„Anne Will: Angriff auf die Ukraine – wie kann Putins Krieg beendet werden?“ ARD, Sonntag,. 13.März 2022, 22 Uhr.
Der Krieg rollt in die Mitte Europas: Flüchtlingsströme in Deutschland, Raketenschläge knapp vor der polnischen Grenze. Anne Will ist alarmiert. Ihre Gäste:
Robert Habeck (52, Grüne). Der Vizekanzler will bis Herbst raus aus Putins erpresserischer Energie-Zange.
Dmytro Kuleba (40). Der ukrainische Außenminister stellt klare Forderungen an die Bundesregierung.
Lars Klingbeil (44). Der SPD-Chef lobte Schröders Propaganda-Trip zu Putin. Seither Funkstille. Gibt’s heute mal was Info?
Claudia Major (45). Die Politologin warnt, Putins Ziel sei es, in der Ukraine einen Vasallenstaat zu errichten.
Katja Petrowskaja (52). Die Schriftstellerin stammt aus Kiew, fleht immer wieder um Hilfe für ihre blutende Heimat.
Roderich Kiesewetter (58). Der CDU-Politiker und Oberst a.D. fordert: „Sanktionen gezielt verschärfen, Druck erhöhen. Abwarten ist keine Option bei Leid und Tod!“
Die Putin-Versteher müssen heute draußen bleiben. Das Zoff-o-Meter bleibt trotzdem misstrauisch.
Bitterste Untertreibung
„Wenn wir einen unüberlegten Schritt machen, halten wir die Maßnahmen nicht durch“, mahnt Habeck auf seinem Monitor. „Wir dürfen Putin auf keinen Fall den Triumph geben, dass wir Maßnahmen wieder zurücknehmen müssen, weil wir sie nicht durchstehen.“
Aber, so der Wirtschaftsminister weiter: „Bei Kohle, Öl und selbst bei Gas sind wir dabei, uns Schritt für Schritt unabhängig zu machen. Nur eben nicht sofort. Das ist bitter, das ist auch moralisch nicht schön, das zuzugeben, aber das können wir noch nicht.“
Schwammigste Antwort
Die Talkmasterin setzt sofort eine Nadel in den schwachen Punkt: „‘Moralisch nicht schön‘ klingt, ehrlich gesagt, nicht schön, angesichts des Leids der Menschen in der Ukraine! Das heißt: Sie bleiben dabei, komme was wolle, dass Deutschland nicht sofort ein Energie-Embargo verhängt?“
„‘Komme was wolle‘ ist in dieser Situation eine Redewendung, die nicht durchtragen kann, weil man einfach nicht weiß, was passiert“, schwurbelt der Minister drauflos. „‘Komme was wolle‘ ist eine Redewendung, die nicht brauchbar ist in einer Situation, wo dauernd rote Linien überschritten werden.“ Ernsthaft?
Zufriedenstes Statement
„Klug ist es, und konsequent ist es, dass Deutschland mit seinen Möglichkeiten die ukrainische Armee und die ukrainische Zivilbevölkerung unterstützt„, fügt Habeck dann hinzu, „und in der Allianz mit den Alliierten scharfe Sanktionen gegen das Putin-Regime verhängt hat.“
Seine Bilanz: „Im Sommer haben wir es geschafft, auf Kohle aus Russland zu verzichten, und Ende des Jahres werden wir es wohl auch bei Öl geschafft haben. Das ist die Konsequenz, dass die Bundesregierung, die Unternehmen, dass ich daran arbeite.“ Wumms!
Düsterste Drohkulisse
„Wenn man jetzt sofort den Schalter umlegt, wird es in Deutschland zu Lieferengpässen, ja zu Lieferabbrüchen kommen“, warnt Habeck, „zu Massenarbeitslosigkeit, zu Armut, zu Menschen, die ihre Wohnung dann nicht mehr heizen können, zu Menschen, die kein Benzin mehr haben.“
Zur Forderung der CDU/CSU, Nord Stream 1 stillzulegen, meint der Minister: „Es ist nicht entscheidend, durch welche Pipeline das Gas kommt. Weiterführender ist der Gedanke, dann man die Übergewinne, die dann auch Gazprom erzielt, stärker mit Zöllen oder mit Steuern belegt. Daran arbeitet die Europäische Union, und daran arbeiten wir.“ Uff!
Deutlichster Wink mit dem Geldbeutel
„Heute meldet die Bild-Zeitung, dass Christian Lindner die Idee habe, einen Tankrabatt einzuführen. Ist das überhaupt mit Ihnen abgestimmt?“, will die Talkmasterin als nächstes wissen.
Prompt haut der Minister eine mittelschwere Medienschelte raus: „Wenn eine Zeitung auf der einen Seite fordert: Macht mal ein Sofort-Embargo, und auf der anderen Seite sich aber über die hohen Preise beklagt, dann ist das schwer zusammenzukriegen!“, murrt er. Hm – auch nicht mit einer Energiesteuersenkung?
Kühlste Kollegenrüge
„Die Menschen werden in diesem Jahr extrem hohe Heizkostenrechnungen bekommen“, sagt Habeck voraus. „Aber auch Strom ist teuer, und natürlich auch das Tanken.“
„Entlastungsmaßnahmen müssen umfassend sein“, doziert er. „Sie müssen mit Effizienzmaßnahmen kombiniert sein, und brauchen immer ein marktwirtschaftliches Signal. Es muss sich lohnen, zu sparen. Alle drei Maßnahmen sind jetzt in dem Katalog von Christian Lindner noch nicht so abgebildet. Da kann man das noch ein bisschen besser machen. Nicht alles, was einem irgendwie einfällt, ist dann auch kluge Politik“ Rumms!
Hintersinnigster Vorschlag
Die Talkmasterin wittert Zoff: „Es war also nicht mit Ihnen abgesprochen?“ fragt sie nach.
„Naja, es sind ja lauter Vorschläge auf dem Markt“, wiegelt der Minister ab. „Alle erzählen jetzt im Moment, was ihnen sinnvoll erscheint. Ich glaube, klug ist es, sich mal zusammenzusetzen, alles systematisch aufzuarbeiten und dann die richtigen Entscheidungen zu treffen.“ Aha. Zum Beispiel mal im Kabinett?
Gepfeffertste Frage
„Statt zu entscheiden, dass sich Deutschland nicht mehr daran beteiligt, Putins Krieg zu finanzieren, entlasten Sie die Bürger“, patzt Will ihn an. „Ist das Ihre Antwort auf das Leid der Menschen in der Ukraine?“
„Wir haben Entscheidungen getroffen, die noch keine Bundesregierung in den letzten Jahrzehnten getroffen hat!“, wehrt sich Habeck stolz.
Verblüffendste Erklärung
Dazu gehörten Waffenlieferungen und Sanktionen: „Wir tun sehr viel“, behauptet der Minister, „aber es ist ein Gebot politischer Klugheit, nichts zu tun, was die eigene Position so schwächt, dass man sie am Ende nicht durchhalten kann. Also den Ast abzusägen, auf dem man sitzt.“
Die nächste Frage bringt ihn endgültig ins Schleudern: Ob Deutschland wirklich alles tue, um Putin zu stoppen? „Es ist richtig, dass wir nicht alles tun“, antwortet Habeck zum Erstaunen der Runde.
Denn, so der Minister weiter: „Es gibt kein Verbot von Exporten von russischem Weizen, oder Lebensmitteln, also … äh … Weizen, oder Sonnenblumen, oder Raps.“ Heidewitzka!
Bedenklichste Analyse
„Es scheint mir auch so, dass Putin anknüpft am Zarenreich und versucht, Territorialpolitik zu betreiben, die Grenzen zu verschieben mit Mitteln, wie wir sie nur noch aus dem Imperialismus kannten“, erläutert Habeck dann.
Seine ernüchternde Prognose: „Ich sehe nicht, dass das nach der Ukraine, wenn er denn diesen Krieg überlebt, aufhören würde. Das scheint mir ein Muster zu sein, und mit fortschreitender Regierungsdauer ein immer irrationaleres Muster.“
Emotionalste Klagen
„Was muss noch geschehen?“, fragt die Ukrainerin danach schon ziemlich verzweifelt. „Brauchen wir 100.000 Tote, um zu sagen, wir müssen jetzt den Himmel schließen und sofort alles abschalten, was wir abschalten können? Das Problem ist, dass Putin nur Stärke versteht. Wir werden für diesen Krieg jeden Tag mehr bezahlen, wenn wir zögern!“
„Die Emotionalität ist etwas, das auch an uns Politikern menschlich zehrt“, gesteht der SPD-Chef sichtlich bewegt. In einer Flüchtlingsunterkunft in seinem Wahlkreis habe er „unfassbare Schicksale“ gehört. „Jeder in der Regierung“ sei „hochemotional“, aber „am Ende geht es darum, auch den übernächsten Schritt zu bedenken.“
Dann springt das Zoff-o-Meter an
„Wir müssen Putin den Geldhahn abdrehen!“, fordert der CDU-Oberst. „Wenn Putin uns den Hahn abdreht, müssen wir ja auch damit leben. Warum tun wir das nicht selbst, schon in diesem Jahr?“
Der SPD-Chef wählt einen parteitaktischen Konter: „Bei aller Wertschätzung für den Kollegen Kiesewetter: Es sind jetzt auch gerade Ministerpräsidenten der Union, die beim Thema Spritpreise anfangen, Unterschriften zu sammeln, die Selfie-Videos vor Tankstellen machen…“
„Tobias Hans!“, petzt die Talkmasterin und meint: Im Saarland ist bald Wahl…
Vorsichtigste Hoffnung
„Wir wollen mit den Sanktionen dafür sorgen, dass Russland seine Politik verändert“, stellt Politologin Major fest. „Es geht letztlich darum, wer länger durchhält.“
Die Verluste der Russen an Menschen und Material „drängen Putin dazu, wenigstens ein wenig seine Position zu verändern“, hofft Außenminister Kuleba in Kiew vor der blaugelben ukrainischen Fahne. Trotzdem würden die brutalen Angriffe auf Zivilisten unvermindert weitergehen – selbst in den humanitären Korridoren.
Wichtigste Forderungen
„Deutschland hat dazu beigetragen, die Macht Russlands aufzubauen“, erinnert der Minister ganz ohne diplomatischen Weichzeichner. „Wir hoffen, dass Sie entsprechend viel leisten, um die russische Kriegsmaschinerie anzuhalten!“
Kulebas dringendste Wünsche: 1. Unterstützung mit allen notwendigen Waffen. 2. Mehr Sanktionen, denn: „Wenn ich bei der EU nachfrage, warum diese oder jene Sanktion noch nicht eingeführt wurde, heißt es immer: Das ist wegen Deutschland!“ 3.Deutsche Hilfe zur Aufnahme der Ukraine in die EU.
Schlimmste Beschuldigung
„Vor ein paar Tagen hat unsere Armee in eines der russischen Infanteriefahrzeuge geschaut und gesehen, dass Teile der Hauptkomponenten, die diese Fahrzeug antreiben, tatsächlich von Bosch geliefert wurden“, berichtet der Minister erbost. Die Schriftstellerin schlägt die Hände vor das Gesicht.
Mit deutscher Technik seien die Russen in die Ukraine gekommen, „um Menschen zu töten und Städte zu zerstören“, klagt Kuleba. „Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass wir geliefert bekommen, was wir brauchen, um uns zu verteidigen!“
Unerwartetste Gegenattacke
„In Moldawien, Rumänen und Polen argumentiert man weitaus weniger verzagt als bei uns“, berichtet Kiesewetter. „Wir sollen selber Forderungen stellen: Abzug der Mittelstreckenraketen aus Kaliningrad! Abzug der russischen Truppen aus Transnistrien! Abzug der russischen Truppen aus den teilbesetzten Gebieten in Georgien!“
Seine Hoffnung: „Putin wird auf lange Sicht dazu bereit sein müssen, weil der Druck auf ihn zu groß wird. Die Drohungen gegen Moldawien oder das Baltikum müssen wir ernst nehmen. Wir brauchen Diplomatie und Härte!“
Letztes Gefecht
„Wir sehen die letzten Tage von Putins Macht“, hofft die Ukrainerin. „Wir sehen, dass auch in Russland sehr viel passiert!“
Zum Schluss wird Klingbeil doch noch mit einer Frage nach seinem Ex-Kanzler genervt. „Gerhard Schröder ist nicht im Auftrag der SPD, der Bundesrepublik, der Bundesregierung unterwegs“, murrt er verdrossen.
„Er ist, wie ich gelesen habe, von ukrainischer Seite gebeten worden, aber nicht von uns“, fügt der SPD-Chef hinzu. Die Ukrainerin lächelt spöttisch: Im Osten fällt auf die Desinformationstricks des Kreml und seiner Unterstützer schon lange niemand mehr herein.
Fazit
Erklärungen voll Engagement und Emotionen, aber unklare Lösungsansätze und auf deutscher Seite mehr Zweifel als Traute: Das war eine Talkshow der Kategorie „Härtetest“.