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Klingbeil bei Maischberger: „Putin hat den Zugriff auf den Westen verloren!“

„Maischberger“. ARD, Dienstag, 31.Mai 2022, 23.05 Uhr

Die „Zeitenwende“ des Bundeskanzlers kostet mehr Zeit, als sie Wende bringt. Vor allem die versprochene Lieferung schwerer Waffen an die bedrängte Ukraine kommt nicht in die Gänge. Auch sonst hat sich für Sandra Maischbergers Dienstalk jede Menge Zündstoff angesammelt.  Die Gäste:

Lars Klingbeil (44, SPD). Der Parteichef gesteht: „Wir haben uns zu stark auf Russland konzentriert, müssen viel stärker mit den osteuropäischen Staaten kooperieren!“

Szymon Szynkowski vel Sęk (39). Der polnische Vizeaußenminister vermutet: „Olaf Scholz glaubt nicht an eine Niederlage Russlands.“ Er wird von einer Reise nach Sarajevo zugeschaltet.

Fabian Leendertz (49). Der Seuchenexperte sagt über die Affenpocken: „Wir müssen nicht panicken. Wir können die Fälle identifizieren, isolieren und besser nachverfolgen, als es bei Corona der Fall war.“

Hannah Bethke (41). Die Journalistin (NZZ) zoffte sich schon bei Markus Lanz mit Anton Hofreiter über die Sanktionen gegen Putin.

Jan Fleischhauer (60). Der Kolumnist („Focus“) urteilt über Putin: „Der Mann ist durch Bäche von Blut gewatet. Das Land ist in einem desaströsen Zustand und das Militär ein kaputter Haufen.“

Ranga Yogeshwar (63). Der ARD-Moderator unterschrieb Alice Schwarzers Brief an den Kanzler, der Ukraine keine schweren Waffen zu liefern.

Den einen geht’s um die richtige Politik, den anderen vor allem um das eigene Profil. Das Zoff-o-Meter will informiert und nicht instrumentalisiert werden!

Eitelster Einstieg

Die Talkmasterin gibt erst mal eine Runde Komplimente aus: „Ich kann mich an keinen Brief erinnern, der solche Wellen geschlagen hat“, sagt sie zu Yogeshwar über den Alice-Schwarzer-Appell an den Kanzler, den verzweifelt kämpfenden Ukrainern schwere Waffen zu verweigern. „Sie gehören zu den prominenten Erstunterzeichnern!“

Doch der ARD-Moderator findet, er habe ein noch größeres Lob verdient: „Ich habe nicht nur mitunterzeichnet“, erwidert er, „ich habe sogar mitformuliert.“ Heidewitzka!

Griffigster Vergleich

Fleischhauer bringt das Problem auf den Punkt: „Die Unterzeichnet haben gesagt, wir wünschen uns, dass die Ukraine gegen den Aggressor besteht, wir möchten nur an den Bundeskanzler appellieren, ihnen bei der Verteidigung nicht zu sehr zu helfen.“

Sein überzeugendes Beispiel: „Wir lernen schon als Kinder, dass wir, wenn in der U-Bahn irgendwelche Schläger eine jungen Frau malträtieren, nicht auf den Boden gucken und sagen, wir wünschen dir alles Gute, sondern dass es eine moralisch-menschliche Pflicht gibt, zu helfen.“

Gefährlichstes Wunschdenken

„Was soll eigentlich das Ziel sein bei Verhandlungen, mit einem Mann, der seine Soldateska jeden Tag morden, vergewaltigen, brandschatzen lässt?“, wundert sich der Focus-Kolumnist. „Der die Kriegsverbrecher von Butscha extra noch mit Orden ausgezeichnet hat? Der jedes Friedensabkommen zerrissen hat und sagt, ich halten mich nur noch an die Abkommen, die mir nützen?“

Seine Warnung: „Wenn Sie einmal die Moral aus dem Fenster werfen, dann ist sie weg.“

Yogeshwar ist trotzdem nicht überzeugt: „Wir haben im Moment eine Vorstellung in Deutschland, die sagt: Mit Putin kann man nicht reden“, behauptet er und pocht nervös auf den Tresen. „An der Stelle unterschätzen wir, was gute Diplomatie kann. Da geht es darum, Formate zu bauen, bei denen die Interessen der einen und der anderen Seite gespiegelt werden.“

Schwungvollstes Geschwurbel

Dann packt der ARD-Moderator seine Ansicht in die Sprache eines Computerspiels: „Das ist das wichtigste Ziel, dass man eine Pausentaste findet, bei der man sagt, o.k., ohne diese Konflikte kommen wir in ein Level, wo wir ganz anders miteinander verhandeln“, doziert er und setzt sein berühmtes wissendes Lächeln auf.

Journalistin Bethke ist davon so hingerissen, dass sie noch einen draufsetzen will: „Wir können jetzt doch nicht sämtliche Errungenschaften der Diplomatie über Bord werfen“, mahnt sie. Hm – tut das jemand? Ihre Unterstützung der Briefeschreiber erläutert sie hochsprachlich perfekt: „Ich finde es legitim, diese Position erst einmal zu artikulieren.“ Halleluja!

Klarste Kante

Fleischhauer wirft das berüchtigte Putin-Zitat ins Wortgefecht, er werde „Feinde des Volkes wie Fliegen ausspucken und zerquetschen.“ Das Kriegsziel der Amerikaner sei, „Russland so zu schwächen, dass es in den nächsten Jahren einen solchen Angriffskrieg nicht mehr führen kann“, erinnert der Focus-Mann, „das klingt sehr sympathisch.“

Helle Empörung auf der Gegenseite! „Ich finde das überhaupt nicht sympathisch!“, donnert Yogeshwar. „Es geht hier darum, das Leid der Zivilbevölkerung zu verhindern…“

Doch damit kommt er nicht mal ansatzweise durch: „Das ist nun wirklich paternalistisch, zu sagen, wir Deutsche wissen am besten, wie man das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung verhindert!“, wettert Fleischhauer. „Ich kenne keinen Ukrainer, der sagt: Nee nee, lasst uns mal mit euren Panzern in Ruhe!“

Ernüchterndste Auskunft

Der polnische Vizeaußenminister bringt die Show wieder auf die Kette. „Wir brauchen konkrete Taten, nicht nur Worte und Deklarationen!“, grollt er.

Die Talkmasterin interessiert sich für den aktuellen Stand im vereinbarten deutsch-polnischen Ringtausch: „Polen hat einen großen Teil der eigenen Panzer sofort in die Ukraine geliefert“, lobt sie. „Bekommen Sie von den Deutschen, was Ihnen versprochen wurde, oder nicht?“

„Nein!“, antwortet der Vizeminister umstandslos. „Leider haben wir bisher, wenn es um Waffen geht, nichts von der deutschen Regierung bekommen.“ Rumms!

Härteste Kritik

Über die deutsche Verteidigungsministerin schimpft Szynkowski: „Von Frau Lambrecht gab es ein schönes Foto mit unserem Verteidigungsminister, aber mehr passierte leider nicht!

Sein Zorn: „In den Verhandlungen haben wir gehört, dass wir Ausrüstung bekommen können, die älter sind als das, was wir in die Ukraine geliefert haben. Das ist natürlich inakzeptabel!“

Wütendster Vorwurf

„Wir fragen uns, wie weit Kanzler Scholz der Ukraine überhaupt helfen möchte“, fügt er mit Hochpuls hinzu. „Telefonate mit Putin halten wir für absolut sinnlos!“

Denn, so der der Vizeminister stocksauer: „Diplomatie ist natürlich wichtig, unsere Politiker sind schon Mitte März nach Kiew gefahren. Olaf Scholz hat bisher nicht entschieden, nach Kiew zu fahren. Stattdessen ruft er ziemlich regelmäßig Präsident Putin an. Das hilft Russland!“

Unklugster Konter

Klingbeil erscheint, schlägt die Beine übereinander und schießt gleich volles Rohr zurück: „Das ist ein Vizeaußenminister einer Regierungspartei, die mit der deutschen Sozialdemokratie noch nie gut konnte“, poltert er. „Da gab es viele Konflikte, da geht’s um Presserecht, Unabhängigkeit von Justiz, Abtreibungsrecht…“ Uiuiui!

Undiplomatischer Gegenvorwurf des SPD-Chefs: „Ein bisschen sieht das nach parteipolitischer Profilierung aus.“ Vorsicht: Eigentorgefahr!

Flaueste Ausrede

„Es wundert mich, wenn ich in den letzten Tagen Forderungen höre, dass man jetzt die neuesten ‚Leopard 2‘-Panzer liefern soll, die nicht mal wir selbst haben“, fügt Klingbeil angriffslustig hinzu. „Wenn Polen das erwartet, dann muss man vielleicht sich ein bisschen daran zurückerinnern, was wirklich konkret verabredet wurde!“

Die Talkmasterin will den Stier bei den Hörnern packen: „Steht das denn schriftlich fest, was konkret verabredet wurde?“, erkundigt sie sich.

Doch Klingbeil zuckt nur die Achseln: „Ich bin nicht Teil der Bundesregierung“, antwortet er. „Ich bin der Vorsitzende der SPD, und es gibt eine Trennung zwischen Regierungsgeschäft und der Führung der Partei.“ Ei, ei!

„Aber ich gehe davon aus, dass es feste Absprachen gibt“, fügt er schnell noch hinzu.

Unfreundlichste Koalitionsschelte

Maischberger macht gleich das nächste Fass auf: „Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hat heute gefordert, Deutschland muss 50 Schützenpanzer ‚Marder‘ direkt an die Ukraine liefern“, berichtet sie.

Oho! „Ich kenne keine Verabredung, dass man Kampfpanzer ‚Marder‘ liefert“, blafft Klingbeil und ätzt: „Das entscheidet nicht die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, indem sie per BILD-Zeitung irgendetwas mitteilt!“

Optimistischste Analyse

Über die Telefonate des Kanzlers in den Kreml sagt Klingbeil: „Ich halte es für wichtig, dass Putin jeden Tag erfährt, dass er sich isoliert hat, dass er den Zugriff auf den Westen verloren hat. Das muss man Putin persönlich mitteilen. Ich glaube, er realisiert mittlerweile, dass er sich mit diesem Krieg verrannt hat.

Gretchenfrage des Abends

Die Talkmastern blendet den jüngsten Vorwurf des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk ein: „Wenn man nicht bereit ist, zu liefern, soll man das lieber ehrlich sagen.“ Fahre Olaf Scholz etwa einen anderen Kurs, als er öffentlich sagen könne, um dann später in die Vermittlerrolle zu schlüpfen? möchte sie wissen.

Er könne die Bitten „aus der Sicht der Ukraine verstehen“, beschwichtigt Klingbeil. Aber „am Ende glaube ich wirklich, dass dieser Krieg nicht auf dem Schlachtfeld entschieden wird, sondern am Verhandlungstisch.

Exklusivstes Geschichtsbild

Das Verhältnis seiner Partei zu Russland zuckert Klingbeil mit einem dicken Eigenlob: „Auf die Ostpolitik von Willy Brandt sind wir immer noch stolz in der SPD“, behauptet er.

Denn, so der Parteichef: „Ohne die Ostpolitik hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben, und hätte es auch die Demokratisierung vieler ehemaliger sowjetischer Länder nicht gegeben.“ Hm – aber hatte Brandt nicht noch kurz vor dem Mauerfall behauptet, die Wiedervereinigung sei die „Lebenslüge der Zweiten Deutschen Republik“? Na wenn schon. Simsalabim!

Deutlichster Wink mit dem Zaunpfahl

Zum Tankrabatt sagt der SPD-Chef: „Ich erwarte und hoffe, dass er ab morgen gilt. Wir haben dem Wirtschaftsminister Habeck einen klaren Auftrag mitgegeben. Dass er die Spekulation einschränkt Kartellrechtlich. Da hat er die letzten drei Monate dran gearbeitet. Gehe ich zumindest davon aus, dass er das getan hat.“

Uff! „Also wenn morgen das Benzin nicht 30 Cent günstiger ist, liegt’s an Habeck?“, staunt die Talkmasterin.

So weit möchte Klingbeil dann doch nicht gehen, aber: „Es gibt keine Knappheit beim Öl“, stellt er fest. „Wir sehen, dass die Gewinne der Mineralölkonzerne explodieren. Da müssen wir ran, das haben wir vor drei Monaten festgehalten, und ich bin mir sicher, der Wirtschaftsminister setzt das um.“ Basta!

Fazit

Patzige Politiker, streitfrohe Medienleute und eine Talkmasterin mit Kurstreue in giftigen Nebeln: Das war eine Rede-Runde der Kategorie „Realpolitik“: taktisch, tückisch, toxisch.

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