„maybrit illner Ukraine Spezial“. ZDF, Donnerstag, 24.Februar 2022, 21.25 und 22.10 Uhr.
Die freie Welt im Schock: Putin lässt die Panzer auf die Kette! Es ist der erste Angriffskrieg gegen ein fremdes Land auf europäischem Boden seit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion. Alle großen Sender ändern ihr Programm. Das ZDF versammelt Spitzenpolitiker in einem spontanen Kriegs-Talk. Die Gäste:
Robert Habeck (52, Grüne). Der Wirtschaftsminister meldet entsetzt: „Wir haben einen massiven Landkrieg in Europa!“
Lars Klingbeil (44, SPD). Der Parteichef klagt, Putin nehme in Kauf, dass jetzt „viele Menschen mitten in Europa sterben“.
Sigmar Gabriel (62, SPD). Der Ex-Außenminister ahnt: „Putin hält uns alle für Weichlinge!“
Marina Weisband (34, Grüne). Die deutsch-ukrainische Publizistin stellt nüchtern fest: „Das hier ist ein Krieg des autoritären Imperialismus gegen die Demokratie.“
Erich Vad (65). Der Brigadegeneral a.D. beriet Angela Merkel bei NATO-Entscheidungen über die Ukraine.
Melanie Amann (44). Die Journalistin („Spiegel“) hadert mit der einäugigen Friedensbewegung.
Politiker und Journalisten seit Wochen im Talkshow-Dauereinsatz. Das Zoff-o-Meter zählt auch Meinungswechsel mit!
Erschütterndste Infos
„Man versucht sich einzudecken mit Lebensmitteln, Benzin, mit allem, was über die nächste Zeit hilft“, berichtet die Deutsch-Ukrainerin über die Familie in ihrer Heimatstadt Kiew.
Aber: „Andere Menschen reagieren panischer. Wir wissen von Bekannten, die den ganzen Tag mit ihren Kindern in den Metroschächten verbracht haben, um nicht von Explosionen getroffen zu werden. Wir wissen von Eltern in Dörfern, die unter heftigem Beschuss in den Kellern über ihren Kindern gelegen haben.“
Bewegendstes Lagebild
„Junge Männer schreiben sich ein in den Dienst, nicht nur für die Front, sondern es werden in Kiew auch Nachbarschaftswachen aufgestellt, die das eigene Viertel verteidigen“, berichtet Weisband weiter. „Wenn Putin mit einer schnellen Kapitulation rechnet, hat er die Rechnung ohne das ukrainische Volk gemacht.“
„Man will die Ukraine nicht verlassen“, fügt sie hinzu, „weil es darum geht, das eigene demokratische Land zu verteidigen. Putins Ziel ist es, eine prorussische Regierung einzusetzen und zu zeigen, dass ein demokratische Land neben Russland nicht bestehen kann.“
Wahrscheinlichste Strategie
„Es ist ein konzentrischer Angriff von allen Seiten aus einer militärstrategischen Situation, die den Ukrainern keinen Spielraum lässt“, bedauert der General.
Nach seiner Einschätzung zeichne sich ab, dass Putin beiderseits des Dnjepr nach Kiew vorstoßen und aus dem Donbass eine Landverbindung in Richtung Krim, Odessa und Transnistrien schaffen werde. Dann bliebe von der Ukraine nur ein Rumpfstaat mit einer Marionettenregierung übrig.
Klarsichtigste Analyse
„Er hat heute Nacht viele widerliche Lügen gesagt“, erklärt Weisband, „aber er hat unwillkürlich auch einen wahren Satz gesagt: ‚Der russische Staat könnte nicht existieren neben einer modernen Ukraine.‘“
Ihre Erklärung: „Putin hat vor nichts mehr Angst, als dass sein eigenes Volk sich mit dieser Idee der Demokratie ansteckt und seine eigene Kleptokratie beendet.“
Teuerstes Argument
„Heute Abend werden in Brüssel Sanktionen beschlossen, die auch uns wirtschaftlich hart treffen“, kündigt Klingbeil an. „Wir nehmen sehr bewusst auch eigene ökonomische Konsequenzen in Kauf. Die Machtzirkel um Putin werden das zu spüren bekommen!“
„In Deutschland wird heute in vielen Wohnungen zum ersten Mal seit Jahren wieder über Krieg in Europa geredet“, fügt der SPD-Chef hinzu. „Es war richtig, jede diplomatische Möglichkeit zu greifen.“
Düsterste Prognose
„Putin wird diesen Krieg gewinnen“, sagt der General voraus. „Jetzt noch Militärhilfe zu leisten bringt nichts mehr. Meine Bewertung ist, dass es nur um ein paar Tage gehen wird.“
Seine hoffnungsvolle Einschränkung: „Es sei denn, Putin geht in die Westukraine. Dort müsste er damit rechnen, dass Teile der Streitkräfte weiterkämpfen: Partisanen, Guerillakrieg, Abnutzungskrieg im Stile Afghanistans.“ Uff!
Unfairster Seitenhieb
„Ich glaube, dass Putin auf mittlere Sicht einen großen Fehler gemacht hat“, urteilt Klingbeil. „Die NATO ist gestärkt wie lange nicht mehr. Die sicherheitspolitische Debatte wird sich in Deutschland fundamental ändern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben müssen.“ Hosianna!
Es sei interessant, dass auch Annegret Kramp-Karrenbauer dieser Meinung sei, die ja Verantwortung für die Bundeswehr getragen habe, ergänzt der SPD-Chef und ätzt: „16 Jahre lang Konservative an der Spitze des Verteidigungsministeriums!“ Hm – aber welche Partei hat eigentlich die Erhöhung des NATO-Beitrags immer an eifrigsten blockiert?
Unliebsamste Erkenntnisse
„Wir haben über lange Zeit das Konzept gehabt: Wandel durch Handel“, erinnert Klingbeil. „Sowohl bei China als auch bei Russland sehen wir, dass dieses Konzept gescheitert ist und wir einen anderen, einen abschreckenderen Umgang mit autoritären Staaten brauchen.“ Rumms!
„Ich weiß noch, wie Heiko Maas versucht hat, eine schärfere Russland-Politik zu bewirken“, patzt ihn die „Spiegel“-Journalistin an. „Wie wurde er da von der SPD-Spitze – Sie waren damals Generalsekretär – zusammengefaltet!“
Ihre Einschätzung der aktuellen Lage: „Da stehen sich ein David und ein Goliath gegenüber, nur dass der David dieses Mal keine Schleuder hat.“
Elegantester Sidestep
Über „Nord Stream 2“ lästert Amann: „Wenn man sieht, wie Ihre Kollegin Manuela Schwesig dieses Projekt mit allen Kräften irgendwie juristisch abgesichert hat, und wie da immer auch der Rat von Gerhard Schröder gesucht wurde! Da sieht die SPD nicht sehr gut aus.“
Doch an diesem Thema ist Klingbeil wenig interessiert: „Wir sind an einem Tag, wo mitten in Europa ein Krieg ausbricht!“, kontert er, „und manche Debatte, die vor ein paar Jahren mal war…“ Ja ne, is klar.
Wertvollster Lichtblick
„Wir sehen heute Demonstrationen in Moskau und St.Petersburg“, freut sich Weisband. „Die sind nicht gewaltig. Aber dafür, dass jeder verhaftet wird, der mit einem Schild auf die Straße geht, sind sie schon groß.“
Ihre Hoffnung: „Wenn wir es schaffen, durch die sozialen Medien zu der russischen Bevölkerung zu kommunizieren, können wir Putin stürzen!“
Optimistischste Erwartung
Habeck, zum zweiten Teil des Talks zugeschaltet, ist wie sein Kanzler sicher, dass Putin am Ende verlieren werde, denn: „Autokraten und Diktatoren leben in Angst, halten ihre Bevölkerung in Angst und werden deswegen auf Dauer immer die Schwächeren sein.“
Sein Credo: „Am Ende werden die Menschen mit ihrer Hoffnung, ihrem Mut, ihrem Streben nach Freiheit über die Diktatoren siegen. Das Tragische ist, dass das manchmal ein bisschen länger dauert. Aber in diesem Sinne wird Putin als Verlierer aus der Sache herausgehen, weil er keine Freunde mehr haben wird.“
„Rational ist dieser Krieg nicht zu erklären“, grollt der Minister dann. „Er ist eine Idiotie!“
Heftigste Abreibung
„Ein klarer Fehler, den Deutschland gemacht hat, ist, sich energiepolitisch abhängig zu machen von einem Despoten, einem Diktator und einem Kriegstreiber!“ wettert Habeck danach. „Wäre ‚Nord Stream 2‘ nicht gebaut worden, dann hätten wir souveräner agieren können.“
Sein härtester Vorwurf: „Es gibt viele Menschen in der SPD, die diese Pipeline bewusst gewollt, gefördert und vielleicht auch von ihr profitiert haben.“ Ui!
Die Talkmasterin ist so begeistert, dass sie ins Schwärmen gerät: „Wir danken für dieses Gespräch. Robert Habeck war das, der Vizekanzler des deutschen Landes!“
Furchterregendster Kommentar
Nach dem Minister erscheint der Ex-Minister auf dem Monitor. „Wir werden uns auf einen langen Weg einstellen müssen“, warnt Gabriel. „Und wir werden die Sanktionen lange durchhalten müssen, bis sie Wirkung erzielen.“
Zu Putins unverhohlener Atomdrohung mahnt der SPD-Politiker, dass „die russische Militärdoktrin ungefähr so ist wie die der NATO in den sechziger Jahren, nämlich dass der Einsatz von Nuklearwaffen am Anfang einer militärischen Konfrontation steht und nicht etwa am Ende.“
Peinlichste Beobachtung
Die Talkmasterin findet das pazifistische Engagement im Westen gegenüber Putin etwas lau: „Man würde sich ja vielleicht auch wünschen, dass es noch mehr Demonstrationen auf den Straßen gibt!“
„Spiegel“-Amann ist ratlos: „Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die Friedensbewegung eine tendenziell eher linke Bewegung ist und eine gewisse Grundsympathie für Russland hegt“, grübelt sie. „Die Linke musste sich doch sehr durchringen zu einer klaren Verurteilung von Putins Politik…“
Klügstes Schlusswort
„Es gibt viele, die der Putinschen Propaganda aufsitzen“, warnt Gabriel. „Die sagen: Ihr seid doch selbst schuld, ihr habt den Bären gereizt – und die übrigens erschreckend herzlos gegenüber dem Schicksal der Ukrainer sind.“
„Was Putin will, ist offensichtlich“, macht der Ex-Außenminister und frühere SPD-Chef zuletzt klar. „Er will die Chance nutzen, Russland zurück in die Rolle einer Großmacht zu bringen, in die Machtposition, über das Schicksal Europas zu entscheiden.“
Fazit
Zu einer Kernschmelze passt kein Kokolores, und Illner tischte auch keinen Laberkäse auf. Stattdessen machten erprobte Talk-Profis dem Publikum klar, wie Putins Kugel in die Kegel rollt, wenn der Westen stillhält. Gruselige Gefahren, schlimme Erinnerungen, böse Visionen: Das war ein Talk der Kategorie „Osttraumatisch“.