„Hart aber fair. Eine Frage der Herkunft: Warum sehen Ost- und Westdeutsche Russlands Krieg so anders?“ ARD, Montag, 24.Oktober 2022, 21 Uhr.
Putin zerbombt die Lebensgrundlagen der Ukraine, seine Generäle lügen der Welt was von „schmutzigen Bomben“ vor. In „Hart aber fair“ wundert sich Frank Plasberg, dass es trotzdem Meinungsunterschiede gibt. Die Gäste:
Henry Maske (58). Der Ex-Boxweltmeister leitet eine Sporttechnologiefirma und weiß: „Ja, es ist immer auch eine Frage der Herkunft und Prägung.“
Ralf Fücks (71, Grüne). Der Publizist reiste gleich nach Kriegsbeginn als einer der ersten nach Kiew und hat „null Verständnis dafür, dass Menschen sich kaltschnäuzig von der Ukraine abwenden.“
Antje Hermenau (58). Die Politikberaterin saß zehn Jahre lang für die Grünen im Bundestag, trat 2015 aus der Partei aus und schimpft über „Sanktionen, die nur uns schaden“.
Prof.Stefan Creuzberger (61). Der Historiker beobachtet: „In Ostdeutschland findet gerade in Teilen der Bevölkerung eine Verklärung der Freundschaft zu Russland statt.“
Jessy Wellmer (42). Die Moderatorin berichtet für die ARD über „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“. Ihre Sorge ist, dass „Menschen, die sich schon in der Mitte der Gesellschaft fühlten, an die politischen Ränder gehen.“
Jetzt stimmt Wellmers Film als Vorprogramm auf Plasbergs Talkshow ein. Was die Moderatorin im Osten zu hören bekam, macht fassungslos. Das Zoff-o-Meter erwartet kontroverse Reaktionen.
Beschwingteste Ouvertüre
Fücks und Prof.Creuzberger sind im Westen geboren, Hermenau und Maske im Osten. In der Mitte sitzt Wellmer, einst Güstrow, heute Berlin, und findet es „schon verblüffend, wie gesetzt wurde bei ‚Hart aber fair‘!“
Aber: „Ich fühle mich wohl in der Mitte“, sprudelt sie mit lebhaften Gesten los. „Ich bin hier in Köln ganz oft bei der Sportschau, bin verheiratet mit einem Westdeutschen, erzähle den Westdeutschen, wie hier die Leute ticken.“ Ihr Handy musste sie wegen der vielen Anrufe und SMS vor der Sendung auf Flugmodus schalten.
Entschiedenster Standpunkt
„Für mich ist meine Sicht der Dinge glasklar: Das ist ein Verbrechen“, urteilt sie über Putins Angriffskrieg. „Es wird für mich zum Problem, wenn Leute die Demokratie und die Diktatur, wie sie in der DDR da war, auf Augenhöhe verhandeln.“
Fücks, einst Kommunist, wird noch deutlicher: „Ich kenne schon, dass man sich häuten muss, dass man dazulernt“, berichtet er. „Was mich irritiert, ist, dass man so fest die Augen verschließt gegenüber der russischen Realität. Eine harte Diktatur, eine Kleptokratie, in der sich die Machteliten hemmungslos bereichern, eine aggressive Kriegspolitik…“
Sein klares Urteil: „Russland als Friedensmacht oder eine Kraft des Fortschritts zu bezeichnen, da muss man schon beide Augen vor der Realität verschließen.“ Dafür gibt’s den ersten Beifall.
Persönlichste Perspektive
„Die Leute, die Prägungen haben wie ich auch, die haben die natürlich verarbeitet und auch neue Sachen aufgenommen“, erklärt Politikberaterin Hermenau. „Ich war mit einem Amerikaner verheiratet, habe die USA bereist, war nie in der Ukraine und nur einmal zwei Tage in St.Petersburg.“
Aber, so ihre verblüffende Frage: „Wo kommt denn dieser abgrundtiefe Hass unseres Führungs-und Spitzenpersonals her, wenn sie – zumindest im Frühjahr – über Russland und Putin sprechen?“
Plumpstes Ablenkungsmanöver
„Hass?“, wiederholt Plasberg entgeistert.
„Moment!“ ruft Hermenau und streckt anklagend den Zeigefinger vor. „‘Wir werden Putin vernichten!‘ Das ist fast zitiert!“
„Fast zitiert“, staunt Putin, „aber…“
„Ja!“ ruft die Politikerin und will das böse Wort der Außenministerin anhängen: „Das war unsere oberste Diplomatin! Wir haben ein gewisses zivilisatorisches Grundvertrauen in die Russen an sich. Und wenn dann solche Hasstiraden kommen, die vielleicht mal jemand in einem anderen Land verdient hätte, wenn er den Jemen zusammenschießt, und Kinder verhungern…“
Verräterischste Themenwechsel
Dann liefert Hermenau Beispiele neudeutscher Debattentechnik. Über Putin sagt sie: „Ich bin nicht so anmaßend, zu behaupten, dass ich ihn durchschaue, aber ich durchschaue auch andere nicht.“ Über Ukrainer in Putins Bombenhagel: „Ich habe auch Mitleid mit den Leuten in Jemen!“
Über die Sanktionen schimpft sie in die erstaunten Blicke der Runde: „Wer soll denn die Ukraine hinterherwieder aufbauen, wenn wir uns jetzt ökonomisch selbst ins Schwert stürzen?“ Uff!
Prägendste Kindheitserinnerung
„Als Sechsjähriger kam ich zufällig mit sowjetischen Soldaten zusammen, die Tomaten pflückten und mir Weißbrot gegeben haben“, erinnert sich Maske und hebt beschwörend die Hände: „Es gibt keinen Krieg, der erklärbar und begründbar ist!“
Plasberg zeigt ein Foto Maskes mit Vitali Klitschko bei der Beerdigung des Boxtrainers Fritz Sdunek 2014. „Wir hatten uns eine Woche nach dem 24. (Kriegsbeginn) ganz kurz per Whatsapp ausgetauscht“, berichtet Maske, „und ich habe ihm alle Kraft, die möglich ist, gewünscht.“
Berufenstes Lob
„Gerade Wladimir und Vitali haben sich heute Positionen erarbeitet, wo ein Großteil ihrer Landsleute auf sie schaut und dadurch immer wieder motiviert wird und Kräfte spürt“, rühmt der deutsche Ring-Held.
Maske von Boxer zu Boxer: „Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. So sind beide geprägt, wahrscheinlich durch ihren Papa, der bei der Armee war. Dass man Dinge tun muss, die dem Umfeld guttun und wichtig sind.“ Punkt!
Ernüchterndste Antwort
„Ich habe mir immer gedacht: Die DDR-Bürger wollten doch die Wiedervereinigung!“, wundert sich Wellmer über ihre Interviewpartner. „Und die Freiheit! Und die Vorzüge der Demokratie!“
Aber: „Ich habe auch gefragt: Wo fühlen Sie sich denn zuverlässig informiert?“, berichtet die ARD-Frau. „Einer hat gesagt: ‚Auf der Online-Seite des russischen Außenministeriums. Da ist immer so schön protokollarisch alles aufgeführt, jede Zahl, jedes Fakt. Das kommt mir zuverlässig vor.‘“ Ächz!
Ureigenste Erfahrung
Als „monströse Gefahr“ erscheint Wellmer das Internet „mit den ganzen Foren, in denen sich die Leute bewegen und teilweise gar nicht wissen, dass das Portale der neuen Rechten sind. Da kann ich nur sagen: Informiert euch! Ihr seid erwachsene Bürger!“
„Viele gucken die Talkshows bei uns im Ersten nicht mehr“, klagt die Journalistin dann. Denn in diesen Sendungen gebe es Widerspruch, „und den muss man halt aushalten können.“ Ihre Sorge: „Es gibt auch klassische Medien, die sich der Empörungswellen aus dem Internet bedienen!“
Unliebsamste Einsichten
„Als die Krim überfallen worden ist, habe ich mich aufgeregt, wegen völkerrechtswidriger Handlungsweise“, erzählt Ex-Grüne Hermenau, „und bin von linken Grünen belehrt worden, dass ich das nicht so eng sehen darf.“
Über die Demos sagt sie: „Die meisten, die jetzt auf der Straße sind, denen geht der Hintern auf Grundeis. Da kommen Erklärungsmuster wie ‚der Russe alleine ist nicht schuld‘. Ich sehe das übrigens auch so.“
Historischste Erinnerungen
„Es war Russland, das Gas als Waffe gegen den Westen eingesetzt hat“, erinnert Fücks. „Putin will das Großrussische Imperium restaurieren, und das sagt er auch ganz offen.“
„Russland ist auch ein europäisches Land“, kontert Hermenau. „Putin hat versucht, das Land mit Europa zusammenzubringen. Mittelstand aufzubauen, und Demokratie. Es ging nur nicht…“
Zum Thema Gorbatschow meldet sich Maske mit dem ironischen Hinweis: „Also der Russe war wohl doch nicht so schlecht.“ Heiterkeit in der Runde!
Zornigste Trotzreaktion
Nach einem ARD-Einspieler über Maskes große Karriere schildert der Boxer ehrlich seine Gefühle: „Das ist für mich ein hervorragendes Empfinden. Es war für mich großartig. Ich habe den Vaterländischen Verdienstorden in Gold, und ich habe, glaube ich, auch den anderen, auf der anderen Seite (Bundesverdienstkreuz).“
„Ich weiß nicht, ob ich mich für den einen jetzt schon schämen muss!“ grollt Maske dann plötzlich. „Was ich nicht tue! In manchen Situationen kam das schon vor, dass ich den möglicherweise nicht hätte betiteln dürfen!“
Professionellster Schlagabtausch
„Wieviel Unverständnis spüren Sie denn?“, erkundigt sich die ARD-Moderatorin.
„Ich will das in keinster Weise dramatisieren“, wehrt Maske ab.
„Aber da sitzt ja was“, stochert ihm Wellmer in die Deckung.
„Nein, nein, nein“, wehrt sich der Boxer und schlägt eine Finte: „Ich hab’s nur mal erwähnt, um es produktiv zu gestalten…“ Die anderen grinsen verständnisvoll.
Politischstes Punkteboxen
Die ARD-Frau setzt trotzdem nach: „Ich spüre was bei Henry Maske, und es interessiert mich halt“, strahlt sie ihn an.
Vor dieser Attacke geht Maske dann doch zu Boden: „Das war seinerzeit eine Auszeichnung, Honecker hat sie mir überreicht, wie vielen Sportlern anderen“, erzählt er scheinbar gelassen. „Und alle waren stolz, im Sinne des deutschen Volkes, des DDR-Volkes.“
Dann aber bricht es aus ihm hervor: „Wir haben uns in keinster Weise schlecht, sondern wirklich gut gefühlt“, ruft er mit hoch erhobener Schlaghand, „weil wir über uns die Fahne der DDR bekommen haben und genießen durften.“
Klügster Konter
Der Talkmaster will auch noch mal mitmischen: „Wie lebt man mit zwei Hymnen?“, möchte er wissen. Puh!
„Ich muss gestehen, das ist nicht auf einmal: ‚Bumm‘, und dann ist die neue Hymne da. Das wäre nicht ganz ehrlich“, erwidert Maske und hebt zur Defensive die Hände vor die Brust. Aber: „Selbstverständlich bin ich heute extrem glücklich, dass es ist, wie es ist.“
Seine tiefste Überzeugung dröhnt als Schlussgong durch die Show: „Fakt ist, der größte Teil in den neuen Bundesländern würde das Rad nicht mehr zurückdrehen wollen. Auch ich nicht.“ Amen!
Zitat des Abends
„Das ist für mich ein Lebensthema, dieses Ost-West-Ding.“ Jessy Wellmer
Fazit
Jede Menge Rechthaberei, übertriebene Empfindlichkeit und unbegründetes Beleidigtsein, aber auch viel Versöhnliches bis hin zu netten Fehlern, etwa wenn Wellmer Fücks „Herrn Füchsler“ nennt und der sich dann mit „Jenny“ statt „Jessy“ revanchiert: Das war eine Talk-Show der Kategorie „Wirkungstreffer“.