Geschichte

Kriegsende in Frankfurt: Frauen mit Genickschüssen ermordet

5.Folge der Serie über das Ende 1945 im Rhein-Main-Gebiet. SS-Leute ermorden 81 weibliche Gefangene mit Genickschüssen. Ein „Tiger“-Soldat warnt eine Hausfrau, die ein weißes Laken aus dem Fenster hängt: „Liebes Frauchen, es ist noch nicht so weit!”

Donnerstag, 29.März 1945: „Mittags ging ich zur Fürstenberger Straße, um zu sehen, was die Amis im I.G.-Hochhaus machten“, berichtet Gustav Lerch. „Karlheinz folgte mir mit seinem wunderschönen, teuren Fahrrad. An der Ecke waren eine Menge Ami-Soldaten. Sofort fragte einer, ob er mal mit dem Rad fahren dürfe. Er drehte einige Runden, und schon wollte der nächste Soldat aufs Fahrrad. Ich dachte schon, Karlheinz wäre sein Rad los, doch bekam er es nach einer halben Stunde zurück.“

Es ist Gründonnerstag – und endlich Frieden: „Ein Alptraum war zu Ende gegangen, der Tausende von Frankfurtern, ein großer Teil davon Frauen, Kinder, Heranwachsende und alte Bürger der Stadt das Leben gekostet hat“, schreibt Lerch in seinem Erinnerungsbuch „Kein Deutscher fällt in die Hände des Feindes“ – die letzten Frankfurter sterben noch, als der Feind Stadt und Einwohner längst fest in der Hand hat.

Am 26.März stecken Nazi-Funktionäre vor dem ehemaligen Gewerkschaftshaus Akten und Vorräte in Brand. Als ein Junge Lebensmittel an sich nimmt, schießen sie ihn nieder. In Hirzenhain ermorden SS-Leute 81 weibliche Gefangene mit Genickschüssen. Dort besteht ein Arbeitserziehungslager, in dem deutsche und ausländische Häftlinge Panzerteile herstellen müssen. Die Opfer werden später auf dem Kriegsopferfriedhof im Kloster Arnsburg beigesetzt.

Die Mainbrücken werden gesprengt. Am Hermann-Göring-Ufer hängt eine Hausfrau ein weißes Laken aus dem Fenster, da kommt noch ein letzter deutscher „Tiger“-Panzer vorbei. Die Luke öffnet sich, ein Soldat steckt den Kopf heraus und sagt: „Liebes  Frauchen, es ist noch nicht soweit!“

Am 27.März liefern die Deutschen den Amerikanern ein Artillerieduell: „Die Luft war erfüllt von dem Heulen und Rauschen der Granaten“, schildert Lerch, „wir hörten die Explosionen der Abschüsse und Einschläge, dazwischen Gewehrfeuer und das Rattern von Maschinengewehren. Das also war der Schlachtenlärm, den wir so oft in den Wochenschauen gehört hatten“ – jetzt tobt der Endkampf mitten in der City.

Ein 17jähriger schießt mit einer Schrotflinte. US-Soldaten stürmen sein Haus, verabreichen dem Jungen aber nur eine Tracht Prügel. Ein pensionierter Major in Zivil jedoch, der mit einem Jagdgewehr feuert, wird als „Partisan“ an die Wand gestellt. Willi Wiegand, als Beobachter hoch oben auf dem Dom, schießt mit dem Gewehr auf Amerikaner am Sachsenhäuser Ufer, und prompt nimmt die US-Artillerie die Domspitze unter Feuer – einer der Einschläge an der Südseite der Kuppel ist bis heute im Sandstein gut zu erkennen.

US-Soldaten werfen kleinen Kindern Bonbons zu, andere geben größeren Jungs Zigarren und lassen sie zum Spaß mit ihren Sturmgewehren durch die Gegend ballern. Aber an der Holbeinstraße schleichen sich zwei Jugendliche mit einer Panzerfaust von hinten an einen schweren US-Tank heran und treffen genau den Turmring: Die Kuppel hebt sich kurz, der Panzer ist außer Gefecht gesetzt, die Besatzung tot.

Die Amerikaner durchkämmen jedes einzelne Haus nach Waffen und versteckten Soldaten. An der Wilhelmsbrücke leiten Männer und Frauen von ihren Fenstern aus tödliches Abwehrfeuer auf die vorrückenden Amerikaner. Als US-Soldaten die Häuser stürmen, zeigen die Ertappten rasch Fotos von ihren Ehefrauen, Ehemännern und Kindern, aber die Amerikaner sind über den Tod ihrer Kameraden so erbittert, dass sie ihre Gefangenen an Ort und Stelle erschießen.

Frankfurts Kampfkommandant Generalmajor Friedrich Stemmermann will seine letzten tausend Mann nicht für sinnlose Durchhaltebefehle opfern. Als er abgelöst wird, sagt er zu seinem Stellvertreter Major Umbach: „Kommen Sie, wir gehen zum Hauptbahnhof und nehmen die amerikanischen Panzer mit unseren Pistolen unter Feuer!“ Der General wird verwundet, der Major gerät in Gefangenschaft. Stemmermanns Nachfolger Oberstleutnant Löffler wird in der gleichen Stunde in seinem Stabsgebäude an der Taunusanlage 12 von einer Granate getötet.

In Niederrad verlässt ein Offizier seinen Bunker mit „Heil Hitler!“ und bekommt dafür von einem erbosten G.I. einen Kinnhaken. Im I.G.-Hochhaus werfen US-Soldaten Schreib- und Rechenmaschinen aus dem Fenster. Andere Amerikaner torkeln volltrunken durch die Große Gallus Gasse, in der einen Hand das Gewehr, in der anderen eine Sektflasche. „Do you have any chocolate?“ fragt ein hungriger Junge. Die barsche Antwort: „Go to the Führer!“

In der Kronprinzenstraße fangen deutsche Mädchen an, mit den Siegern zu schmusen. In Berlin schreibt Goebbels giftig in sein Tagebuch, wenn die Bevölkerung den Amerikanern mit weißen Fahne entgegengehe, wenn deutsche Frauen sich erniedrigten und amerikanische Soldaten umarmten, sei es kein Wunder, dass deutsche Soldaten nicht weiterkämpften, sich zurückzögen oder in Gefangenschaft gingen.

Am 29.März wird längst überall geplündert. Wenn US-Soldaten warnend über die Köpfe feuern, heben die Deutschen immer nur eine Hand – die andere hält das Beutegut fest umklammert. Im Gebäude der Metallgesellschaft am Reuterweg bildet US-Oberst Howard D. Criswell eine Militärregierung. Zum ersten Bürgermeister ernennt er Wilhelm Holbach, ehemals Chefredakteur der Frankfurter Zeitung. Eine neue Zeit bricht an.

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