„Maybrit Illner: Missbrauchte Kinder – besserer Schutz, härtere Strafen?“ ZDF, Donnerstag, 18.Juni 2020, 22.15 Uhr.
Der nordrein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag heftig mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) gestritten.
Wörtlich sagte der Landespolitiker mitten in einen Redeschwall der Bundespolitikerin, die bald Berlins erste Regierende Bürgermeisterin werden will: „Passen Sie mal auf, Frau Ministerin! Ich habe keine Lust mehr auf Dialoge! Ich will Entscheidungen!“
Vorausgegangen war eine Diskussion über Datenschutzrichtlinien, die Reul wie auch der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, als ideologisch geprägte Hindernisse bei den Ermittlungen gegen schlimmste Kinderschänder kritisieren.
Lügde, Münster oder Bergisch-Gladbach sind Orte schlimmster deutscher Schande. Auch Maybrit Illner graut es. Ihre Gäste:
Die Familienministerin warnte vor der hohen Dunkelziffer: „In jeder Schulklasse sitzen ein bis zwei betroffene Kinder!
Der Innenminister sagt, was ist: „Sexueller Missbrauch ist für mich wie Mord! Seit ich diese Bilder gesehen habe, bin ich ein anderer Mensch!“
BDK-Fiedler kritisiert den Gesetzgeber: Zu lange sei nichts passiert, zu viele Kinder tagtäglich in großer Gefahr!
Sonja Howard wurde als kleines Kind Opfer ihres Stiefvaters und arbeitet heute für den Bundesbetroffenenrat. Ihre Forderung: „Keine Bewährungsstrafen mehr!“
Die Diplom-Psychologin Julia von Weiler leitet die internationale Kinderschutzorganisation „Innocence in Danger“.
Der Sexualforscher Prof. Peer Briken sucht nach
Methoden, gefährliche Neigungen von Männern zu Kindern frühzeitig zu erkennen.
Politiker, Experten, Betroffene und ein Thema, bei dem es keine zwei Meinungen gibt.
Erschütterndste Erfahrungsbericht
Missbrauchsopfer Sonja Howard schilderte ihr bewegendes Schicksal: 15 Jahre lang fast jeden Tag Leid, und als sie den Stiefvater endlich vor Gericht brachte, kam er mit zwei Jahren auf Bewährung davon.
„Wenn uns das Jugendamt besuchte, mussten wir Kinder immer Klavier spielen“, erzählte sie nun. So schafften es die Eltern immer wieder, den Kontrolleuren eine heile Welt vorzugaukeln.
Wichtigste Forderungen
„Ein Missbrauch verändert das Leben unwiederbringlich und für immer“, stellte Psychologin von Weiler fest und verlangte für die Opfer „mehr therapeutische Unterstützung!“
„Wir müssen so viele Kinder finden wie möglich, so viele Täter wie möglich entdecken und ordentlich bestrafen!“ sagte Reul grimmig.
Irrste Begründung
„Nur 15 Prozent der Täter sind ausschließlich pädophil“, analysierte Sexualforscher Briken. „Bei den anderen geht es um Macht oder eine antisoziale Haltung.“
Kripo-Fiedler warnte vor Nachbarn und Lehrern als Tätern, Sein Ärger: Wenn etwa Steuerfahnder per Zufall auf Kinderpornos stoßen, müssen sie schweigen: Steuergeheimnis!
Dümmste Behauptung
„Meine größte Sorge ist die Gesellschaft“, gestand Missbrauchsopfer Howard: So habe sie z.B. einen jungen Vater sagen hören: „Bei uns auf dem Dorf gibt es sowas nicht.“ Von wegen!
Wichtigste Forderungen
„Es muss in jeder Schulklasse darüber gesprochen werden“, sagte Giffey, „damit die Kinder wissen, wo sie Hilfe bekommen können!“
„Wir müssen dafür sorgen, dass das Thema in die Mitte der Gesellschaft gerückt wird“, ergänzte Reul. Die jetzt beschlossenen härteren Strafen seien „vor allem ein Signal, dass wir es nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen“.
Wichtigste Kritikpunkte
Giffey, die sich bei dieser Gelegenheit als „Kinderministerin“ bezeichnete, beschwerte sich über viel zu milde Urteile: „Wir brauchen eine kindergerechte Justiz!“
Sexualforscher Briken beklagte die oft viel zu lange Dauer der Verfahren: „In dieser Phase werden die Kinder überhaupt nicht geschützt!“
Fiedler war erschüttert über das, was seine Kollegen sich tagtäglich anschauen müssen: Schreiende Kinder, betäubte Kinder… Sein Vorwurf: „Und die Ermittler werden schlechter bezahlt als ein Streifenpolizist!“
Klarste Kante
Reul kündigte neue Maßnahmen an: „Wir werden bei uns keinen Millimeter mehr zurückgehen! Kluge Analysen allein helfen nix!“
Und: „Wenn man jemand mit schwerem Missbrauch erkannt hat: Warum wird der eigentlich nicht in Untersuchungshaft genommen?“ fragte der Minister. Bei einem Mörder sei das doch auch so!
Gefährlichster Trugschluss
„Studien sagen: Zwischen zehn und 30 Prozent aller Taten werden von Frauen begangen“, stellte die Psychologin fest. „Frauen missbrauchen strategisch, Frauen missbrauchen brutal, und sie werden nicht gesehen, weil man sagt, Frauen sind sexuell nicht aggressiv, und Mütter machen sowas gar nicht!“
Widerlichster Fall
Sonja Howard beklagte die Trägheit so mancher Behörde: „Es kann nicht sein, dass Menschen, die wegen der Verbreitung sexualisierter Gewaltdarstellungen mit Kindern verurteilt worden sind, unbehelligt mit Kindern zusammenleben können und kein Jugendamt draufschaut!“
„Es gibt jetzt in Berlin einen Fall, da hat ein Mann in Zypern ein Kind zeugen und es von einer Leihmutter austragen lassen“, schilderte die vierfache Mutter. „Der Junge wurde 2017 geboren und nach Deutschland gebracht.“
Erschütterndstes Versagen
„Im gleichen Jahr“, so Howard, „wurde der Mann wegen Kinderpornographie verurteilt. Das Kind aber ist erst 2019 von ihm weggeholt worden! Ein Mann, der vorbestraft war, hatte das alleinige Sorgerecht für einen kleinen Jungen!“
Ihr Rat: „Die Prävention fängt zu Hause an, mit einer guten und gesunden Sexualaufklärung. Kinder nehmen keinen Schaden, wenn man ihnen sagt, dass es Gefahren da draußen gibt!“
Schärfste Kritik
„Ich verstehe nicht, dass wir nicht grundsätzlich sagen: Wer Plattformen-Dienstleistungen als Provider anbieten, der muss verdammt noch mal dafür Sorge tragen, das sich dort so ein Zeug nicht befindet!“ wetterte der Polizist.
Über „die heilige Kuh der Vorratsdaten“ schimpfte Fiedler: „Jedes Jahr können wir ein paar tausend Taten nur deswegen nicht aufklären, weil wir die verdammten Verkehrsdaten nicht haben! Uns steht ein pervertierter Datenschutz im Weg!“
Frage des Abends
„Jedes Bild ein missbrauchtes Kind“, sagte Illner. „Bindet der Datenschutz die Hände?“
„Unser Jugendschutzgesetz ist im Zeitalter von CD-ROM und Videokassette stehengeblieben“, antwortete die Familienministerin. „Wir müssen das dringend reformieren!“
Wichtigste Versprechen
„Deshalb gibt es einen Gesetzentwurf dafür, erklärte Giffey. „Wir wollen ein Jugendmedienschutzgesetz, das die Anbieter von solchen Plattformen dazu verpflichtet, dass sie Kinder schützende Voreinstellungen haben.“
Heißt, so Giffey: „Dass sie Dinge verfolgen, Dinge melden, dass es Beschwerdefunktionen gibt, dass es Alterseinstellungen gibt, Voreinstellungen, die dem Kinderschutz dienen. Darüber gibt es eine große Debatte, wie weit man gehen kann.“
Illner ließ nicht locker: „Muss man an diese heilige Kuh Vorratsdatenspeicherung?“ fragt sie noch mal.
Die Runde grinste: Die ideologischen Probleme der SPD in diesem Bereich waren allen wohlbekannt.
Schönster Schwurbelanfall
Die Ministerin wand sich: „Das ist ein heiß umstrittenes Thema“, meinte sie. „Ich glaube, dass wir jetzt an einem Punkt gekommen sind, wo wir alles, was nötig und möglich ist, prüfen und tun müssen…“
„Und nicht mehr Ärger kriegen als nötig ist“, spottete Fiedler.
Berechtigtste Klage
Reul schüttelte den Kopf, weil er „wirklich langsam verzweifle“, denn: „Ich spüre, dass sich die Kollegen der anderen politischen Fraktion bewegen. Aber warum muss das jetzt wieder ein Jahr dauern, bis wir das Gesetz endlich korrigieren?“
Sein Hilferuf: „Es muss doch möglich sein, aus diesen ideologischen Kriegen von Vorratsdatenspeicherung rauszukommen!“
Ungeduldigster Zwischenruf
Die Ministerin blieb auf ihrer Linie: Die Diskussion bereite die Entscheidung für ein neues Gesetz vor, das noch vor der Sommerpause…
„Sie verwechseln da was!“ funkelte Reul sie an. „Da geht es um Strafverschärfung. Ich sprach aber gerade von der Vorratsdatenspeicherung! Dass wir die IP-Adressen länger speichern können und die Chance haben, an die Hintermänner heranzukommen. Das ist aber ein neues Thema!“
„Na, dann müssen wir darüber auch sprechen“, erwiderte Giffey routiniert wie ein Antwortautomat.
„Nee! Handeln!“ sagte Reul und hatte das letzte Wort – kurz, aber klar.
Fazit: Kluge Analysen, klare Ansagen, Praxis statt Theorie und gerechter Zorn über ideologieversessene Quertreiber: Das war eine Talkshow der Kategorie „Überfällig“.