„Anne Will: Mehr Waffen für die Ukraine – ist das der Weg zum Frieden?“ ARD, Sonntag, 8.Mai 2022, 22 Uhr.
Erst Geparden, dann Haubitzen, demnächst Kampfpanzer? Der Bundeskanzler teilt im Fernsehen Beruhigungspillen aus. Anne Wills Reaktion Gäste:
Kevin Kühnert (32, SPD). Der Generalsekretär hat in Kiel eine Wahl-Klatsche kassiert; im Talk droht die nächste, durch Klartext-Diplomat Andrij Melnyk.
Britta Haßelmann (60, Grüne). Die Fraktionschefin twittert: „Putin und seine Befehlshaber müssen vor dem Internationalen Strafgericht zur Verantwortung gezogen werden!“
Andrij Melnyk (46). Der Botschafter fordert ein Mahnmal in Berlin für die acht Millionen ukrainische Opfer der Nazi-Gewaltherrschaft. Am Revers trägt er die rote Mohnblume als Symbol des Sieges über Hitler-Deutschland.
Ruprecht Polenz (75, CDU). Der frühere Generalsekretär ist Präsident der Osteuropakundler und will, dass der Bundeskanzler zum Kriegsende in Kiew antritt: „Scholz sollte reisen!“
Harald Welzer (63). Der Soziologe ist Mitunterzeichner des umstrittenen „Emma“-Schreibens an den Bundeskanzler wg. Waffenlieferungen.
Anne Wills bunte Alarmrotte: Fünf Gäste, auch fünf Positionen?
Streitbarste Brieffeinde
Soziologe Welzer hat bei Alice Schwarzer unterschrieben und lästert erst mal über den Bundeskanzler ab: „Ich habe mir die ganze Rede um halb acht angehört und ich finde sie hochgradig indifferent“, murrt der Wissenschaftler. „Mir war relativ wenig mehr klar geworden, als mir um 19.15 Uhr klar gewesen ist.“ Uff!
CDU-Politiker Polenz unterzeichnete den Gegenbrief und kommt mit der Scholz-Politik besser zurecht: „Nach der Zeitenwende-Rede habe ich gedacht, jetzt ist der Kurs klar, dann kam doch ein Stolpern. Jetzt habe ich die Hoffnung, dass das durchgestanden ist. Er sammelt jetzt seine Regierung hinter sich für die Fortsetzung des Kurses.“
Knalligster Kommentar
Kühnert findet die Kritik an der Kommunikation des Kanzlers „bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass er in den vier, fünf Monaten seiner Amtszeit mehr kommuniziert hat als seine Vorgängerin in zwei Wahlperioden!“
Zu den Gegenmaßnahmen sagt der SPD-General: „Wir treffen harte Entscheidungen, aber wir behalten dabei im Blick, dass wir den Kriegstreiber Putin und seinen engsten Machtzirkel sanktionieren wollen und nicht, um Putin zu schaden, uns selber ins Knie schießen werden.“ Rumms!
Enttäuschteste Reaktion
„Wir hätten uns in dieser Rede mehr Konkretes gewünscht“, klagt Botschafter Melnyk. Seit Wochen gebe es „keine Bewegung“ bei den Waffenlieferungen, „auch keine Munition in Brasilien, also diese Entscheidung wird wahrscheinlich hinfällig sein.“ Puh!
Im Zweiten Weltkrieg hätten die Westalliierten an die Sowjetunion 14 000 Flugzeuge, 8000 Panzer und 7000 Flakgeschütze geliefert“, rechnet der Diplomat vor, „und wir reden hier über sieben Panzerhaubitzen!“
Schlimmster Schwurbelanfall
Der Soziologe möchte das Studio zum Hörsaal umfunktionieren: „Wir haben es hier mit einem Gewaltprozess zu tun“, doziert er, „und dieser Gewaltprozess ist dadurch gekennzeichnet, dass er selber eine Steigerung hervorbringt.“
Seine Erkenntnis: „Aus der Eskalationsdynamik der militärischen Gewalt resultiert die Gefahr einer zunehmenden Entgrenzung des Krieges. Kriegerische Gewalt ist ein sozialer Prozess ganz eigener Qualität. Ein beständiges Spiel von Aktion und Reaktion. Eine Verkürzung von Überlegenserwägungsphasen.“ Heidewitzka!
Energischster Widerspruch
Welzers wichtigster Satz ist ein Zitat des Philosophen Jürgen Habermas: „Ein Krieg gegen eine Atommacht kann nicht im herkömmlichen Sinn gewonnen werden“.
„Falsch!“, kontert Polenz. „Die Amerikaner haben in Vietnam verloren. Die Amerikaner haben gemeinsam mit zwei anderen Atommächten, Frankreich und Großbritannien, in Afghanistan jedenfalls nicht gewonnen. Und auch die Sowjetunion hat in Afghanistan nicht gewonnen.“
Schlüssigste Definition
„Man kann natürlich sagen: Das ist ein Gewaltprozess, wie Sie das als Soziologe sagen“, erklärt der CDU-Haudegen. „Ich würde es präziser bezeichnen als einen Angriffskrieg!“
Denn, so Polenz weiter: „Das Ziel von Putin ist, die Ukraine als Staat auszulöschen. Und wenn er jetzt von Denazifizierung der Ukraine spricht, meint er, dass jeder Ukrainer, der sich nicht als Russe fühlt, ein Nazi ist. Die kommen in Infiltrationslager und landen irgendwo in Sibirien.“
Prompt dreht das Zoff-o-Meter hoch
Der Soziologe hat sich tief in seinen Sessel gegraben. „Die Frage der permanenten Aufrüstung hat kein logisches Ende“, referiert er und fuchtelt mit den manikürten Händen. „Wenn ich eine Situation der gleichen Stärke herstelle, ist das Ergebnis ein dauerhafter Zermürbungs- oder Abnutzungskrieg mit immer mehr Opfern…“
Jetzt ist der Bock aber fett! „Das ist eine völlige Illusion, was Sie und Ihre Kollegen da anbieten“, ärgert sich der Botschafter und ätzt: „Es ist einfach für Sie, in Ihrem Professorenzimmer zu sitzen und zu philosophieren!“
Parteiischste Aufforderung
Die Talkmasterin greift ein: „Nicht diskreditieren“, mahnt sie den Ukrainer streng, denn: „Es sind ja viele Menschen, die so sprechen.“
Welzer spielt den Gelangweilten und stützt provozierend den Kopf mit der Hand. Ernst jetzt?
Schallendste Ohrfeige
„Sie wollen, dass die Ukrainer sich ergeben, weil Russland Atomwaffen besitzt“, wirft der Botschafter dem Soziologen vor. „Das heißt, egal, was man tut, man kann einen Krieg gegen Russland nicht gewinnen. Und das ist falsch!“ Wiederholtes Nicken bei Polenz.
Melnyks zornigste Kritik an Welzer: „Das, was Sie anbieten, ist moralisch verwahrlost.“ Klatsch!
Schnöseligste Attacke
„Mir fällt das häufig auf, dass Sie unglaublich offensiv mit Gesprächspartnern umgehen“, beschwert sich der Soziologe. Sein zentrales Argument: Möglicherweise gebe es bei den 45 Prozent der Deutschen, die gegen schwere Waffen sind, „eine ganz präsente Kriegserfahrung in der Familie“.
Welzers Beispiel: Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe am 8.Mai 1985 von „Befreiung“ gesprochen, obwohl sein eigener Vater in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt worden sei. Hm.
Und wieder Zoff
„Bleiben Sie mal so ein bisschen beim Zuhören und nicht beim Kommentieren!“, raunzt der Soziologe den Botschafter dann noch an.
„Ich bin kein Student“, kontert Melnyk trocken.
Welzer möchte gern zurückfeuern, schafft aber nur ein schlappes „Und ich bin nicht Ihr keine Ahnung was.“ Der Soziologe ist inzwischen so aufgeregt, dass ihm nicht mal mehr der Name der Talkmasterin einfällt.
Schlimmster Arroganzanfall
Der Botschafter setzt noch einen drauf: „Ihre Vorfahren haben zehn Millionen Ukrainer vernichtet“, erinnert er den Soziologen. „Das ist eine Schuld!“
Welzer setzt ein blasiertes Lächeln auf: „Herr Melnyk“, erwidert er, „informieren Sie sich über meine wissenschaftliche Arbeit, dann müssen Sie mir mit dem Argument nicht kommen. Das ist doch einfach borniert!“
Klügste Kommentare
Kühnert lehnt es ab, sich einzumischen: „Ich habe mich die letzten Minuten hier sehr unangenehm gefühlt“, gesteht er und will „jetzt keine Text-Exegese betreiben.“
Denn, so der SPD-General: „Ich weiß nicht, wo uns das gerade hinführen soll“. Er sorge sich um den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft, und „an manchen Stellen droht es uns zu kippen.“
Die Grüne-Politikerin wird noch deutlicher: „Ich halte das für anmaßend“, kritisiert sie die Forderungen aus dem Schwarzer-Brief. „Da wird ein Land, die Ukraine, angegriffen, und wir fordern sie auf: Es muss einen Kompromiss geben. Was soll das für ein Kompromiss sein?!“
„Alles, was Putin nach dem 24. Februar mit Waffengewalt erobert hat und behalten kann, wäre für ihn ein Erfolg. Das ist nicht so schwer zu verstehen!“, sekundiert Polenz
Und noch mal Zoff
Welzer meint, „dass völlige Unklarheit über die Kriegsziele herrscht“. Denn: „Was heißt hier: Gewinnen? Was heißt: Verlieren? Es ist schon die Rede von einem Regime-Change in Moskau…“
Jetzt wird es auch Kühnert zu bunt: „Keine ernsthafte politische Kraft in Deutschland spricht von einem Regime-Change, Herr Welzer!“, funkt er dazwischen. „Bitte nicht alles in einen Topf werfen und so tun, als seien das ernsthafte Beiträge zur öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik.“ Patsch!
Eindringlichste Mahnung
„Seit drei Wochen liegen Anträge für 100 Marder und 88 Leopard-Panzer 1 im Kanzleramt und werden nicht gebilligt“, klagt Melnyk. „Und ich habe auch Zweifel, ob das geschieht!“
Die Erinnerungspolitik Deutschlands mit dem „Nie wieder“ werde heute am 8.Mai in der Ukraine ganz konkret auf den Prüfstand gestellt, fügt der Botschafter hinzu. Sein Zorn: „Jeder Tag kostet Menschenleben! Je länger Sie hier herumsitzen und diskutieren, verlieren wir Menschenleben!“
Letztes Gefecht
Die Talkmasterin möchte das nicht wahrhaben: „Durch Besonnenheit sterben keine Menschen, Herr Melnyk!“, klügelt sie in absichtsvollem Missverstehen.
Doch für den Ukrainer bedeutet diese Art Besonnenheit nur „Zögerlichkeit. Entscheidungen verschieben. Und das kostet meine Landsleute Menschenleben. So einfach ist das!“
Fazit
Scharfschützen und Schlumpschützen, Volltreffer und Fahrkarten, dazu reichlich Denkunfälle wegen überdrehtem Erregungsgewinde: Das war ein Talk der Kategorie Panzerhaubitze: Schnellschüsse und ständig Stellungswechsel!