„Maybrit Illner: Mit Omikron leben – Konzept oder Kapitulation?“ ZDF, Donnerstag, 20.Januar 2022, 22.15 Uhr.
Alarm! Immer mehr Viren, immer mehr Infizierte, immer mehr Tote. Kliniken, Labore und Gesundheitsämter stoßen an ihre Grenzen, und die Politik sucht nervös neue Strategien. Maybrit Illners Gäste:
Markus Söder (55, CSU). Bayerns Ministerpräsident will künftig nicht mehr nur auf die Virologen hören. Sein Credo: „Vorsicht ja, aber keine Hysterie!“
Franziska Giffey (43, SPD). Berlins neue Regierende Bürgermeisterin fürchtet: „Wir sind noch nicht mal am höchsten Punkt des Berges angekommen.“
Prof. Jonas Schmidt-Chanasit (42). Der Virologe sagt das Ende der Pandemie „zwischen März und Mai“ voraus.
Prof. Clemens Wendtner (56). Der Infektiologe behandelte im Januar 2020 in München den ersten deutschen Corona-Patienten.
Anna Clauß (40). Die Journalistin („Spiegel“) schrieb eine Söder-Biographie.
Top-Gäste aus Politik und Medizin. Liefern sie auch Top-Infos? „Viele hören nur, was sie hören wollen“, kritisiert die Talkmasterin.
Widersprüchlichste Prognosen
Prof. Wendtner startet mit einer ernsten Warnung: „Es ist nicht auszuschließen, dass wir nach Omikron noch andere Varianten haben: Pi, Rho, Sigma, Tau – wir haben daa griechische Alphabet noch vor uns. Wir sind hier noch im Blindflug!“
Die Talkmasterin erschrickt sich so, dass sie erst mal Politiker und Virologen durcheinanderbringt: „Omikron ist eine Chance, sagt Christian Lindner – nee, Christian Drosten natürlich…“
Prof.Schmidt-Chanasit klingt deutlich optimistischer als sein Kollege: „Meines Erachtens ist das jetzt die Endphase der Pandemie!“
Vielversprechendste Beruhigungspille
„Die Belastung auf den Intensivstationen ist unter 20 Prozent“, meldet Giffey aus Berlin. „Auch die Hospitalisierungszahlen sind nicht vergleichbar mit dem letzten Jahr. Ja, wir haben hohe Fallzahlen, aber die Verläufe sind anders.“
Und: „Wir haben viel, viel mehr geimpfte Menschen. Wir sind jetzt bei 80 Prozent Erstimpfung. Wir haben wahrscheinlich übermorgen über die Hälfte der Berliner geboostert. Das sind ganz andere Voraussetzungen!“
Ungerechtester Vorwurf
Für Söder, aus München zugeschaltet, hat sich die Talkmasterin was Fieses ausgedacht: Ein ZDF-Einspieler führt vor, wie der Ministerpräsident seine Maßnahmen immer wieder an eine neue Lage anpassen musste. Illner will ihn provozieren: „Sie sind ganz schön hin und hergesprungen in der letzten Zeit, oder?“
Doch der Bayer bleibt cool: „Schön, dass Sie sich bei mir so viel Mühe geben, vermeintliche Widersprüche aufzuzeigen“, spottet er. In der Realität würden sich die jeweiligen Entscheidungen jedoch durch „ein sehr umsichtiges und kluges Management auszeichnen“, denn: „Wir müssen immer auf die Empfehlung der Experten auf die Situation reagieren.“ Rumms!
Lahmstes Lederhosen-Bashing
Danach steckt Söder seinen Kurs ab: „Wir können auf Omikron nicht allein mit Zusperren reagieren, sondern wir müssen ein atmendes System finden!“
Illner ist damit nicht zufrieden und holt sich beim „Spiegel“ willige Verstärkung: „Omikron ist nicht Omikron, aber Söder bleibt Söder?“ fragt sie Clauß.
Prompt tischt die Journalistin einen Spruch mit NS-Aroma auf: „Markus Söder möchte ja immer an der Spitze der Bewegung marschieren.“ O je…
Parteiischste Perspektive
„Ich habe mich gewundert, als ich ausgerechnet das Wort ‚Augenmaß‘ aus Herrn Söders Mund gehört habe“, fügt Clauß hinzu, „von einem, der ohnehin als politisches Chamäleon bekannt ist. Ich frage mich, ob das medizinische Gründe hat oder vielleicht auch politische.“
„Politische!“ assistiert Illner. „Glauben Sie, die Bayern nehmen das ihrem Ministerpräsidenten noch ab?“
„2023 wird gewählt in Bayern“, erläutert die „Spiegel“-Frau eifrig. Söder schüttelt resigniert den Kopf, doch Clauß hält mit ihren Sympathien jetzt nicht mehr hinter dem Berg: „Wenn er den Grünen gerne vorwerfen möchte, dass sie eine Verbotspartei wären, kann er nicht selber weiter die Daumenschrauben anziehen.“ Ja do legst di nieder!
Dann geht das Zoff-o-Meter los
„Frau Clauß hat jetzt wie so oft eine politische Betrachtung von der Seitenlinie gemacht“, kommentiert Söder trocken. „Aber es geht nicht um Wahlkampf…“
Für Illner schon: „Naja, wir haben Landtagswahlkampf“, beharrt sie. Hm – gewählt wird in Bayern allerdings erst im Herbst 2023.
Söder lässt sich denn auch nicht vom Kurs wegärgern: „Wir müssen angemessen reagieren. Immer auf Sicht fahren“, erklärt er. „Zu einer klugen Politik gehört, nicht einfach stur oder ideologisch zu reagieren, oder gar persönlich motiviert.“ Zack!
Kollegialster Entlastungsangriff
Giffey hat genug von dem schlecht vorbereiteten Scharmützel. „Es gibt noch ein Team in den ganzen Spiel: das Team Besserwisser!“ schimpft sie. „Diejenigen, die nachher immer alles besser wissen und sagen: Das hättet ihr aber anders machen sollen.“
Ihre Analyse: „Wir haben in den letzten zwei Jahren immer wieder eine große Veränderung der Lage gesehen. Darauf musste adäquat reagiert werden.“
Aber, so die Bürgermeisterin kategorisch: „Lockdown kann nicht die Antwort sein. Ich sehe, was das bei den Kindern bewirkt hat!“
Sportlichster Vorschlag
„Ich finde es immer problematisch, wenn wir diese Team-Diskussionen führen“, kritisiert Schmidt-Chanasit. „Das hat uns gesellschaftlich in der Pandemie nicht weitergebracht. Es gibt eigentlich nur ein Team: das Team Deutschland!“
„Das ist uns ein bisschen abhandengekommen“, klagt der Virologe, „und wir müssen alles dafür tun, damit wir da wieder zusammenkommen. Das ist entscheidend!“
Und wieder Zoff
„Der Deal, den wir alle abgeschlossen haben, lautete: Lässt du dich impfen, bekommst du dein normales Leben zurück“, beschwert sich die „Spiegel“-Frau. „Aber nach wie vor kann man nicht ins Fußballstadion, ist trotzdem nicht hundertprozentig geschützt. Natürlich gibt es da großen Frust…“
Doch Giffey weist sie kühl zurecht: „Wir haben durch diese Impfung, durch diese Maßnahmen Tausende Menschenleben gerettet! Das muss man ja auch mal sehen!“
Peinlichste Fahrkarte
Illner hat noch mehr Söderliches auf dem Zettel:
„Ihren Vorschlag, 2G im Einzelhandel, hat ein Gericht jetzt erst mal weggeschlossen, äh, weggeschossen“, haspelt sie los, „weil es da handwerkliche Fehler gab. Sowas passiert dann offensichtlich auch manchmal.“
Doch der Bayer tanzt auch diese Attacke locker aus: „Nee, das 2G wurde in Niedersachsen auch schon gekippt“, erwidert er, „weil das insgesamt eine Regel war, die vom Bund gekommen ist. Wir waren da von Anfang an skeptisch.“
Sachdienlichste Hinweise
„Wir haben an einigen Stelle viel strengere Regeln, erläutert Söder dazu. „Wir haben eine konsequente FFP2-Maskenpflicht, wir haben von Anfang an die Discos geschlossen, auch Bars und Kneipen, wir haben beim Fußball keine Zuschauer.“ Bei Delta sei Bayern sogar das Land mit den zweitniedrigsten Infektionen. Klarer Fall von Weiß-Blau-Denken!
Sein Ziel: „Ich glaube, dass es sehr wichtig ist für viele Menschen in Deutschland, die jetzt erschöpft und müde sind, die darüber nachdenken, die hundertste Verordnung, die tausendste Einzelregelung, immer genau zu begründen: Wie nehmen wir sie mit, dass wir sie nicht verlieren.“
Schärfste Kampfansage
„Damit meine ich jetzt nicht die Querdenkerszene, die zum Teil in einigen Bereichen mit extremen Hass- und Hetzparolen arbeitet“, fügt der Ministerpräsident hinzu. „Denen müssen wir ganz klar die Stirn bieten!“
Doch Söder kann auch Watte: „Es gibt viele Menschen im bürgerlichen Lager, die einfach verunsichert sind“, besänftigt er, „und denen müssen wir das noch besser begründen, und auch ein Stück weit Hoffnung geben, wie wir es heute in der Sendung, glaube ich, auch ganz gut versuchen…“ Heidewitzka!
„…indem wir nicht ideologisch diskutieren, wer ist der Libertäre oder Freiere, wer ist der Strengere“, fährt der Ministerpräsident dann mit einem kleinen Seitenhieb fort, „sondern relativ konsequent an den wissenschaftlichen Empfehlungen entlanghangeln.“ Joho!
Letztes Gefecht
Zur Impfpflicht berichtet die Talkmasterin, Söder und Grüne-Chef Robert Habeck seien schon im Frühjahr 2020 dafür gewesen. Illners Frage: „Ist es richtig, dass wir es im Grunde Angel Merkel, Jens Spahn und Helge Braun zu verdanken haben, dass wir leider erst jetzt darüber reden?“
„Das ist sehr spezielle Betrachtungsweise“, bremst Söder sie aus. „Sie ist zulässig, aber sie ist falsch. Ich bin froh, dass wir das jetzt zumindest diskutieren. Dass wir die Impfpflicht brauchen, steht für mich außer Frage.“
Schade sei, dass die Diskussion jetzt über Gruppenanträge erfolgen soll: „Ich finde, eine Bundesregierung muss in einer so zentralen Frage eine einheitliche Meinung haben“, wettert Söder zum Schluss. „Olaf Scholz, das ist anzuerkennen, ist für die Impfpflicht, aber die Bundesregierung tut eigentlich nichts dafür.“
Fazit
Wiederkäuen mit viel Heu und wenig Saft, nur die Wissenschaftler hielten den Nährwert hoch, und das infektiöse Anpesten in Richtung Bayern entzündete nichts. Das war ein Talk der Kategorie „Milder Verlauf“.