„Maybrit Illner: Weniger Geld, mehr Flüchtlinge – ist Deutschland noch stark genug?“ ZDF, Donnerstag, 3.November 2022, 22.15 Uhr.
Putins dreckiger Bombenterror treibt immer mehr Ukrainer aus der Heimat, auch über Mittelmeer und Balkanroute kommen jede Woche Tausende. Das Flüchtlingsproblem lässt sich nicht mehr wegtuppern: Viele Kommunen arbeiten längst im migrationspolitischen Streckbetrieb! Maybrit Illners Gäste:
Nancy Faeser (52, SPD). Die Innenministerin verteidigt das Bürgergeld der Ampel: „Es stimmt einfach nicht, dass es sich in Deutschland nicht mehr lohnt, zu arbeiten!“
Carsten Linnemann (45, CDU). Der CDU-Vize wettert: „Wir müssen in einem Land leben, in dem man die Dinge aussprechen darf, ohne gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden!“
Boris Palmer (50, Grüne). Tübingens bundesweit populärer OB wurde übel als „Rassist“ beschimpft, aber schallend wiedergewählt.
Sirkka Jendris (44). Die Chefin der „Tafel“ klagt: „So viele Bedürftige hatten wir noch nie!“
Gerald Knaus (52). Der Migrationsforscher befürchtet einen „historischen Fluchtwinter“.
Ann-Katrin Müller (35). Die Journalistin („Spiegel“) kritisiert: „Wir tun nicht so viel wie andere Länder, der Ukraine zu helfen in diesem Krieg, mit Waffen & Co.“
Die Politik zwischen Parteiparolen und Praxis! Das Zoff-o-Meter hofft auf faire Argumente.
Misslungenstes Auskunftsersuchen
Diesmal komponiert Talkmasterin Illner die wichtigste Frage gleich in die Ouvertüre: „Mit wieviel mehr Flüchtlingen rechnen Sie im kommenden Winter, wenn Sie es schätzen müssen?“, möchte sie von der Innenministerin erfahren.
Wie, Zahlen? Das ist Faeser zu kitzlig. „Können wir nicht“, behauptet sie schlicht. „Habe ich nie gemacht. Halte ich auch für unseriös.“ Soll wohl heißen: Wenn ich das nicht vorhersage, darf es auch der politische Gegner nicht tun.
Zweifelhafteste Einschätzungen
Illner ist mit dem Herumgedruckse nicht zufrieden: „Wir fragen jemanden, der uns bei der Beantwortung vielleicht ein bisschen mehr helfen kann“, murrt sie und spielt den Ball zu dem Migrationsforscher.
„Sowohl in der EU als auch in Deutschland sind zehn von elf Aufgenommenen aus der Ukraine“, doziert Knaus prompt. Von der Balkan-Route dagegen meldet er eine „Entleerung“. Seine verblüffende Analyse: „Es gibt in diesem Jahr keine große irreguläre Migration aus Afrika, Afghanistan oder Syrien. Es kommen kaum Leute in die EU nach.“
Berechtigtste Befürchtung
Palmer, aus Tübingen zugeschaltet, spricht lieber über Wohnraum, Kita- und Grundschulplätze für Flüchtlinge und sorgt sich um „die Konkurrenzen, die bei uns entstehen, wenn wir die Menschen so aufnehmen, als würden wir sie voll integrieren.“
„Die Ukraine kann es sich nicht leisten, die Menschen alle dauerhaft zu verlieren“, warnt der Oberbürgermeister. Die Kommunen wiederum könnten dann nicht mehr „alle Probleme auffangen“.
Schwierigste Debatte
„Es gibt niemanden, der bestreitet, dass wir diese Menschen aufnehmen müssen“, erklärt Palmer dazu. „Ob sie deswegen sofort wie Inländer behandelt werden sollten, also Hartz IV erhalten sollten, ist umstritten.“
Denn, so der Oberbürgermeister weiter: „Der baden-württembergische Städtetag und der Landkreistag haben gesagt: Wir halten das für falsch, und wir würden es für richtig halten, sie wie Asylbewerber, also mit den niedrigeren Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, zu behandeln.“
Konfliktträchtigster Vorschlag
„In Tübingen ist mittlerweile die Zahl der fehlenden Kita-Plätze ungefähr so groß wie die Zahl der Kinder von Geflüchteten“, stellt Palmer fest. „Und da entsteht natürlich Druck.“
Konsequenz, so der Kommunalpolitiker: „Wir müssen darüber sprechen, ob es nicht vielleicht besser wäre, eine Art Kriegsnothilfe zu leisten, als die Idee der Integration von Anfang an zu betreiben.“ Uff! Der traut sich was! Die Reaktion in der Runde ist allerdings gleich null.
Unwillkommenste Erinnerung
Linnemann wird zu seinem sichtlichen Ärger erst mal mit dem vielfach durchgekauten Zitat seines Parteichefs konfrontiert, der den Ukrainern Ende September „Sozialtourismus“ vorwarf, wofür sich Merz seither pausenlos auf allen Kanälen entschuldigt.
Vergebliche Leidensmüh: „Ausgerechnet in einer Situation, wo es eine wachsende Zahl von ukrainischen Flüchtlinge gibt, haut der Vorsitzende einen raus!“, hält Illner Linnemann jetzt noch mal vor. Ihre Aufwärmfrage auf: „Ist das nur ungeschickt gewesen oder ist das auch gefährlich?“
Geschickteste Ablenkungsmanöver
„Das ist jetzt verschüttete Milch!“, knurrt Linnemann. „Entscheidend ist, dass es auf der einen Seite Humanität gibt, und auf der anderen Seite Rechtsstaatlichkeit!“
Seine Gegenoffensive: „Zur Rechtsstaatlichkeit gehört, dass Flüchtlinge, die illegal hier sind, nicht reindürfen in dieses Land, dass sie auch an der Grenze zurückgewiesen werden. Zwölf der sechzehn Bundesländer können nicht mehr aufnehmen. Wir dürfen uns nicht überfordern!“
Zähestes Nachkarten
Damit lässt sich Illner aber nicht abschütteln, denn sie hat extra einen Einspieler mit dem Merz-Zitat vorbereitet: „Das hat auch die Kollegen aus der Union verstört“, meldet sie unter den beifälligen Blicken der Innenministerin.
„Friedrich Merz hat dazu alles gesagt“, wehrt sich Linnemann und will lieber darüber reden, dass jetzt schon wieder Turnhallen für Flüchtlinge blockiert würden: „Irgendwann kippt die Integrationsbereitschaft!“
Massivster Vorwurf
„Man darf nichts herbeireden!“, mischt sich Journalistin Müller ein und schimpft, das mit den „Sozialtouristen“ habe Merz nicht aus Versehen gesagt.
Linnemann wirft sich voll in die Bresche: „Sollen wir jetzt das ganze Jahr darüber reden, was man mal vor vier Wochen…“
„Nein“, antwortet die „Spiegel“-Frau, macht aber ungerührt weiter: „Diese Info kam aus prorussischen Querdenkerkanälen. Das war russische Desinformation!“
Dankbarste Steilvorlage
Illner setzt noch einen drauf: SPD-Chefin Saskia Esken habe Merz sogar eine „Mitschuld an Hass und Hetze in diesem Land“ zugewiesen. Ihre Frage an die SPD-Ministerin: „Sehen Sie das auch so?“
„Meiner Auffassung nach ist es nicht gut, so etwas herbeizureden“, antwortet Faeser eifrig nickend. „Es gab keinerlei Grundlage für das, was Herr Merz gesagt hat. Insofern verschlimmert das die Situation. Deswegen war es so falsch, was Friedrich Merz gesagt hat.“ Wow! So geht es jetzt schon sieben Minuten lang. Das wird der Mann nie wieder los!
Raffinierteste Diffamierung
Schlimmer noch: die Ministerin zieht nun sogar einen Vergleich zur AfD. „Was ich sehr gefährlich finde, ist beispielsweise, wenn wir nach Bautzen gucken, was die AfD gemacht hat“, erklärt sie. „Die hat eine Stimmung herbeigeredet, die zu Gewalt an einer Flüchtlingsunterkunft geführt hat und auch Menschen hätte treffen können!“
Faesers schlecht versteckter Vorwurf gegen Merz: „Die AfD hat zwei Tage zuvor in einer Art und Weise demonstriert, und Sachen behauptet, die einfach nicht stimmen, an Hass und Hetze gegen Geflüchtete. Die Konsequenz war, dass zwei Tage später Flüchtlingsunterkunft gebrannt hat. Deswegen können solche Äußerungen auch solche Taten bewirken…“
Erwartbarste Erkenntnis
Auch Palmer lehnt den Begriff „Sozialtourismus“ ab, meldet aber: „Wenn man in die Pässe schaut, sieht man, dass da viele ukrainische Staatsbürger kommen, die vorher bereits Zuflucht in südeuropäischen Ländern gefunden haben.“
Grund, so der Grüne weiter: „Aus Gesprächen wird deutlich, dass dabei das äußerst hohe Leistungsniveau in Deutschland eine Rolle spielt. Es wäre ja auch überraschend, wenn das nicht so wäre“ Rumms!
Konstruktivste Idee
Zur angespannten Situation etwa der Kitas schlägt Palmer vor: „Machen wir Spielgruppen für ukrainische Kinder, wo ukrainische Eltern die Betreuung übernehmen! Lassen wir die ganzen deutschen Standards des Kommunalverbands für Jugend und Soziales weg, denn da ist alles vor vorneherein verboten.“
Sondern: „Geben wir noch ein bisschen Geld für Spielmaterial! Das würde die Kitas entlasten und die Konkurrenz mit den Eltern, die sagen, ich kann nicht arbeiten, weil ich keinen Kita-Platz kriege, deutlich entschärfen.“
Verworrenstes Lagebild
Dann geht das Zoff-o-Meter wieder los: Linnemann nervt die Ministerin mit der Behauptung, viele Flüchtlinge wollten nach Deutschland, „weil wir weltweit den höchsten Sozialstandard haben.“ Seine Forderung: „Das darf man nicht kleinreden. Wir müssen aufpassen bei den Pullfaktoren!“
„Das mit den Pullfaktoren ist nicht belegt!“, widerspricht die Ministerin mit beschwörenden Gesten. „Es stimmt einfach nicht, dass die Menschen hierherkommen, weil sie mehr Geld bekommen.“ Uff!
Begreiflichste Beschwerde
Die Zahl der Flüchtlinge mit dem Mangel an Erzieherinnen in Verbindung zu bringen, das ist für Faeser „unredlich“, denn: „Wir sollten nicht Menschen gegen Menschen ausspielen!“
„Tafel“-Chefin Jendris wiederum beklagt mangelnde Hilfe der Politik für ihrer Organisation: Es gebe zu viele Arme, stellt sie fest, und auch die Tafeln würden unter „wahnsinnig hohen Energiekosten leiden“.
Deprimierendste Zahl
Die Talkmasterin möchte lieber nochmal den CDU-Chef bashen und zeigt den nächsten Merz-Einspieler. Zitat diesmal: „Mit dem Bürgergeld lohnte es sich auch für die Zuwanderer nicht mehr, eine einfache Tätigkeit aufzunehmen.“ Ob auch Palmer dieser Meinung sei? fragt sie danach den Oberbürgermeister.
Doch der Grüne lässt Illner abblitzen: „Ich werde jetzt ungern zum Dauer-Kronzeugen für Friedrich Merz“, erwidert er, „aber wir haben in Tübingen 800 erwerbsfähige Personen, von denen sind 400 sechs Jahre, nachdem sie zu uns gekommen sind, nicht in Ausbildung, nicht in Arbeit, nicht erwerbstätig. Das bedeutet, dass sie dauerhaft von Transferleistungen leben.“
Dringendste Mahnung
„Wir haben mal versucht, die nicht besetzbaren Stellen bei der Raumreinigung der Stadt den Flüchtlingen zu übertragen“, berichtet Palmer dann. „Bedauerlicherweise war nach zwei Monaten niemand mehr da. Die haben alle gesagt, das ist nicht das, was ich machen möchte, und mit den Transferleistungen komme ich gut klar.“
Linnemann hat ähnliche Infos: „Wir haben hunderttausende Syrer in Deutschland“, berichtet er. „Zwei Drittel davon leben von Hartz IV.“
Letztes Gefecht
Zum Schluss zieht der CDU-Politiker gegen das Bürgergeld der Ampel zu Felde: Das Institut für Weltwirtschaft habe nachgewiesen, dass Leute, die arbeiten, oft deutlich weniger Geld haben, als wenn sie mit Bürgergeld zu Hause blieben. „Eigentlich müsste man ein Denkmal bauen für die Menschen, die in Deutschland arbeiten gehen!“, ärgert er sich.
„Es geht um bessere Löhne!“, widerspricht Faeser, doch darauf redet sich Linnemann in Rage: „Natürlich können Sie sagen, der kann ja zum Amt gehen und aufstocken. Aber was ist das für ein Gesellschaftsbild? 40 Stunden arbeiten und dann noch aufstocken, um das gleiche zu bekommen wie jemand, der nicht arbeitet. Da bin ich raus.“ Amen!
Zitat des Abends
„Die Frage war wieder sehr lang. Ich hoffe, ich habe sie richtig verstanden!“ Boris Palmer zu Maybrit Illner
Fazit
Unfaire Vorwürfe, überflüssige Belehrungen, parteitaktische Ermahnungen, ermüdendes Bashing-Marathon und pausenloser Druck auf die Schulddrüse: Das war eine Talkshow der Kategorie „Rhythmische Moralkeulengymnastik“.