„Maybrit Illner: Hoffnung mit Risiko – Impfen ohne Vertrauen?“ ZDF, Donnerstag, 8.März 2021, 22.25 Uhr.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ Zwangstest für Rückkehrer aus dem Mallorca-Urlaub gefordert.
Dazu sagte der Politiker, der als Vorsitzender die Ministerpräsidentenkonferenz auch die Sitzung am Montag im Kanzleramt leiten wird: „Das geht so nicht, dass man in der ganzen Welt herumreisen kann, und in Deutschland gibt’s nicht mal einen Test. Auch das wird ein Thema in der Ministerpräsidentenkonferenz sein!“
Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln! AstraZeneca kann alles und ist trotzdem nur der ungeliebte Auswechselspieler unter den Impfstoffen. Dabei bricht gerade die dritte Welle über uns herein. Maybrit Illners Gäste:
Müller rät: „In der jetzigen Situation kann es keine weiteren Lockerungen geben!“
Tübingens Überbürgermeister Boris Palmer (Grüne) kritisiert den „deutschen Sicherheitswahnsinn“.
Die Virologin Corinna Pietsch klagt: „Wir haben zu früh gelockert!“
Die Hausärztin Birgid Puhl impft in Hamburgs Messezentrum mit und sagt: „Wir können nicht auf AstraZeneca verzichten.“
Frank Ulrich Montgomery, Chef des Weltärztebundes, schlägt Alarm: „Die dritte Welle wird schlimmer als jede davor!“
Der Musiker Wolfgang Niedecken („BAP“) wollte am 30.März seinen 70. Geburtstag mit einem großen Konzert feiern. Leider Pustekuchen!
Politik, Medizin, Kultur: Hoffnungsfanfare oder Schwanengesang?
Berechenbarste Alternativen
In der Einstiegsrunde machte Montgomery gleich klar, worum es bei Thema AstraZeneca geht: „Bei einer Impfung können von einer Million Leute vielleicht dreizehn eine schwere Erkrankungen bekommen. Wenn eine Million Leute aber nicht impfen, werden 5000 bis 10.000 sterben!“
Virologin Pietsch erklärte, wer offenbar besonders durch Nebenwirkungen gefährdet ist: „Man weiß, dass es vor allem Frauen unter 55 sind, die betroffen waren.“
Bedenklichster Lagebericht
„Die Patienten waren sehr unruhig“, schilderte Puhl die entscheidenden Minuten im Hamburger Impfzentrum. „Jeder hatte ein Smartphone in der Hand. Während des Impfens kam die Meldung über den Impfstopp. Das war eine spezielle Situation!“
Schönster Versprecher
Als nächsten peilt Illner den Tübinger Stadtchef an, der zurzeit als kommunalpolitischer Überflieger durch die Talkshowszene schwebt. Ihre unerwartete Anrede: „Herr Tübingen, war das Stoppen von Astra in Ihren Augen sinnvoll?“
Heiterkeit im Saal! Palmer milderte die kleine Peinlichkeit fair mit einem sachdienlichen Hinweis: „Ich habe die Frage verstanden!“
Verheerendste Bilanz
Umso härter fiel das Urteil des Kommunalpolitikers über die Kollegen in Bund und Ländern aus: „Wir haben dreimal die falsche Entscheidung getroffen“, stellte er fest. „Die Briten haben Notfallzulassung gemacht, wir haben auf regulärer Zulassung bestanden und damit vier Wochen verloren.“ Rumms!
Zweitens, so Palmer: „Wir haben entschieden, aufgrund fehlender Daten, dass dieser Impfstoff nur an Jüngere gegeben werden kann. Aber gerade bei den Jüngeren gibt’s die Komplikationen. Und wir haben nicht diejenigen geimpft, die ein viel höheres Todesrisiko haben, nämlich die Menschen über 65.“
Geharnischste Kritik
„Und jetzt“, so Palmer, „haben wir noch den dritten Fehler gemacht, nämlich die Impfungen zu unterbrechen, was Verunsicherung erzeugt.“
„Warum wir Deutschen immer die falschen Entscheidungen getroffen haben und die Briten die richtigen, das sollte mal bedacht werden!“ ärgerte sich der Bürgermeister.
Vernichtendste Analyse
„Unsere Sicherheitskultur geht immer dahin, dass alle Unterlagen zusammen sein müssen, dass alle Vorschriften erfüllt sein müssen und dass alle Beamten Ja gesagt haben!“ wetterte Palmer weiter.
„Die Briten dagegen sind eher für trial and error zu haben und sagen, wenn die Richtung stimmt, dann legen wir los“, lobte der Bürgermeister dagegen. „Und in der Pandemie muss man vor der Lage sein. Man muss schnell sein. Aber bevor man die Verantwortung übernimmt, stoppt man lieber das Impfen!“
Prompt ging der Zoff los
Müller hatte dem Kollegen anfangs noch lächelnd zugehört, doch jetzt gab der Berliner Bürgermeister kräftig kontra: „Der Entscheidungsspielraum für die Politik ist sehr gering, weil ja immer auch die Wissenschaft eine Empfehlung ausgibt“, entgegnete er. „Und wer will sich dann darüber hinwegsetzen?“
Denn, so der SPD-Politiker streng: „Dieses trial-and-error-Prinzip bedeutet ja auch, mögliche Gefahren und Risiken einzugehen!“
Persönlichste Erklärung
„BAP“-Sänger Niedecken, aus Bonn zugeschaltet, ist durch Corona extrem alarmiert, denn: „Ich habe vor zehn Jahren einen Schlaganfall gehabt. Ein Gerinnsel hat eine Vene blockiert. Also eine Thrombose. Deshalb muss ich vor einer Impfung erst mal meinen Arzt fragen. Aber ich würde mich natürlich impfen lassen.“
Schärfste Kritik
Am Anfang der Pandemie seien sich die Politiker so einig gewesen, wie er das noch nie erlebt habe, erklärte Niedecken weiter, „und das hat mir sehr imponiert.“
Aber, so der Sänger: „Mittlerweile habe ich das Gefühl, jetzt kommt immer mehr Wahlkampf rein, und das verunsichert die Leute natürlich umso mehr!“
Niedeckens Warnung: „Wenn die Leute erleben, dass die Politik aufeinander einschlägt, dann trägt das nicht dazu bei, das die Leute wirklich Vertrauen entwickeln können!“
Energischste Parole
„Wir wissen, dass schon die Erstimpfung sehr gut schützt“, meinte Müller. „Das bedeutet für mich: So schnell wie möglich alles raus, was wir an Impfstoff haben!“
Seine Strategie: Hauptsache Erstimpfung und neue Priorisierung. Denn: „Wer sind die mobilen Gruppen? Das können auch Jüngere sein!“
Wutanfall des Abends
Über den Impfstoff-Streit mit London schimpfte Montgomery: „Dass Europa 9,2 Millionen Dosen Biontech-Pfizer, in Deutschland mit 375 Millionen der Bundesregierung gefördert, an Großbritannien liefert und Großbritannien nichts rausrückt, das finde ich trotz meines britischen Passes unerhört!“
„Wir müssen global denken“, machte die Virologin klar. „Wir müssen uns als Europa fragen, ob wir nicht noch mehr abgeben können in Länder, die noch gar keinen Impfstoff zur Verfügung haben.“ Uff!
„Wenn Sie in Israel am Strand Ihren Arm entblößen, haben Sie ‘ne Spritze drin!“ sagte Montgomery über Unterschiede in der Impfgeschwindigkeit.
Schönste Wiederholungstat
Die Talkmasterin nahm den Grünen wieder in den Blick. „Wir sind in Tübingen bei Boris Palmer“, sagte sie. „Erste Frage, Herr Tübingen – Stopp! Herr Tübingen! Herr Palmer! Ich schaffe es heute noch! Ich sage jetzt einfach immer ‚Boris Palmer‘, und das wird gelingen, die nächste halbe Stunde!“
Dramatischster Vorwurf
Palmer ärgert sich die Platze über langwierige Genehmigungsverfahren auch für den Impfstoff der Tübinger Firma Curevac: „Wir rauschen in die dritte Welle rein, wir brauchen jeden Impfstoff, den wir produzieren können, und wir warten wieder, bis alle Formulare ausgefüllt sind!“
„Ich glaube, dass wir uns mit dem deutschen Sicherheitsdenken im Weg stehen!“ polterte der Grüne. Sein Zorn: „Das ist keine Frage, die man nur der Wissenschaft überlassen kann! Das ist eine Frage der politischen Kultur! Sonst würden andere Länder nicht anders entscheiden! Man kann ja nicht sagen, in Großbritannien gibt‘s keine Wissenschaftler!“
Heftigste Retourkutsche
Weil es an Impfstoff mangele, könnten in Tübingens Impfzentrum nur die Hälfte der Impfstraße genutzt werden, berichtete Palmer dazu. Ohne genügend Impfstoff aber gebe es auch „keine echte Notwendigkeit, in die Arztpraxen zu gehen“. Ui!
Müller hakte sofort ein: „Das ist aber erstaunlich, dass Herr Palmer, der ja für Flexibilität wirbt, und Entbürokratisierung, jetzt sagt: Wir müssen erst mal über die Impfzentren gehen“, ätzte der Berliner. Selbst wenn Haus- und Betriebsärzte nur wenig Impfstoff hätten, könnten sie „trotzdem helfen, weil sie die Patienten besser kennen“.
Klarste Ansage
„Wir impfen schon immer. Das ist unsere Kernaufgabe. Wir impfen die ganze Bevölkerung. Grippe, Pneumokokken – das ist einfach unser Thema!“ assistierte die Haus- und Impfärztin. „Wir kennen unsere Patienten, ihre Vorgeschichte. Wir müssen in der Praxis auch nicht neun Seiten ausfüllen!“
Klarste Absage
„Wir werden am Montag darüber diskutieren, ob wir weiter gehen wollen“, sagte Müller über Lockerungsvorschläge für die nächste Konferenz der Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin.
Im aktuellen Beschluss stehe: Weitere Lockerungen frühestens am 22.März“, erinnerte der Regierende Bürgermeister, doch: „Ich glaube nicht, dass wir das tun. Es wäre schon eine Riesen-Kraftanstrengung, mit Testen und Impfen, das zu halten!“
Interessanteste Ankündigung´
Über die geplanten Impfungen in Hausarztpraxen sagte Müller: „Wenn wir uns darauf einigen, kann das sehr schnell gehen und am Montag ein begleitender Beschluss sein zu dem, was wir schon haben.“
Nächste Vorstellung des Bürgermeister: „Eine Testpflicht durch die Arbeitgeber für die Beschäftigten kann ein Thema sein. Warum eigentlich nicht? Es ist mir wichtig, dass das mitdiskutiert wird!“
Fazit: Harte Diskussionen, strenge Ansagen und viel Gereiztheit: Das war ein Talk der Kategorie „Neues aus der Corontäne“.