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Kriegs-Talk bei Illner: Gauck zieht Parallelen zwischen Putin und Hitler

„Maybrit Illner: „Ein Jahr der Krisen – Angst vor der Zeitenwende?“ ZDF, Donnerstag, 15.Dezember 2022, 22.55 Uhr.

Krieg! Klima! Energie knapp, Geld immer knapper! Die Koalition konfus, die Opposition ohne Durchschlagskraft, das Volk nervös. Maybrit Illner kommt auf den Punkt. Die Gäste:

Joachim Gauck (82). Der Bundespräsident a.D. warnt: „Die Klima-Protestierer handeln strategisch total falsch!“

Prof. Hedwig Richter (49). Die Historikerin schlägt Alarm: „Es gibt keine soziale Gerechtigkeit, solange der Planet brennt!“

Sarah-Lee Heinrich (21, Grüne). Die Chefin der Parteijugend fürchtet für ihre Generation: „Es wird kaum etwas besser und vieles schlimmer!

Claus Kleber (67). Der Ex-Moderator vom „heute Journal“ klagt: „Die Fernsehzuschauer sterben uns weg!“

Der letzte Prime-Talk des Jahres setzt voll auf den unbequemen alten Weisen der deutschen Politik. Das Zoff-o-Meter hofft auf manierliche Reaktionen!

Kühlste Entwarnung

Zum Start stellt Kleber erst mal die aktuellen Alarmsirenen in Politik und Medien leiser. Sein unaufgeregtes Urteil über die Reichsbürger-Razzia: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus diesem Haufen irgendetwas Gefährliches für unsere Ordnung entsteht!“

Zwar, so der News-Oldie weiter, „brauchte es ja auch keine gefährliche Organisation, um Walter Lübcke zu töten.“ Aber trotz der Ermordung des hessischen CDU-Landrats könne er jetzt in den Umtrieben der festgenommenen Rechtsextremisten „eine Gefahr für unser Staatswesen nicht erkennen.“ Uff!

Energischster Widerspruch

„Ich denke, wir sollten das ernst nehmen“, mahnt Prof. Richter, die an der Bundeswehruniversität München Geschichte lehrt. „Auch wenn das scheinbar verrückte Typen sind – ganz bestimmt sind sie verrückt -: Rechter Terror gehört einfach zur Geschichte der Bundesrepublik!“

Grüne-Jungpolitikerin Heinrich hofft eher milde, „dass nach den Razzien gegen die Reichsbürger die Vergleiche mit der Klima-RAF ein bisschen zur Ruhe kommen, weil das total unverhältnismäßig war.

Lockerste Sprüche

Dann rutscht Kleber in extremer Körperspannung auf die äußerste Stuhlkante vor und doziert wie aus dem Sattel: „Das muss ein demokratischer Staat aushalten, dass mal die Zufahrt zum Flughafen zugeklebt ist, für ein paar Stunden.“ Horrido joho!

Prof. Richter wiederum freut sich über Chancen aus dem Klimawandel, etwa „dass man ein Recht hat auf irgendwie ein Verkehrsmittel und nicht ein Recht darauf, drei Autos vor der Tür zu haben.“ Ächz!

Privatestes Bekenntnis

Der Bundespräsident a.D. sitzt ganz allein an Illners Tisch, denn das Gespräch mit ihm wurde bereits am frühen Abend ohne die anderen aufgezeichnet. „Es gibt sogar Geld für Menschen, die es nicht brauchen“, urteilt er über die neuen Regierungshilfen. „Ich vermute, ich kriege auch noch 300 Euro!

Seine Reaktion: „Ich war früher arm und gehöre jetzt zu denen, für die das kein Problem ist, weil ich finanziell so ausgestattet bin, wie ich bin. Gleichzeitig habe ich in der Familie Menschen, die voller Sorge auf das Monatsende schauen und sehr dankbar sind, dass unser Staat Abfederungen macht.“

Klarsichtigste Analyse

„In unserer Koalition sind sehr unterschiedliche Politikansätze miteinander verbunden und müssen sich gegenseitig helfen, um zu regieren“, stellt er dazu fest. „Wir wollen hoffen, dass sie sich nicht gegenseitig hindern.“ Peng!

Die Verunsicherung in ganz Europa hänge, so Gauck, damit zusammen, „dass eine Fülle von Veränderungen die Menschen in Angst versetzen: Globalisierung, Entgrenzung durch die Europäisierung, die sagenhafte Entwicklung im technologischen Bereich.“ Dazu Klimakrise, Finanzkrise, Migrationskrise. Sein Fazit: „Sie haben letztlich Angst vor der Moderne.“

Eindringlichste Warnung

In Europa seien „33 Prozent der Menschen psychisch so extrem strukturkonservativ geprägt, dass ihnen Entwicklungsphasen, in denen sich sehr viel verändert, Angst machen“, erklärt der Altbundespräsident dazu. „Und Angst ist immer eine große Zeit für Populisten und eine schwierige Zeit für rationale Politik.“

Über die Razzia sagt Gauck klipp und klar: „Ich will eine Demokratie, die sich wehrt und nicht einfach abwartet und zuschaut. Insofern kann ich damit umgehen, dass diesen merkwürdigen Verfassungsfeinden einmal ihre Grenzen aufgewiesen werden. Wir haben sehr lange zuschaut!“

Klarste Kante

„Wir leben nicht nur mit Menschen zusammen, deren Werte wir teilen“, fügt der Altbundespräsident mit mahnenden Handbewegungen hinzu. „Die dürfen auch dumm bleiben, wenn sie das wollen. Aber wir müssen nicht ertragen, wenn sie ganz grundsätzlich unsere Verfassung ablehnen und dann noch mit Waffen Menschen vielleicht bedrohen. Zum Teil spinnen sie auch.“

Zu Verschwörern aus Justiz, Bildungswesen und Bundeswehr sagt Gauck: „Warum sollen wir uns Sorgen machen, wenn drei, vier Figuren aus den akademischen Kreisen dazugehören? Auch Lenin hatte studiert. Sie werden niemals eine Bewegung haben, die nur aus Tölpeln besteht, sondern es wird immer eine intellektuelle Begleitung geben, die aus allen möglichen Wirrköpfen besteht.“ Rumms!

Knalligste Kritik

Dass mit den Reichsbürgern der Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, ist für Gauck „einfach Unfug“. Anders als in der Weimarer Republik gebe es heute „eine überaus stabile Mitte“, erkennbar im Wahlverhalten, aber auch – und jetzt ballt Gauck die Faust – „an der Kraft unserer Zivilgesellschaft.“

Die Klimakleber seien „ein ganz anderes Kapitel“. Gauck: „Das ist keine Bedrohung der Gesellschaft.“ Über den von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt formulierten Vorwurf „Klima-RAF“ lächelt er milde: „Man hat ihn ja nun genug abgewatscht. Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Kawumm!

Berechtigtster Tadel

Allerdings dürfe man die Klimakleber „wegen ihrer falschen Strategie kritisieren“, meint Gauck. Sein Rüffel: „Wenn über 80 Prozent der Menschen diese Aktionen nicht gut finden, wobei 60 Prozent die Anliegen gut finden, dann ist offensichtlich die Strategie wenig geeignet, um in der breiteren Bevölkerung Sympathie zu gewinnen.

Sein wichtigster Punkt: „Ich darf nicht als Einzelner oder in der Gruppe, mit einer speziellen Moral ausgestattet, sagen: Meine Moral ist wichtiger als die Normen, unser Recht und auch unser Ordnungsrecht. Das geht nicht! Es ist gefährlich, die persönliche Moral über das zu stellen, was das Gemeinwesen gesetzlich normiert hat.“

Ungewöhnlichste Vergleiche

Dann zählt Gauck an den Fingern weitere mögliche Protestbewegungen auf: „Sie müssen sich nur mal ausmalen, wenn die nächste Gruppe die Tierschützer sind, die sich ankleben. Dann kommen die Menschen, die gegen Abtreibung sind. Dann würden vielleicht die frustrierten Anhänger einer Fußballmannschaft sagen: Wir kleben uns an den Stadiontoren fest.“

Seine Sorge: „Mit kleinen Unachtsamkeiten gegenüber dem Recht beginnt diese abschüssige Ebene, wo du alles relativieren kannst und sagen: Brauchen wir überhaupt den Rechtsstaat? In der DDR hatten die Regierenden auch ein Recht, aber die Macht konnte immer durchgreifen.“

Besorgteste Mahnung

Auch die Migrationskrise macht Gauck große Sorgen: „Wenn wir beim Thema Zuwanderung zu leger sind“, warnt er, „kann es Situationen geben, dass in der Gesellschaft ein Kippmoment entsteht, wo so viel Widerstand gegen eine öffnende Politik ist, dass dann die Gefahr ist, dass wirklich Extreme an die Macht kommen!“

„Angela Merkels Wort ‚Wir schaffen das‘ war damals total richtig“, erinnert der Altbundespräsident, aber: „Was vielem gefehlt hat, ist, w i e wir es schaffen.“

Seine unbequemen Fragen: „Ist der deutsche Mensch überhaupt noch imstande, Erdbeeren zu pflücken und Spargel zu stechen? Nein, der deutsche Mensch hat Rücken. Kann er noch Eltern und Großeltern pflegen?  Nein. Wir brauchen Zuzug.“

Gretchenfrage des Abends

Zu Putins Mordkrieg und die Hilfe des Westens will Illner wissen: „Befürchten Sie, dass wir früher aufgeben als er?“

Gauck legt nachdenklich die Finger an die Lippen. „Das kann man schon befürchten“, gibt er zu. „Adolf Hitler hat auch gedacht, der Westen ist zu weich und die Engländer sind sowieso dekadent, und die Polen sowieso verweichlicht.

Stärkstes Bekenntnis

„Sie haben mal gesagt, Sie würden eine Waffe in die Hand nehmen“, erinnert die Talkmasterin.

„Das habe ich gesagt, weil es mich aufgeregt hat, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die meinen, mit einem Pazifismus im politischen Raum könnten wir alle Probleme lösen“, erwidert Gauck. In Srebrenica oder in Ruanda hätte der Westen Volkermorde verhindern können.

Sein Credo: „Deshalb muss ein anständiger friedliebender Bürger irgendwann begreifen: Es gibt Situationen, wo Zuschauen und gut Zureden nicht hilft.“ Dann kommt noch einmal die Gauck-Faust: „Sondern wo eine größere Kraft und Entschiedenheit auf den Tisch und auf die Agenda gehört! Wenn eine Gesellschaft das nicht begreift, dann sehe ich keine Zukunft!“

Ermutigendste Prophezeiung

Putin wird sich verrechnen“, sagt der Altbundespräsident zum Schluss voraus. „In unserer verwöhnten Landschaft, weil wir ja Krieg überhaupt nicht mehr kennen, wird wieder ein Bewusstsein entstehen: Das, was uns am Herzen liegt, das haben wir auch zu schützen. Notfalls mit der Waffe!“

Dickstes Kompliment

Hat der Bundeskanzler zu lange gebraucht, bis wir Waffen geliefert haben?, erkundigt sich Illner.

„Jetzt wollen wir ihn erst mal loben“, antwortet Gauck mit abwehrenden Gesten. „So schnell nach dieser widerlichen Aggression durch Putin sich vor den Bundestag zu stellen und eine Rede zu halten, von der ich nicht weiß, welche Person sie eigentlich noch behalten hätte!“

„Für mich dürfte es schneller gehen“, urteilt er über die deutsche Waffenhilfe. „Für alle Ukraine auch. Alle Ukrainer sind die Opfer eines verbrecherischen Angriffskrieges, den sie nicht provoziert haben. Deshalb gehört es sich, diesen Menschen beizustehen.“ Dreimal Amen!

Zitat des Abends

Die Ukrainer verteidigen das, was wir leben.“ Joachim Gauck

Fazit

Früher: Jugend forscht. Heute: Jugend klebt. Naseweisheiten in flacher Lernkurve, dafür moralische Herrenreiterpose. Zum Glück stand auch ein echtes Schwergewicht auf der Meinungs-Waage: Gauck sagt in einer Stunde Klügeres als andere im ganzen Jahr. Das war eine Talkshow der Kategorie „Deutsches Sprichwort“: Alter Speck macht fette Suppen!

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