„Anne Will: Kampfpanzer für die Ukraine – warum zögert die Bundesregierung?“ ARD, Sonntag, 18.September 2022, 21.45 Uhr.
Die Ukrainer auf dem Vormarsch, die Russen auf der Flucht, macht das auch den Deutschen Mut? Noch immer kriegt der Kanzler die wichtigste Waffe nicht auf die Kette. Anne Wills Gäste:
Annalena Baerbock (41, Grüne). Die Außenministerin, letzte Woche schon zum zweiten Mal im Kriegsgebiet, sah deutsche Panzer angeblich nicht mehr als Tabu, aber dann sprach sie mit dem Kanzler.
Roderich Kiesewetter (59, CDU). Der Verteidigungsexperte fordert: „Der Kanzler muss sich einen Ruck geben.“ Heißt: Panzer marsch!
Michael Müller (57, SPD). Berlins Ex-Bürgermeister fährt sagt zu ukrainischen Panzer-Bitten stahlhart „Njet“.
Egon Ramms (73). Der Nato-General a.D. stellt klar, Deutschland könne selbst entscheiden, was es liefere, auch Panzer. Das gehe aus den letzten US-Aussagen deutlich hervor.
Anne Applebaum (58). Die amerikanisch-polnische Historikerin erinnerte nach Putins Griff nach der Krim: „Hitlers Herrschaft brach zusammen, weil einige mächtige ausländische Armeen die Wehrmacht besiegten!“
Noch vor kurzem gab es in deutschen Talkshows klare Mehrheiten gegen Panzer für Kiew. Und heute? Das Zoff-o-Meter hofft auf Klarsicht- statt Parteibrille.
Start mit angezogener Handbremse
Die Talkmasterin grüßt aus einer Herrenrunde, die Damen werden zugeschaltet. Schon Wills erste Frage klöppelt den Kern aus der Schale: „Wo ist eigentlich das Problem, dass Deutschland Kampf- oder Schützenpanzer westlicher Bauart nicht liefern will?“
Ausweich-Antwort der Ministerin: „Wir liefern Schützenpanzer sowjetischer Bauart, und das ist eben der Unterschied, dass die, wenn sie jetzt über den Ringtausch bald kommen, sofort eingesetzt werden können.“ Jedenfalls, so lange es noch genug alten Schrott gibt…
Verblüffendste Erklärung
Auch die Ministerin nimmt das Wort „Leopard“ nicht in den Mund. Stattdessen sagt sie: „Das Problem mit den Kampfpanzern moderner Art (ist), dass die technisch so bedient werden müssen, dass sie auch wirklich im Einsatz einen Unterschied machen können.“ Aha.
„Deswegen“, so Baerbock weiter, „ist es so wichtig, dass wir diesen Schritt wie auch bei den hochmodernen Luftabwehrsystemen nur mit unseren gemeinsamen Partner gehen können.“ Hm – aber wenn das den Gepard ins Laufen brachte, warum geht das nicht auch beim Leo?
Schrägste Formel
„Also das Alleingangs-Argument“, übersetzt die Talkmasterin verblüfft.
„Das haben wir die ganze Zeit so gemacht“, behauptet die Ministerin blanken Auges, wackelt dann aber doch ein bisschen: „Ich glaube, das ist auch wahnsinnig richtig.“ Wie bitte, „wahnsinnig richtig“? Bei der widersinnigen Wortkombination verzieht Baerbock kurz das Gesicht: Was einem unter Stress so alles rausrutscht!
Plötzlichster Positionswechsel
„Es geht auch darum, dass diese Waffen sehr schnell repariert werden“, fügt Baerbock hinzu und führt damit flugs ein ganz neues Argument ein. „Deswegen bauen wir jetzt an der polnisch-ukrainischen Grenze einen Hub auf, wo diese Reparatur schnell getätigt werden kann.“
„Das aber“, so ihre neue Verteidigungslinie, „wäre bei hochmodernen Schützen- und Kampfpanzern noch einmal eine ganz, ganz andere Dimension.“ Uff!
Flaueste Finte
„Deswegen“, so die aktualisierte Strategie der Ministerin, „könnte so etwas nur international gemeinsam funktionieren. Und deswegen hat der Bundeskanzler gesagt, und ich habe das ja jüngst auch noch mal gesagt: Wir müssen uns bei diesem Schritt mit internationalen Partnern abstimmen.“
Heidewitzka! Das klingt doch sehr nach „Hannemann, geh du voran…“
Ertragreichste Tiefenbohrung
„Derzeit ist es so, dass keiner von unseren Partnern diesen Schritt geht“, schiebt die Außenministerin schnell noch nach, „und wir können diesen Schritt auch nicht alleine gehen.“
Ach? Will setzt die Kneifzange an: „Interessant ist aber jetzt, dass Sie das Alleingangsargument, das der Bundeskanzler immer anführt, jetzt ausweiten dahin, dass es um Nachschub geht, um technische Ausstattung. Das hatte der Bundeskanzler, auch die Verteidigungsministerin, soweit ich sie verstanden habe, bisher nie gesagt.“ Uff!
Nervenaufreibendstes Verhör
„Das reine Argument eines deutschen Alleingangs hat Ihnen die US-Botschafterin diese Woche echt weggezogen“, hält Will der Ministerin gleich noch vor, „indem sie gesagt hat: Bitte, und das ist ja eine Selbstverständlichkeit, die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst.“
Baerbock lächelt verkniffen. „Wir haben alle einen Amtseid geschworen“, erwidert sie und feuert im Stakkato die alten Abwehrformeln raus: „Kühlen Kopf bewahren“, „gemeinsam mit unseren Partnern“, „keine Kriegspartei“, „das Gespräch gesucht“, „komplett neue Situation“. Puh!
Energischstes Eigentor
Dann öffnet die Ministerin ihr Überdruckventil mit einem Teilgeständnis: „Am Anfang waren wir auch aus meiner Sicht ein bisschen zu langsam“, erinnert sie an die ersten Waffendiskussionen. „Dann aber, als wir gesehen haben, was da an Kriegsverbrechen passiert, und was für einen Unterschied unsere Waffen machen können, dass sie Leben retten können…“
Dann? „Als uns Irpin und Butscha noch einmal deutlich gemacht haben, dass jeder Tag unter russischer Besetzung schlimmste Gräueltaten und Kriegsverbrechen bedeutet“, fügt Baerbock hinzu, dann, ja dann hätte Deutschland „hochmoderne Systeme geliefert“, aber auch „diese Systems funktionieren nur gemeinsam.“
Ihre angestrengte Rechtfertigung: „Deswegen ist das mit Blick auf die Panzer kein neues Argument, sondern das, was wir die ganze Zeit gemacht haben.“ Ächz!
Kühnstes Ablenkungsmanöver
Die Talkmasterin setzt unverzüglich die Säge an die wackelige Konstruktion: „Sie haben ja den Bundeskanzler am Dienstagmittag zum Gespräch getroffen. Haben Sie verstanden, woran es genau hakt? Oder aber auch, wovor er sich hier fürchtet?“ Und wie er Baerbock dabei eingenordet hat?
Darauf geht die Außenministerin allerdings mit keiner Silbe ein. Stattdessen lobt sie ihre Politik unter Umdeutung der Fakten: „Jetzt kommen noch mal sowjetische Schützenpanzer in die Ukraine, also genau das, was die Ukraine will“, behauptet sie schlank. Horrido!
Gretchenantwort des Abends
Will hat genug vom heißen Brei: „Sind Sie dafür, dass Deutschland Panzer westlicher Bauart liefert?“, fragt sie auf den Punkt. „Kampf- und Schützenpanzer?“
„Ich bin dafür, dass Deutschland alles liefert, was einen Unterschied macht“, schwurbelt die Ministerin prompt drauflos, „aber eine Lieferung allein macht eben noch nicht den Unterschied, sondern sie müssen auch zum Einsatz kommen können.“ Ui! Ist das so!
Voraussetzung, so Baerbock mit der ganzen Überzeugungskraft einer Binsenweisheit: „Es muss die ganze Logistikkette dahinter funktionieren.“
Letztes Gefecht
„Ich sehe auch, dass es jetzt auf jede Woche ankommt“, meint die Ministerin zum Schluss, „aber dass wir solche Schritte nur international abgestimmt machen können.“
Nächster Patzer: „Es gibt ja keine Abrahams aus den USA“, sagt Baerbock über den Kampfpanzer „M1 Abrams“. Knapp daneben ist auch vorbei.
Zum Schluss zieht sie die Notbremse: „Aus vertraulichen Gesprächen weder mit dem Kanzler noch mit dem ukrainischen Außenminister rede ich im Fernsehen nicht.“
Schlauester Dreh
„Es wird seit einem halben Jahr versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob es hier einen Sonderweg Deutschlands geben würde“, beklagt sich Ex-Bürgermeister Müller. „Es ist genau umgekehrt!“
Denn, so der SPD-Politiker: „Jetzt zu fordern, mit dem Kampfpanzer voranzugehen, das wäre der Sonderweg!“ Und Sonderwege sind unerwünscht. Außer natürlich beim Abschalten von Atomkraftwerken.
Heftigster Vorwurf
„Das Entscheidende ist, dass die ukrainischen Soldaten geschützt in die Kampfzone gebracht werden können“, macht der CDU-Politiker danach der Runde klar. „Sie gehen zu Fuß dahin. Sie sind dem Wetter ausgesetzt, der russischen Artillerie, fahren auf Lkws mit Planen…“
Kiesewetters besonderer Ärger: „Der Außenminister und der Ministerpräsident der Ukraine habe um die Lieferung gebeten, und der Bundeskanzler macht nicht mal eine Pressekonferenz. Aber mit Abbas!“
Heißt: Das Einknicken vor dem Palästinenserpräsidenten nach dessen antisemitischen Ausfällen irritiert auch all jene, die Deutschland jetzt als Verbündete besonders wertschätzt.
Wichtigste Aufklärung
Der Ex-Nato-General ärgert sich über die leicht durchschaubaren Versuche, die Panzerlieferungen mit angeblichen Ausbildungsproblemen zu verzögern. „Ich möchte mal aufräumen mit diesem Thema“, meldet er sich energisch.
Der Gepard und die Panzerhaubitze 2000 seien „komplexe Waffensysteme, und die Ukrainer können damit umgehen“, erklärt Ramms dann. „Die Ausbildung am Marder und am Leopard 1 ist wesentlich einfacher und könnte in schnellerer Zeit abgewickelt werden.“ Rumms!
Vernichtendstes Urteil
„Die Tatsache, dass die Russen sehr schnell weggerannt sind, sich Zivilkleidung angezogen haben, zur Grenze sind und ihre Waffen zurückgelassen haben, auch sehr moderne Waffen“, analysiert Expertin Applebaum, „all das bedeutet, dass wir eine Armee sehen, die demoralisiert ist, die nur noch da ist, um den Sold zu kassieren.“
Ihre Prognose: „Wir können jetzt weiter Waffen an die Ukraine liefern, Umso schneller wird der Krieg gewonnen werden. Das war ein wesentlicher psychologischer Wendepunkt. Es gab ein großes Echo auch in Russland. Man hat dort Angst, dass man den Krieg verlieren könnte.“
Massivster Vorwurf
Noch drei Wochen vor Putins Angriff warnte die Historikerin bei Will: „Wer Waffen an die Ukraine liefert, verhindert den Krieg. Wer nicht dazu bereit ist, macht den Krieg möglich.“
Jetzt sagt Applebaum: „Wir brauchen eine klare Verlautbarung: Ja, wir kämpfen in diesem Krieg bis zum Ende. Die Panzer könnte man morgen liefern, und man könnte morgen mit der Ausbildung beginnen. Das wäre eine Abschreckung für Putin. Nur wenn er überzeugt ist, dass er verlieren kann, kann man mit ihm in ein Gespräch eintreten.“ Amen!
Zitat des Abends
„Es geht hier um hochmodernes Zeugs, wo man die Details, wo ich auch als Außenministerin überhaupt nichts verstehe.“
Fazit
Robuste Argumente und klare Kanten! Bedenkengerassel, Meinungsmutanten und trollige Nebelputinisten hatten diesmal Pause. Das war ein Talk der Kategorie deutsches Sprichwort: „Wer eine Lampe braucht, darf das Öl nicht sparen“.