„Maybrit Illner: USA gegen Iran – ein vertagter Krieg?“ ZDF, Donnerstag, 10.Januar 2020, 22.15 Uhr.
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag die Europäer aufgefordert, in der Krise um die Tötung des iranischen Terroristengenerals Quasem Soleimani politisch aktiver zu werden.
Wörtlich sagte der SPD-Politiker: „Es wird jetzt eine Stunde für Europa. Jetzt muss Europa seine diplomatischen Kanäle und seine ökonomischen Möglichkeiten nutzen! Und die Amerikaner werden das gar nicht schlecht finden.“
Der ZDF-Journalist Elmar Theveßen („Frontal“), einst Korrespondent in Washington und heute einer der meistgefragte Terrorismusexperten, gab allerdings gleich zu bedenken, dass es seit dem islamistischen Terrorangriff von 2001 auf New York noch nie eine europäische Strategie für den Nahen Osten gegeben habe.
Das illustrierte Theveßen mit einem interessanten Beispiel: „2008 hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU einmal einen Plan entworfen und ist dafür geprügelt worden, weil darin das Wort ‚Nationaler Sicherheitsrat‘ fiel“, berichtete er. „Der damalige Bundesaußenminister Steinmeier hat ihn als Koalitionspartner sofort abgelehnt…“
Prompt gab es Zoff
„Weil es ihn schon gibt!“ widersprach Gabriel und ging gereizt zum Gegenangriff über: „Jetzt müssen Sie schon mal die Wahrheit sagen!“
Der ZDF-Mann wollte das gern versuchen: „Nein, Herr Gabriel…“ Doch der SPD-Routinier weiß, was in solchen Fällen zu tun ist: Er versuchte die Kritik an dem Parteigenossen, die auch ihn selbst als ehemaligen Außenminister und Vizekanzler treffen konnte, einfach wegzuschwurbeln. „Sie müssen jetzt die Leute nicht für dumm verkaufen!“ machte er den ZDF-Mann an. So ein Sicherheitsrat, wie von Theveßen angesprichen, gehe „nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland natürlich nicht wie in den USA!“
Schönster Sieg
Der Journalist kämpfte tapfer weiter: „Was ich damit sagen will…“
Daraufhin machte Gabriel, was er in solchen Fällen gerne tut: Er hinderte Theveßen immer wieder daran, auf den Punkt zu kommen: „Ne! Nicht den Leuten Flöhe in den Kopf setzen!“
Doch der ZDF-Mann kam am Ende trotzdem zum Ziel: „Es gibt hier weder eine nationale Sicherheitsstrategie, die mal dargelegt hat, was sind unsere Interessen“, stellte er fest, „noch Strukturen in der Bundesregierung, die in der Lage wären, diese Sicherheitsstrategie auszuführen.“ Rummms!
Immerhin war es Gabriel mit seiner Taktik gelungen, die eigentliche Geschichte so zu vernebeln, dass im Publikum kaum jemand verstand, was im Mai 2008 geschehen war. Damals schlugen die Unionsparteien einen Nationalen Sicherheitsrat vor, der vom Kanzleramt aus die Arbeit verschiedener Ministerien koordinieren sollte. Die SPD wies den Vorschlag jedoch umgehend zurück. Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach dabei harsch von „verfassungswidrigen“ Plänen und klagte, die Union strebe eine „Amerikanisierung“ der Außenpolitik an. In Wirklichkeit ging es dem Minister vor allem um seine eigene Machtposition. Stimmen aus seiner Partei verdächtigen den Koalitionspartner darüber hinaus sogar, auf diesem Weg einen verstärkten Einsatz der Bundeswehr im Inneren anzustreben.
Schärfste Kritik
Nach dem Wortwechsel mit dem ZDF-Journalisten feierte Gabriel noch mal den Atomdeal der Weltmächte mit dem Iran, an dem er selbst beteiligt war. Die Historikerin Ulrike Becker vom „Mideast Freedom Forum Berlin“ goss ihm jedoch gleich tüchtig Wasser in den Wein: „Das Abkommen hat die Region nicht sicherer gemacht“, stellte sie unverblümt fest. „Viele Versprechungen des Iran wurden gar nicht umgesetzt!“
Theveßen konnte das nur bestätigen: „Die Iraner haben getrickst und getäuscht, auch noch nach dem Abkommen!“
Und Gabriel muss zum Schluss sogar zugeben: „Kein Israeli wird darauf vertrauen, dass die Europäer für seine Sicherheit garantieren!“
Zu Beginn der Talkshow war es zunächst um Begriffe gegangen. Am Mittwoch hatte ZDF-Talkmaster Markus Lanz den amerikanischen Drohnenangriff auf den iranischen Chefterroristen noch umstandslos als „Mord“ bezeichnet. Maybrit Illner dagegen sprach nur von „Tötung“. Auch ging es jetzt etwas vernünftiger zu als bei Lanz mit dem alten Amerikafeind Gregor Gysi. Becker etwa wies auf den in deutschen Medien wenig beachteten Umstand hin, dass die Nachricht vom Tod Soleimanis vielerorts Jubel ausgelöst hatte.
Unterschiedlichste Perspektiven
„Soleimani war für massive Verbrechen verantwortlich“, machte die Historikerin klar. „500.000 Tote! Millionen Vertriebene! Dass die Leute sich da freuen, kann ich nachvollziehen!“
Gabriel wollte auch das nicht durchgehen lassen: Soleimani sei zwar ein „Menschenschinder“ gewesen, sagt der Ex-Außenminister, „aber eben auch ein „heimlicher Verbündeter“ im Kampf gegen den IS „mit Duldung der Amerikaner“.
Emotionalstes Statement
Dabei sprach Gabriel zunächst zwar ebenfalls von „Ermordung“, dann aber etwas weniger vorwurfsvoll nur noch von „Tötung“. Deutlich machte er allerdings mehrfach, dass die Drohnenattacke für ihn „ein Verstoß gegen das Völkerrecht“ sei.
Die TV-Journalistin Düzen Tekkal empörte sich über etwas ganz anderes: „Soleiman war ein brutaler antisemitischer Terrorist“, sagt sie erst noch ganz ruhig. Dann aber kam ihr die Galle hoch: „Im Irak jubeln die Menschen, aber in Berlin gab es eine Trauerkundgebung für ihn, in einer Moschee in Neukölln, und auch in Hamburg!“ schimpfte sie. „Sehr viele Exil-Iraner protestieren gegen die Glorifizierung dieses Terroristen!“
Irrste Prahlerei
Der Chefredakteur Daniel Gerlach („Zenith“) berichtete über stolzgeschwellte Reaktionen der Raketen-Mullahs: Sie würden sich jetzt damit brüsten, dass der Iran die erste Macht seit dem Zweiten Weltkrieg sei, die eine US-Basis attackiert hätten.
Theveßen erklärte, er glaubt nicht an einen neuen Nahostkrieg, denn: „Trump hat versprochen, die endlosen Kriege der Amerikaner zu beenden und die Truppen nach Hause zu holen!“
Klarste Kante
„Es wird viel zu viel über diese Völkerrechtsverbrecher in der iranischen Regierung geredete“, beschwert sich die Historikerin danach und hoffte, der Drohnenangriff werde „eine gewisse Abschreckungswirkung“ haben.
Gabriel wollte die Iraner indes ebenso als Opfer sehen: „Dann müssen wir auch darüber reden, was Europa gemacht hat, als Saddam Hussein den Iran mit Giftgas angegriffen hat!“ sagte er und bekam prompt Beifall.
Tekkal war von der talkshowtypischen Gleichmacherei genervt: „Es widerstrebt mir, die USA mit dem Iran auf eine Stufe zu stellen!“ Auch dafür gab es Applaus.
Klügster Satz
Als Jezidin gehört Tekkal zu denen, die am meisten unter dem IS leiden mussten: „Noch immer sind 2000 jesidische Frauen verschwunden!“ klagte sie. Trotzdem sei sie strikt dagegen, Soleimans Tod zu bedauern, nur weil er ein Verbündeter gegen den IS gewesen sei: „Terroristen kämpfen auch gegen Terroristen“, sagte sie. „Es kommt nicht darauf an, wogegen ein Terrorist kämpft, sondern wofür!“
Ihre Warnung: „Wenn wir die Migration steuern wollen, müssen wir dafür sorgen, dass diese Region sicher bleibt!“
Diesmal gab es keine nervige Phrasenparade und auch kein Altkluggeschwätz routinierter Meinungsentertainer, sondern einen zivilisierten Streit unter der sanften Fuchtel einer unerschrockenen Debattendompteuse: Das war ein Talk nach dem Motto „Zweckdienlich“.