Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg auch an Alster und Elbe. Drei mutige Männer retteten ihre Stadt vor dem Untergang
Viele Jahre lang kamen fast jede Woche einige Besucher in den Landgasthof „Hoheluft“ an der B 75 in Buchholz-Meilsen, die nicht bloß Kaffee trinken wollten: Sie steuerten einen runden Tisch in einer Ecke an, setzten sich auf das gestreifte Rundsofa unter gerahmten Zeitungsausschnitten und lasen den Text unter der gläsernen Tischplatte mit dem in Großschrift hervorgehobenen Wort „Kapitulationsverhandlungen“.
An diesem Tisch retteten drei mutige Männer Hamburg vor dem Untergang – in den letzten Kriegstagen, nach einer abenteuerlichen Odyssee durch die feindlichen Linien, auf einer lebensgefährlichen Mission zwischen Vernunft und Verrat.
Die Stadt ist im April 1945 zwar ein Trümmerfeld, aber mit seinem Hafen, den Werften und Industrieanlagen noch immer ein wichtiges Rüstungszentrum. Außerdem sperrt sie den Vormarsch nach Norden und bündelt Nachschubwege. Doch die Lage ist längst aussichtslos: Die 21.britische Heeresgruppe unter Feldmarschall Bernard Law Montgomery, Sieger über Rommel in Afrika, steht schon in Häcklingen bei Lüneburg, und russische Panzer rücken durch Mecklenburg vor.
Der alliierten Übermacht liefert die hoffnungslos unterlegene deutsche Heeresgruppe Nordwest mit 16- und 60jährigen aus Hitlerjugend und Volkssturm ein aussichtsloses Rückzugsgefecht. Hitler hat Hamburg zur Festung erklärt: Die Stadt soll bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone gehalten werden. Nazi-Gauleiter Karl Kaufmann lässt an einem „inneren Verteidigungsring“ von Altona über Bahrenfeld, Winterhude, Barmbek und Rothenburgsort bis nach Harburg Panzersperren bauen. Die Bevölkerung wird unruhig, denn alle wissen: Fallen hier wirklich noch Schüsse, dann legt die überlegene Feuerkraft der Alliierten auch noch den Rest der Stadt in Schutt und Asche.
Die drei mutigen Männer sind der Stabsarzt Prof. Dr. Hermann Burchard, der „Phoenix“-Generaldirektor Albert Schäfer und der Leutnant Otto von Laun, Sohn des renommierten Völkerrechtlers Prof. Dr. Rudolf von Laun. In der Wohnung des Vaters am Woldsenweg 11 in Eppendorf verabreden sie sich, als Parlamentäre zu den Engländern zu gehen. Dann fahren sie zum Gefechtsstand des Hamburger Kampfkommandanten, Generalmajor Alwin Wolz, an der Rothenbaumchaussee. Ursprünglich wollen die Männer nur erreichen, dass die englische Artillerie nicht mehr auf das Volkssturm-Reservelazarett im Keller der Phoenix-Werke schießt. Schnell wird mehr daraus – viel mehr…
Am Sonntag, 29.April, steigen die drei in ein Wehrmachtsauto und fahren auf der Bremer Chaussee, der heutigen B 75, nach Süden. Bei Appelbüttel stoßen sie auf die deutschen Linien. Ein Offizier der SS-Kampfgruppe „Panzerteufel“ leitet sie durch die eigenen Sperren. Leutnant von Laun schwenkt eine weiße Fahne. Die Briten schießen trotzdem, stürmen aus einem Gebüsch und nehmen die Parlamentäre gefangen. Sie verbinden ihnen die Augen und bringen sie erst zum Gefechtsstand des 1st/5th Bataillon „The Queens Regiment“ am westlichen Ortsausgang Tötensen, dann aber zum Gefechtsstand der 7.Panzerdivision – im Landgasthof „Hoheluft“.
Dort fädeln die drei die Übergabe Hamburgs ein. Die Stimmung ist günstig, denn die Engländer haben kein Interesse an einer Totalzerstörung, sie brauchen Stadt und Hafen für die Zeit nach dem Krieg. Gefahr droht indes von den Deutschen: Kaufmann stellt den zurückgekehrten „Phoenix“-Chef in seiner „Reichsstatthalterei“, der heutigen Musikhochschule am Harvestehuder Weg, barsch zur Rede. Doch Schäfer erwidert ungerührt, der Gauleiter könne ihn „ja nun aufhängen lassen“.
An der Rothenbaumchaussee brüllt der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nordwest, Generalfeldmarschall Ernst Busch, den Kampfkommandanten an: „Sie müssten mit der Panzerfaust in der Hand dem Feind entgegentreten und kämpfen! Wenn Sie dann fallen, so ist das ehrenvoll! Hamburg wird verteidigt! Das ist mein Befehl!“ Doch Wolz gehorcht einer ungleich höheren Pflicht: Am 1.Mai schickt er zwei Emissäre zu den Engländern nach Meckelfeld, am 2.Mai fährt er selbst mit Bürgermeister a. D. Dr. Wilhelm Burchard-Motz zum Hauptquartier der Briten in einem Landhaus in Klecken.
Auch Wolz hat in Afrika gekämpft. Jetzt unterzeichnet er die bedingungslose Kapitulation. Hamburg ist gerettet. Am 3.Mai um 16.13 Uhr rollt die 7.Panzerdivision in drei großen Marschsäulen, mit Leutnant von Laun als „Pfadfinder“, über die Elbbrücken auf den Heidenkampsweg und durch die Mönckebergstraße zum Rathaus. Um 18.25 übergibt Wolz offiziell die Stadt. Auch Gauleiter Kaufmann ist im Rathaus. Plötzlich will er es gewesen sein, der Hamburg vor dem Schlimmsten bewahrte. Am nächsten Tag aber wird der Nazi-Führer verhaftet und ins befreite KZ-Neuengamme gebracht.
Morgen: Im Folterkeller der Gestapo