„Anne Will: Streit um russisches Öl und Gas – Soll Deutschland den Import sofort stoppen?“ ARD, Sonntag, 3.April 2022, 22 Uhr.
Der absolute Info-GAU für alle vernagelten Immer-noch-Putin-Versteher! In Butscha bei Kiew kommen die grausamen Verbrechen der russischen Soldateska ans Licht: Folter, Vergewaltigungen, Massenmorde. Anne Wills Gäste:
Lars Klingbeil (44, SPD). Der SPD-Chef twittert: „Es geht darum, unsere Unabhängigkeit von Gas, Kohle und Öl aus Russland schnell und konsequent zu erreichen.“
Markus Söder (55, CSU). Der CSU-Chef, aus München zugeschaltet, kämpft um bedrohte Arbeitsplätze.
Marieluise Beck (69, Grüne). Die Ex-Staatssekretärin reiste als erste Koalitionspolitikerin in die Ukraine, kehrte gestern zurück.
Prof. Veronika Grimm (50). Die Wissenschaftlerin berät die Bundesregierung als Mitglied der „Wirtschaftsweisen“.
Robin Alexander (46). Der Journalist (WELT) ging wegen der chaotischen Waffenlieferungen volle Lotte auf die Verteidigungsministerin los.
Politik und Wirtschaft auf dem Prüfstand von Demokratie, Menschenrecht und Humanität. Das Zoff-O-Meter hört genau zu!
Emotionalster Lagebericht
„Wir müssen aufhören, die Kriegskasse von Putin zu füllen“, verlangt Beck als erstes. „Und es muss endlich der Himmel geschlossen werden über der Ukraine! Ich war in einem Kinderkrankenhaus in Kiew. Es ist unvorstellbar, was man da an Verletzungen von Kindern sieht, und die kommen aus der Luft!“
Ihre Forderung: „Wenn die Nato sagt, wir wollen nicht in diesen Krieg hineingezogen werden, dann müssen wir die Ukrainer selbst in die Lage versetzen, dass diese todbringenden Geschosse, Bomben und Artillerie, nicht mehr über den Himmel in alle Städte kommen.“ Dazu brauche es vor allem moderne Flugabwehrsysteme.
Persönlichste Schilderung
„Am allergefährlichsten ist derzeit die russische Schwarzmeerflotte, die mit Cruise missiles ausgestattet ist“, erklärt die Grüne dazu. „Denn die können bis Kiew sehr präzise angreifen. Und natürlich auch Odessa.“
Über ihre gefährliche Reise ins Kriegsgebiet berichtet Beck: „Wir waren zwei Tage und eine Nacht unterwegs. Es gab während der Nachtfahrt sehr viel Alarm. Das war schon etwas ungemütlich, dieser Nachtzug. Und was Putin gesagt hat, in Kiew greifen wir nicht mehr an – das ist schlichtweg die Unwahrheit!“
Schon springt das Zoff-O-Meter an
Auch Klingbeil zeigt sich von den Gräueltaten in Butscha bedrückt: „Insofern verstehe ich die Emotionalität“, erklärt er.
„Haben Sie die nicht?“ fragt Will spitz.
Doch der SPD-Chef redet rasch drüber hinweg: „Sanktionen und die Waffenlieferungen sind alles Dinge, die den Druck auf Putin verstärken.“ Ein „sofortiges Gas-Embargo“ halte er für den „falschen Weg“, aber „wir drehen jeden Tag den Gashahn ein Stück weiter zu.“
Beck ringt die Hände: „Die Ukraine hat nicht mehr viel Zeit!“
Berechtigtste Zweifel
„Alle sehen diese Bilder“, berichtet Klingbeil aus der Bundesregierung, „alle sind vom diesen Bildern bewegt, alle tun täglich alles, damit dieser Krieg gestoppt wird!“
„Tun Sie das wirklich?“, argwöhnt Will. „Können Sie das wirklich guten Gewissens sagen?“ Becks Gesichtsausdruck zeigt: Auch sie ist keineswegs überzeugt.
Klingbeils flaue Antwort: „Es liegt erst einmal in der Verantwortung Putins, diesen Krieg zu stoppen.“
Bitteres Lachen von Beck! „Das wird er nicht tun“, macht sie der Runde klar.
Härteste Abrechnung
„Die Bundesregierung war bei den Waffenlieferungen immer hinten dran, immer spät“, erklärt der WELT-Journalist. „Wenn die Ukraine nur die Waffen hätte, die Deutschland geliefert hat, hätte Putin den Krieg schon gewonnen.“ Uff!
Alexanders zweiter Vorwurf: „Normalerweise macht man Sanktionen und versucht, die Eliten zu treffen und die normalen Leute möglichst zu schonen“, erläutert er, aber: „Wir haben den Bereich rausgehalten, der genau an den Machtapparat geht!“
Blutigste Grätsche
„Wann immer man Sanktionen macht, sagt man: Alles auf einmal, damit die Wirkung heftig ist“, kritisiert er zum dritten. „Zu sagen, man fängt an, und dann ein bisschen mehr, und in zwei Jahren ist man am Endpunkt, das eröffnet nur die Möglichkeit, Schlupflöcher und Alternativen zu finden!“
Söder ist gegen ein Sofort-Embargo, geht aber rasch zum Thema „Waffenlieferungen“ über und erst mal volle Kanne auf SPD-Lambrecht los: „Man hat den Eindruck, die Ministerin wirkt etwas überfordert in der Situation“, grollt der CSU-Chef. „Das muss in jeder Beziehung besser werden!“
Umstrittenste Forderung
„Wenn wir sagen, wir wollen uns 2024 endgültig unabhängig machen, und steigen dann vorher aus der Kernenergie aus, verschärfen wir die Krise in der Krise“, schimpft Söder dann. „Wir brauchen dort einen Ausstieg aus dem Ausstieg.“ Heidewitzka! Die böse Atomkraft an der ukrainischen Hintertür!
Beck schlägt die Hände vors Gesicht und schüttelt den Kopf. Ein Sofort-Ausstieg aus der russischen Energie sei nicht möglich, fügt Söder hinzu. „Das gäbe zu schwere Bremsspuren für uns. Ich bin auch gar nicht sicher, ob Deutschland sich wirklich jeden Tag aus dem Gashahn befreit. Bisher wird nur geredet.“ Uff!
Deutlichste Warnung
Dann geht der CSU-Chef zum Angriff über: „Es reden sehr viele Menschen, die persönlich in sehr gesicherten Verhältnissen sind, über Industriearbeitsplätze“, knurrt er. „Wenn wir allerdings mit großen Betrieben reden, die haben wirklich Panik!“
Die Wissenschaftlerin nickt, und Söder setzt noch einen drauf: „Es wird auch nicht so leicht laufen, dass man sagt, der Staat finanziert das einfach so“, sagt er voraus. „Denn Fakt ist auch, dass Deutschland auf dem Weg zu einer Überschuldung ist. Man muss sich nur mal die Schuldenkaskaden ansehen.“ Puh!
Klarsichtigste Analyse
Außerdem glaube er nicht, ergänzt der CSU-Chef, dass ein Gas-Boykott „jetzt unmittelbar dazu führt, dass Russland zusammenbricht“, denn: „Russland versucht ganz massiv, andere Partner zu finden.“
Sein Ärger: „Es ist schlimm, zu sehen, wenn dann eigentlich auch mit uns befreundete Nationen wie Indien sich wahnsinnig darüber freuen, dass sie jetzt alles quasi umsonst bekommen!“
„Es ist ja das Absurde an dieser Kriegstaktik von Putin, dass sie nicht rational zu verstehen ist“, wundert sich Söder, „dass er sein Land am Ende zu einem ganz kleinen Land macht, das abhängig ist von China und anderen.“ Rumms!
Kräftigstes Rütteln am Watschenbaum
Die heftige Kritik von allen Seiten an der mangelhaften militärischen Unterstützung aus Berlin weist Klingbeil zurück: „Deutschland liefert viel!“, behauptet er energisch. „Deutschland liefert Munition, Deutschland liefert Flugabwehr, Deutschland gehört zu den Ländern, die am stärksten Waffen in die Ukraine liefern.“
Ui! „Das letzte, was genehmigt wurde, sind alte NVA-Schützenpanzer, die in Tschechien standen“, kontert Alexander. „Wir reden über altes Zeug von der NVA. Kollegen von mir sind in den 1980er Jahren damit in der DDR rumgefahren!“
Ironischster Kommentar
Unter Druck sucht Klingbeil sein Heil in der aktuellen Standardausrede der Bundesregierung: „Ich rede doch nicht gegen Waffenlieferungen“, wehrt er sich, „aber Waffenlieferungen werden erst im Nachhinein bekanntgegeben.“ Ernsthaft jetzt?
„O.k.“, spottet Beck. „Dann wird sich Montag oder Dienstag ja viel tun und viel bewegen in der Bundesregierung! Es fällt uns in Deutschland schwer, zu verstehen, dass Militär tatsächlich auch Zivilisten schützen kann.“
Ungestörteste Geisterfahrt
Ein ARD-Einspieler zeigt, wie der Kanzler vergangene Woche bei Anne Will einen Sofort-Stopp für Energie aus Russland für ausgeschlossen erklärte: Die Andersdenkenden aus der Wissenschaft sähen das allesamt „falsch“, und das sei „unverantwortlich“. Wills prompte Frage an die Professorin: „Sie waren doch der Meinung, dass das ginge!“
Doch die Wirtschaftsweise beißt nicht an, sondern schwurbelt lieber über das Thema „Zeitenwende“ und kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen: Energie-Resilienz. Regelorientierte Weltordnung. Synthetische Energieträger. Makroökonomische Blickwinkel.“ Himmel! Das war doch eine ganz einfache Frage!
Billigste Retourkutsche
Klingbeil hat Söders Attacke auf Lambrecht nicht vergessen und rächt die Genossin kurz vor Spielschluss schnell noch mit einem Tritt gegen das bayerische Schienbein: „Wenn Herr Söder so ein großer Fan von Atomenergie ist“, ätzt er, „dann kann er vielleicht gleich die Frage mit beantworten, ob er bereit wäre, das Endlager bei sich in Bayern unterzubringen.“ Knonk!
Und wieder Zoff
Der WELT-Journalist nimmt noch mal Fahrt auf. „2014/2015 sind Raffinerien zum Teil an Russland verkauft worden!“, wettert er. „Da sind Speicher an Russland verkauft worden! Da haben wir uns abhängig gemacht! Als die erste Welle dieses Krieges schon lief! Gegen den Rat der gesamten Fachwelt!“
Sein Vorwurf: „Die Infrastruktur basiert auf dramatischen politischen Fehlentscheidungen. Sie sehen, wen ich angucke, Herr Klingbeil!“ Zufrieden leert er sein Wasserglas.
„Es gab Fehler“, gesteht Klingbeil kleinlaut, „aber wir haben über die Zeitenwende geredet, und die ist konsequent.“
„Aber sie ist nicht entschieden genug für die Ukraine“, widerspricht Beck. „In der Ukraine wird gestorben! Hinterher müssen wir uns fragen: Haben wir alles versucht, um das zu verhindern?
Letztes Gefecht
„Die Zeitenwende ist da, bei 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr“, ruft Klingbeil zum Schluss beschwörend.
„Sie haben dafür doch gar keine Mehrheit, Herr Klingbeil!“, kontert Söder auf seinem Monitor. „Es kann nicht sein, dass wir da eine informelle Große Koalition doch wieder brauchen!“
Der SPD-Chef reagiert sauer: „Wir brauchen die Zwei-Drittel-Mehrheit“, gibt er zähneknirschend zu und rächt sich mit einem Erpressungsversuch: „Ich möchte die Situation sehen, wo Herr Merz und auch Herr Söder ihren Abgeordneten sagen, ihr stimmt jetzt nicht für die Soldatinnen und Soldaten.“
Sein letztes Wort: „Die Koalition wird stehen.“ Horrido!
Fazit
Je grausamer der Krieg in der Ukraine, desto rauer der Ton in Deutschland. Viel Hokuspokus auf dem Holzweg, aber immerhin kein verlogener Versöhnungskitsch. Das war eine Redeschlacht der Kategorie „Talkstrahlgebläse“.