„Anne Will: Impfpflicht auf der Kippe, Lockerungen umstritten – planlos in den Corona-Frühling?“ ARD, Sonntag, 13.Februar 2022, 21.45 Uhr.
Von wegen planlos! Es gibt doch jede Menge Pläne, weil sich inzwischen jeder einen macht! Anne Wills Gäste:
Karl Lauterbach (58, SPD). Der Gesundheitsminister hat’s nicht leicht, denn Deutschland ist ein übellauniger, extrem stressiger Patient.
Markus Blume (46, CSU). Der Generalsekretär muss mal wieder eine bayerische Extratour ausschildern.
Jana Schroeder (41). Die Virologie warnt: „Was hier stattfindet, ist eine Durchseuchung der Kinder!“
Joachim Stamp (51, FDP). Der NRW-Minister ist zwar gar nicht für Gesundheit zuständig, plant jetzt aber vier Öffnungsstufen.
Elke Keiner (63). Die Leiterin eines Pflegeheims will sich „nicht zum Erfüllungsgehilfen machen“ und „im Affentempo etwas tun müssen, was ich nicht verantworten will“.
Das Zoff-o-Meter ist alarmiert, denn manchem Impfgegner geht es längst nicht mehr um Gesundheit und Risiken, sondern um Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Bürgerrechte, das Grundgesetz oder gleich die ganze Demokratie…
Zur Ouvertüre die Holzhackerbuam
Lauterbach schwingt als erster die Axt: „Wir können nicht den Eindruck machen, dass wir die eigenen Gesetze, wenn wir Lust haben, umsetzen, aber wenn wir keine Lust haben, machen wir es nicht“, poltert er in Richtung Bayern.
Den wirren Tyrannei-Vorwurf des Justizministers gegen Markus Söder wegen Impfpflicht-Kritik beurteilt der Minister milde als „etwas zugespitzt formuliert“, aber „in der Sache“ berechtigt. Wow!
„Die Bundesregierung hat wesentliche Umsetzungsdinge nicht mitgeliefert!“, kontert Blume. Und: „Sie äußern sich in der Regel dazu als Privatmann. Wir sollen gleich zu Beginn der Sendung klären, ob Sie hier als Bundesgesundheitsminister hier sprechen oder als Privatperson!“
Eleganteste Verantwortungspirouette
„Polemik!“ keilt Lauterbach zurück. „Stellen Sie sich doch nicht dümmer, als Sie sind!“ Die Regierung habe „schon vor Monaten“ beschlossen, keinen eigenen Gesetzentwurf zu liefern, und „da können Sie nicht ständig sagen: Was bringt die Regierung?“
„Seit wann ist ein bayerische Ministerpräsident jemand, der sich nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlt?“, sekundiert die Talkmasterin eifrig.
„Ein Gesetz muss umsetzbar sein“, erklärt der CDU-General. „Bei der Umsetzung zeigen sich erhebliche Defizite. Kündigungen? Lohnfortzahlungen? Was macht es mit dem gesamten Pflegesystem, wenn fünf Prozent der Belegschaft plötzlich nicht mehr kommen können?“
Naheliegendster Verdacht
Blumes Gegenattacke: „Die Länder wollten Vollzugshinweise. Die gibt es bis zum heutigen Tag nicht.“ Und mit erhobenem Zeigefinger: „Ich glaube, Sie haben Sorge, dass Sie im Bundestag für gar nichts mehr in diesem Bereich eine Regierungsmehrheit bekommen. Deswegen wollen Sie dieses Gesetz auch nicht mehr anpacken.“ Rumms!
Lauterbach wirft flugs eine Nebelkerze: „Wir wollen…“
„Wir ist wir?“, erkundigt sich Blume. „Die Bundesregierung ja nicht!“
„Mein Haus hat für die Abgeordneten Gesetzentwürfe formuliert“, erläutert der Minister, „und wir wünschen, dass die in der nächsten Woche debattiert werden. Die Gesetzentwürfe sind da. Drei Stück sogar!“
Beliebtester Trick
Lauterbach kennt alle Kniffe: Es sei eine „hässliche Legende“, wettert er, dass „wir, weil wir nicht glauben, eine Mehrheit zu bekommen, uns an den Pflegekräften abarbeiten.“
Hm – das hatte allerdings niemand behauptet! Doch der Minister haut trotzdem voll in die Empörungsklaviatur. „Das ist nicht schön!“, klagt er. „Aus solchen Unterstellungen entstehen Ressentiments! Das haben Sie nicht nötig!“
Flugs macht sich auch FDP-Minister Stamp als Sekundant anheischig: „In einer solchen Situation muss ich doch nicht das kleine Karo der Opposition spielen!“, zürnt er.
Berechtigtste Sorgen
Pflegeheimleiterin Kainer aus Freital in Sachsen geht das Politgeplänkel sichtlich auf die Nerven. Von ihren 81 Pflegekräften seien 27 noch nicht geimpft, und 18 davon wollten auf nähere Informationen zu den neuen Impfstoffen warten, berichtet sie.
Ihre Warnung: „Wenn für Ungeimpfte ein Betretungsverbot käme, „dann haben wir eine Situation, die wir nicht mehr beherrschen!“
Aber: „Sozialarbeiter hoffen nicht, Sozialarbeiter kämpfen!“
„Es ist inhaltlich richtig, dass uns noch viele Vorgaben fehlen“, kritisiert Virologin Schroeder die zum Gesetz gelieferten Handreichungen aus dem Ministerium. „Das ist im Einzelfall so gar nicht anzuwenden.“ Wenn das nicht gelöst werde, müsse es eine Übergangslösung geben. Uff! Klingt ziemlich bayrisch…
Betrübteste Ministerklage
Die Talkmasterin hat genug gehört und schaltet um: „Die Verabredung war ja so, dass zwar zunächst die einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt wird, dann aber sehr schnell – Olaf Scholz hatte von Februar gesprochen – eine allgemeine Impfpflicht kommt“, wirft sie Lauterbach vor. „Diese Verabredung haben Sie nicht eingehalten!“
„Ich versuche einfach nur, Probleme zu lösen“, besänftigt der Minister zunächst. Dann aber bricht es aus ihm heraus: „Den ganzen Tag über begegnen mir Menschen, die mir erklären, was alles nicht geht“, klagt er. „Guck mal, da ist noch ein Problem… den ganzen Tag … wohin ich auch komme…“
„Augen auf bei der Berufswahl“, grient Will höhnisch.
Schwierigstes Rückzugsgefecht
Lauterbach hebt die Hände: „Wir haben morgen wieder eine Gesundheitsministerkonferenz, da werde ich erneut versuchen, zu Lösungen zu kommen, dass wir die einrichtungsbezogene Impfpflicht auf den Weg bringen, mit guten Vollzugsregeln“, kündigt er an.
Zur allgemeinen Impfpflicht wiederum sagt der Minister: „Mein Haus hat wirklich gekämpft, gute Gesetzentwürfe zu entwickeln.“ Aber: „Jetzt ist es so, dass eine Gruppe sich ziert, das nächste Woche ins Plenum zu bringen“ – und das ist ausgerechnet die Gruppe der Ampelfreunde von der FDP.
Lauterbachs Prognose: „Wir können das jetzt diskutieren. Ich glaube, dass wir eine Lösung hinbekommen. Aber das Ergebnis ist offen. Es kann auch sein, dass es scheitert.“ Puh!
Patzigste Antwort
Die Talkmasterin beißt sich an den Handreichungen fest: „Erst waren es 17 Seiten, am Freitag kamen 23 Seiten, die beschreiben sollten, wie man das Gesetz umsetzt. Da kamen doch offensichtlich Fragen auf!“
„Wenn wir mit den 23 Seiten nicht hinkommen, dann mache ich 40 Seiten daraus!“ ruft der Minister verärgert. „Ich würde mich auch bedanken, wenn diejenigen, die hier Probleme sehen, zur Abwechslung mal einen Vorschlag machen würden, wie man etwas gelöst bekommt.“ Ächz!
Bedenklichste Vorhersage
„Es ist richtig, dass das für die Omikronwelle nicht mehr die große Bedeutung hat“, fügt Lauterbach hinzu und breitet ergeben die Arme aus. „Das hat Herr Söder rausgearbeitet. Auf die Idee wären wir auch gekommen…“
„Die Wissenschaft geht davon aus, dass Omikron nicht die letzte Variante sein wird“, warnt der Minister dann. Englische Forscher hätten jetzt „vier Szenarien für den Herbst aufgetan“, aber keines davon sei gut.
Lauterbachs Prognose: „Die Idee, dass das jetzt immer harmloser wird, demnächst eine Erkältungskrankheit, das ist eine ganz gefährliche Legende. Das mag in 30, 40 Jahren so sein, aber nicht für die nächsten zehn Jahren.“
Hoffnungsvollste Forderung
„Wir müssen mal aus dieser Angsterzählung raus“, protestiert Stamp. „Wir müssen auch mal wieder zu einer positiven Erzählung kommen!“ Sein Lösungsvorschlag: „Erst einmal eine Beratungspflicht! Jeder muss einen Termin wahrnehmen, bekommt aber gleichzeitig auch ein Impfangebot.“
Und noch mal Zoff
„Es ist schon abenteuerlich, wenn Sie sagen, das Ministerium arbeitet parallel an zwei sich widerstreitenden Gesetzentwürfen!“, staunt Blume. „Regierung kommt von Regieren! Das heißt, dem Land auch eine Richtung geben!“
„Das ist erneut die Schlacht von gestern“, wehrt der Minister ab.
„Aber Sie haben immer noch nichts beschlossen“, setzt der CSU-General nach. „Das ist die Schlacht von Morgen, offensichtlich.“
Heißeste Krokodilstränen
„Ich finde es sehr schade, dass die Union, die ich immer für eine staatstragende Partei halte, sich hier aus parteitaktischen Gründen der Diskussion (um eine allgemeine Impfpflicht) verweigert“, beschwert sich Lauterbach.
„Es ist keine Frage, dass man sich nach so einer Bundestagwahl neu sortieren muss“, meint Stamp, „aber dass man aus einem Oppositionsreflex in einer so schweren Krise so auf parteipolitische Geländegewinne setzt, das finde ich nicht in Ordnung.“ Ausgerechnet Bananen!
Heftigstes Donnerwetter
Der Heimleiterin platzt der Kragen: „Wenn ich in zwei, drei, vier Wochen immer noch keine weiteren Informationen habe, die mich legitimieren, zu handeln“, donnert sie los, „was soll ich dann zu meinen Bewohnern sagen, wenn mir Mitarbeiter abgezogen werden?“
Wichtigstes Versprechen
Lauterbach will um den neuen Novavax-Impfstoff „ringen“. Seine Ankündigung: „Am 21. Februar bekommen wir 1,4 Millionen Dosen, die Woche drauf kommt dann wieder eine Million. Wir liefern das an die Einrichtungen aus, absolute Priorität. Mit diesem Impfstoff werden sich viele der Impfung noch nähern.“
„Wir sind mit dem Unternehmen im Direktkontakt“, betont der Minister dabei. „Wir kämpfen wirklich um jeden Tag, wo wir es früher haben können. Wir müssen denen, die zögern, Angebote machen. Wir müssen jeden einzeln abholen. Wir kämpfen wirklich um jede einzelne Pflegekraft.“ Amen!
Letztes Gefecht
„Mehr Plan, weniger Panik würde ich mir in der nächsten Zeit wünschen“, stichelt Blume. „Da können Sie sich heute Abend hier vielleicht ein bisschen locker machen.“
„Diese 400 bis 500 Toten, die Sie da in der Nacht ausgerechnet hatten, haben natürlich dazu geführt, dass manche einer Sie jetzt schon den Angstminister nennt“, frotzelt die Talkmasterin. Ob Lauterbach jetzt nach einer neuen Begründung suche, nachdem die Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr zu befürchten sei?
Doch da versteht der Minister keinen Spaß: „Ich habe nie eine neue Strategie ausgegeben!“, sagt er erbost. „Das ist mir von der Bildzeitung unterstellt worden: Jetzt plötzlich geht es dem Minister um Tote und nicht mehr um Überlastung. Das habe ich mit keinem Wort gesagt. Aber ich gebe offen zu: Tote sind für mich sehr relevant!“
Fazit
Selbstoptimierte Parteiprofileure mit Hochglanzsprüchen und allerlei Schlaumeiereien. Die Info-Ausbeute für die beiden Praktikerinnen aber blieb leider mager, auch weil die Talkmasterin allzu gern an allen Lunten zündelt. Das war eine Talkshow der Kategorie „Einmal vollzanken bitte!“