„Maybrit Illner: Corona trifft nicht alle gleich – schwindet die Solidarität?“ ZDF, Donnerstag, 2.Juli 2020, 22.15 Uhr.
Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), hat der CDU in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ eine Mitschuld an dem Skandal um den westfälischen Großschlachter Tönnies zugewiesen.
Wörtlich sagte die Politikerin nach einem Interview der Talkmasterin mit dem CDU-Bürgermeister des besonders von Quarantänemaßnahmen betroffenen Tönnies-Standortes Verl: „An der Stelle muss ich sagen, es wäre gut gewesen, wenn die CDU stärker auf ihren eigenen Bürgermeister gehört hätte!“
Ihre eigene Partei dagegen lobte Schwesig: „Die Frage der Werkverträge bekämpfen wir schon lange!“
Es blieb indes der einzige parteiische Ausbruch in einer sonst erfreulich ideologie- und propagandafreien Sendung. Die Gäste:
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte Corona-Massenkontrollen an: „Wer viel lockert, muss viel testen!“
Schwesig bestand auf Tests für alle Touristen aus Risikogebieten.
Der Verler Bürgermeister Michael Esken verbreitete Zuversicht: „Wir sind vom Lockdown genervt, aber wir halten zusammen!“
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit warnt vor Fernreisen: „Das Risiko steigt, je länger man fliegt!“
Die Ärztin Ute Teichert aus dem öffentlichen Gesundheitsmanagement weiß: „Wir müssen die Gesundheitsämter aufrüsten – technisch und personell!“
Die Publizistin Jagoda Marinić klagt: „Corona hat die Spaltung der Gesellschaft beschleunigt!“
Zum Start schlimme Klagen
Ein ARD-Einspieler zeigte, was hierzulande Sache ist: „Ich werde mit Fäusten bedroht!“, beschwerte sich eine
Touristin aus Gütersloh, „ich werde angehupt, mir werden Stinkefinger gezeigt!“
„Richtig, das sie zurück mussten!“ freute sich eine Mecklenburgerin über die knallharten Abweisungen. „Pech gehabt!“, höhnte ein Landsmann. Das klang fast wie eine verspätete Abrechnung mit unwillkommenen Wessis.
Deutlichste Warnung
Söder, aus Nürnberg zugeschaltet, war sofort betriebsheiß: „Das ist wie ein kleiner Funke, der sofort ein großes Feuer entfachen kann!“, mahnte er das oft allzu leichtfertige Partyvolk.
„Es gibt überhaupt keine Alternative, als nach wie vor klug zu sein!“, stellte der Ministerpräsident dazu fest. „Es gibt keinen Anlass für Naivität. Vernunft und Lebensfreude sind kein Gegensatz!“
Klarste Kante
Seine SPD-Kollegin Schwesig hieb in die gleiche Kerbe: „Alle Urlaubsgäste sind willkommen, aber wir haben strenge Vorschriften!“ Deshalb lasse ihr Bundesland mit seiner 2000 Kilometer langen Küste noch immer keine Tagesausflügler zu. Und wer aus einem Corona-Hotspot reise, müsse entweder einen negativen Test mitbringen oder sich vor Ort testen lassen.
Sachlichste Kritik
„Diese Stigmatisierung ist kontraproduktiv!“, beschwerte sich Schmidt-Chanasit über die Abwehrreflexe gegen Menschen aus Risikogebieten. Denn aus Angst vor Ablehnung würden viele möglicherweise Betroffene nun nicht mehr zum Arzt gehen.
Die Forderung des Virologen am Politik und Behörden: „Man muss verhältnismäßig agieren und nicht aktionistisch!“
Umfassendster Plan
Söder ging gleich in die Vollen: „Wir werden 4000 neue Leute im Gesundheitsdienst anstellen“, kündigte er an.
„Oha!“, entfährt es der Talkmasterin.
Und der Ministerpräsident hatte noch mehr drauf: „Wir werden bis zu 30.000 Teste pro Tag anbieten“, versprach er. „Natürlich prioritär Menschen mit Symptomen.“ Ergebnisse innerhalb von 24 Stunden. „Dazu die ganzen Verdachtscluster: Gemeinschaftsunterkünfte Fleischbetriebe. Schulen, Kitas. Urlauber, die aus dem Ausland zurückkommen.“
Dann gab es Zoff
Illner ließ sich nicht entgehen, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Pläne aus Bayern harsch kritisiert: „Einfach nur viel testen klingt gut, ist aber ohne systematisches Vorgehen nicht zielführend“, hatte Jens Spahn gesagt. „Denn es wiegt in falscher Sicherheit, erhöht das Risiko falsch-positiver Testergebnisse und belastet die vorhandene Testkapazität.“ Uff!
Wertvollste Unterstützung
Doch Schmidt-Chanasit stand Söder sofort bei: „Ich habe diese ganze Aufregung überhaupt nicht verstanden“, erklärte der Virologe. „Wir brauchen in der Fläche schnelle, gute Testkapazitäten. Es geht nicht darum, ohne Sinn und Verstand massenhaft zu testen!“
Auch Schwesig fand den Bayern–Kurs „total richtig“: Sie habe in Mecklenburg-Vorpommern auch schon Ähnliches ins Werk gesetzt.
Eifrigste Gegenrede
Alte Talk-Regel: Wenn die Politiker sich allzu einig sind, müssen wenigstens die Journalisten ordentlich ablästern. Marinić saß in Heidelberg vor der Kamera und gab tüchtig Gas: „Ist ein bayerische Leben mehr wert als ein schwäbisches?“
Das hatte zwar niemand gedacht oder gar gesagt, lieferte aber Schwung für eine antibajuwarische Attacke: „Das klingt wie eine Werbekampagne!“, patzte die Publizistin den Ministerpräsidenten an. „Wir Bayern können es am besten! Mia san mia!“
Interessanteste Info
Immerhin, so die Talkmasterin, sage man jetzt auch in Berlin „hinter vorgehaltener Hand“ über Söders Vorstellungen: „Das ist ein Superplan!“
„Der Vorwurf geht ins Leere!“, assistierte der Virologe munter.
Bedenklichste Bilder
Ein weiterer Einspieler zeigte einen mit Bauzäunen abgeriegelten Wohnblock in Verl. „Wir haben uns das lange überlegt“, verteidigte sich der Bürgermeister der westfälischen Kleinstadt, Michael Esken (CDU). Aber: Über 500 Infektionen, davon 400 allein aus Schlachtereien der Firma Tönnies, hätten keinen Wahl gelassen. Ursache seien vor allem die unhygienischen, weil zu beengten Wohnverhältnisse der Arbeiter.
Parteiischste Attacke
„Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir in Deutschland die Debatte führen müssen: Wie kann ich gutes und bezahlbares Fleisch produzieren und trotzdem gibt es gute Arbeitsbedingungen?“, sagte Schwesig dazu.
Ungewöhnlichster Vorwurf
Schmidt-Chanasit warnte vor Alarmismus: Er könne sich noch gut an die Schlagzeile erinnern „Das Tönnies-Fleisch ist brandgefährlich“, berichtete der Virologe „Diese Schlagzeile ist brandgefährlich, weil das wieder zur Verunsicherung führt!“
„Es liegt nicht nur an den Werkverträgen, sondern auch an der Art und Weise, wie die EU-Osterweiterung stattfand“, schimpfte die Publizistin. Besonders beklagte sie, „dass Deutschland meinte, es habe das Recht, dort auf billige Arbeitskräfte zuzugreifen.“ Ihr Urteil: „Wir sprechen hier auch von einer Form der Dehumanisierung.“ Puh!
Vernünftigste Vorschläge
„Wir müssen über eine Agrarwende diskutieren“, kündigte Söder an.
„Die Solidarität muss jetzt global werden!“ forderte die Journalistin.
Ärztin Teichert klagte über die schlechte Bezahlung in den Gesundheitsämtern: „Ich kann nicht einerseits sagen, die Leute machen das ganz toll, und sie beklatschen, und kaum sind die Infiziertenzahlen rückläufig, erinnere ich mich nicht mehr daran. Das ist irgendwie scheinheilig!“
Ihre wichtigste Erkenntnis: „Das Virus richtet sich nicht nach den sozialen Verhältnissen. Das Crowding ist das Problem!“
Beschwingtestes Finale
„Die Solidarität nicht nur politisch, sondern in der Gesellschaft, gegenüber unseren Eltern und Großeltern, das müssen wir wirklich aufrecht erhalten“, mahnte Söder zum Schluss.
„Deshalb haben Sie auch vorgeschlagen, man solle am besten zu Hause mit seiner Frau im Wohnzimmer tanzen“ frozzelte die Talkmasterin.
In der Runde wurde gekichert, doch Söder blieb cool: „Das ist nie falsch, Frau Illner! Das ist nie falsch!“
Fazit: Bleischweres Thema, trotzdem hohes Tempo. Niemand machte den Hulk, alle verzichteten total auf jede Form von Bedeutungsblähung und die Talkmasterin kam ohne vormundschaftliche Schiedsrichterei zurecht. Das war eine Talkshow der Kategorie „Freundschaftsspiel“.