„Maischberger“. ARD, Mittwoch, 21.September 2022, 23.05 Uhr.
Alles redet über Putin, aber Corona ist auch noch da – und Karl „Also“ Lauterbach deshalb jetzt wieder ganz weit vorn. Auch wenn der Gesundheitsminister bei „Maischberger“ wegen Putin erst ganz zum Schluss, nach Mitternacht, dran kommt. Die Gäste:
Prof.Karl Lauterbach (59, SPD). Der Gesundheitsminister gibt gleichzeitig Wach- und Beruhigungspillen aus: Die europaweit strengsten Regeln seien richtig, müssten aber nicht unbedingt auch gelten.
Roderich Kiesewetter (59, CDU). Der Außenpolitiker twittert: „Putins Teilmobilmachung zeigt die militärische Schwäche Russlands!“
Katrin Eigendorf (60). Die ZDF-Kriegsreporterin glaubt, dass Putin die Kontrolle verliert.
Micky Beisenherz (45). Der TV-Autor fragt ins finanzpolitische Wespennest: „Wann kommt der Energie-Soli?“
Dagmar Rosenfeld (48). Die Chefredakteurin (WELT am SONNTAG) wettert gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Die Energieumlage ist nicht mehr vermittelbar!“
Henrike Roßbach (42). Die Journalistin („SZ“) stellt fest: „Es gibt nicht mehr so viele Länder, die sich noch so viele Gedanken über Corona machen.“
Kinder, Kinder, das wird ein harter Winter! Das Zoff-o-Meter hofft auf warmen Trost statt heißer Luft.
Hoffnungsvollste Ouvertüre
Nach einem ARD-Einspieler mit Putins neuester Droh-Show kommentiert Beisenherz zwei Sichtweisen: „Am Anfang denkt man natürlich, o Gott, jetzt walzt er über die Ukraine hinweg…“
Aber, so der TV-Autor dann über seinen zweiten Gedanken: „Das ist vielleicht auch ein gutes Zeichen, weil die Hexe des Ostens sich noch mal so richtig aufbläht, aus Angst, dass man sie nicht ernst nimmt. Deswegen sagt Putin ja auch, das mit den Atomwaffen ist kein Bluff. Vielleicht regt sich jetzt mehr Widerstand in Russland.“
Kernigster Kommentar
„Diese Teilmobilmachung ist auch ein Eingeständnis Putins, dass er gerade dabei ist, diesen Krieg zu verlieren“, urteilt Chefredakteurin Rosenfeld umstandslos.
Ihre Prognose: „Durch die Teilmobilisierung kommt der Krieg in die russischen Wohnzimmer. Er betrifft plötzlich Männer, Söhne, Ehefrauen. Bisher war er nur eine Fernsehshow.“
Brenzligste Perspektiven
„Mit den Scheinreferenden in den besetzte Gebieten versucht Putin jetzt eine Täter-Opfer-Umkehr“, analysiert Rosenfeld weiter. „In seiner Argumentation ist das dann russisches Territorium, und er wird zum Selbstverteidigungskrieger.“
„Die Fiktion, dass dieser Krieg Russland eigentlich gar nicht so richtig betrifft, muss er jetzt aufgeben“, assistiert „SZ“-Rossbach, aber: „Ein Putin, der mit dem Rücken zur Wand steht, ist vielleicht ein besonders gefährlicher Putin.“ Schluck!
Bitterster Witz
Beisenherz sieht die Einigkeit des Westens bereits am Kipppunkt, und Rosenfeld macht Druck: „Wer Panzerhaubitze 2000 sagt, muss auch Leopard 2 sagen. Es kann nicht sein, dass Putin die roten Linien zieht.“
Ihr Vorschlag: „Es gibt 13 EU-Staaten, die über Leopard 2-Panzer verfügen. Warum stellt sich Deutschland nicht an die Spitze einer Initiative, die sagt: Wir verhandeln gemeinsam, diese Panzer zu schicken?“
„Russland hat ja auch schon ein paar Kampfpanzer geliefert“, ulkt Beisenherz. „Die haben sie einfach dagelassen.“
Klarste Analyse
Kriegs- und Krisenberichterstatterin Eigendorf, lange ZDF-Korrespondentin in Moskau, hält den Ball flach: „Putin hat von Anfang an den Westen als Gegner gesehen“, erinnert sie. „Das ist nicht neu.“
„Das ist zunächst ein Zeichen ins eigene Land, dass der bisherige Spezialoperationsteil nicht funktioniert hat“, urteilt Kiesewetter, Oberst a.D. mit 27 Jahren Bundeswehrjahren. „Es ist aber auch ein Zeichen in unsere Gesellschaften, Angst zu schüren, Europa zu spalten und den Zusammenhalt mit Amerika durcheinanderzubringen.“
Realistischste Prognose
Zur Einberufung von 300.000 Soldaten meint der Außenpolitiker: „Meine persönliche Einschätzung ist, dass er sich damit auf eine Art Frühjahrsoffensive vorbereitet. Die müssen ja erst ausgebildet werden, und das dauert.“
„Deswegen“, so Kiesewetter weiter, „ist es unsere Forderung, die Ukraine so früh wie möglich so viel wie möglich zu unterstützen.“
Deutlichste Warnung
„So schwer wie jetzt war Putin seit seiner Machtergreifung noch nie angeschlagen“, stellt Eigendorf fest. „Wenn ich meinen eigenen Sohn in den Krieg schicken muss, ist das eine ganz andere Sache, als wenn es irgendwelche Leute aus dem Kaukasus sind.“
Nach Kiesewetters Einschätzung würde Einsatz der „taktischen Nuklearwaffen, die etwa ein Hundertstel der Sprengkraft von Hiroshima haben“, dazu führen, „dass sowohl China als auch seine befreundeten afrikanischen Staaten sich von Putin abwenden würden. Russland würde zum Pariastaat werden.“
Bedrohlichste Erkenntnisse
Über Putins perfide Propaganda sagt die Kriegsreporterin: „Die Leute glauben, dass der Westen Russland mit Atomwaffen bedroht. Das glauben einige ja selbst bei uns!“
„Wir haben im Gebiet Kaliningrad russische Nuklearwaffen, die in zwei Minuten in Berlin und in drei Minuten in Paris sind!“, erinnert Kiesewetter.
Dringendste Forderung
Zum Versuch Putins, seine ukrainische Kriegsbeute durch Scheinabstimmungen in „russisches Territorium“ umzuwandeln, warnt der Außenpolitiker: „Dann wäre ein Angriff der Ukraine auf ihr eigenes Gebiet ein Angriff auf die Russische Föderation!“
„Da brauchen wir sehr klar eine Stellungnahme der Vereinten Nationen“, fügt er hinzu, „am besten der Generalversammlung, die den Weltsicherheitsrat, der gelähmt ist, überstimmen kann. Entscheidend ist, dass hier Russland das Völkerrecht bricht!“
Erschütterndste Schicksale
Ein besonders beklemmender ARD-Einspieler zeigt das Grab einer Ortsvorsteherin, die in Isjum mit ihrer gesamten Familie ermordet wurde, weil sie nicht mit den Russen kooperierten wollte.
In dem jetzt zurückeroberten Städtchen traf Eigendorf eine alte Frau, die sechs Monate in einem Keller hungerte und zu der ihr Sohn sagte: „Eher stirbst du, als dass du von den Russen was annimmst!“
Bedenklichste Vermutung
Zur erwarteten Frühjahrsoffensive erklärt Kiesewetter: „Wir haben jetzt Zeit, die Ukraine gut zu unterstützen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass wir Leopard-Panzer liefern, die zwischen 20 und 40 Jahre alt und sehr leicht von den Ukrainern zu bedienen sind.“
„Wir haben zwei, drei harte Jahre vor uns“, prophezeit der Außenpolitiker dazu. „Putin stellt sich auf einen langen Krieg ein. Wir sollten alles tun, dass der Krieg so rasch wie möglich beendet ist!“
Politischste Perspektive
„Deswegen“, so Kiesewetter weiter, „habe ich so früh für die schnelle Lieferung weitreichender Waffen geworben. Je eher der Krieg um ist, desto eher endet das furchtbare Leid in den besetzte Gebieten.“
Seine Sorge: „Putins Waffe ist, dass die Ukraine zerfällt und wir Flucht und Massenmigration bekommen!“
Vorsichtigste Defensivaktion
Der Gesundheitsminister wird mit einem Zitat des Virologen Christian Drosten begrüßt: „Aus Sicht des Individuums ist die pandemische Gefahr für die meisten vorbei.“
„Das klingt jetzt für mich so, als ob Corona, was die Gefährlichkeit für mich angeht, in etwa so ähnlich ist wie eine Grippe“, vermutet Maischberger.
Der Minister sieht das anders, bleibt aber in Deckung: „Tut mir Leid, dass ich jetzt wieder eine Studie erwähne“, sagt er. „Dafür werde ich sicherlich wieder kritisiert.“ Uff!
Medizinischste Gretchenfrage
Danach zeigt die Talkmasterin Fotos vom Oktoberfesttrubel. „Was ist mit Eigenverantwortung? Wer ein Risiko hat, wird sich nicht auf das Oktoberfest begeben und dann in einem vollen Zug eine Maske tragen“, wundert sie sich.
„Ich will jetzt keine Zahlen nennen, um niemanden zu verschrecken“, antwortet Lauterbach knapp an der Frage vorbei. „Aber es wird im Herbst und im Winter die Möglichkeit geben, dass wir dann sehr viel höhere Inzidenzen haben. Wir haben eine sehr ansteckende Variante. Dafür müssen wir vorbereitet sein.“ Isso!
Unbefriedigendste Erklärung
Maischberger bohrt nach: „Das Oktoberfest und die Bahn sind zeitgleich“, zweifelt sie. „Warum soll ich in der Bahn eine Maske tragen, aber beim Oktoberfest nicht?“
„Beim Oktoberfest geht man freiwillig hin und geht ins Risiko“, doziert der Minister. „Viele Bahnreisende müssen mit der Bahn zur Arbeit fahren. Wenn ich also sicher fahren will, wäre es für mich schön, wenn alle Masken tragen.“
Ungeduldigster Rechtfertigungsversuch
Die Talkmasterin ist trotzdem nicht zufrieden: „Sie glauben nicht, dass die Menschen in der Bahn selber entscheiden können, wie groß ist mein Risiko bei dieser Variante, mit der wir es gerade zu tun haben?“, setzt sie nach.
Da wird dem Minister die Haut dünn: „Wissen Sie, ich kann mich doch nicht immer als Gesundheitsminister an der unsinnigsten Verhaltensweise im Land orientieren“, murrt er. „Das kann doch nicht der Standard sein, dass das gefährlichste Verhalten, das wir gerade irgendwo beobachten, der Standard für alle wird.“ Rumms!
Energischste Ankündigung
„Kann das denn der Standard sein, dass Deutschland das schärfste Infektionsschutzgesetz in ganz Europa hat?“, kontert Maischberger prompt.
„Ich glaube, dass wir einen strengen Standard setzen“, gibt Lauterbach zu, aber: „Die Maßnahmen kommen ja nur zum Tragen, wenn es sich wirklich so entwickelt, dass es notwendig wird. Ich will einfach nicht, dass wir im dritten Herbst erneut nicht vorbereitet sind!“
Klügste Vorsichtsmaßnahme
Im Finale bindet die Talkmasterin ihre beiden Hauptthemen gekonnt zusammen: „Es gibt viele Probleme in der Welt. Beschäftigen Sie sich auch mit anderen Dingen?“
„Ich verfolge sehr genau die Diskussionen über den Ukraine-Krieg“, berichtet der Minister bereitwillig. „Es wird unterschätzt, wieviel Deutschland schon liefert. Das hat jetzt auch einen Unterschied gemacht in der Offensive. Wir organisieren auch sehr viele Verletztentransporte…“
Die interessanteste Frage stellt die Talkmasterin allerdings erst ganz zum Schluss, als die Sendung zu Ende und bereits der Abspann gelaufen ist. „Haben Sie denn eine Meinung zu den Panzern?“ Doch da nimmt Lauterbach ganz schnell das Headset ab: Kanzler hört mit!
Zitat des Abends
„Man muss nicht immer mit der Herde laufen. Wenn man von etwas überzeugt ist, muss man dazu stehen, auch wenn das keine Pluspunkte in der Beliebtheitsskala bringt.“
Fazit
Brisantes Thema, brennende Probleme, interessante Streitfragen und kompetente Lösungsvorschläge, aber mit wenig imposanter Gästeliste: 1 Minister, 1 Abgeordneter, aber 4 Medienleute. Das war eine Talkshow der Kategorie „journalistischer Sehrspätschoppen“.