Geschichte

Hamburg 1945: Die Abwehr arbeitet bis zuletzt

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs an Alster und Elbe vor 75 Jahren: Im Nazi-Reich ist die Freie und Hansestadt militarisiert wie nie zuvor.

„Fünf He 111 überfliegen Oslo. Flakfeuer.“ – „Flughafen Fornebu anscheinend in deutscher Hand. Weiße Landesterne.“ – „35 He 111 setzen zur Landung an.“

Die Funksprüche von der Besetzung Norwegens durch die Nazis finden ihre Empfänger ein paar Schritte westlich der Alster: In der Außenstelle Hamburg des Amtes Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht an der Sophienterrasse.

Oberster Chef ist der legendäre Admiral Wilhelm Canaris (1887-1945) in Berlin. Er nennt das 1937 bezogene Gebäude mit dem Adler über dem imposanten Pfeiler-Vorbau „die graue Festung“. Hier sitzt die größte Außenstelle der militärischen Auslandspionage und der Spionageabwehr. Ihr Leiter ist Fregattenkapitän Herbert Wichmann. Nach dem erhofften Sieg über England soll er die Abwehrstelle London übernehmen.

Wichmann und seine 250 Mitarbeiter führen Hunderte Geheimagenten in England und den USA, angesetzt vor allem auf die Flotten der Alliierten, aber auch – und mit Hochdruck – auf das geheime Zielgerät der US-Bomber. Der Historiker Ladislas Farage setzt diesem Kampf im Dunkel später mit seinem Tatsachen-Thriller „Das Spiel der Füchse“ ein Denkmal. Dazu kommen Agenten in Spanien, Portugal und Südamerika. Die 120 Spezialisten der geheimen Funkstation der Abwehr in Wohltorf senden und empfangen rund um die Uhr.

Auch bei der Besetzung Norwegens mit der „Operation Weserübung“ vom 9.April 1940 spielt Hamburg eine Hauptrolle: Wichmanns Leute haben Norwegen und Dänemark systematisch ausspioniert, und in Hamburg laufen am 3.April 1940 auch die ersten sieben Schiffe aus. Der Frachter „Widar“ liegt vor Oslo auf Reede und übermittelt die ersten Augenzeugenberichte der deutschen Agenten vom Angriff auf die Stadt.

Um die Sophienterrasse laufen viele Fäden zusammen. Die Abwehr arbeitet im Westflügel. Nachbarn sind das „Standortkommando der Wehrmacht“ und das „Generalkommando des X. Armeekorps“ mit Hamburgs ranghöchsten Offizieren. Um die Ecke, in der „Kriegsmarinedienststelle Hamburg“ am Harvestehuder Weg, beginnt Konteradmiral Hans Bütow in den letzten Kriegstagen ein waghalsiges, aber zum Glück erfolgreiches Verzögerungsspiel gegen die befohlene Sprengung des Hamburger Hafens. Hamburgs mächtigster Mann, der Nazi-Gauleiter Karl Kaufmann, residiert nebenan in der „Reichsstatthalterei“, die Gauleitung sitzt ein paar Schritte südlich davon.

Die „graue Festung“ ist viele Jahre lang das am besten erhaltene Stück Nazi-Architektur in Hamburg – neben der SS-Kaserne in Langenhorn, erbaut 1936-38, und dem „Luftgaukommando XI“ in Blankenese, erbaut 1940/41 aus Ziegelsteinen, die einst für eine riesige Hochbrücke über die Elbe gebrannt worden waren. Die Flieger schätzen Blankenese, weil sie sich hier gut tarnen können und, nach den Erinnerungen ihres Kommandeurs, des Generals der Flieger Adolf Wolf, „von der eigentlichen Luftverteidigung Hamburgs weit genug abgesetzt“ sind. Die völlige Zerstörung der Stadt seit 1943 aber können sie nicht verhindern.

Im Nazi-Reich ist Hamburg militarisiert wie nie zuvor. Die Abwehr bleibt aktiv bis zum Schluss. Als die Engländer in Wohltorf einrücken, ziehen die Funker sich ins Hotel Randel nach Poppenbüttel zurück. Der legendäre Admiral Canaris ist da schon tot: Hitler unterstellt ihm ein Doppelspiel mit den Alliierten und lässt ihn am 9.April im ostbayerischen KZ Flossenbürg hängen – kurz bevor dort die ersten US-Panzer eintreffen.

Viele NS-Gebäude Hamburgs dienen später einem besseren Zweck. Aus der Reichsstatthalterei wurde die Musikschule, im Gebäude der Gauleitung arbeitete das US-Konsulat. In der SS-Kaserne Langenhorn wird noch im Krieg das „Reservelazarett V“ eingerichtet, kurz darauf entsteht dort das Krankenhaus Heidberg, der Hoheitsadler auf dem Bogen wird abgemeißelt. In Blankenese sitzt die Führungsakademie der Bundeswehr, an der Sophienterrasse ziehen erst britische Verbindungsoffiziere und dann die Standortverwaltung der Bundeswehr mit dem Kreiswehrersatzamt ein.

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