„Anne Will: Sachsen-Anhalt hat gewählt – Stimmungstest für die Bundestagswahl?“ ARD, Sonntag, 6.Juni 2021, 22 Uhr.
Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla hat in der ARD-Talkshow „Anne Will“ im Streit um den Ostbeauftragten Marco Wanderwitz (CDU) provokativ einen „Westbeauftragten“ gefordert.
Wörtlich sagte der Rechtsaußen-Politiker vor allem in Richtung seiner eigenen Wähler, ein Westbeauftragter könne etwa die Umtriebe der Grünen überwachen. Die AfD könne für den Posten geeignete Kandidaten empfehlen. Das klang nach Enttäuschung über das Wahlergebnis, das weit von dem erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD entfernt war.
Wow! Im letzten Rennen vor September ließ die CDU die Reifen quietschen, Rot-Rot-Grün dagegen eierte mit Plattfuß ins Ziel. Anne Wills Gäste:
CDU-Vizechef Volker Bouffier, dienstältester Ministerpräsident der Union, regiert mit einer „Hessen-Koalition“ aus CDU und Grünen. In Sachsen-Anhalt keine Option!
Chrupalla forderte eine „konservative Regierung aus AfD und CDU“. Träum weiter!
Grüne-Chef Robert Habeck sah vorher einen „Drall nach rechts, der bis in die CDU hineingreift“. Und nun?
Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht stieß bei den Genossen in Magdeburg auf scharfe Ablehnung. Was sagte sie jetzt, nach dem Desaster der Linken?
Die Journalistin Nadine Lindner arbeitet für das Deutschlandradio.
Die wahlsonntägliche Talk-Elefantenrunde in Bestbesetzung! Wie dünnhäutig waren die Verlierer? Windigste Kritik
Riesenerfolg für die CDU, da suchte und fand die ARD-Talkmasterin flugs ein Haar in der Suppe: Reiner Haseloff sei ein Wahlsieger, „der keinen Konflikt scheut“, lobte sie zunächst.
Dann aber strickt Will daraus einen Tadel für dem Kanzlerkandidaten der Union: „Wenn Armin Laschet wirklich Bundeskanzler werden will“, fragte sie den CDU-Vize, „müsste er sich das nicht abgucken, endlich mal kenntlich zu werden und endlich auch mal in einen Konflikt zu gehen?“
Hm – hat sie die harten Gefechte mit CSU-Chef Markus Söder verpennt?
Energischste Kopfwäsche
Bouffier klopfte ihr sofort auf die Finger: „Zunächst einmal: Armin Lasche i s t kenntlich!“ erwidert er mit Nachdruck.
„Ja?“ machte Will zweifelnd.
„Ja natürlich!“ legte der Hesse nach, und: „Das wissen Sie auch!“ Rumms!
Interessantester Ausdruck
Bouffiers Analyse: „Was haben wir denn im Vorfeld diskutiert – wird die AfD stärkste Partei? Jetzt gucken wir das Ergebnis an: sieben Prozent hat die CDU zugelegt!“
Dann führte er gleich noch einen neuen Begriff ein: „Sachsen-Anhalt hat sich klar entschieden“, erklärt der CDU-Altmeister, „für die demokratische Alternative!“ Und weiter: „Es ist auch ein Erfolg für die demokratische Mitte!“
Schonungslosester Kommentar
Bouffier trug das Hessen-Wappen am Revers, Chrupalla einen Deutschland-Sticker, und Habeck hatte die Hemdsärmel aufgekrempelt, doch als nächstes nahm Will die Kollegin vom Radio dran.
„Starke CDU, AfD auf dem zweiten Platz“, analysiert die Journalistin und fügt etwas despektierlich hinzu: „Tja, und dann kommen, man könnte böse sei: die Zwerge.“ Uff! Linke, SPD und Grüne als Wichtel? Chrupalla grinste sich eins.
Flauester Witz
Für Habeck hatte Will eine schwierige Zahl mitgebracht: „71 Prozent sagen, die Grünen übertreiben es mit dem Klimaschutz“, hielt sie ihm vor.
„Naja, wenn die anderen 29 Prozent die Grünen gewählt hätten, wäre alles in Ordnung gewesen“, blödelte Habeck.
Als niemand lachte, wurde er rasch ernst: „Spaß beiseite! Richtig ist, dass bestimmte Themen, die in der Gesellschaft breit diskutiert werden und auch mehrheitsfähig sind, in bestimmten Regionen nicht funktionieren. Und auch nicht in der Relevanz gesehen werden.“ Hieß wohl: Immer diese doofen Wähler?
Unerschütterlichstes Selbstlob
Chrupalla bekam eine andere Umfrage vorgesetzt: „75 Prozent der Wähler in Sachsen-Anhalt sagen: Die AfD distanziert sich nicht genug von rechtsextremen Positionen“, las ihm Will vor.
Doch der AfD-Chef wollte sich nicht in die Igitt-Ecke stellen lassen: „Ein sensationelles Ergebnis!“ jubelte er trotz leichter Verluste. „Es gibt in Sachsen-Anhalt nur noch zwei Volksparteien: die CDU und die AfD.“
Der Wählerwille stehe „ganz klar artikuliert“ für eine bürgerliche Koalition aus CDU und AfD, behauptete Chrupalla noch.
Peinlichste Abwertung
Die Talkmasterin zog ein Zitat des AfD-Bundessprechers Jörg Meuthen raus, der die Parteifreunden im Osten hart kritisierte: „Mit einem stärker in die Mitte zielenden, weniger allein auf Protest setzenden Wahlkampf wäre ein noch deutlich stärkeres Ergebnis möglich gewesen.“
„Das ist jetzt eine Einzelmeinung eines Mitglieds unserer Partei!“ giftete Chrupalla.
Übelstes Beispiel
„In sozialen Fragen sind Sie ein Totalausfall!“ wetterte Wagenknecht los. Noch schlimmer: in Chrupallas Landesverband sei „die Neonazi-Szene in extremer Weise präsent“.
Der größte Skandal: „Ihr Spitzenkandidat hat sich in einer Facebook-Gruppe wohl gefühlt, die es witzig fand, das Bild der von den Nazis ermordeten Anne Frank auf eine Pizzaschachtel zu montieren und darunter zu schreiben: Ofenfrisch“, hielt die Linke dem AfD-Chef vor. „Da können Sie hier nicht so tun, als seien Sie die große bürgerliche Opposition!“
Schönste Versprecher
Dann zeigte Will das umstrittene Zitat des Ostbeauftragten Marco Wanderwitz (CDU), die Menschen im Osten seien teilweise „diktatursozialisiert“ und „auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen.“
Damit wollte sie Bouffier pieksen. „Herr Haselhoff…“ begann sie.
Heiterkeit in der Runde! „Also bei allem Verständnis“, amüsierte sich Bouffier. „Noch mal!“
„Herr Bouffier!“ verbessert sich die Talkmasterin.
Habeck lachte mit, hattespäter allerdings das Pech, das er seinerseits zu Chrupalla „Herr Wanderwitz“ sagte. Leude! Aufpassen!
Dem AfD-Mann schmeckte der „Ostbeauftragte“ grundsätzlich nicht: „Warum haben wir keinen Westbeauftragten?“ spottet er. Der könne dann in der Bundesrepublik auf die Grünen aufpassen. Ui
Akademischste Selbstkritik
„Wir sind eine Partei der Veränderung“, doziert Habeck, „und es gelingt uns in diesen Regionen noch nicht ausreichend, die Notwendigkeit und damit aber auch das Versprechen, dass sich einzig durch Veränderung realisieren lässt, nämlich wieder zu Halt, zu Verständnis, zu Wohlstand zu kommen, das ist offensichtlich nicht gut genug gelungen.“
Habecks Urteil in eigener Sache: „Da bin ich auch selber mit mir unzufrieden, dass wir – ich bin jetzt dreieinhalb Jahre Bundesvorsitzender – es in dreieinhalb Jahren nicht geschafft haben, die Ergebnisse in Ostdeutschland…“
Dann ging der Zoff so richtig los
„Wir leben in einer Zeit, in der Veränderungen der Status quo sind!“ rief Habeck.
„Ja, für Sie!“ konterte Chrupalla. „Aber der Bürger kommt ja gar nicht mehr mit! Erklären Sie doch mal, dass Ihre CO2-Erhöhung auf 60 Euro pro Tonne eine vierköpfige Familie 1440 Euro mehr kostet, pro Jahr!“
Privatduell des Abends
„Die Rückerstattung wird erfolgen“, versprach Habeck. „Niemand will das Geld behalten.“
Chrupalla lachte höhnisch: „Das ist doch lächerlich!“
Es sei ein bisschen kompliziert, das zu strukturieren, gab Habeck zu.
„Das merke ich“, höhnte Chrupalla.
„Man kann mit Klimaschutz Geld verdienen“, verteidigte sich der Grüne, die Hände wie beschwörend erhoben.
Chrupalla guckte immer wieder abwechselnd in die Kamera und dann wieder zu Habeck. „Das versteht doch niemand mehr!“ schimpfte er.
„Sie haben ein doppeltes Problem“, versetzte Habeck. „Sie hören mir nicht zu, und Sie wollen es nicht verstehen.“ Puh! Die gingen nachher wohl kein Bier mehr zusammen trinken…
Stimme aus dem Hintergrund
Chrupalla kommt ursprünglich aus der CDU-Jugendorganisation, deshalb patzte Habeck ihn schnell noch an: „Immer dazwischenbrabbeln! Was lernt man eigentlich in der Jungen Union? Benehmen jedenfalls nicht!“
„Die Junge Union ist völlig unschuldig an dieser Entwicklung!“ ließ sich Bouffier mit seiner Tiefbrunnenstimme vernehmen. „So viel Zeit muss sein!“
Gretchenfrage des Abends
Die Talkmasterin ärgert sich, weil der CDU-Vize dem Grünen in die Parade gefahren war: „Herr Bouffier, wollen Sie den Menschen vorgaukeln, dass es einen Klimaschutz geben könnte, der zwar alles verändert, aber die Menschen nichts kostet?“
„Erstens gaukele ich den Menschen nie was vor“, tadelte sie der CDU-Mann milde. Und zweitens, entscheidend sei: „Wem trauen die Menschen zu, dass er diesen Veränderungsprozess so gestalten kann, dass es am Ende eine gute Entwicklung gibt auch für sie und ihre Familien?“
Weisestes Schlusswort
Dann hob der CDU-Altmeister den schlingernden Talk wieder aufs Gleis: „„Wir sollten uns selber ernst nehmen!“ sagte er. „Es kann nicht nur um Klimaschutz gehen. Sondern es muss darum gehen, dass wir den Klimaschutz, den Wohlstand, die Arbeitsplätze und die soziale Frage zusammendenken.“
Seine wichtigste Ermahnung: „Was viele Menschen nicht möchten, ist, dass wir ihnen vorschreiben, wie sie leben sollen. Viele sagen: Ich will nicht umerzogen werden. Ich möchte nicht von irgendjemand erklärt kriegen, dass mein Verhalten sozial schädlich oder unmoralisch ist. Da muss Politik sehr vorsichtig sein.“ Amen und Aus!
Fazit
Übergriffige Manöverkritik als Wahlkampfnachkarten mit massiven Attacken und neuen Bockigkeitsrekorden. Das war eine Talk-Show der Kategorie „Ohne Handschuhe“.