Mitten in der alten Kulturlandschaft der Vierlande, zwischen Bauernhöfen und Gemüsegärten, wird das finsterste Kapitel der Nazi-Zeit in Hamburg geschrieben: Mit seinen zahlreichen Außenlagern ist Neuengamme Mittelpunkt eines KZ-Systems in ganz Norddeutschland. 106.000 Menschen aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Dänemark werden dorthin gebracht. 55.000 kommen um oder werden ermordet.
Eine Gedenkstätte erinnert an den schwärzesten Schandfleck in der Geschichte der Freien und Hansestadt. Sie steht auf dem Gelände der Lagergärtnerei, auf dem die SS die Asche der verbrannten Leichen als Dünger verstreuen ließ. In den beiden noch erhaltenen Klinkerhallen lassen die Schrecken nachempfinden: drei Häftlinge pro Bett, katastrophale sanitäre Verhältnisse, täglich starben bis zu 40 Menschen.
Auf dem Appellplatz dahinter standen oft 14.000 Häftlinge stundenlang zum Durchzählen an. Vor einem Güterwaggon zeigt eine Zementfläche die drangvolle Enge, in der sich bis zu 120 Menschen viele Tage lang zusammenkauern mussten. Im Arrestbunker vergaste im Herbst 1942 die SS 448 sowjetische Kriegsgefangene mit Zyklon B, hängte sie im März 1945 an einem einzigen Tag sechzig holländische Häftlinge.
Zwischen dem 21. und 23. April 1945, zehn Tage vor Übergabe der Stadt an die Briten, ermorden die KZ-Schergen noch 71 Hamburger Widerstandskämpfer, Männer und Frauen, um ihre Befreiung zu verhindern. Die alte Kläranlage auf einem Hügel dient als Kugelfang eines Schießstands für Exekutionen.
Bis zu ihrem Tod müssen die Häftlinge für das Hitlerreich schuften: In Schreinerei, Schlosserei und Schmiede stellen sie Ausrüstungsgegenstände für SS-Truppen her. Ein Flechtkommando aus tausend „Muselmännern“ – so der SS-Spottname für Alte, Schwache und Kranke – knüpft aus Abfallstoffen Tarnnetze und Matten. Schläge treiben die Erschöpften an, viele sterben an Entkräftung.
Der Zaun steht unter Starkstrom. Viele Verzweifelte begehen Selbstmord, in dem sie sich in die Drähte stürzen. Die Wächter haben Maschinengewehre und scharfe Hunde. Ein Foto in der Gedenkstätte zeigt die brutalen Gesichter. Von diesen Männern kann niemand Gnade erhoffen.
Die Häftlinge arbeiten auch außerhalb des Lagers: bei Bauern und in Gärtnereien, in einer Bäckerei, einer Autowerkstatt, einer Eisen-, einer Holzhandlung. Auf dem Rücken tragen sie einen „Fluchtpunkt“ als Zielscheibe für ihre Bewacher. Hinter dem KZ fertigen 800 Häftlinge in den „Metallwerken Neuengamme“ Walther-Gewehre her. Wer einen SS-Mann nicht grüßt oder ohne Erlaubnis Pause macht, kommt in die Strafkompanie zu all jenen, deren Akten den Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ tragen. Sie müssen in die Tongruben, zu Planierarbeiten, zum Hafen- und Kanalbau und werden besonders grausam gequält.
Auch die Gestapo mordet in Neuengamme: bis 1945 rund 2000 Menschen, meist Widerstandskämpfer aus ganz Europa. Das Schrecklichste erwartet die Kinder: Zwanzig von ihnen, aus ganz Europa zusammengeraubt, nur weil sie als Juden geboren sind, ihren Eltern in Auschwitz entrissen, werden in Neuengamme ein halbes Jahr lang Opfer medizinischer Versuche. Am 20.April 1944 erhängen SS-Leute die Kinder im Keller einer Schule am Bullenhuser Damm. Heute ist die Schule nach Janusz Korczak benannt, dem jüdischen Schriftsteller und Leiter des Warschauer Waisenhauses, der 1942 im polnischen Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde. Jedes Jahr am Todestag legen viele Menschen an der Gedenkstätte Blumen und Kränze nieder. Auf einer Schleife stand einmal: „Ihr lieben Kinder bleibt unvergessen.“
ENDE