„maischberger. die woche“. ARD, Mittwoch, 11.August 2021, 22.50 Uhr.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Prof. Karl Lauterbach hat in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche“ am Mittwoch eine neuerlichen Lockdown für alle ausgeschlossen.
Wörtlich sagte der Experte: „Ich glaube auch, dass wir davon profitieren werden, dass die Menschen in Deutschland sich sehr für die Delta-Variante interessieren und vorsichtig sein werden. Daher werden wir deutliche Anstiege noch einmal bekommen, aber es wird nicht so sein, dass wir noch einmal einen Lockdown für alle benötigen.“
Deutschland im Alarm-Modus: Nach der Flut streitet das Land über Vor- und Nachteile für Geimpfte und Nichtgeimpfte, die Klimakrise wirkt immer bedrohlicher und aus Afghanistan droht eine neue Flüchtlingswelle. Talkmasterin Sandra Maischberger sucht Lösungsmittel. Die Gäste:
FDP-Chef Christian Lindner lederte gegen Ministerpräsidenten und Kanzlerin los: „Sonderrechte für die Regierung, keine echte Strategie, Daumenschrauben für Ungeimpfte!“
Die Linke-Co-Vorsitzende Janine Wissler wetterte: „Ab Oktober auf kostenlose Tests zu verzichten bedeutet, dass sich weniger Menschen testen lassen werden!“
Lauterbach, Marathonmann der Talkshowszene, warnte vor Hochrisikobereichen wie Clubs, aber auch Pflegeeinrichtungen.
TV-Moderator Cherno Jobatey hat seine Ernährung umgestellt und 40 Kilo abgenommen. Man sah’s.
Die Journalistin Kristina Dunz (RND) urteilte: „Impfverweigerer müssen sich in Zukunft auf eigene Kosten testen lassen oder eben draußen bleiben!“
BILD-Vize Paul Ronzheimer ortete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im „schwer erträglichen Dauer-Panik-Modus“.
Zum Start ein klares Bekenntnis
Wie Jobatey wirkte auch Lauterbach deutlich dünner. „Die Inzidenz ist nach wie vor der wichtigste Wert, weil ich an ihr ablesen kann, wie viele Menschen in Kürze krank sein werden“, stellte der Experte gleich mal klar.
Seine Enttäuschung: „Es war immer die Rede davon, wenn wir siebzig, achtzig Prozent geimpft haben, haben wir Herdenimmunität, können Maßnahmen zurückfahren, die Masken fallen lassen – und jetzt ist das nicht gekommen.“
Schlimmste Befürchtung
Das brachte Lauterbach zu einer düsteren Prognose: „Die Delta-Variante ist so ansteckend, dass wir mit der Qualität unserer besten Impfstoffe realistischer Weise nicht erreichen können, dass wir jemals Herdenimmunität haben“, erklärte er. Ui!
Seine beängstigende Analyse: „Die Alpha-Variante war ja schon ansteckend. Aber im Vergleich atmet ein mit der Delta-Variante Infizierter tausend Mal so viel Virus aus!“
„Übersetzt bedeutet das“, so Lauterbach weiter, „in anderthalb Jahren wird es in Deutschland nur noch zwei Gruppen von Menschen geben: Geimpfte und hoffentlich Genesene, aber auf jeden Fall Infizierte.“
Denn, so der Experte: „Von dem, was wir jetzt wissen, werden sich von den Ungeimpften einschließlich unserer Kinder in den nächsten anderthalb Jahren alle anstecken.“ Alle!
Coolste Antwort
Die Talkmasterin zeigte Bilder von einem wissenschaftlichen Versuch, bei dem Geimpfte, Genesene oder Getestete im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg volle Latte Party machen. Maischbergers Frage: „Würden Sie da reingehen und mittanzen?“
„Als doppelt Geimpfter würde ich das wahrscheinlich knapp riskieren“, gesteht Lauterbach, „wenn ich nicht gefilmt würde.“ Heiterkeit im Publikum!
Interessanteste Erwiderung
Daraufhin heizte Maischberger ihm kräftig ein. Ihr Vorwurf: Lauterbach habe die Zuverlässigkeit von Antigen-Tests am Abend verneint und am nächsten Morgen plötzlich bejaht.
„Die Studien stehen zum Teil im Widerspruch“, erklärte der Experte ungerührt. „Wir Wissenschaftler müssen den jeweiligen Stand der Wissenschaft beschreiben. Es gibt nicht viele Dinge, wo ich mich so dramatisch korrigieren musste. Ich versuche auch, nicht komisch zu sein!“
Gretchenfrage des Abends
Maischberger ging ans Eingemachte: „Muss man nicht, bevor man etwas nicht ganz genau weiß, erst mal gar nichts sagen?“ fragte sie vorwurfsvoll. „Kann es sein, dass Sie zu viele Studien lesen? Dass Sie zu schnell twittern?“
„In der Regel ist es so, dass ich mir genau überlege, was ich twitterte!“ verteidigte sich Lauterbach etwas angestrengt.
Doch die Talkmasterin hielt den Druck hoch: „Nicht alles, was Sie an einem Tag sagen, ist tatsächlich in Stein gemeißelt.“ Puh!
Optimistischste Vorhersage
Über die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz sagte Lauterbach: „Ich glaube, dass das gute Beschlüsse sind, und dass wir durch die Kombination Testen der Ungeimpften und Weiterführen der Impfkampagne die dramatisch hohen Zahlen nicht bekommen.“
Bedenklichste Einschränkung
Aber, auch das sagt Lauterbach gleich danach: „Es kann sein, dass es tatsächlich so übel wird, dass wir zu dem übergehen wird, was 2G-Regel genannt wird, dass wir dann für bestimmte Anlässe, bestimmte Innenraumverhältnisse die Ungeimpften nicht mehr zulassen können.“ Rumms!
Härteste Abrechnung
BILD-Vize Ronzheimer war vor drei Wochen in Afghanistan. „Mich macht es wahnsinnig wütend und traurig, zu sehen, wir die Politiker jetzt reagieren“, grollt er nun. „Es war für alle klar, dass, wenn die Truppen abziehen, die Taliban mit ihrer radikal islamistischen Ideologie zurückkehren und Terror übers Volk bringen!“
Besonders sauer macht den Kriegsreporter, „dass die Regierung es nicht einmal geschafft hat, diejenigen sicher aus dem Land zu bringen, die für uns in den vergangenen zwanzig Jahren gearbeitet haben!“
Krassestes Erlebnis
„Die Taliban haben mir erzählt, dass sie die Frauen jetzt wieder einsperren“, berichtet Ronzheimer sichtlich betroffen. „Ich habe gefragt: Wann dürfen die denn raus? Ja wenn die Tiere gefüttert werden!“
„Das, was die Taliban heute reden“, stellt er fest, „ist mindestens genauso radikal wie das, was vor zwanzig Jahren passiert ist.“
Vernichtendstes Urteil:
„Der Bundeswehreinsatz war sinnlos, weil die Konsequenzen durch den Rückzug jetzt so groß sind, dass die Menschen, denen wir geholfen haben, in Freiheit zu leben, die Frauen, die dort im Parlament sitzen, jetzt vertrieben werden“, klagte der Kriegsreporter. „Dass das, was wir erreicht haben, völlig zunichte gemacht wird!“
Der britische Verteidigungsminister habe versucht, die afghanische Armee wenigstens mit NATO-Luftschlägen zu unterstützen, erklärte Ronzheimer weiter. „Insbesondere die Luftschläge fehlen. Das ist das Entscheidende, und da hätten wir was tun können!“
Dramatischste Warnung
Im Passamt von Kabul würden sich jetzt jeden Tag Tausende ihre Pässe abholen, berichtete der BILD-Vize weiter. „Und jeder, den ich sprach, hat zu mir gesagt: I want to go to Germany!“
Ronzheimers Sorge: „Möglicherweise erleben wir in diesen Tagen genau das, was wir schon 2015 falsch gemacht haben, als wir uns nicht eingemischt haben, nämlich, dass eine neue Flüchtlingswelle beginnt und die am Ende versuchen werden, nach Deutschland zu kommen!“
Dann sprang das Zoff-o-Meter an
Im neuen Talk-Teil „Wahl-Duell“ ließ Maischberger den FDP-Chef und die Linke-Chefin aufeinander los. Es geht um Reichensteuern und die Enteignung von Wohnungsunternehmen.
„Die Linke will unsere Gesellschaftsordnung durch den Sozialismus ersetzen“, warnte Lindner. „Ich glaube, dass der Sozialismus keine Gesellschaftsform ist, die die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen achten kann.“ Rumms!
Dialog des Abends
Maischberger machte die Probe aufs Exempel: „Sie wollen keinen gewaltsamen Umsturz, oder doch?“ fragt sie die Linke.
„Ich lehne Gewalt ab“, behauptete Wissler prompt. „Ich bin der Meinung, dass wir Proteste brauchen, dass wir gesellschaftlichen Druck brauchen. Aber natürlich bin ich für friedlichen Proteste und dafür, dass man eine gesellschaftliche Mehrheit erreicht und nicht verprellt durch Gewalt.“ Hm – das sieht in Berlin mancher Polizist wohl etwas anders.
Interessantester Dreh
„Wenn Sie eine gesellschaftliche Mehrheit hätten: Würden Sie dann die Minderheit enteignen?“ fragt Linder ins Schwarze.
„Das Problem, das wir heute haben, ist, dass eine gesellschaftliche Mehrheit enteignet wird“, antwortete die Linke und meinte damit steigende Mieten bei „Wohnungskonzernen“. Wisslers Heilmittel: „Vergesellschaftung von wichtigen Bereichen der Daseinsvorsorge“. Im Klartext: Wohnungsmarkt à la DDR. Halleluja!
Wichtigste Erkenntnis
„Den Klimawandel zu bewältigen wird nicht mit Verzicht und Moralisieren gehen, sondern indem wir auf Technologie setzen“, sagte Lindner zum Schluss.
Für die nötigen privaten Investitionen, meinte der Liberale, „dafür, dass Selbständige wieder Eigenkapital aufbauen können, dass Menschen Vorsorge betreiben können, müssen wir in der ganzen Breite die Steuern senken. Ausnahme: Google, Apple, Amazon, Facebook müssen endlich ihren fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten.“ Amen!
Fazit: Auf der einen Seite flachwurzelnde Volksküchenphilosophie mit räudigen Sprüchen aus dem Spätsozialismus, auf der anderen gut portionierter Mut zu unpopulären Wahrheiten ganz ohne Unfehlbarkeitsgestus: Das war ein Talk der Kategorie „Pfeffer und Salz“.