alle zusammen bedenken müssen“, schimpft Alexander. „Die Politik von Frau Merkel und Herrn Steinmeier war historisch falsch. Das müssen wir aufarbeiten.“ Rumms!
Unbekümmertstes Eigenlob
Aus New York erscheint die Verteidigungsministerin auf dem Schirm. „Was ich hier gehört habe, ist, dass das, was Deutschland leistet, hoch geschätzt wird“, strahlt sie trotz der zuletzt massiven Kritik.
Das gelte für die Waffenlieferungen, aber ebenso nach den 100 Milliarden für die Bundeswehr, erläutert sie und versichert mit beschwörenden Handbewegungen: „Wir sind ein verlässlicher Partner!“
Umstrittenste Begründung
„Ich werde auch in Zukunft nicht über Waffenlieferungen sprechen“, kündigt Lambrecht dazu an, „weder wann, wieviel und was geliefert wird. Weil, es ist ein Sicherheitsrisiko. In dem Moment, wo ich darüber spreche, werden diese Transporte zur Zielscheibe!“
Sie wolle nicht, „dass Putin genau weiß, über welche Waffen die Ukraine verfügt“, fügt sie hinzu. „In einer Größenordnung von über 80 Millionen Euro ist bisher aus Deutschland geliefert worden!“
Heftigste Ohrfeige
Der WELT-Mann schüttelt staunend den Kopf. „Ich kann das gar nicht nachvollziehen, was Frau Lambrecht da sagt“, wundert er sich. „Wenn man die Ukrainer fragt, sind sie gar nicht zufrieden. Sie haben jetzt tatsächlich selber Waffen eingekauft.“
Denn: „Dann liegt die Federführung für die Genehmigung nicht bei Frau Lambrecht, sondern beim Wirtschaftsministerium“, erläutert Alexander. „Und das ging sehr viel schneller, als es bei Frau Lambrecht gegangen ist.“ Patsch!
Bürokratischster Schwurbelanfall
„Ich habe gerade gestern wieder mit meinem ukrainischen Kollegen telefoniert“, wehrt sich die Ministerin. „Da ging es um eine Endverbleibsabgabe, die hat ihn sehr erfreut. Er und ich, wir sind in einem konstruktiven und vor allem kontinuierlichen Austausch.“ Heidewitzka!
„Ich habe ja auch die Verantwortung, dass die Bundeswehr nur das abgibt, was sie in der Lage ist“, erklärt sie dazu. „Damit sie weiter gewährleisten kann, dass die dem Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung nachkommen kann.“ Und noch einmal: „Größenordnung von über 80 Millionen!“
Peinlichster Einspieler
Die Talkmasterin will die Verteidigungs- durch die Außenministerin einbremsen: „Mir geht es bis auf die Nieren“, hatte sich Annalena Baerbock vergangene Woche beschwert, „wenn ich den Anruf bekomme von meinem ukrainischen Kollegen: Wo sind die Waffen?“
Lambrechts Lippen werden noch etwas schmaler. „Wir haben uns entschieden in der Bundesregierung, dass wir die gesamten Lieferungen über den Bundessicherheitsrat laufen lassen“, verteidigt sie sich. „Das ist eine abgestimmte Position der Bundesregierung. Und ich sag’s noch mal: 80 Millionen!“
„Haben wir jetzt schon zum dritten Mal“, registriert Illner mit erhobenem Zeigefinger. Uff!
Dann geht das Zoff-o-Meter richtig los
„Mir fehlt eine klare Information unserer Bevölkerung“, kritisiert Kiesewetter. „Sie muss darauf vorbereitet werden, dass diese schwierige Sicherheitslage einen Preis hat. Ich wünsche mir, dass die Verteidigungsministerin die Beschaffung beschleunigt. Da muss man eine Organisationsreform machen!“
Die nächste Watsche kommt von der Politologin: „Waffenlieferungen an die Ukraine sind die Lebenslinie der Ukraine. Frau Lambrecht hat von 80 Millionen gesprochen. Die Esten geben an, 220 Millionen investiert zu haben. Vielleicht setzt das den deutschen Beitrag in die Perspektive.“ Klatsch!
Energischstes Räumkommando
Alexander haut auch noch mal drauf: „Erst mal möchte ich gerne eine Nebelkerze aufheben, die Frau Lambrecht wiederholt geworfen hat“, kündigt er an.
Dann kommt es knüppeldick: „Wenn wir als Journalisten oder auch Parlamentarier uns erkundigen, ob die Industrie Waffen liefert, dann wollen wir doch nicht die Wege beschreiben, wie die in die Ukraine gebracht werden!“, blafft der Journalist die Ministerin an. „Wir sind doch nicht verrückt!“
Ungnädigster Anpfiff
„Es geht uns darum den Umfang zu kennen. Das ist etwas ganz anderes“, erbost sich Alexander. „Ich finde es empörend, dass diese Nebelkerzen-Kommunikation gemacht wird, weil, die rückt uns in eine Position, als wären wir verantwortungslos. Das sind wir nicht!“
Seine ernüchternde Rückschau: „Erst wurden Panzerfäuste und Stinger-Raketen geliefert. Dann hieß es: Wir sprechen nicht mehr darüber. Wochenlang ist gar nichts passiert. Da sind Essensrationen geliefert worden. Dann hat Frau Lambrecht gesagt: Die Arsenale der Bundeswehr sind erschöpft. Danach wurden plötzlich wieder Panzerfäuste gefunden…“ Heiliges Kanonenrohr!
Verrückteste Kapriolen
Lambrecht startet ein Ablenkungsmanöver: „Wir reden auch über ganz andere Probleme bei der Bundeswehr“, klagt sie. „Beispielsweise, dass wir keine kompatiblen Funkgeräte haben. Dass wir im Einsatz uns nicht mit anderen Nationen austauschen können.“ Ächz!
Bei der Beschaffung gehe es darum, „zu schauen, was gibt es, ohne etwas zu entwickeln“, lehrt sie der Runde. Ihr erschütterndes Beispiel: „Die Entwicklung von einem Bundeswehr-Rucksack, selbst die gab es. Für mich nicht nachvollziehbar, wie man auf diese Idee kommt!“ Ende Gelände. Die Ministerin wird abgeschaltet.
Erwartbarste Attacke
FFF-Neubauer hat eine Dreiviertelstunde lang brav zugehört. Jetzt holt Illner sie wieder in die Debatte, und die Aktivistin stemmt angriffslustig die dicken Turnschuhsohlen in die Auslegeware.
„Das Entlastungspaket der Bundesregierung beinhaltet eine fossile Subvention für Sprit“, schimpft sie und rudert empört mit den Armen. „Das trifft vor allem die Reichsten mit den größten Autos, die am meisten fahren können.“ Is klar!
Ehrlichstes Geständnis
„Ja, wir haben eine Friedensdividende eingefahren“, gibt der BDI-Präsident bereitwillig zu. „Gas ist ein extrem effizienter Energieträger. Auch, was Klimagase angeht.“
„Das ist wirklich großer Quatsch!“ funkt Neubauer sofort dazwischen. Fossil ist bäh!
Interessanteste Statements
„Wir finanzieren mit dem Import aus Russland das System, aber nicht diesen Krieg“, behauptet Russwurm als nächstes.
„Unsere Fraktion ist bereit, auf Nord Stream 1 zu verzichten“, berichtet Kiesewetter. „Das ist etwas, wo wir der Öffentlichkeit zeigen, und auch der Bevölkerung, und auch der Ukraine, dass wir bereit sind, einen Preis zu zahlen!“
Optimistischste Analyse
„Es geht darum, den Druck auf Putin zu erhöhen“, mahnt die Politologin. „Es gibt schon kleine Zugeständnisse Russlands. Auch wenn es noch nicht bereit ist, wirkliche Zugeständnisse zu machen, sieht man mittlerweile schon, wie schlecht die russische Armee vorankommt.“
Schlimmste Gefahr
„Wie halten wir es denn durch, wenn der Krieg weitergeht?“, sorgt sich Alexander. „Die Amerikaner warnen, dass der Chemiewaffeneinsatz eine Option ist. Wenn das passiert, in einer Großstadt, 30.000 Tote: Wollen wir dann weiterzahlen?“
„Wir reden über eine ganz andere Art des Zusammenbrechens unserer Industrie!“, warnt der BDI-Präsident zum Schluss. „Wer es jetzt noch nicht gemerkt hat, in seinem Haus oder an der Tankstelle, wer jetzt noch nicht massiv spart, wer jetzt noch mehr Lenkungswirkung braucht, dem ist wahrscheinlich nicht zu helfen.“ Amen!
Zitat des Abends
Fazit
Nach dem naiven Zipfelmützen-Putinismus auf sumpfigen Gedankenpfaden bricht jetzt ein eifriges Wettentrüsten auf extrem steilen Lernkurven aus. Hoffentlich nicht zu spät! Das war schon eine Show der Kategorie „Talk auf dem Vulkan“.