Geschichte

Karfreitag 1945: General Pattons Himmelfahrtskommando für den Schwiegersohn

6.Folge der Serie über das Ende des Zweiten Weltkriegs im Rhein-Main-Gebiet. Der alliierten Oberbefehlshabers General Dwight D.Eisenhower proklamiert auf Plakaten: „Wir kommen als ein siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker!“

Karfreitag, 30.März 1945. Als der hochgewachsene US-Soldat mit dem Gewehr in das Haus Schillstraße 7 tritt, flüchtet Frau Götzelmann in den Keller und legt sich in das Luftschutzbett, doch der Amerikaner spürt die junge Frau rasch auf: „You in bed?“ fragt er. „Ich krank!“ antwortet sie. „Nix aufstehn?“ fragt der Soldat. „Nix!“ sagt sie voller Angst. Der Mann geht, kehrt aber bald zurück: „Come with me!“ Er führt sie in einen der hinteren Kellergänge und bedrängt sie mit dem Gewehr: „You ficky!“

In Frankfurt ist der Krieg zu Ende, aber nicht das Leid der Menschen. Viele Schwerverletzte werden in diesen Tagen noch sterben, viele Menschen Hunger oder Schlimmeres erleiden. Der holländische Koch eines Lagers für Russinnen kommt mit verbundenem Kopf aus dem Krankenhaus und schimpft: „Jetzt war ich jahrelang in Deutschland, und mir ist nie etwas passiert. Die Nazis sind weg, und jetzt haben mir die Scheiß-Amis gestern die Zähne rausgeschossen!“ Der Ärmste hatte das Ausgehverbot nicht beachtet – er dachte, es gilt nur für Deutsche.

Frankfurt wird geplündert – von den Frankfurtern. Günter Hofeditz aus der Ulmenstraße fährt mit dem Fahrrad zur NS-Kreisleitung, holt eine schöne Schreibmaschine aus dem 1.Stock, befestigt sie auf dem Gepäckträger, geht wieder hinauf, kommt mit anderen Sachen wieder herunter: Schreibmaschine weg. Er holt sich eine andere Schreibmaschine, stellt sie auf den Gepäckträger, geht wieder hinauf, um sich schnell noch einen Karton Toilettenpapier zu schnappen – zweite Schreibmaschine ebenfalls weg.

US-Soldaten schießen Löcher in Weinfässer, das Abfüllen dauert ihnen zu lange. Günter Lerch, Autor vieler Erinnerungsbücher über Frankfurt im Krieg, findet in einer verlassenen US-Stellung eine fast neue Windjacke, einen Rasierapparat in Originalverpackung und einen Karton mit 23 Tafeln Hershey-Schokolade – Vorboten der neuen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft.

Viele Frankfurter kosten zum ersten Mal Kaugummi und Grapefruit-Saft. An den Litfaßsäulen kleben Plakate mit der Proklamation Nr.1 des alliierten Oberbefehlshabers General Dwight D. Eisenhower: „Wir kommen als ein siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker!“

Östlich der Stadt geht der Krieg weiter. Der Eroberer Frankfurts, US-General George S. Patton, befiehlt ein waghalsiges Kommandounternehmen: Captain Abraham J. Baum soll mit 293 Mann, zehn Sherman-Panzern, zehn leichten Panzern, 27 Schützenpanzern und drei 10,5-Artilleriegeschützen auf Selbstfahrlafetten 150 Kilometer weit in Feindesland vorstoßen, um US-Offiziere aus einem Kriegsgefangenenlager in Hammelburg zu befreien.

Das Unternehmen, später „Patton’s Trip“ genannt, wird zum Desaster. Schon in Lohr am Main trifft eine Panzerfaust das Führungsfahrzeug. In Gmünden sprengen die Deutschen die Brücke, und Baum muss zwei weitere Panzer stehen lassen. Zwölf Stunden später stößt der Trupp in Hammelburg auf Sturmgeschütze und verliert drei Panzer, fünf Schützenpanzer, zwei Jeeps und den Treibstoff für den Rückmarsch. Im Lager müssen die Amerikaner eine Kompanie Sturmpioniere niederkämpfen.

Einer der Befreiten ist Pattons Schwiegersohn: Lieutenant Colonel Johnny Waters, 1943 in Tunesien gefangen genommen. In letzter Sekunde schießt ein Bewacher auf ihn und verletzt an der Hüfte schwer. Captain Baum tritt den Rückmarsch an, doch als weitere Panzer abgeschossen werden, muss er die Verwundeten mit einer Rotkreuzflagge zurücklassen. Weil kein Benzin mehr da ist, jagt er acht seiner Schützenpanzer in die Luft.

Vor Tagesanbruch stehen auch die letzten US-Panzer in Flammen. Baum flieht in einen Wald, ein deutscher Unteroffizier trifft ihn am Bein, und der Captain muss sich gefangen geben. Nur 15 Mann seines Stoßtrupps kehren zurück, und auf Pattons Weste erscheint ein hässlicher Fleck. Sein Schwiegersohn wird trotzdem gerettet: Zwei Tage später befreit die 14.Division ihn und den tapferen Captain Baum und fliegt den Schwerverwundeten in ein Lazarett nach Paris.

Auch Frau Götzelmann aus dem Keller an der Schillstraße hat Glück: Als der Soldat sie packen will, ruft sie schnell „Nix versteh, ich hol Kamerad“, drängt sich an ihm vorbei und flieht ins Freie. Dort findet sie zu ihrem Glück einen Amerikaner, der Deutsch versteht. Er erfasst die Situation sofort und brüllt den Soldaten an, worauf dieser eiligst das Weite sucht. Die Gerettete hat keine Zeit, sich von dem Schrecken zu erholen: auf der Straße liegt ein totes Pferd, und sie eilt hin, um sich ein Stück Fleisch zu holen.

Morgen: Am Ostersonntag 1945 ergibt sich Aschaffenburg.

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