„maischberger: die woche“. ARD, Mittwoch, 10.Februar 2021, 23.15 Uhr.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche“ eindringlich vor massiven Folgeschäden des Corona-Lockdown für Kinder und Jugendliche gewarnt.
Palmers alarmierende Info: Die auf Intensivstationen gefürchtete Triage mit der Auswahl nach Überlebenschancen „haben wir an der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tübingen. Da können die Kinder nicht mehr aufgenommen werden. Die ist total überlastet!“
Kanzlerin und Länderchefs zogen wieder große Lockdown-Linien, aber es sind Kommunalpolitiker, die daraus was machen müssen. In „maischberger. die woche“ solle nun ein besonders populärer Bürgermeister sagen, was Sache ist. Die Gäste
Palmer (Grüne) will eine kontrollierte Öffnung der Innenstädte noch im Februar, um den Handel zu retten.
Prof. Uwe Janssens (60). Der Intensivmediziner fordert, den Lockdown fortzuführen und „noch langfristiger zu denken“.
Tal Zaks (55). Der israelische Chefmediziner des US-Impfstoffherstellers Moderna versprach: „Nächsten Winter haben wir unser normales Leben zurück.“
Udo Lielischkies (67). Der Ex-ARD-Studiochef Moskau twitterte gestern: „Die kriminellen Handlungen der russischen Führung und ihres Sicherheitsapparates müssen sanktioniert werden!“
Anette Dowideit (42). Die Journalistin recherchiert investigativ für die WELT.
Anna Mayr (27). Die Journalistin schreibt für die „Zeit“.
Hubertus Meyer-Burckhardt (64). Der TV-Moderator talkt für den NDR.
Meinungen aus Politik, Medizin und Medien. Zum Start eine Standpauke: Der NDR-Moderator war schon Sekunden nach der Zündung auf Betriebstemperatur. „Man merkt, dass die Politiker, die das Sagen haben, die Bundeskanzlerin, der Gesundheitsminister, der Wirtschaftsminister, alle keine Kinder haben“, murrte er.
Und, so seine nächste Anmerkung: „Alle drei Politiker wissen nicht wirklich, wie es einem geht, wenn das Gehalt nicht kommt oder wenn der Laden zu ist!“
Massivster Vorwurf
Als Wirtschaftsminister würde er, so Meyer-Burckhardt, denken: „Ich schlafe keine Nacht mehr, bis endlich die Anfang November versprochene Hilfe da ist!“
Sein Ärger: „Wir haben jetzt Mitte Februar. 40 Prozent der Hilfen sind noch nicht ausgezahlt. Ich würde in keiner Talkshow mehr auftauchen! Ich würde mit meinen Leuten reden und fragen: Wie arbeiten wir das ab?!“
Aufschlussreichste Perspektiven
Über die neuen Beschlüsse der Corona-Runde im Kanzleramt sagte die WELT-Journalistin: „Das klingt auf den ersten Blick wie ein Luxusproblem, aber die Friseure sind auch in einer sozialen Funktion, für alte Menschen. Es gibt so viele, deren einziger sozialer Kontakt es ist, zum Friseur zu gehen!“
Die „Zeit“-Journalistin begnügte sich mit Hinterfragungen: „Was ist denn überhaupt diese Normalität, von der jetzt alle sprechen?“ grübelt sie. „Müssten wir uns nicht eher einen pandemischen Zustand angewöhnen, in dem wir alle etwas würdevoller leben können als so, wie es im Moment ist?“
Energischstes „Weiter so!“
Ein ARD-Einspieler zitierte den Lockdown-Drakoniker Karl Lauterbach mit seinem Kampfbegriff „Turbovirus“ für die neuen Mutanten. Daran sollten sich nun Arzt und Politiker abarbeiten.
„Der Lockdown musste verlängert werden“, erklärte Prof. Janssens ohne Wenn und Aber. „Das ist absolut unausweichlich!“
Denn, so der Intensivmediziner über das veränderte britische Virus: „Die Zahlen in Großbritannien und Irland haben gezeigt, was das für dramatische Effekte hatte. Explosionsartige Zunahmen!“
Erschütterndste Info
„Zumindest gibt es jetzt mal Hoffnung für unsere Kinder“, entgegnete Palmer und wünschte sich die möglichst rasche Öffnung von Schulen und Kitas. Denn, so der Überbürgermeister: „Ich glaube, dass da auch Schäden entstehen.“
Düsterste Warnung
Dem Intensivmediziner reicht die jetzt neuerdings angestrebte Inzidenzzahl von nur noch 35 Infektionen pro Woche auf 100.000 Einwohner noch lange nicht: „Wir wissen sehr genau, dass ernstzunehmende Wissenschaftler europaweit schon sehr lange sich runterarbeiten auf 10 und nach auf die Null gehen wollen!“
Seine düstere Prognose: „Wenn wir über Öffnungen diskutieren, dann muss die Gesellschaft bereit sein, zu akzeptieren, dass damit auch Sterbefälle verbunden sind!“
Plausibelste Gegenposition
Palmer will trotzdem öffnen, „kontrolliert und klug“, und „ohne allzu große Risiken einzugehen.“ Sein Maßstab sei nicht nur die Inzidenzzahl, sondern die Belegung der Betten auf den Intensivstationen. Anders seien die „massiven Grundrechtseinschränkungen nicht gerechtfertigt“.
Sein Credo: „Mittelalterliche Kontaktbeschränkung kann nicht der letzte Schluss der Weisheit sein!“
Emotionalster Lagebericht
„Die Leute sind am Ende!“ warnte der Intensivmediziner. „Die Schwestern, die gebrannt haben in der Arbeit, ein ganzes Jahr lang – das machen die nicht mehr mit, und dann brechen die uns weg!“
Seine Befürchtung: „Die kommen traurig, müde und kaputt nach Hause, Burnout, und dann verabschieden sie sich aus diesem wunderbaren Beruf. Und das wäre doch das Schlimmste, was uns passieren könnte!“
Bedenklichste Beobachtung
Palmer wiederum erinnerte an die bitteren „Schicksale von Menschen, deren Existenz gerade zerstört wird“. Sein Vorwurf: „Fast alle unsere Nachbarn haben viel höhere Inzidenzen als wir und entscheiden sich jetzt für Öffnung: Dänemark, Niederlande, Frankreich, Österreich, Italien…“
„Wir sind extrem sicherheitsfixiert“, stellte der Grüne dazu fest. Schuld an der Misere sei der Datenschutz. Denn der hindere die Gesundheitsämter an der schnellen Nachverfolgung der Infektionsketten. Uff! Und das in Grün!
Berechtigtste Befürchtung
Palmers Lösungsvorschlag: „Das Smartphone protokolliert Zeit und Ort, wie wir uns bewegen, und die Infektionskontakte. Dann wird diese Information automatisch an das Gesundheitsamt überspielt, und dadurch haben wir alle anderen Freiheiten wieder zurück.“
„Aber“, so der Oberbürgermeister, „in unseren Land werden Sie gesteinigt, wenn Sie sowas vorschlagen!“
Größte Unsicherheit
Aus Boston wurde Pharma-Profi Zaks zugeschaltet. „Die Schlüsselfrage für uns ist: Sind die Mutationen auch in der Lage, Menschen zu infizieren, die vorher schon durch eine Erkrankung oder eine Impfung immunisiert wurden?“ berichtete er. „Das wäre schrecklich!“
„Wir gehen davon aus, dass unser Wirkstoff auch gegen die neuen Varianten wirksam ist“, fügte der Chefmediziner hinzu. „Wir machen uns aber Sorgen, dass er nicht so wirksam ist, wie wir es gerne hätten.“
Wichtigste Ankündigung
Über den Kampf gegen die Mutanten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien sagte Zaks: „Was wir als Unternehmen tun, ist, Impfstoffe zu entwickeln, die an die neuen Varianten angepasst sind.“
Sein Versprechen: „Wenn wir erleben, dass die neuen Varianten die Menschen wieder anstecken, dann sind wir auch in der Lage, durch Nachimpfung, durch Wiederholungsimpfung darauf zu reagieren.“
Und: „Wenn Sie sich die Daten anschauen, scheint es, dass wir damit einen 60-prozentigen Schutz auch gegen die Varianten haben. Ich hoffe, dass wir mit einer genügend starken Immunreaktion am Anfang genügend Schutz haben. Aber wir sollten darauf vorbereitet sein, dass wir mehr tun müssen. Und dann machen wir das auch. Optimismus ist keine Strategie!“
Mutigste Vorhersage
„Die Eine-Million-Dollar-Frage lautet: Wann sind wir mit der Corona-Pandemie weltweit durch?“ wollte die Talkmasterin wissen.
„Ich habe genauso wenig eine Glaskugel wie alle anderen“, antwortete der „Moderna“-Mann. Aber: „Ich hoffe, dass wir in den Ländern, die eine Impfkampagne durchführen können, bis Herbst durch sind.“
Interessanteste Erklärung
„Israel hat 60 Prozent der Bevölkerung zum ersten Mal geimpft, Deutschland 3,8 Prozent“, wunderte sich Maischberger. Ob daran auch die Hersteller schuld seien, wegen Verzögerung und zu später Lieferung?
Zaks, der aus Israel stammt, hatte eine ganz andere Begründung: Seine Heimat habe „immer unter einer existentiellen Bedrohung gelebt“, und wenn man das Jahrzehnte lang erlebe, sei die Gesellschaft immer „sehr schnell, sich zu organisieren.“
„Der Staat Israel hat vorab sehr stark in den Kauf von Impfstoffen investiert“, erklärte Zaks zum Schluss, „schon bevor man wusste, welcher Impfstoff wirken würde. Um sicherzustellen, dass sie, wenn es denn losgeht, vorne in der Schlange stehen.“ Glückwunsch!
Fazit: Kluge Köpfe, mutige Meinungen, der talkshowtypische pseudointellektuelle Bedenkenqualm blieb in der Requisite: Das war eine Talkshow der Kategorie „Klarsichtpackung“.