„Hart aber Fair: Länger, härter, einfallsloser: Wie sinnvoll ist der Dauerlockdown?“ ARD, Montag, 11.Januar 2021, 21 Uhr.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Malu Dreyer (SPD) hat in der ARD-Talkshow „Hart aber Fair“ am Montag Verständnis für Forderungen gezeigt, gegen Corona geimpften Bürgern wieder mehr Freiheiten zuzugestehen.
Wörtlich sagte die Politikerin ganz unideologisch und durchaus im Widerspruch zu manchen Äußerungen von Parteigenossen: „An dem Tag, wo klar ist, Impfen nutzt auch, um niemanden anzustecken, und wir haben eine höhere Zahl von Menschen geimpft, dann muss man natürlich auch differenzierter mit dieser Frage umgehen.“ Motto: Wer impft, hat mehr vom Leben!
Was ist das: 17 Entscheider treffen sich, beraten, fassen Beschlüsse, und dann macht jeder, was er will? Bei Corona geht’s aber wohl nicht anders. Gäste in „Hart aber Fair“:
Malu Dreyer hielt Kurs: „Der Lockdown ist nicht nur sinnvoll, er ist wichtig!“
Der Virologe Prof. Alexander Kekulé urteilte: „Der erneute Lockdown ist einfallslos, aber im Moment auch alternativlos, weil man ins offene Messer gelaufen ist!“
Lungenfacharzt in spe Cihan Çelik klagte: „Wir arbeiten seit Wochen am Limit!“
Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Michael Hüther wettert: „Die Maßnahmen zeigen vor allem eines: eine ratlose Politik!“
Die Journalistin Susanne Gaschke (WELT) ätzte: „Die Regierung ist seit fast einem Jahr nicht in der Lage, dort zu schützen, wo gestorben wird!“
Harte Texte! Plasberg hatte auch noch einen: „Lockdown hart, Lockdown light und jetzt Lockdown härter. Die Menschen sind genervt!“
Nüchternstes Urteil
„Der Weg zu Aldi ist inzwischen das Highlight des Tages!“ murrte ein genervter Passant in einem ARD-Einspieler. Dann führte Virologe Kekulé den Anstoß aus. „Navigieren im Nebel!“ schimpfte er los. Besonders stört ihn die sture Orientierung an Infektionszahlen: „Ich glaube, dass der Gedanke, man muss beschleunigen und bremsen, je nachdem wie hoch die Inzidenz ist, nicht durchzuhalten ist!“
Seine Forderung: „Man braucht ein Konzept, dass man dann auch durchzieht, und worauf sich dann alle einstellen können!“
Fundierteste Kritik
„Diese Gesellschaft hat sehr solidarisch sein wollen, was ja von der Regierung in einer fast pädagogisierenden Weise eingefordert worden ist“, meinte die WELT-Journalistin.
Aber, so Gaschke weiter: „Wir haben immer noch steigende Zahlen. Wenn ich mit großer moralischer Geste Solidarisierung einfordere, aber ich schaffe es nicht, die Heime zu sichern, dann wird es fragwürdig!“
Geschickteste Strategie
Die Ministerpräsidentin hatte einen Mix aus Offensiv-und Defensivtaktik vorbereitet. „Der Lockdown macht mürbe“, gab sie zu, aber: „Die Maßnahmen sind genau richtig!“
Zu den Todeszahlen sagte Dreyer: „Im Frühjahr haben wir die alten Menschen für sieben oder acht Wochen völlig isoliert. Da haben wir gesagt: Das machen wir auf gar keinen Fall mehr! Wir haben neue Regelungen gefunden. Es ist alles leichter geworden mit dem Testen. Und natürlich impfen wir mit Hochdruck!“
Und schon ging der Zoff-o-Meter los
Der Wirtschaftswissenschaftler grätschte die Ministerpräsidentin beinhart ab: „Stimmt nicht!“ rief er. „Man hat sich um die Alten- und Pflegeheime nicht so gekümmert, wie man das im zweiten Halbjahr hätte tun können!“
Und das war sein Beweis: „Ich weiß durch Zufall, dass es vom Kanzleramt kurz vor Weihnachten Anfragen bei der Bundesagentur gab, ob man nicht mal eben 10.000 Menschen finden kann, die an den Altenheimen Testungen vornehmen. Das zeigt, dass wir es mit Torschlusspanik und nicht mit planvollem Handeln zu tun haben!“
Ehrlichste Eingeständnisse
„Es gibt manchmal Regelungen, die trägt man dann auch mit, vielleicht auch manchmal etwas halbherzig“, gab Dreyer zu. „Man versucht, den Beschluss zu interpretieren und das eine oder andere etwas anders zu machen…“
„Der Feind ist der Tod, der im Altenheim wütet!“ stellte die WELT-Journalistin klar. Ihr Erkenntnis: „Ich glaube, es ist unmöglich, in einer freien Gesellschaft das Virus auf Null zu stellen. Es wird immer wieder aufflackern!“
Und noch mal Zoff
Prof. Hüther ärgerte sich auch über etwas anderes: „Die Corona-Warnapp ist eine Investitionsruine!“ schimpfte er.
Und: Der Inzidenzwert (50 Infizierte pro Woche und 100.000 Einwohner) dürfe nicht zu immer härteren Maßnahmen führen. Im superstrengen Bayern etwa gingen die Zahlen trotz scharfer Verbote sogar noch weiter hoch.
„Ich möchte widersprechen!“ verteidigte sich Dreyer etwas dünnlippig. „Dass wir immer nur auf diesen Inzidenzwert schauen, stimmt nicht. Natürlich schauen wir immer darauf, wie es in unseren Krankenhäusern aussieht!“
Interessanteste Idee
„Das Problem ist, dass viele Menschen gar nicht mehr mitmachen“, warnte Kekulé. Sein Vorschlag: „Parallel zum Gesundheitsamt ein privates Meldesystem, das zusätzlich Infektionsketten nachverfolgen kann.“
Denn wenn es die Möglichkeit gebe, mit einer App im Restaurant ein- und auszuchecken, könne man das auch bei privaten Veranstaltungen nutzen, meinte der Virologe. Dann könne man eine Infektion nachvollziehen und seine Kontaktpersonen warnen.
Kekulés Überzeugung: „Wir könnten viel selektiver vorgehen, statt mit diesem Lockdown eine Betonplatte drüberzulegen und zu sagen: Irgendwann muss es ja mal wirken!“
Politischster Vorwurf
Ein weiterer ARD-Einspieler zeigte, wie sich Virologen mit immer strengeren Inzidenzwerten unterbieten: Erst 50 Infektionen pro Woche, dann nur noch 25, später zehn und jetzt nur sieben.
„Das sind Experten für ihren Fachbereich, und nicht Experten für die ganze Gesellschaft!“ konterte WELT-Journalistin Gaschke. Sie sei es „ein bisschen Leid, dass die Politik immer ihre Aufgaben zurückdelegiert an die Bevölkerung und sagt: Ihr wart nicht brav genug, ihr seid nicht gut genug, ihr habt’s nicht gut genug gemacht!“
Brandrede des Abends
Über den Winter 2021 sagte Dreyer optimistisch voraus: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dann geimpft sind und uns wieder in einem relativ normalen Leben befinden.“
Weiter kam sie nicht, denn Hüther fuhr ihr grob über den Mund: „Wir sind auch gegen Grippe geimpft, und im Jahr 2017 gab es trotzdem 25.100 Grippe-Tote!“ blaffte er sie an.
Dann ging es richtig los: „Es ist doch absurd und naiv, zu glauben, dass das Virus verschwindet, nur weil 66 Prozent geimpft sind!“ wetterte der Professor.
Seine düstere Prognose: „Wir werden dauerhaft Corona-Tote haben! Wir sollten froh sein, dass anders als im Frühjahr die Grenzen offen sind, die Lieferketten funktionieren und die Industrie sich relativ robust zeigt!“
Ketzerischster Kommentar
Für den Fall, dass die Politik so weitermacht wie bisher, sagt Hüther voraus: „Wir haben mit Sicherheit bis in den April hinein einen ähnlichen Lockdown wie jetzt!“
Prof. Kekulé war davon aber nicht besonders beeindruckt: „Ich bin nicht so pessimistisch“, sagte der Virologe so hart wie smart, „weil ich es nicht so schlimm finde, dass wir eine neue Krankheit haben.“ Uff!
Realistischste Erwartung
Die verblüffende Erklärung folgte sogleich: „Wir haben ja auch verschiedene Influenza-Typen“, dozierte Kekulé im emotionsfreien Hörsaal-Stil. „Und die Corona-Viren in verschiedenen Varianten werden uns halt noch eine Weile plagen.“
Wichtigste Aussage des Virologen: „Aus der Sicht eines Ärztes – wir müssen eine ganze Reihe von Krankheiten auf dem Radar haben – ist das jetzt kein Grund, ein ganzes Land runterzufahren!“
Tröstlichste Botschaft
„Wir werden ja viel schneller natürlich durchseucht als geimpft“, fügte Kekulé noch hinzu. Sein Rat: „Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass es nötig ist, jeden Kontakt zu unterbrechen, sondern wir müssen gefährliche Kontakte reduzieren. Das ist dem Robert-Koch-Institut bisher nicht gelungen!“
Und, so der Virologe: „Wir brauchen eine Begründungskultur! Das fehlt komplett!“
Oha! Plasberg ließ sich prompt zu einer wunderlichen Selbstanalyse hinreißen: „Wir reden hier ein bisschen abstrakt, aber das ist natürlich der Charakter dieser Sendung.“ Ach ja?
Sympathischster Rückzieher
Lungenarzt Celik lag selber mit Corona auf der Intensivstation. Vor Weihnachten spottete er: „Komischerweise sieht man im Krankenhaus keine Corona-Leugner“.
Jetzt revidierte er seine Aussage: Mehrere Kollegen hätten ihm geschrieben, dass es tatsächlich Patienten gebe, die sogar am Sauerstoffgerät noch immer nicht glauben wollten, dass sie an dem Virus erkrankt seien. Puh!
Irrste Szene
Danach zeigte Plasberg Szenen aus Berlin, in denen tanzende „Querdenker“ Roberto Blancos Evergreen „Ein bisschen Spaß muss sein“ umtexten zu „Ein bisschen SARS muss sein.“
„Ich versuche, mich nicht darüber zu ärgern“, kommentiert der Arzt. „Da muss man schon schwer
schlucken. Aber so ist das eben mit den Menschen…“
Schärfster Sprengsatz
Plasbergs letzter Einspieler zeigte den Ex-Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier: Gegenüber Geimpften ohne Ansteckungsgefahr, meinte der Jurist, gebe es keine Legitimation mehr für Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oder die Maskenpflicht.
Von Sozialdemokraten war Kritik an solchen „Privilegien“ zu hören. Was sagte Dreyer nun dazu?
„Die Diskussion wird etwas schräg geführt“, antwortete die Ministerpräsidentin, „weil wir nicht von Privilegien sprechen sollten. Sondern wir greifen extrem in die Grundrechte der Menschen ein, und wir müssen das rechtfertigen.“
Mutigster Satz
Natürlich wollte sie nicht allzu forsch in das politische Minenfeld trampeln: „Solange wir so wenige Menschen geimpft haben, ist es sehr, sehr schwierig, zu vermitteln, dass man sagt, man macht Ausnahmen“, sagte sie in aller Vorsicht und ließ sich auch ein Hintertürchen offen: „Wie soll das überhaupt praktisch geschehen?“
Fazit: Die Meinungsoligarchen der deutschen Talk-Szene kamen diesmal ganz ohne zeitgeistigen Dünnbrett-Dogmatismus über die Runden. Die Debatte weder verkopft noch unvernunftgesteuert, statt kleinem Karo große Linien, und der Langzeit-Quältalkstoff „Corona“ duftete plötzlich nach Freiheit. Das war eine Show der Kategorie „Daumen hoch!“