„maischberger. die woche.“ ARD, Mittwoch, 24.Februar 2021, 22.50 Uhr.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hat in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche am Mittwoch erklärt, er werde sich zusammen mit anderen europäischen Ländern auch dann um einen gemeinsamen EU-Impfpass bemühen, wenn die deutsche Regierung nicht mitzöge.
Wörtlich sagte der ÖVP-Politiker, eine App auf dem Handy „könnte ein gutes europäisches Modell sein, damit wir uns endlich in Europa wieder frei bewegen können.“ Seine Hoffnung: „Ich glaube, dass es gelingen kann, auch wenn hier wieder einige, auch große Länder etwas skeptisch sind.“
Windhundschnell ist der Lockdown beschlossen, schneckenlangsam wird er wieder aufgehoben. Andra Maischbergers Gäste:
Kurz sagt und tut, was sich auch viele Deutsche wünschen: Lieber Locker als Locked!
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte schon vor einem Jahr: „Nicht alles hat vor dem Schutz von Leben zurückzutreten!“
Dem Epidemiologen Dirk Brockmann kann der Lockdown gar nicht hart genug sein: „Alles, was das Unterwegssein bremst, ist jetzt sinnvoll“
Die Wissenschaftsredakteurin Sibylle Anderl (FAZ) ist auch Astrophysikerin und Philosophin.
Die Publizistin Düzen Tekkal (42) dreht auch Filme und schreibt Bücher.
Der Journalist Gabor Steingart (Media Pioneer“) ist auch Manager und Podcaster.
Gaspedal oder Bremse, das ist hier die Lock-Frage. Aber auch aufs Lenkrad kommt es an: Zickzack oder klarer Kurs?
Erfreulichstes Startsignal
Steingart hatte heute zunächst aufs Thermometer und erst dann auf die Infektionszahlen geguckt: „Weil da was stattfindet mit dem Wetter und mit den Deutschen“, erklärte der Journalist zu den wandernden Massen in den Metropolen, und zwar „eine Abstimmung mit den Füßen!“
„Was nicht heißt, die Pandemie ist egal, und die ist auch nicht vorbei“, urteilte Steingart. „Aber eine Öffnungspolitik, die es von der Regierung nicht gibt, macht jetzt jeder für sich.“ Halleluja!
„Franz Kafka ist unser ständiger Begleiter“, sagte Steingart dann noch über die Lockdown-Absurditäten.
Realistischste Einschätzung
Kurz, aus Wien zugeschaltet, sagte etwas vorsichtiger: „Wir erleben gerade die dritte Welle. Wir erleben die letzten Monate, die wir noch durchhalten müssen, und das ist für alle eine zehrende Zeit.“
Unterschied zur deutschen Politik: „Die Sieben-Tage-Inzidenz ist ein wichtiger Wert, aber es gibt andere, die man auch beobachten muss“, dozierte der Bundeskanzler. Bei der Zahl der Toten pro Kopf etwa „sind wir gleichauf mit Deutschland.“
Schlüssigste Begründung
„Wir haben nach sechs Wochen Lockdown gemerkt: Der Bevölkerung geht die Kraft aus“, registrierte Kurz. „Man kann zwar noch formal im Lockdown bleiben, aber keiner macht mehr mit, und dann hat der Lockdown wenig Sinn“.
Wichtigstes Argument, so der Kanzler: „Wir testen in Österreich 2,5 Millionen Menschen pro Woche, das ist über ein Viertel der Bevölkerung. So versuchen wir, ein Stück mehr Freiheit zu gewährleisten.“
Spitzeste Fragen
Auch die Talkmasterin wollte testen, und zwar ihren Gast: „Haben Sie kapituliert?
Der Ösi-Kanzler blieb entspannt: „Als Politiker müssen wir versuchen, vieles unter einen Hut zu bringen“, erklärte er geduldig. „Wir haben auch wirtschaftliche, soziale, psychologische Aspekte!“
Sein stärkster Trumpf: „Ab 1.März gibt es in Österreich kostenlose Schnelltestes in allen Apotheken.“
„Das wollte unser Gesundheitsminister Jens Spahn auch machen“, warf Maischberger listig ein. „Er ist ausgebremst worden.“
Diplomatischste Antwort
„Die Strategie Deutschlands und Österreichs ist sehr ähnlich“, behauptete Kurz mit Unschuldsmiene. „Wir versuchen, vorsichtig zu öffnen. Testen ist keine Wunderwaffe, aber je mehr man testet, desto mehr Freiheit kann man gewähren...“
„Also zu Jens Spahn wollen Sie nichts sagen?“ setzte die Talkmasterin nach.
O doch, und zwar nur das Beste: „Wir arbeiten extrem gut zusammen, und ich schätze den Austausch mit ihm“, rühmte der Kanzler. „Auch in Deutschland ist es das Ziel, auf Testungen zu setzen!“
Coolste Antwort
Maischberger piekste unverdrossen an anderer Stelle weiter: „Markus Söder hat gesagt: Wir wollen kein zweites Ischgl“, patzte sie den Kanzler an.
Damit stellt sie den Grill noch etwas heißer, doch Kurz blieb kühl wie der Pasterzengletscher am Großglockner: „Jeder Politiker hat einen enormen Druck im Moment“, lächelte er. „Insofern gibt’s da keinen Grund für negative Emotionen.“
Elegantester Konter
#Dann aber schaltete der Kanzler in die österreichisch-höfliche Form von Attacke: „Es wäre verkürzt, zu sagen, dass die Pandemie in Ischgl ihren Ausgang genommen hat“, kritisierte er milde.
Seine gründliche Korrektur: „Wir wissen, dass das Virus ursprünglich aus China kam. Dass es in Italien ausgebrochen ist. Und natürlich hat es sich an stark frequentierten Orten verbreitet. Das war der Flughafen München genauso wie in Skigebieten in Österreich, der Schweiz oder in Italien.“ München! Rumms!
Klügste Kritik
„Was das Verhältnis zu Bayern betrifft, haben wir ein Stück weit das Gefühl, dass es da ein unterschiedliches Vorgehen je nach Bundesland gibt“, fügte der Kanzler noch hinzu.
Denn, so sein Vorwurf: „An der Grenze zu Frankreich, wo es auch einen Ausbruch gab, gibt es ein anderes Vorgehen als an der Grenze nach Österreich!“
Die energische Forderung des Kanzlers: „Nach einem Jahr Pandemie sollten wir in Europa so weit sein, dass wir einheitliche Regelungen für Grenzübertritte, für das Reisen zusammenbringen. Sonst zerstören wir irgendwann den Binnenmarkt Europa. Und das wäre schade.“ Uff!
Wichtigste Ansage
„Wir arbeiten gerade mit den Griechen und vielen anderen europäischen Kollegen daran, dass es möglichst zeitnah eine digitale Lösung eines grünen Impfpasses gibt“, kündigte Kurz danach an. „Wir werden morgen auch beim Europäischen Rat einen entsprechenden Vorschlag machen.“
Faszinierendste Idee
Die Österreicher wollen, so ihr Kanzler, „eine App am Handy, die anzeigt, dass man entweder geimpft, genesen oder getestet ist.“
Sanfteste Drohung
Und dann spielte der Kanzler den Kurz-Pass gekonnt durch die deutsche Abwehr: „Wenn es nicht auf europäischer Ebene gelingt“, kündigte er an, „werden wir das jedenfalls national umsetzen. Wir sind schon in Kontakt mit Israel, Griechenland und vielen anderen Ländern, wo wir dann bilaterale Abkommen abschließen können.“
Wie bitte? Maischberger schaltete sofort: „Dann ist die Nachricht angekommen: Wenn wir bis Sommer keinen grünen Pass haben, als Deutsche, ist der Urlaub in Österreich für aus nicht möglich.“
„So war das keinesfalls gemeint“, lächelte der Kanzler. „Ganz im Gegenteil! Ich kenne viele Deutsche, die sich auf ihren Sommerurlaub in Österreich freuen, und das ist auch gut so. Wir werden in Deutschland wie in Österreich im Sommer eine hohe Durchimpfungsrate haben.“ Geht doch!
Kameradschaftlichste Verteidigung
Auch Schäuble nahm Spahn in Schutz: „Ich kann mich erinnern, dass der Bundesgesundheitsminister nie müde geworden ist zu sagen: Wenn wir genügend Impfstoff haben, werden wir nicht gleich am Anfang für alle einen Impfstoff haben“, berichtete der weise alte Mann der deutschen Politik.
Umstrittenste Position
Doch der Bundestagspräsident hatte auch Kritik im Gepäck: „Wir hätten mit der Corona-App sehr viel mehr erreichen können, wenn wir in der Frage Datenschutz, in der Abwägung verschiedener Grundrechte, ein bisschen besser balanciert gewesen wären!“ fand er.
Schäubles Argument: „Da haben wir sicherlich manches versäumt. Wir könnten mit der App effizienter sein, aber da gab es einen Mainstream in der öffentlichen Debatte, der da sehr dagegen war.“
Klarste Erkenntnis
„Ich habe das mit Jens Spahn ein paar Mal diskutiert“, erzählte Schäuble weiter, „und immer gesagt: Wenn die alle dagegen sind, dann hat es ja gar keinen Sinn. Wir müssen ja die Menschen dazu gewinnen, dass sie’s machen. Das ist der freiheitliche Ansatz, und der braucht auch Vertrauen.“ Den Einkauf der Impfdosen über die EU lobte der Bundestagspräsident und forderte: „Wir sollten so viele Impfstoffe auch der unterschiedlichsten Art beschaffen, damit wir möglichst viel dazu beitragen können, dass die ganze Welt geimpft werden kann.“
Persönlichste Info
„Ich habe ein Problem“, gestand Schäuble dann. „In der ersten Stufe bin ich nicht, weil ich noch keine 80 bin. AstraZeneca wird für mich nicht empfohlen, weil ich schon über 65 bin. Also muss ich halt noch ein bisschen warten.“
„Sie haben noch keinen Impftermin?“ staunte die Talkmasterin. „Sie sind ein Hochrisiko-Patient, wegen Vorerkrankungen!“
„Alles gut!“, blockte Schäuble ab. „Ich mache es so wie die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident: Wenn ich dran bin, freue ich mich.“ Amen!
Fazit: Wenig ertragreiche Kraftanstrengungen auf den Presseplätzen, nichts wirklich Neues vom Virologen, aber die beiden Politstars rissen den Talk clever raus. Das war eine Show der Kategorie „Zwei stahlharte Profis“.